Schlagwort: Russland

Der diagnostische Blick auf den Krieg: Gespräch mit Irina Golgowskaja, Psychiaterin, Leiterin des Instituts „Eurasia – Zentrum für sanogene Medizin“ in Nowosibirsk

Kai Ehlers: Wie erleben Sie unsere heutige Situation?

Irina Golgowskaja: Ich denke, dass die westeuropäische Zivilisation zusammenbricht, noch schneller als vor schon fünf Jahren. Das geschieht faktisch dadurch, dass Amerika als schärfster Ausdruck der westlichen Zivilisation, im Niedergang begriffen ist. Amerika versucht Putin zum Krieg zu provozieren und glaubt, dass es dabei davonkommt. Tatsächlich wird das anders ablaufen: Die Amerikaner beginnen, dann treten die Muslime mit in den Krieg ein, danach die Chinesen, Russland wird am Ende übrigbleiben. Continue reading “Der diagnostische Blick auf den Krieg: Gespräch mit Irina Golgowskaja, Psychiaterin, Leiterin des Instituts „Eurasia – Zentrum für sanogene Medizin“ in Nowosibirsk” »

Ein Jahr nach dem 22. Februar 2014

Ein Jahr nach dem  22. Februar 2014, an dem der Maidan zum Fanal wurde, wenige Tage nach der Niederlage der Kiewer Offensive gegen den Osten des Landes, am Wendepunkt der Frage, ob es weitere Eskalationen mit internationaler Ausweitung geben wird oder eine (zumindest vorläufige) Runde politischer Verhandlungen, ist es angebracht, angesichts der immer wieder durch neue Legenden erweiterten Mythen um den ukrainischen Krieg einige Tatsachen in Erinnerung zu rufen.

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Minsk II – was gut ist und was besser sein könnte

Halten wir uns knapp: Gut ist es und für die Menschen in der Ukraine eine Hoffnung, dass verhandelt wurde, und zwar nicht über Waffenlieferungen an Kiew, sondern über Wege zur friedlichen Lösung der Konflikte des Landes. Gut ist, dass an diesen Gesprächen nicht nur die Präsidenten Kiews, Russlands, Frankreichs und ihre Stäbe teilnahmen, sondern auch die Vertreter der Volksrepubliken, wenn auch immer noch am Katzentisch.

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Wladimir Putins Botschaft an den Westen: Ein Zeitfenster für Alternativen (so aktuell wie nie)

Wladimir Putins Rede auf dem Waldai-Forum in Sotchi am 24. Oktober 2014 war wohl der bisherige Höhepunkt verbalen Kräftemessens im Angesicht der gegenwärtigen globalen Krise. (1) Es war ein beachtlicher Auftritt mit dem Anspruch, eine globale Waldai Forum Putin RedeAlternative zu präsentieren.

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Achtung – Mythen um die Ukraine

Kaum ein Jahr ist seit dem politischen Umsturz in Kiew vergangen und schon verwandeln sich die damaligen Vorgänge und ihre Folgen in Mythen, die das Zeug haben, Geschichte zu erklären, bevor sie stattgefunden hat. Die wichtigsten sollen hier aufgezeigt werden.

 

Mythos eins: Russland führt Krieg gegen die Ukraine:

Diese Behauptung führt konsequent dahin, dass Angela Merkel und François  Hollande heute vor aller Welt in der Pose von Schlichtern auftreten können,

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Ukraine – Nationalismus – Russischer maidan – Alternativen – Kriegsgefahr: Kai Ehlers spricht mit dem russischen Dichter-Schritsteller Jefim Berschin

Kai Ehlers: Die politische Situation zwischen Russland und dem Westen ist sehr gespannt. Wo siehst du die Gründe für diese Entwicklung?

 

Jefim Berschin: Ich denke, dass die Entwicklung schon seit langem läuft. Sie steuert jetzt auf den Höhepunkt zu. Es ist die Wirtschaft, die heute herrschende Konsumethik, die auf den Höhepunkt zutreibt. Nichts kann ewig wachsen.

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Poroschenkos blutige Märchenstunde

Zeitgleich mit der Wiederaufnahme des Artilleriebeschusses der Städte Donezk und Lugansk,  das heißt der faktischen Kündigung des Minsker Abkommens durch eine erneute Offensive Kiews gegen die Volksrepubliken Donezk und Lugansk, veröffentlichte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 19.01.2015 einen Aufruf an Europa.

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Fragen an Angela Merkel

Ein „Signal der Solidarität und Entschlossenheit“ über „nationale, Partei- und Religionsgrenzen hinweg“, erklärt Angela Merkels eingangs, sei von dem Trauermarsch in Berlin und der Mahnwache vor dem Brandenburger Tor ausgegangen. In diesen Tagen spüre man: „Die Freiheit, das ist für die allermeisten Menschen  ein Lebensbedürfnis. Wir sind uns bewusst, dass die von früheren Generationen erkämpfte Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit nicht für alle Zeiten garantiert ist, sondern  dass jede Generation neu für diese Werte eintreten muss.“ – Laut gebrüllt, Löwin! möchte man sagen!

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Gegen den Krieg – können wir sachlich bleiben?

In wenigen Tagen, am 13.12.2014, wird es in verschiedenen deutschen Städten Demonstrationen für die Erhaltung des Friedens und die Rückkehr, bzw. den Aufbruch zu einem neuen Dialog mit Russland geben.

Passend zu diesem Anlass erschien vor wenigen Tagen der Aufruf von 64 Prominenten „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“, der zur Entwicklung einer neuen Entspannungspolitik gegenüber Russland aufruft.

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Aspekte zur Frage der russischen Autarkie

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

Bericht vom 40. „Forum integrierte Gesellschaft“  am Samstag, 15.11.2014

Thema: Sanktionen und Russlands Autarkie

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Interessierte,

Unser letzter Bericht endete mit der Frage, was geschieht, was bedeutet es, wenn Russland sich nicht mehr dafür entschuldigt, die seit der Auflösung der Sowjetunion bestehende Weltordnung verändern zu wollen, sondern demonstrativ Veränderungen fordert  und bewirkt – und dafür Anklagen, Kritik, propagandistische Anfeindungen, und nicht nur das, sondern auch den Versuch des Westens erntet, Russland zu isolieren und im Sanktionskrieg zu schwächen.

 

Konkret: Hat Russland die Kraft diesen Konflikt zu bestehen? Worin könnte diese Kraft liegen? Das war das Thema unserer letzten Forums-Runde.

 

Nacheinander haben wir dazu drei Elemente betrachtet:

  1. Die Rolle der Vielvölkerrealität Russlands?
  2. Die Rolle der traditionellen Selbstversorgungskultur Russlands.
  3. Russlands Reichtum an Ressourcen.

Unsere Überlegungen zu diesen Fragen verstehen wir als Annäherungen, die wir zur Diskussion stellen. Reaktionen sind uns willkommen.

 

Vielvölkerrealität:

Die Vielvölkerrealität ist Russlands Reichtum Nummer Eins. Anders als die aus der Geschichte übriggebliebenen großen Vielvölkerreiche der Neuzeit, die Habsburger Monarchie und das Osmanische Reich, überstand der russische Vielvölkerorganismus nicht nur den ersten und den zweiten Weltkrieg, sondern ging in Gestalt der Sowjetunion gestärkt und sogar noch erweitert daraus hervor. Während das Habsburger Vielvölkergebilde wie auch das osmanische Reich im Zuge dieser Entwicklung in eine Vielzahl von Nationalstaaten  zerfiel, die sich untereinander bekämpften und in ethnischen Säuberungen zerfleischten, ging das Zarenreich in eine föderale Ordnung von Unionsrepubliken, autonomen Regionen und Bezirken über. Das  mag man gut oder schlecht finden, man mag die später von Stalin betriebene „Sowjetisierung“, konkret Deportation ganze Völker nach Sibirien dagegen halten, es war aber vom Ansatz her, wie ihn Lenin, selbst Stalin in der Gründungsphase der Union verfolgte, ein Schritt, der die traditionelle autokratische Herrschaftsstruktur in die Moderne einer föderal organisierten Pluralität von Völkern verwandelte, wenn auch unter Führung Moskaus.

