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Hybrid Russland? – Ein Angebot zur Entdämonisierung eines Feindbildes

Ungeachtet des angekündigten Kuschelkurses zwischen Donald Trump und Wladimir Putin, ungeachtet aller Beteuerungen aus Kreisen der EU wie auch der politischen Etagen Deutschlands, man wolle sich um ein gutes Verhältnis zu Russland bemühen, ungeachtet der von niemandem zur Zeit mehr bestrittenen Tatsache, dass das Schlachten in Syrien durch das Hinzutreten von Russland in einen – zumindest vorläufigen – Waffenstillstand übergegangen ist, also, ungeachtet all dieser Signale, ist das Verhältnis zwischen den Weltmächten doch nach wie vor das bekannte: die soeben zurückliegende „Sicherheitskonferenz“ in München brachte es unmissverständlich an den Tag: dort hat, wie die  „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ es treffend zusammenfasste, die neue amerikanische Regierung in der Person des US-Vize-Präsident Mike Pence den Europäern „Bündnistreue in der NATO und eine Kritische Haltung gegenüber der russischen Aggression zugesichert.“ US-Präsident Trump twitterte gar in Abwesenheit, er sei ein „NATO-Fan“. Continue reading “Hybrid Russland? – Ein Angebot zur Entdämonisierung eines Feindbildes” »

Putin und Trump – ein Gespann? Ein Versuch hinter die Worte zu blicken

Ja, möchte man sagen – und doch nein. Ungeachtet unterschiedlicher persönlicher und politischer Profile sind Donald Trump und Wladimir Putin ein Gespann, notgedrungen, ob sie es wollen oder nicht. Und sind es doch nicht.

Beide sind vor einen Wagen gespannt, dessen Räder im Sumpf ungelöster globaler Probleme und Aufgaben zu versinken drohen. Sie selbst und die hinter ihnen stehenden „Eliten“ sind ratlos, wie sie mit der aus allen Fugen schießenden globalen Expansionsdynamik und der wachsenden Ungleichheit zwischen den wenigen Profiteuren dieser Entwicklung und der bedrohlich wachsenden Zahl Benachteiligter, Ausgegrenzter, „Überflüssiger“, Marx würde sagen, überflüssig gemachter Paupers umgehen oder sich ihrer entledigen können. Immer ungeduldiger fordern diese Milliarden ihren Anteil am Reichtum der Welt, global und lokal. Eine Elitendämmerung kündigt sich an, wenn keine Vernunft einkehrt.

Die unipolare Weltordnung, die mit dem Ende des Kalten Krieges entstanden war, ist in wilder Bewegung.  Syrien ist dafür der aktuelle Brennpunkt, wo Kämpfe um lokale Souveränität, regionale Einflusszonen und globale Vorherrschaft sich an der Grenze zum globalen Krieg überschneiden.  

Denkbar wäre natürlich, dass die „Eliten“ in dieser Krisensituation, ungeachtet ihres Herkommens und ungeachtet der persönlichen Profile ihrer Vertreter und Vertreterinnen gemeinsam an einer Lösung dieses Knotens arbeiten, um ihre Ratlosigkeit zu überwinden, ja, sich vielleicht gar bereitfinden Ratschläge und Hilfe von „unten“ zu akzeptieren,  statt Milliarden von Menschen zu ohnmächtigen Zuschauern  oder zu Opfern ihrer Entscheidungen zu machen.

In Einzelfragen, die gegenwärtig in ersten Telefonaten zwischen dem neuen Mann in Washington und seinem schon länger amtierenden Kollegen in Moskau verhandelt werden, könnte tatsächlich Einiges möglich werden. Die Rede ist von der Einrichtung geschützter Zonen für Flüchtlinge in Syrien, von einem Ende der  Sanktionspolitik gegen Russland, von  einer Beilegung der Krim- und Ukrainekonflikte. Schließlich sogar von einem gemeinsamen Vorgehen gegen den Terror – wobei allerdings schon zu fragen ist, was unter „dem“ Terror jeweils verstanden wird.  