Mit dem Zerfall der Union hat sich diese Struktur, soweit es die Sowjetunion betraf, in unabhängige Gebiete aufgelöst, die unter dem Druck einer nachholenden Nationenbildung ihre Identität suchen. Zu welchen Konflikten das geführt hat, konnte man die letzten zwanzig Jahre über an den Rändern der ehemaligen Sowjetunion beobachten. Aktuell sind wir immer noch Zeugen dieses Vorgangs, diesmal in der Ukraine und hier auf Grund der besonderen Bedingungen der Ukraine als traditionellem Durchgangsraum besonders heftig.

Für Russland konnte Wladimir Putins Politik der autoritären Konsensbildung einen auch auf den Kernbestand Russlands übergreifenden Zerfall aufhalten, mit dem Ansatz zur Entwicklung einer Eurasischen Union sogar eine Gegenbewegung einleiten. Oder anders, einmal von der katastrophischen Seite aus betrachtet: Wenn es der russischen Regierung nach dem anarchischen Auseinanderdriften der russischen Regionen und Völker unter Jelzin nicht gelungen wäre, dem von Jelzin 1991 ausgegebenen Motto: „Nehmt euch so viel Souveränität, wie ihr braucht“ eine Restauration der Zentralmacht entgegenzusetzen, dann – sagen wir es so – wäre es nicht bei den tschetschenischen Absetzbewegungen geblieben. Eurasien wäre in eine lange Phase nationalistischer, separatistischer Kämpfe und ethnischer „Säuberungen“ eingetaucht.  Umgekehrt geht aus dem Erhalt der föderativen Gliederung der Vielvölkerrealität eine starke Kraft für Russland und auch für die Stabilität Eurasiens hervor  – wenn sie gefördert wird. Diese Kraft wirkt nicht nur in Russland selbst, sondern wirkt zugleich als Impuls für die von Russland, konkret jetzt Putin vertretenen Perspektiven einer multipolaren Weltordnung.

Westliche Beobachter sollten begreifen, dass diese russische Ordnung nach anderen Gesetzen als denen des aus dem Westen bekannten nationalen Einheitsstaates lebt. Im russischen „Patriotismus“ ist lokaler Stolz und Zugehörigkeit zum russländischen Ganzen in einer Weise verflochten, die sich einfachen „nationalistischen“ Deutungsmustern entzieht. Ein Mensch Russlands, der oder die sich als „Patriot“ bezeichnet, ist noch lange kein „Nationalist“. „Patriotismus“ ist in Russland etwa mit Heimatverbundenheit zu übersetzen, einschließlich deren, wenn nötig auch bewaffneter Verteidigung, „Nationalismus“ definiert sich dagegen als eine Haltung, die anderen aggressiv die eigene Identität überstülpen will.

Ausgesprochen fad wird es, wenn der Chef der Moskauer Böllstiftung (in den aktuellen „Russlandanalysen“) ausgerechnet die Vielvölkerrealität Russlands zu dem erklärt, wovon heute die besondere Aggressivität Russlands ausgehe, da man nicht wisse, wo sie ende und diese Gefahr nur überwunden werden könne, wenn auch Russland seine nachholende Nationenbildung erfolgreich durchführe. Wie blind muss man sein, um nicht zu erkennen, dass eine solche Nationenbildung ein tiefer historischer Rückfall hinter die föderalen Strukturen Russlands wäre und nur in einer Atomisierung Russlands und einer Chaotisierung Eurasiens enden könnte? Eine andere Sache wäre es, den föderalen Aufbau in Richtung einer Kooperation autonomer Regionen zu stärken.

 

Traditionelle Selbstversorgungsstruktur Russlands

Wer es aus der Geschichte noch nicht wusste, auch aus der aktuelleren, der oder die erlebt es jetzt unter den Bedingungen des vom Westen gegen Russland entfesselten Sanktionskrieges. Die Sanktionen sollen die russische Wirtschaft nicht nur schwächen, sie schwächen sie auch tatsächlich: der Rubel entwertet, die Preise steigen, der Ölpreis sinkt, Fabriken fahren ihre Produktion wegen nicht gelieferter Zwischenbauteile runter usw. usf., aber gleichzeitig scharen sich Olga und Iwan, aber auch die Tschuwaschen Aidar und Elfi und Mitglieder anderer russländischer Ethnien um Wladimir Putin und die von ihm zur Zeit repräsentierte Politik der Verteidigung Russlands gegen die als vollkommen ungerechtfertigt erlebten Angriffe von außen. Gleichzeitig mobilisieren die Sanktionen die traditionellen Fähigkeiten der Selbstversorgung im kollektiven und im individuellen Maßstab: Jetzt werden Pläne für die Re-kultivierung lange brachliegender Felder, für die zeitweilig halb stillgelegten in Russland so genannten familiären Zusatzproduktionen auf den Datschen und Hofgärten in Angriff genommen, der Konsum leichter Industrieware wird auf eigene russische Produkte  umgelenkt und die  Produktion effektiv umgestellt usw. usf.

Das alles verhindert nicht, dass die russische Wirtschaft kurzfristig in den Keller geht – längerfristig ruft es die Entwicklungskräfte wach, die unter der Decke des bequemen West-Konsums in den letzten Jahren geschlafen haben. Die russische Wirtschaft besitzt eine traditionelle Doppelstruktur, in der sich industrielle Produktion auf Basis von Privateigentum (bzw. Staatseigentum) an Produktionsmitteln  und Lohnarbeit und andererseits kollektive Produktion auf Basis selbstversorgerischer Nutzungsstrukturen zu einer hybriden Ökonomie verbinden, die Marx seinerzeit asiatische Produktionsweise nannte. Hintergrund ist die aus der russischen Geschichte in die Neuzeit herüberwachsende Gemeinschaftstradition der sog. Óbtschschina, der Bauern-, Produktions- und Lebensgemeinschaft. Der heutige russische Wirtschaftswissenschaftler  Theodor Schanin hat dafür den Begriff der „expolaren Wirtschaft“  gefunden, einer Wirtschaft, die sich nicht in die theoretisch sauberen Kategorien von „kapitalistischer“ oder „sozialistischer“ Wirtschaft einordnen lässt.  Aus einer ganz anderen Sicht, nämlich aus jener der US- Ökonomin Elenor Ostrom, Nobelpreisträgerin für die von ihr über Jahrzehnte betriebene Commons-Forschung, könnte man von einer besonderen „sozialökonomischen Potenz“ sprechen, die in der russischen Bevölkerung bis in die konkreten Lebensstrukturen und die Topographie des Landes hinein veranlagt ist.

Zweifellos hat die Politik der russischen Reformer – von Michail Gorbatschow über Jelzin einschließlich Putins – in den letzten Jahren einen harten Kampf der „Kapitalisierung“, der „Monetarisierung“, also der „Modernisierung“ gegen diese für uneffizient und dem gewünschten „Wachstum“ hinderlichen Strukturen der russischen Volkswirtschaft geführt,  nichtsdestoweniger hat die russische Regierung sich in allen zurückliegenden Krisen der letzten Zeit auf eben diese Strukturen gestützt. Ohne diese Basis der traditionellen kollektiven und individuellen Selbstversorgungsstrukturen hätte die russische Bevölkerung weder die „Schocktherapie“ Ende der 80er und in der ersten Hälfte der 90er ohne Hungerkatastrophen überlebt, noch den „Default“ von 1998, als die kurze russische Scheinblüte der Privatisierungsgewinne zusammenbrach, noch die schwere internationale Krise von 2008/2009.

Immer sind es die sozio-ökonomischen Kompetenzen der informellen „expolaren“ Wirtschaft, die die Krise auffangen, während die Krise zugleich dazu führt die eigenen Aufbaukräfte  gegenüber den importierten zu stärken. Dieser sozio-ökonomische Reflex ist umso stärker, je mehr die Krise durch Angriffe von außen  verursacht ist. Das ist eine russische Wahrheit, fast eine Banalität. Man muss aber wohl doch darauf hinweisen, weil manche Menschen dazu neigen, historischen Tatsachen wie die zu verdrängen, dass weder Napoleon, noch Hitler in der Lage waren, dieses Land in die Knie zu zwingen.

 

Ressourcen

Zu den Ressourcen halten wir uns kurz. Öl, Gas, Kohle, Metalle, Wald, Flüsse und riesige Flächen kultivierbaren Landes sind ein ungeheurer Vorrat an materiellem Gut, der natürlich doppelten Charakter trägt – zum einen als Grundlage eines großen Reichtums, zum anderen als Ursache für das, was die „holländische Krankheit“ genannt wird, also dafür, die wirtschaftliche Aktivität zu lähmen, „weil wir ja alles im Überfluss haben.“ Das dies variable Faktoren sind, das heißt, Bedingungen, die unterschiedliche Wirkung auf  die Arbeitsmoral der Bevölkerung haben, je nachdem in welcher Lage sie sich findet, liegt  auf der Hand. Gearbeitet wird auch in Russland,  versteht sich – aber nur in dem Maße, in dem es sich als wirklich notwendig erweist. Das macht die russische Bevölkerung für viele Ausländer so unverständlich, aber sympathisch – von denen abgesehen, die genau dies verurteilen.

Unser Gespräch, liebe Freundinnen, liebe Freunde wandte sich an dieser Stelle längeren Erörterungen zu, wie wir wirklich leben wollen. Von da kehrte sie zu der Frage zurück, wie wir wirklich leben – und von dort ganz hart am Thema – wie wir  n i c h t  leben wollen.

Diesen Fragen wollen wir beim kommenden Treffen unter dem Thema nachgehen:

Thema:

Die Soziale Revolte in der Ukraine – was ist ihr Kern und wofür steht sie?

 

Am Sonntag, d. 21.12.2014 um 16.00 Uhr in der Jurte am bekannten Ort.

 

Bitte anmelden: info@kai-ehlers.de  Tel: 040 64 789 791 mob: 0170 27 32 482

Wer den Ort nicht kennt, bekommt ihn dann mitgeteilt. Und wie immer bitten wir darum eine Kleinigkeit zum Knabbern mitzubringen.

 

Seid gegrüßt,

Kai Ehlers, Christoph Sträßner,

im Namen des Forums integrierte Gesellschaft

Brief aus Russland – Eindrücke von der anderen Seite

Liebe Freunde zu Hause in Deutschland, liebe Freundinnen, erlaubt mir heute bitte ein paar persönliche Worte zur gegenwärtigen Lage aus Russland, wo ich nich zur Zeit aufhalte.

Weit entrfernt  von den Redaktionen, aus denen gegenwärtig der Welt mitgeteilt wird, was Russland alles zu tun hat, um nicht als Agressor zu gelten, erlebe ich hier zur Zeit einen bemerkenswert ruhigen Alltag.

Bemerkenswert deswegen, weil ja die Athmosphäre von Eskalationselementen nur so schwirrt, die uns zur Zerit aus jeder Ecke der Welt entgegenkommen

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Ukraine – Bestandsaufnahme im Juni

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

 

Bericht vom 37. „Forum integrierte Gesellschaft“  am 22.06.2014

Thema: Und immer noch die Ukraine.

Eine Bestandsaufnahme im Juni

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Forums, liebe Interessierte!

Es hat jetzt einige Monate gebraucht, bis wir uns wieder  im Forum versammelt haben. Noch steht unsere von den Stürmen des Frühlings zerstörte Versammlungsjurte nicht wieder, aber ihre Wiedergeburt in neuer Gestalt ist für September geplant.

Doch die zerstörte Jurte war nicht der einzige, nicht einmal der wichtigste Grund für die lange Berichtspause – es waren die Ereignisse in und um die Ukraine, die uns so in Anspruch genommen haben, dass für zusätzliche Berichte keine Kraft mehr blieb.

Allmählich ist nun aber absehbar, dass wir mit weiteren Versammlungen unseres Forums und den inzwischen fast traditionellen Berichten nicht weiter  warten können, bis irgendwann einmal Frieden in der Ukraine und eine entspannte internationale Lage, vor allem ost-west  eingetreten ist – denn auch wenn die Lage sich äußerlich aktuell unter dem Schirm dieses „Friedensplanes“ zu entspannen scheint, ist doch eine tatsächliche Lösung der ukrainischen Problematik und eine Ost-West-Entspannung noch in ziemlicher Ferne.

Wir haben uns daher bei unserem letzten Treffen am 22.Juli, zwei Tage nach der Vorlage des „Friedensplanes“ zusammengefunden, um eine Bestandsaufnahme zu versuchen und fanden – ich sage das vorweg – weitaus mehr Fragen als Antworten.

Nur in einem waren wir einig: Der Plan des neuen Präsidenten, so wie er von ihm eingangs vorgelegt wurde, war kein Angebot zu Verhandlungen, sondern ein Katalog, der Unterwerfung  von denen fordert, die bereit sind zu kapitulieren, während er die übrigen mit Ausweisung, bzw. wenn sie weiter Widerstand leisten wollen, mit Liquidation bedroht. Inzwischen sieht es so aus, als ob selbst dieses arge Dokument dazu beigetragen hat, eine gewisse Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten zu fördern.– es sollte aber niemand übersehen,  dass auch nach Vorlage des „Friedensplans“ weiter geschossen wurde und bis zum Abfassen dieses Schreiben noch wird, und zwar von beiden Seiten und dass der Strom ziviler Flüchtlinge, der sich in die russische Föderation nach Norden und in die Krim nach Süden wälzt, in nicht zu kontrollierender Weise in die Hunderttausend geht.

Dies alles gilt zweifellos auch noch nach der überraschenden Aufforderung Wladimir Putins an den russischen Föderationsrat, die ihm erteilte Vollmacht zur  Intervention in die Ukraine wieder aufzuheben. (Dieser Schritt kam Juni zwei Tage nach unserem Treffen vom 22. Juni)

Unter dem Eindruck dieser Situation stellen sich jedoch einige grundlegende Fragen, die hier nicht erschöpfend beantwortet, aber doch wenigstens in Kürze aufgezeigt werden sollen.

Die wichtigste Frage, die unter unterschiedlichen Aspekten immer wieder auftaucht, lautet:   Wird Russland sich dazu provozieren lassen, militärisch in die ukrainischen Konflikte einzugreifen? Wenn nicht, wie der aktuelle Schritt Putins deutlich zu machen scheint, dann warum nicht?

Scheut Russland vor der Gefahr einer internationalen Isolierung, einem vielleicht gar möglichen militärischen Großkonflikt mit den Westmächten zurück?  Antwort: Sicher, ja. Positiv gesprochen, Russland hat weder Interesse an einer Zerstörung seiner wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen  zu den Ländern des Westens, auch wenn es sich China annähert, noch an einer militärischen Konfrontation. Russland ist nach wie vor damit beschäftigt, sich aus dem Trümmerfeld herauszubewegen, in das es mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion versunken war.  Die russischen Sorgen resultieren dabei aber weniger aus der Angst vor einem dritten oder wie manche meinen vierten Weltkrieg; ein Weltkriegs- Szenario gilt auch für Russland, trotz allen berechtigten Misstrauens gegenüber den Hegemonialdynamiken des Westens, der USA, aber auch der EU als nicht aktuell.