Das alles klingt nach Frontbegradigungen – und wäre auch zu begrüßen, wenn es zu Entspannung auf überfälligen Konfliktfeldern führen, wenn es dazu beitragen könnte, die weitere Ausbreitung des Terrorismus zu verhindern. Allerdings muss hier über die Frage hinaus, was jeweils unter Terror verstanden wird, festgehalten werden, dass Terrorismus nicht mit Waffengewalt, auch mit einer russisch-amerikanisch kombinierten Militäraktion nicht zu beseitigen sein wird, sondern nur mit einer grundlegend anderen Politik der „entwickelten“  gegenüber der sich entwickelnden Welt, die den Menschen die Möglichkeit gibt, ihr Leben vor Ort zu gestalten.

Im Übrigen sind schon die ersten außenpolitischen Dekrete des neuen US-Präsidenten, die ein willkürliches Einwanderungsverbot aus einer Reihe von muslimischen Ländern in die USA verfügen, eher geeignet, dem Terrorismus weltweit neue Kämpfer und Kämpferinnen aus diesem Feld zuzuführen als ihn zu dämpfen. Auch flackern in der Unsicherheit des neuen Frontverlaufs ungelöste Konflikte wieder auf wie in der Ukraine, andere sind zu erwarten. 

 

Unterschiedliche Perspektiven

Obwohl gleichermaßen eingespannt und trotz möglicher Kompromisse in Einzelfragen streben Putin und Trump doch in entgegengesetzte Richtungen. Der eine, Putin, strebt seit seinem Amtsantritt 1999/2000 in die Richtung einer kooperativen Weltordnung, aus wohlverstandener eigener Schwäche  und aus bitterer historischer Erfahrung, wohin eine Überdehnung der eigenen Kräfte führt.

Der andere, Trump, getrieben von dem Bestreben, von globalen Verpflichtungen nicht länger, wie er sagt,  „ausgebeutet“ zu werden, setzt unter dem Motto „America first“ auf Parzellierung  gewachsener globaler Strukturen – bei gleichzeitiger Überhöhung seines und des US-Machtanspruches. Das setzt autoritäre und nationalistische Impulse frei.

Weit entfernt also davon in eine Richtung zu ziehen, obwohl in einem Gespann, gehen die Dynamiken Russlands und der USA extrem auseinander. Putin  orientiert auf Stabilisierung und Reform der nationalstaatlichen Ordnung, wie sie sich in den Vereinten Nationen herausgebildet hat und in ihrer Charta fixiert ist. Trump forciert bilaterale Beziehungen unter Führung der USA.

Damit setzt sich ins Extrem fort, was schon die Politik der letzten Jahre bestimmt hat. Sollte man die Situation, die so entsteht, in ein Bild bringen, so müsste man das einer Waage wählen, deren eine Seite sich senkt, während die andere sich hebt. Schauen wir im Detail.

 

Schrumpfen mit Trump?

Seit Jahren zielt die US  Strategie darauf die globale Vorherrschaft der USA nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ zu bewahren – und kann doch deren Verfall nicht  aufhalten. Bester Zeuge dafür ist der bekannte US-Stratege Zbigniew Brzezinski, in dessen Büchern die Stufen des Verfalls der US-Vormacht umso deutlicher hervortreten, je stärker er die Vorzüge dieser Macht hervorzuheben bestrebt ist – darin ein unfreiwilliger Vorbote Trumps, der jetzt auf den unteren Sprossen dieser Stufenleiter als Erbe erscheint:

Den Zusammenbruch der Sowjetunion begrüßt Brzezinski mit dem  Fanfarenruf des Siegers in dem Buch: „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“[1]. Es erschien erstmals 1997, avancierte danach zum Weltbeststeller. In dem Buch wird das strategische Szenario entworfen, wie die USA die ihr in den Schoß gefallene Weltherrschaft  bewahren könnten, wenn sie dafür sorgten, dass in der Welt, insbesondere in Eurasien in Zukunft kein neuer Rivale sein Haupt erheben könne. Auf dieser Linie entwickelten die USA nach 1990/91 ihre Politik der Einkreisung Russlands.