Aktuell jedoch sind die Sorgen Russlands, sich an der Ukrainischen Krankheit anzustecken. Diese Sorgen haben Russland verleitet, sich auf eine übereilte Einverleibung der Krim einzulassen. Diese Sorgen veranlassen Russland jetzt sich demonstrativ aus den innerukrainischen Konflikten herauszuhalten. Die Ukrainische Krankheit – das ist nicht etwa nur der Separatismus,  nicht etwa nur der russische Nationalismus, der sich im Zuge der Kämpfe, im Gefolge der Flüchtlingsströme in Russland spiegelbildlich zur Ukraine ausbreiten könnte. Es ist vor allem die Dynamik einer sozialen Revolte,  die gegen die Ergebnisse der 25jährigen Oligarchisierung in der Ukraine rebelliert und die sich über die Grenzen der Ukraine auch auf russisches Land ausweiten könnte – denn zwar hat Russland das Stadium des nackten, privaten Oligarchentums, wie es heute noch in der Ukraine herrscht und jetzt unter Poroschenko noch einmal gefestigt werden soll, zugunsten eines  staatlich eingebundenen Oligarchentums hinter sich gelassen,  aber das hat die sozialen Differenzen zwischen arm und reich, zwischen den glitzernden Megastädten und den prekären Lebensverhältnissen auf dem Lande und in den Regionen nicht geringer werden lassen, sondern sie zu neuen sozialen Spannungen verschärft,  die auf Lösung drängen. Ein Partisanenkrieg am Bauch Russlands, ein Flüchtlingsstrom, der die russische Wirtschaft und Gesellschaft belastet, könnte unter diesen Umständen auch für Russland Unruhe bedeuten.

Aber die Frage hat noch einen tieferen Kern: Was sind die Ziele der Volksrepublik Donbass/Lugans und der mit ihnen sympathisierenden Menschen in anderen Teilen der Ukraine – selbst in Kiew und im Westen des Landes, wenn auch durch die dort zur Zeit herrschenden nationalistischen Kräfte überdeckt? Auf den Punkt gebracht, wenn auch keineswegs von allen „prorussischen“,  „separatistischen“ oder einfach nur anti-oligarchischen Kräften gleichermaßen in klarem Bewusstsein  vertreten: die Forderung nach Selbstbestimmung gegenüber der Fremdbestimmung und Ausbeutung durch das oligarchische und jetzt auch noch vom Westen unterstützte Kapital, die Forderung nach räterepublikanischen Lebens- und Verwaltungsstrukturen, kurz: ein aus der Spontaneität kommender radikaler anti-oligarchischer, anti-kapitalistischer Ansatz mit starken Rückbindungen an sozialistische Traditionen. Nicht von ungefähr zogen kürzlich in Donezk zehntausende Stahlarbeiter mit Forderungen nach Vergesellschaftung  der großen Betriebe durch die Stadt. Solche Demonstrationen sind nur die Spitze eines Eisbergs.

Wenn Poroschenko gegen diese Bewegung, deren Grundziele Selbstbestimmung, regionale Selbstverwaltung, Föderalisierung des Landes sind, im Namen einer Zentralisierung der Staatsmacht Krieg führen lässt, dann ist das klare Aufstandsbekämpfung, dann geht es darum – unterstützt durch seine westlichen Befürworter und Finanziers, den antikapitalistischen Funken, der in diesen separatistischen Impulsen liegt, niederzukämpfen.

Und wenn Wladimir Putin den Donezker und Lugansker Separatisten seinerseits die Unterstützung versagt, dann deshalb, weil auch die neue russische herrschenden Klasse  diesen revolutionären Funken, wie schwach auch immer,  nicht im Land haben möchte.

Ganz prinzipiell verstanden steht im Ukrainischen Konflikt die Forderung  nach Selbstbestimmung des Menschen als grundlegendes Menschenrecht gegen den Willen der herrschenden Eliten dieses Recht den Profitinteressen des Kapitals unterzuordnen.   Diese heute auf der globalen Tagesordnung stehende Auseinandersetzung wird in der Ukraine zur Zeit exemplarisch ausgefochten – wobei die Motive selbstverständlich nicht in ideologischer Reinheit auftreten, nicht allen Beteiligten gleichermaßen bewusst sind, sondern vermischt sind mit unklaren, widersprüchlichen, hier und da sogar einfach abenteuernden, wenn geplündert wird, sogar anti-asozialen Motiven. Aber wann war eine Revolution schon einmal ein Plan, den alle gleichermaßen gefasst hätten?  Auf Seiten der herrschenden Kräfte ist man andererseits nur in einem einig, dass diese Positionen nicht hochkommen dürfen. Diese Haltung gilt selbstverständlich auch für das nach-sozialistische Russland, bzw. seine herrschende Schicht.

Es gibt hier noch vieles zu erörtern,  vor allem auch zu beobachten, wie der Konflikt jetzt ausgetragen werden wird – wird der revolutionäre Impuls einfach gnadenlos niedergemacht, wird er durch Spaltung teils integriert und neutralisiert, wird er sich in realen Veränderungen der Verhältnisse niederschlagen? So oder so werden die Impulse aus dieser immer noch offenen Situation die gesellschaftliche Wirklichkeit Russlands, Europas und generell l unserer heutigen Ordnung prägen, insofern die Ukraine das Feld ist, wo sich die drei entscheidenden Transformationslinien unserer heutigen Welt treffen und überlagern.

Das ist die Überwindung des nachsowjetischen Traumas, aus dem heraus neue soziale Formen der Gemeinschaft gesucht werden. Das ist die nachholende Nationalisierung, die diesen sozialen Prozess überlagert. Und das ist der Übergang von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt, der sich in dem Integrationskonflikt zwischen Europäischer Union und Eurasischer Union, zwischen atlantischem und asiatischem Bündnisgeschehen ausdrückt. Russland als Teil Europas und zugleich Asiens spielt darin eine entscheidende Rolle.

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Der Rolle Russland werden wir uns beim nächsten Treffen unter der Fragestellung zuwenden, die durch die den aktuellen Propagandakrieg aufgeworfen wurde:

Sucht Russland eine Revanche für seine Niederlage im Kalten Krieg 1991?

Wir treffen uns am 20. Juli um 16.00 Uhr wie gehabt am bekannten Ort.

Anmeldung bitte unter info@kai-ehlers.de oder Tel. 040 / 64 789 791

 

 

Herzliche Grüße rundherum

Im Namen des Forums für eine integrierte Gesellschaft

Kai Ehlers, Christoph Sträßner

 

(Für weitere Infos zur Krise der Ukraine – bitte : www.kai-ehlers.de )

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und immer noch die Ukraine – eine Zwischenbilanz

Dies eine war selbst für Petro Poroschenkos Förderer nicht zu leugnen: Sein „Friedensplan“,  wie er von ihm vor einer Woche vorgelegt wurde, war kein Angebot zu Verhandlungen, sondern ein Katalog,  der Unterwerfung  von denen fordert, die bereit sind zu kapitulieren, während er die übrigen mit Ausweisung oder wenn sie weiter Widerstand leisten wollen, mit Liquidation bedroht. Inzwischen sieht es so aus, als ob selbst dieses arge Dokument dazu beigetragen hat, eine gewisse Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten zu fördern – es sollte aber niemand übersehen,  dass auch nach Vorlage des „Friedensplans“ weiter geschossen wurde und bis zum Abfassen dieses Schreiben noch wird, und zwar

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„We are the hub“ – wir sind der Angelpunkt. Obamas Anspruch auf eine globale Vorwärtsverteidigung.

„Von Europa bis Asien sind wir der Angelpunkt der Allianzen, wie sie es ihn in der Geschichte der Nationen noch nicht gab“, erklärte Barak Obama dieser Tage in einer für die Weltöffentlichkeit gedachten Rede vor Kadetten an der Militärakademie von Westpoint. ...

Mit einer „European Reassurance Initiative“, einem Sicherheitsversprechen der USA an Europa unterstrich Obama in einer Reise durch Polen, die Ukraine und Frankreich den so erneuerten US-Führungsanspruch:

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Ukraine nach der Wahl: Oligarch Poroschenko – alles wie erwartet?

Gleich am Tag nach der Wahl gingen ukrainische Truppen gegen die Donezker Republik vor. Poroschenko bittet die Amerikaner um Beistand. Im Übrigen will er als Erstes mit Wladimir Putin sprechen.... Gehen wir also einem Ende der ukrainischen Unruhen entgegen? Sehr unwahrscheinlich. Es gibt da einige Aspekte, die einer Stabilisierung, wie Poroschenko sie sich wünscht, entgegenstehen. Der Reihe nach.

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Feinderklärung – wofür, bitte?

Nun endlich ist es klar heraus: „Spiegel online“, allen übrigen gleichlautenden Medien voran, hat es soeben verkündet: „Die Europäische Union hat einen Feind, zum ersten Mal in ihrer Geschichte.“

Anlass dieser Feststellung ist der in Kiew von dem US-Historiker Timothy Snyder initiierte Kongress „Thinking together“

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Roter Faden durch den ukrainischen Dschungel

Auch ein  halbes Jahr nach Beginn  des Aufruhrs ist die Ukraine ein schönes, mit Naturschätzen gesegnetes, von seinen Möglichkeiten her reiches Land, geografisch, ethnisch, kulturell und politisch vielgestaltig, ein Durchzugsgebiet der Völker und Kulturen seit Beginn der europäischen Siedlungsgeschichte. Unterschiedliche Völker haben die Kultur der Ukraine geprägt, angefangen bei den Hunnen, über die Wikinger, die Mongolen, über Türken, zu Polen und Habsburgern. Zwischendurch waren es immer wieder die Russen; im letzten Jahrhundert kam der Firnis der Sowjetunion dazu. Die Vielgestaltigkeit der Ukraine ist ihre Potenz, als Zerrissenheit, die nach Identität schreit, ist sie zugleich ihr Problem.

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Globaler Maidan? – Liste häufig gestellter Fragen

Seit Monaten füllt die Krise um die Ukraine die Nachrichten. Täglich wird die Öffentlichkeit mit neuen Wahrheiten konfrontiert, die einen Tag später schon wieder überholt sind oder sich gar als gefälscht erweisen  - wie kürzlich die NATO-Fotos vom angeblichen Aufmarsch russischer Truppen an der Ukrainischen Grenze. Der von den Mainstream-Medien verbreitete Informationsnebel wird immer dichter und giftiger, die Reihe offener Fragen immer länger und drängender. Es wird zu einer Frage des geistigen Selbstschutzes, sich nicht weiter verwirren zu lassen. Die folgende Liste von Fragen und Antworten erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie versteht sich nur als kleiner Wegweiser durch den Nebel der Desinformation, der in dem gegenwärtigen Informationskrieg verbreitet wird.

Es folgen Fragen und Antworten...

 

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Brüssel – geopolitische Kameraderie

EU/USA-Gipfel: Hände schütteln, neue Freundschaft, Bündnispflege. Die Mainstream-Medien melden unisono: Obama, Van Rompuy und Barroso einig gegenüber Russland. Lassen wir alle diplomatischen Schnörkel weg, konzentrieren wir uns für einen Moment nur auf die zentrale Botschaft des Tages. Was soll der Öffentlichkeit als Ergebnis der Ukraine/Krim-Krise jetzt verkauft werden?

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Schattenblick-Interview mit Kai Ehlers am Donnerstag, 13. März 2014 in Hamburg

Schattenblick: Wir haben in dem vorangegangenen Vortrag und der anschließenden Diskussion die Sicht und Befindlichkeit Rußlands zwar gestreift, aber nicht allzu intensiv behandelt. Wie erlebt man dort deiner Erfahrung nach die Einkreisung durch die NATO und die EU, auf welche Mentalität trifft dieser neuerliche Vorstoß aus dem Westen, welche Gegenstrategien werden erörtert und entwickelt?

Kai Ehlers: Diese Fragen lassen sich nicht so einfach beantworten, weil man den Komplex in verschiedene Phasen unterteilen muß. Im Moment kann man sagen, daß in Rußland, soweit ich das einschätzen kann, die Empörung über das, was da über Jahre gelaufen und jetzt zu einem gewissen Ende gekommen ist, sehr hohe Wellen schlägt. Man hat den Punkt erreicht, an dem man sagt, es reicht jetzt. Wir sind über Jahre zurückgedrängt worden, haben Teile unseres ehemaligen Einflußbereiches verloren, und jetzt hat man diesen Kraftakt gegen uns durchgesetzt. Es reicht! So ist die Stimmung. Man kann durchaus von einem gewissen russischen Nationalismus sprechen, der da jetzt hochkommt und mir nicht nur angenehm ist. Er enthält auch Stimmen, die ich irrational finde, wenngleich ich gut verstehen kann, woher sie rühren. Das halte ich auch für sehr problematisch. Ich frage mich beispielsweise, wie sich Putin dazu stellt, der seit einer Woche schweigt. Er hat noch nicht Stellung zu der Ankündigung harter Sanktionen seitens der USA und EU genommen. Bei einer Konferenz in der letzten Woche äußerte er sich sehr moderat, sehr staatsmännisch. Er erklärte sehr viel und zeigte Verständnis für die Proteste des Maidan. Zugleich unterstrich er aber auch, daß es nicht so weitergehen könne wie bisher.

Es handelte sich eher um politische Aussagen, die nationalistische Tendenzen erkennen lassen, die man nicht ohne weiteres auf die Stimmung in der Bevölkerung übertragen kann. Viel ist in Bewegung, und wie mir ein Freund per Skype aus Moskau berichtete, fanden dort gerade zwei große Demonstrationen statt. Für übermorgen sind größere Demonstrationen der Liberalen geplant, die ganz und gar gegen die Pläne der Regierung sind. Dabei handelt es sich wiederum um einen Versuch, den Maidan nach Moskau zu holen.

 SB: Vor wenigen Tagen wurden in Moskau zahlreiche Demonstrationsteilnehmer verhaftet. Wie beurteilst du den Umgang mit solchen Demonstrationen und Bewegungen wie auch den NGOs? Die russische Regierung argwöhnt, daß es sich dabei um die Möglichkeit einer westlichen Unterwanderung handelt. Andererseits werden auch Bewegungen unterdrückt, die eigenständige soziale und politische Anliegen vertreten.

 KE: Eines ist klar, diese NGO-Geschichte ist ein altes Problem, zu dem ich immer die einfache Gegenfrage stelle: Was würde Frau Merkel sagen, wenn wir russische NGOs hier hätten, die sich in die deutsche Politik einmischen? Damit hast du schon die Antwort: Das würde Frau Merkel nicht akzeptieren. Würde die Türkei mit irgendwelchen islamistischen oder auch nur tendenziell türkeifreundlichen Organisationen dasselbe in Deutschland machen, stünden diese Gruppierungen unter schärfster Beobachtung und Kontrolle. Das ganze Gerede von der Unterdrückung der NGOs in Rußland ist einfach erstunken und erlogen, da es schlicht und einfach nur darum geht, daß sie sich ausweisen und ihre Ziele offenlegen müssen. Um mehr geht es gar nicht. Da viele NGOs das aber nicht wollen, ist daraus eine Auseinandersetzung entstanden, die immer schärfere Maßnahmen gegen sie in Gang gesetzt hat. Sie sollen sich gefälligst ausweisen, sonst werden sie nicht registriert. Mehr passiert ihnen ja eigentlich gar nicht. Wenn du andererseits bei der deutschen Szene prüfst, wie viele Organisationen vom Verfassungsschutz beobachtet oder nicht zugelassen werden, dann können wir eine ernsthafte Diskussion führen, die auch Sinn macht.

 SB: Putin wird von westlicher Seite im Grunde genommen als Person überzeichnet, als sei er allein Rußland. Zugleich wird in seiner Figur das Angriffsziel ausgemacht. Wie schätzt du die tatsächliche Bedeutung Putins ein? Sind seine Funktion und sein Auftreten innen- und außenpolitisch konsistent oder vertritt er dabei Interessenlagen, die unterschiedlich gewichtet sind?