Zehn Jahre später, 2006, schon wesentlich gedämpfter, folgt Brzezinskis erste Bilanz unter dem Titel: „The second chance“[2]. In diesem Buch schaut er auf die Präsidentschaften von Bush I, Clinton und Busch II zurück (so Brzezinskis Schreibweise).  Bush I – in Brzezinskis Charakteristik ein mittelmäßiger Verwalter, der nichts aus dem Sieg von 1990/91 gemacht habe, Clinton – ein Parvenü, der der Welt zu viel versprochen und dadurch amerikanisches Potential  leichtfertig verschleudert habe, Bush II  – ein politischer Hasardeur, der mit seinem brachialen, alleingängerischen „Krieg gegen den Terrorismus“ amerikanisches Ansehen in der Welt und dessen Vormachtstellung in krimineller Weise geschädigt habe. Zugleich habe er die Bildung der Bevölkerung sträflich vernachlässigt. Mit dem von ihm zurückgelassenen Bildungsniveau der US-Bevölkerung, so Brzezinski, sei keine Weltpolitik zu machen. 

Eine zweite  Chance für die in der Folge dieser drei Präsidenten geschwächte Weltmacht könne es nur geben, so Brzezinski, wenn das Land einen neuen Anlauf nähme, den „American way of life“ durch eine Bildungsoffensive im Innern und eine Bündnisoffensive nach außen zu erneuern. Barack Obamas Politik des „Yes we can“ war ein Kind dieser Kritik, eine Offensive des Lächelns bei gleichzeitiger Eskalation der US-Interventionen im Selbstmandat.

Noch ein Intervall später, 2013, im Vorjahr zum Ukrainischen Maidan, unter dem Titel „Strategic Vision, America and the crisis of global Power“[3]  sieht Brzezinski sich zu der Aussage gezwungen: „Angesichts des neuen dynamischen,  und international komplexen und politisch erwachenden Asien ist die neue Realität die, dass keine Macht versuchen kann – in Mackinders Worten[4] – Eurasien ‚zu beherrschen‘ und so die Welt zu ‚kommandieren‘.  Amerikas Rolle, besonders  nachdem es zwanzig Jahre vergeudet  hat (having wasted), muss jetzt sowohl subtiler als auch verantwortlicher gegenüber Asiens neuen Machtrealitäten sein. Herrschaft durch einen einzigen Staat, wie mächtig auch immer, ist angesichts des Hochkommens neuer regionaler Spieler (player) nicht länger möglich“. Nur unter Berücksichtigung dieser Tatsachen, wiederholt Brzezinski beschwörend, könne dem  weiteren Niedergang der US-Vormacht entgegengewirkt werden.

Wie die Entwicklung zeigt, hat eine breiter angelegte Bündnispolitik  unter Obama auch nach Brzezinskis zweiter Ermahnung den weiteren Niedergang der US-Vormacht nicht aufhalten können, sondern mit der Politik des Regime Changes und der gezielten Tötung durch Drohnen noch tiefer in die Sackgasse des US-Alleingangs geführt. Darüber konnte auch Obamas aggressive Propaganda gegenüber dem angeblichen Kriegstreiber Russland nicht hinwegtäuschen. Das Ukrainische Abenteuer, wie auch der vorläufige Rückzug der USA aus Syrien haben vielmehr die zunehmende Schwäche der USA klar erkennen lassen.