 KE: Putin ist eindeutig der Mann, der die russische Staatlichkeit nach dem Zerfall der Jahre 1991 bis 1998/99 wiederhergestellt hat. Als solcher wird er von der Bevölkerung geschätzt, mit all den Widersprüchen, die dabei zum Tragen kamen. Er mußte natürlich bestimmte Kreise der Bevölkerung wie insbesondere die Oligarchen und teilweise auch die liberale Opposition hart anfassen. Was er seit 1999 betreibt, bezeichne ich als autoritäre Modernisierung. Man kann ganz klar sagen, daß es sich um keine demokratische, sondern um eine autoritäre Modernisierung handelt. Aber die findet statt, und ich habe ja schon vorhin beim Vortrag hervorgehoben, daß es Putin geschafft hat, die private Situation des Oligarchentums in eine staatliche regulierte korporative Kapitalentwicklung zu überführen. Das gefällt mir zwar auch nicht besonders und ist nach wie vor etwas, das ich eigentlich gar nicht haben möchte. Es ist aber auf jeden Fall ein Erfolg gegen diese Art von privater anarchischer Benutzung des kollektiven Eigentums durch einzelne Personen, die den Staat und die sozialen Bezüge weiter aufgelöst haben. Das wird Putin im Lande selber hoch angerechnet. Auf der anderen Seite wird er heftig kritisiert, wo seine Versprechungen, daß sozial alles besser werden soll, nicht in der Geschwindigkeit, die er gerne hätte, eingelöst werden. Vielleicht will er sie aber auch gar nicht einhalten, wer weiß das so genau. Er steht zwischen den Kapitaleignern und der Bevölkerung, die ihm sein Rating gibt, und ist damit eindeutig Teil der herrschenden Klasse und nicht etwa der Bevölkerung, das ist klar.

 Sein Auftreten nach außen und nach innen ist aus einem Guß. Wenn du siehst, wie sich dieser Mann einmal im Jahr den Fragen der Bevölkerung stellt, dann möchte ich das einmal von unseren Politikerinnen und Politikern erleben. Das ist jedesmal ein Marathon von fünf, sechs, sieben, acht, neun Stunden, in denen er wirklich auf die Fragen eingeht. Und bei der letzten Konferenz gab er in einer weltpolitisch äußerst brisanten Situation ein Interview, in dem er lange Ausführungen auch zur politischen Situation machte. Man würde sich wünschen, auch mal von deutschen oder europäischen Politikern derart inhaltliche Aussagen zu hören.

 SB: Du hast hinsichtlich des Konflikts zwischen Georgien und Ossetien unterstrichen, daß das Nein der russischen Regierung eine neue Phase des Umgangs mit ihr zur Folge hatte. Könntest du dir vorstellen, daß aus russischer Sicht im Falle der Krim oder der Ukraine wieder so eine Grenze gesetzt wird, die aus westlicher Perspektive durchaus als eine auch militärisch gestützte Schranke wahrgenommen wird?

 KE: Das Nein wurde bereits ausgesprochen. Der Beschluß des Föderationsrates, der Putin oder die Exekutive zum Eingreifen in diesen Konflikt ermächtigt, ist bereits als ein eindeutiges Njet zu werten. Ich selbst habe das als einen Schritt der Deeskalation bezeichnet, was keineswegs von allen meinen Freunden und auch der Friedensbewegung geteilt wird. Schaut man sich den Gesamtzusammenhang an, war es ein Schritt der Deeskalation, weil es faktisch zur Beruhigung der Situation beigetragen hat. Diese Entscheidung hat den Vormarsch gestoppt, der da in Gang gesetzt worden ist, mit all den Irritationen, die dazugehören. Ich gehe davon aus, daß die russische Regierung nicht bereit ist, hinter diese Position zurückzufallen. Sie hat nicht die geringste Absicht, einen Krieg vom Zaum zu brechen, sondern einfach nur gesagt, bis hierher und keinen Schritt weiter. Wir akzeptieren das nicht, was ihr hier gemacht habt, das geht zu weit.Wir greifen ein. Damit hat sie eine Situation geschaffen, die die ganze Welt in Aufregung versetzt. Das ist eine klare Zäsur. Was darauf folgt, werden wir sehen.

 SB: In der hiesigen Berichterstattung und Kommentierung wird eher ausgespart als hinreichend erörtert, welche Bedeutung die Ukraine in ökonomischer Hinsicht für Rußland hat.

 KE: Die Ukraine und Rußland haben engste wirtschaftliche Beziehungen.

Rußland ist für die Ukraine sehr wichtig und die Ukraine umgekehrt auch für Rußland. Viele Ukrainer sind als Gastarbeiter in Rußland beschäftigt. Die südlichen Pipelines verlaufen durch die Ukraine in die Europäische Union. Es sind engste Verflechtungen, wenn man etwa an das Donezbecken mit seiner großen Industrie denkt, die derart mit der russischen Ökonomie verbunden ist, daß man das gar nicht auseinanderdividieren kann. Das wissen alle, auch die Europäer und Amerikaner, daß man das gar nicht auseinanderreißen kann. Wollte man es dennoch versuchen, würden das weder die dort lebenden Menschen akzeptieren, noch könnte es die Wirtschaft verkraften.

 SB: Du hast in deinem Vortrag angesprochen, daß Janukowitsch um seine Wiederwahl fürchten mußte, hätte er das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht ausgebremst. Liegt dem ein weit verbreitetes Bewußtsein in der ukrainischen Bevölkerung zugrunde, welche Folgen dieses Abkommen für sie hätte?

 KE: Nein, so würde ich das nicht formulieren. Mit Bewußtsein hat das erst einmal nicht viel zu tun. Es hat etwas mit dem konkreten Erleiden der Wirklichkeit zu tun. Wäre dieser Assoziierungsvertrag abgeschlossen worden, hätte das zweifellos bedeutet, daß die damit verbundenen Auflagen seitens des IWF oder der Europäische Union zu einem enormen Anstieg der Lebenshaltungskosten für die Bevölkerung führen. Beispielsweise fordert der IWF, daß die Gaspreise um zwei Drittel steigen müssen, daß die kommunalen Gebühren erhöht, daß die nicht effektiven Betriebe geschlossen werden und so weiter. Die Währung soll freigegeben und de facto abgewertet werden, was mit Einbußen bei den Lebensverhältnissen verbunden wäre. Dagegen erhebt sich Protest, und aus diesem könnte vielleicht so etwas wie Bewußtsein entstehen. So herum wird ein Schuh daraus. Janukowitsch hätte der Bevölkerung das Assoziierungsabkommen nach dem Motto verkaufen müssen, wir müssen den Gürtel enger schnallen, damit wir nach Europa kommen. Dann kommt man nach Europa, aber der Gürtel ist immer noch zu eng.  Dieser Prozeß läuft nun wieder an, hat doch der sogenannte Übergangspräsident Jazenjuk zuallererst verkündet, man müsse Einbußen akzeptieren. Wie lange er das wohl durchhält? Ich glaube, er hält das nicht lange durch. Vielleicht räumt man ihm ja Sonderkonditionen ein, aber danach sieht es nicht aus. Alles spricht dafür, daß der IWF tatsächlich genauso knallhart vorgeht wie vorher auch. Da werden Forderungen gestellt, das Öl- und Gasgeschäft wird jetzt auf amerikanische Banken und amerikanische Teilhaber überschrieben und so weiter. Es läuft genau das ab, was zu erwarten war, nämlich daß Herr Jazenjuk als Banker die Tür weit aufmacht für westliches Kapital und westliche Kapitalisten. So sieht es aus. Daß die Bevölkerung das honorieren wird, möchte ich schwer bezweifeln.

 SB: In welchem Maße ist der Ruf einer Ausrichtung nach Westen vor allem ein Anliegen der wohlhabenderen Gesellschaftsschichten? Vitali Klitschko sprach ja von den jungen, modernen Eliten, die richtungsweisend für die Ukraine seien. Kann diese Auffassung überhaupt bei der breiten Bevölkerung und insbesondere den ärmeren Leuten Fuß fassen?

 KE: Das kann ich kaum beantworten. Ich kann nur sagen, Klitschko ist Boxer, und ob er wirklich zur neuen Elite gehört, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich denke eher, er hat sich überhoben. Aber es ist kein spezielles Klitschko-Problem, sondern das Problem vieler, die da gegenwärtig unterwegs sind, daß sie gar nicht wissen, was sie tun.

Ich sage es mal ein bißchen salopp. Denn daß der Klitschko sich in seiner eigenen Stärke und in der Situation total verschätzt hat, liegt ja offen vor unseren Augen. Er wurde erst zu einer neuen Figur, einer neuen Bewegung, aufgebaut, und dann läßt man ihn fallen. Und wer ist dran? Die alten Eliten, die schon immer dran waren, nämlich die Oligarchen. Nur in einer neuen Garnitur. Klitschko darf ein paar Worte sagen, vielleicht sogar als Präsident auftreten, aber diese neue Bewegung, die er repräsentiert, spielt in der Übergangsregierung überhaupt keine Rolle. Da spielen die alten Oligarchen, die Neoliberalen, die Rechten, die Nationalisten und Faschisten eine Rolle. Aber Klitschko ist nicht dabei. Wo die jungen Leute bleiben, die mit großen Träumen von Europa auf den Maidan gegangen sind, wird man sehen. Das ist eine ganz tragische Situation.

 SB: Das ist vielleicht auch eine Fehlkalkulation der Konrad-Adenauer-Stiftung und ähnlicher Kreise, die eine Figur wie Klitschko aufgebaut haben. Oder war er von vornherein lediglich eine Spielfigur, ein Strohmann?

 KE: Das eine schließt das andere nicht aus, und die Antwort hast du selber schon gegeben. Er ist von der Adenauer-Stiftung, von der deutschen Politik, aufgebaut, geschult und finanziert worden. Das konnte man immer wieder nachlesen, weil es in völliger Schamlosigkeit und Offenheit dargestellt wurde. Dann hat man ihn ins offene Messer laufen lassen, weil eine Situation hergestellt wurde, der der arme Kerl überhaupt nicht gewachsen war. Er ist auf dem Maidan herumgeirrt und hat gerufen: Bleibt ruhig, bleibt ruhig! Die haben sich einen gelacht. Als am 21. Februar der Kompromiß in Form einer gesamtnationalen Übergangsregierung umgesetzt werden sollte, ist er hingegangen. Da hat man ihn total abserviert und gesagt, wer bist du denn überhaupt? Damit ist der Mann in meinen Augen als Politiker erledigt. Ich glaube, viele Ukrainer sehen ihn ganz anders als die deutschen Medienkonsumenten. Hier wurde er hofiert, aber doch nicht in der Ukraine!

 SB: Vorhin fiel die nicht nur ironisch gemeinte Zwischenbemerkung, daß die deutschen Wirtschaftsverbände im Grunde genommen beinahe die vernünftigste Position in diesem Konflikt vertreten. Man stolpert zunächst schon über den Widerspruch, daß deutsche Wirtschaftsinteressen für eine Zusammenarbeit mit Rußland und gegen eine Eskalation zu sprechen scheinen. Unternehmerverbände haben klar zum Ausdruck gebracht, daß die Geschäftsbeziehungen nicht aufs Spiel gesetzt werden dürften. Woher rührt demgegenüber der Druck, den die Bundesregierung an den Tag legt?

 KE: Diese Frage stelle ich mir auch. Woher kommt dieses Tempo, mit dem die Bundesregierung vorprescht? Ich kann es mir eigentlich nicht wirklich erklären, außer daß sie einfach unprofessionell arbeitet.

Wenn du Frau Nuland hörst, wie sie „fuck EU“ sagt, dann weißt du ungefähr, wo das Problem liegt. Die Europäer – und die Deutschen allen voran – machen in einer Art und Weise Politik, die den amerikanischen Interessen nicht entspricht. Die EU will sich offenbar von den amerikanischen Interessen emanzipieren und voranpreschen, hat dafür aber noch nicht das rechte Geschick. Die Amerikaner können es besser, weil sie bereits mehrere Jahrzehnte Interventionspolitik hinter sich haben. Die Europäer und speziell die Deutschen fangen erst damit an, sie können das noch nicht richtig und haben Fehler gemacht.

Wie sie den Klitschko in aller Öffentlichkeit aufgebaut und dann als Marionette deklariert haben, ist derart blöde gewesen, blöder geht es doch gar nicht mehr. Zumindest im Sinne einer imperialen Logik, die intervenieren will, verbietet es sich, einen Klitschko als Marionette am Gängelband der Adenauer-Stiftung zu präsentieren.

 SB: Würdest du in diesem Zusammenhang auch das Abkommen, das unter deutscher, französischer und polnischer Beteiligung geschmiedet, doch von anderen Kräften sofort gebrochen wurde, ebenfalls als Fehlgriff der EU sehen, die vermutlich von amerikanischen Interessen überholt und ausgehebelt wurde?

 KE: Ich habe das zumindest so wahrgenommen, ich war ja nicht dabei.

Man bekommt immer nur amputierte Informationen und muß stets die Frage stellen, wem das Ganze nützt. Bleibt man an den Einzelheiten hängen, ist man ohnehin schlecht beraten. Soweit ich das vom Ergebnis her bewerte, kann ich nur sagen, daß sich die deutschen und europäischen Interessen offensichtlich verkalkuliert und eine Geschwindigkeit angelegt haben, die sie selbst nicht kontrollieren konnten. Sie haben ihren Westerwelle und wer weiß, wen sonst noch auftreten lassen, sie haben angeheizt und eingeheizt, bis sie das Ganze nicht mehr herunterfahren konnten und es einfach übergekocht ist. Dann haben sie ihren Steinmeier als Feuerwehr geschickt, der mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Polen dem Janukowitsch etwas abgerungen oder versprochen hat, um die höchst brenzlige Situation zu entschärfen.

Kaum hatten sie Kiew den Rücken gekehrt, war ihre Intervention auch schon verpufft. Diese Feuerwehraktion hat überhaupt nichts gebracht, was wiederum zeigt, wie unprofessionell man vorgegangen ist. Ich sage mal ganz freundlich „unprofessionell“, man könnte es auch unverantwortlich nennen, daß sie hinterher nicht auf Einhaltung des unter internationaler Beteiligung ausgehandelten Kompromisses bestanden haben. Kein Wort vom Boden internationalen Rechts, auf dem man sonst so felsenfest steht – nichts dergleichen, du hörst kein Wort davon, das wird einfach hinten runtergekippt. Das soll Professionalität sein?

 SB: Du hast von einem Informationskrieg gesprochen. Die Berichterstattung in den deutschen Medien ist auf geradezu beispiellose Weise eskaliert, als allenthalben Putin mit Hitler verglichen und diverse andere historische Absurditäten kolportiert wurden. Dabei wurden Widersprüche und Gegeninformationen systematisch ausgeblendet oder schlichtweg geleugnet. Kannst du dir vorstellen, wie man so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit schaffen könnte?

 KE: Zunächst mal einen kleinen Einwand. Die Quelle des Putin-Hitler-Vergleichs ist Zbigniew Brzezinski, obgleich dieser in seinem neusten Buch eigentlich versucht, Rußland zu umarmen. Er entdeckt sogar demokratische Tendenzen in diesem neuen Rußland – wenn es sich denn von Putin lösen könnte. In der aktuellen Situation fällt er voll auf seine Bärbeißerei und sein Putin-Bashing zurück. Was die ehemalige amerikanische Außenministerin, Frau Clinton, von Putin-Hitler erzählt, hat sie bei ihm abgelesen. Er war der Stichwortgeber, und alles, was du diesbezüglich hier in der Presse liest, ist ein Plagiat der US-Medien.