Trump ist der Erbe  dieses innen- und außenpolitischen Niedergangs. Statt sich in ein erweitertes Bündnis der von Brzezinski beschworenen „Newcomer“ zur Herausbildung einer kooperativen Kraft einzugliedern, sucht er den Weg in die weitere Fraktionierung der internationalen Ordnung, die er, wie gesagt, als Last empfindet – in der irrigen Annahme Amerika auf diese Weise wieder groß machen zu können. Das geschieht ohne erkennbares Programm nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.

Im Gegensatz zu den zurzeit vor allem in Europa grassierenden Klagen, mit Trumps brachialem Motto werde die demokratische Tradition der „Pax Americana“ gebrochen, findet der unter diesem Schild bisher verdeckte Nationalismus der USA mit Trump lediglich seine unverhüllte Zuspitzung und Offenbarung. Die irritierte Empörung der atlantischen Partner der USA angesichts dieser Offenbarung des tatsächlichen Charakters der US-Politik lässt vor allem anderen eine Sorge erkennen, nämlich die, mit der Demaskierung der US-Politik zugleich selbst demaskiert zu werden.

 

… und wachsen mit Putin?

Demgegenüber Putin – ebenfalls Erbe, allerdings einer gegenläufigen Entwicklung. Sie steigt von Michail Gorbatschow, der ins europäische, über Boris Jelzin, der gleich ins amerikanische Haus einziehen wollte bis zu Putins und Medwedews immer aufs Neue wiederholtem Angebot auf, gemeinsam mit der NATO eine „Sicherheitsarchitektur“ von Wladiwostok bis Lissabon schaffen zu wollen . 

Auf dieser Linie ging es darum Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder zu Kräften zu bringen. Dafür brauchte das Land eine Stärkung der internationalen Ordnung, wie sie von den Vereinten Nationen repräsentiert und in ihrer Charta beschrieben wird. Wohlverstanden im eigenen Interesse Russlands, aus eigener Schwäche, zum Schutz gegen die übermächtige Dominanz der USA.

Die Stationen dieses spät- und nachsowjetischen Restaurationsprozesses folgten nicht aus einem Programm der Revanche und der Re-Imperialisierung, wie vom Westen unterstellt, sondern aus den Tatsachen des für die Bevölkerung lebensbedrohlichen Zusammenbruchs der Sowjetunion und den blanken Notwendigkeiten einer Restauration der russischen Staatlichkeit, sprich fundamentaler sozialer Strukturen.   

Gorbatschow bat den Westen 1991 um Hilfe für die Verwirklichung seiner Reform des Sozialismus – die er, versteht sich, von den potentiellen Geldgebern nicht erhielt. Man schickte ihn vom Londoner G7-Treffen zum Scheitern nach Haus, während man Jelzin zu gleicher Zeit ermutigte und half, das Land für eine ökonomische und kulturelle Kolonisierung durch den Westen zu öffnen.

Erst mit Wladimir Putin kehrte so etwas wie die Besinnung Russlands auf sich selbst in die russische Gesellschaft zurück. Putin formulierte bei seinem Amtsantritt zwei grundlegende Ziele, die er danach beharrlich verfolgte und bis heute verfolgt: Russlands Staatlichkeit wieder aufzubauen und Russland entsprechend seiner gewachsenen historischen Rolle wieder zum Integrationsknoten Eurasiens zu machen.

Mit diesem Arbeitsprogramm, seinerzeit unprätentiös als einfache Internetmeldung der Öffentlichkeit bekanntgegeben, wandte er sich zunächst der  Stabilisierung der inneren Verhältnisse des Landes zu, verpflichtete die Oligarchen ihren im Zuge der Privatisierung des Volksvermögens gegeneinander geführten Krieg einzustellen und sich dem Wiederaufbau des Landes zuzuwenden. Das bedeutete für die neuen Reichen wieder Steuern, wieder Löhne zu zahlen, wieder in minimale kommunale und soziale Verpflichtungen einzusteigen, ihre privaten Vermögen in eine korporative Führung zu überführen, die sich staatlichen Regeln zu unterwerfen hatte. 