 Andererseits gibt es in der Tat in der deutschen Presse so eine Art Grundorientierung gegen Putin, so eine Art Beißreflex, der auch rational nicht mehr zu erklären ist, weil er eigentlich dem Interesse der deutschen Wirtschaft zuwiderläuft. Einer meiner russischen Gesprächspartner, Boris Kagarlitzki, hat mir das einmal so erklärt: Das ist der ideologische Reflex auf der einen und die wirtschaftliche Wirklichkeit auf der anderen Seite. Deutschland sucht und braucht die Beziehung zu Rußland, da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren. Aber der Neoliberalismus als Ideologie ist derart in die Köpfe der Medienmacher eingedrungen, daß sie selbst Opfer dieser Ideologie sind und gar nicht anders können. Sie müssen ihre neoliberale Ideologie über Rußland ausschütten. Da ist was dran an diesem Gedanken, daß das so eine Art Selbstgänger ist.

Gut, was kann man dagegen tun? Ich kann nur sagen, was ich dagegen tue: Ich versuche, die Situation irgendwie zu durchschauen, was schwer genug ist. Selbst wenn man hinfährt – das hat Susann vorhin auch deutlich gemacht -, kannst du erst einmal nur einen bestimmten Aspekt erzählen. Du brauchst andere Schlüssel, um das, was du selbst erlebt hast, in einen Zusammenhang stellen zu können. Es ist aus meiner Sicht sehr schwer, überhaupt so etwas wie eine Übersicht zu bekommen, und die Frage, wem das alles nützt, ist die einzig relevante Frage, die ich immer wieder stelle. Das ist mein Maßstab, und den würde ich auch gerne anderen mitgeben. Wem nützt das, was da abläuft? Wenn du so rangehst, dann kannst du anfangen zu sortieren. Und das Sortieren ist unbedingt notwendig. Ich gebe ein Beispiel, das ich gerade erlebt habe: In der Zeit von gestern steht sinngemäß über einem Artikel „Putins Ausreden und die Wirklichkeit“. Dann werden zehn angebliche Fragen aufgeführt, die anhand angeblichen Fakten abgearbeitet werden. De facto lösen sich dabei jedoch die Fragen alle im Nebel auf.  Unsere Aufgabe wäre es, in einer Art Faktenchek zu auftauchenden Fragen den Menschen etwas an die Hand zu geben. Was stimmt, was stimmt nicht? Was kann man beweisen, was ist lediglich ein Gerücht? Auf diese Weise könnte man auch den Gerüchtemachern aus der eigenen Kiste entgegentreten. Du hattest vorhin angesprochen, daß man bei der Frage, wer auf dem Maidan geschossen hat, nicht bloßen Verschwörungstheorien anheim fallen darf, da man sich andernfalls selber die Möglichkeit nimmt, seriös zu argumentieren. Man sollte ganz klar bei dem bleiben, was beweisbar ist, und eine Untersuchung des nicht Bewiesenen fordern.

Ich denke, daß in dieser Hinsicht sehr viele Engagement von unserer Seite erforderlich ist. Zudem sollte man den demokratischen Anspruch der Europäischen Union und Deutschlands in der Weise ernst nehmen, daß man seine Einhaltung fordert. Nur auf dieser Grundlage kann man eine wirksame Kampagne ins Leben rufen. Klassenfragen und dergleichen ziehen heute überhaupt nicht. Du mußt auf der Ebene der demokratischen Werte argumentieren, und auf dieser Ebene kann man, wenn überhaupt, mit Menschen ins Gespräch kommen: Schau dir an, was sie wirklich tun, wie sie lügen. So kannst du an die Menschen rankommen, sonst kommst du gar nicht ran.

SB: Du hattest Boris Kagarlitzki erwähnt. Welche Rolle spielt heute eine Linke in Rußland im allgemeinen und insbesondere auch in diesem Konflikt?

KE: Für Rußland gilt im Prinzip ähnlich wie für die Ukraine, daß die Linke eigentlich kaum eine Rolle spielt. Da aber Rußland größer und inzwischen geordneter als die Ukraine ist, hat die russische Linke auf intellektueller Ebene einen größeren Einfluß. Praktisch und politisch hat sie derzeit hingegen keinen Einfluß. Immerhin gibt es aber in Moskau das Institut für Erforschung der Globalisierung und sozialen Bewegungen. Dieses Institut von Boris Kagarlitzki, das mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung aufgebaut wurde und auch unterhalten wird, ist sehr aktiv in der Analyse und Publizistik. Ich denke, daß auf diesem Weg ein gewisser Einfluß ausgeübt wird, den man freilich nicht überschätzen sollte. Die Grenzen sind durch den liberalen Flügel, der nur an seinem Neoliberalismus interessiert ist, sehr eng gezogen. Auf der anderen Seite begrenzen die Altkommunisten den Bewegungsraum.

Beispielsweise wurden vor einigen Jahren Sozialforen organisiert, an denen 1.500 Menschen teilnahmen. Wenngleich das für Rußland natürlich sehr wenig ist, war es für sich genommen doch eine erfreuliche Anzahl.

Regelrechte Strategien kamen dabei allerdings nicht heraus, es ging eher darum, sich mal ausgetauscht zu haben, was auch schon ganz gut war. Interessant ist daran, daß Boris Kagarlitzki, das Institut und eine ihnen angeschlossene Gruppe namens Post Globalisation Initiative vor kurzem nach Brüssel einladen konnten, und zwar zum allerersten Mal nicht auf Kosten des Westens, sondern auf ihre Kosten. Sie haben westliche Freunde nach Brüssel eingeladen, wo wir eine Konferenz zur Lage in der Ukraine durchführten. Ich fand es sehr bemerkenswert, daß es in Rußland inzwischen Kräfte gibt, die bereit sind, die Linke zu unterstützen. Diese bekommt Gelder von irgendeiner Stelle, was wir Sponsoren nennen, während sie von Oligarchen sprechen.

SB: In der Landwirtschaftsausstellung Grüne Woche in Berlin gab es ein Forum Osteuropa, in dem klar formuliert wurde, daß die Zukunft der Welternährung aus Sicht der Agrarkonzerne in Rußland und in der Ukraine angesiedelt sei. Weißt du etwas darüber, inwiefern die Frage der Böden und der Nahrungsmittelressourcen ein strategisches Pfund ist?

KE: Ich weiß, daß die Chinesen gerade im Zuge der aktuellen Auseinandersetzungen in der Ukraine große Ländereien gekauft haben und weitere kaufen oder langfristig pachten wollen. Sie wollen dort Gemüse anbauen, Schweine züchten und so weiter, um die Versorgung ihres eigenen Landes sicherzustellen. Und das gilt nicht nur für die Chinesen, sondern auch für andere Interessenten, weil die Ukraine bekanntlich über sehr fruchtbare Schwarzerdeböden verfügt. Was Rußland betrifft, habe ich mich mit dieser Frage noch nicht intensiv befaßt. Ich weiß aber, daß große Teile des Landes brachliegen. Wenn du mit dem Zug durchs Land fährst – man macht dort schöne lange Reisen von mehreren Tagen -, dann ziehen am Fenster verlassene Kolchosfelder vorbei, auf denen inzwischen halbhohe Bäume stehen. Es sind Felder, die niemand mehr bestellt, und sie neu zu kultivieren bedürfte ungeheurer Anstrengung, weil diese Bäumchen schon stark verwurzelt sind. Land ist also reichlich vorhanden, und wenn man Geld einsetzen würde, könnten Riesenflächen wieder urbar gemacht werden. Aber wer das macht, über welche Kanäle das läuft und welche Gewinne damit erzielt werden, entzieht sich zur Zeit vollkommen meiner Kenntnis.

SB: Kai, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.

Links zu Schattenblick:

INTERVIEW/211: Der alte Feind – Mit umgekehrten Vorzeichen … Kai Ehlers im Gespräch (SB)  http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0211.html

 …und in der SB-Druckausgabe (.pdf) und SB-Ausgabe für E-Reader (.epub) unter:

 http://www.schattenblick.de/da/2014/03/sb_140324_schattenblick_druckausgabe.pdf

 http://www.schattenblick.de/da/2014/03/sb_2014-03-24.epub

 

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