Kurz, es war ein Aufbauprogramm. Wer nicht wollte, wurde  beiseite gedrängt. Man erinnere sich an die Namen Wladimir Gussinski, Boris Beresowski, Michail Chodorkowski, die unter Jelzin – neben dem IWF – zu den unerklärten Herrschern Russland aufgestiegen waren.

Der eigentliche Befreiungsschlag Putins bestand jedoch in der Aufkündigung der von Jelzin eingegangenen Abhängigkeit von den Milliardenkrediten des IWF, darauf folgend auch noch in der Rückzahlung der sowjetischen Altschulden an die westlichen Gläubiger, die an der Rückzahlung überhaupt kein Interesse hatten, sondern es lieber gesehen hätten, die Schulden wachsen zu lassen.

Nach der inneren Konsolidierung trug Putin den Anspruch seines Krisenmanagements in die Außenpolitik, um dort der Einkreisung zu begegnen. Von da an ging es Zug um Zug entsprechend den allmählich wachsenden Kräften des neuen Russland.

2007: Putins Auftritt auf der Münchner „Sicherheitskonferenz“, bei dem er der aggressiven Militarisierung der Weltpolitik durch die USA, sowie der ebenso aggressiven Ost-Erweiterungspolitik der EU und der NATO erstmals weltöffentlich entgegentrat – ohne dass er zu der Zeit ernst genommen worden wäre. Die westlichen Medien ließen ihn vielmehr als Möchtegern Kraftprotz erscheinen.

Dann aber 2008: Nach der Serie „bunter Revolutionen“ und angesichts neuer Ansätze der Ost-Erweiterung von NATO und EU in die Ukraine, über Georgien und darüber hinaus, zieht Russland die gelbe Karte gegen die Provokationen des Georgischen Präsidenten Saakaschwili, der sich Ossetien einverleiben will.

In der Folge der Georgischen Krise, ebenfalls 2008, entstehen erste Ansätze zur Gründung der Eurasischen Union – übrigens nicht von Putin, sondern vom Kasachischen Präsidenten Nasarbajew angestoßen. 2010 folgt die aktive Erneuerung des Angebotes an die NATO zur Bildung einer gemeinsamen „Sicherheitszone“. 2013 schlägt Russland vor, das Problem der Ost-West-Gespaltenheit der Ukraine zwischen europäischer und eurasischer Union einvernehmlich in Gesprächen zu lösen. Keines dieser Angebote erschien dem Westen wert darauf einzugehen.

Mit dem vom Westen betriebenen Regimewechsel in der Ukraine 2014 ging Russland vom passiven Widerstand gegen die westliche Einkreisungspolitik zum aktiven über, indem es das Referendum der Bevölkerung der Krim zur Frage einer Rückkehr der Halbinsel nach Russland aktiv unterstützte und die Krim in den russischen Staatsbestand aufnahm. Zugleich förderte Russland die Bestrebungen im Osten der Ukraine nach Autonomie – lehnte von dort ausgehende Beitrittswünsche allerdings ab, ja, unterband sogar den Aufbau einer eigenen Staatlichkeit des Gebietes als „Novo Rossia“.

Mit dem Eingreifen  russischer Bomber auf Seiten Baschar al Assads in Syrien und gegen den „Islamischen Staat“ , das zum vorläufigen Rückzug der USA aus deren Interventionsreihe in Mesopotamien führte, fand das russische Krisenmanagement seinen vorläufigen Höhepunkt. Ergebnis ist das gegenwärtige Krisenpatt zwischen den USA und Russland, wie es sich in den von der Türkei, Russland und Iran initiierten Waffenstillstandsverhandlungen in der kasachischen Hauptstadt Astana niederschlug, an denen die USA nur als Beobachter teilnahmen. Was daraus folgt, ist offen.

 

Patt – aber gemeinsame Interessen?

So stehen sich diese beiden globalen „Partner“ heute gegenüber. Wenn jedoch von gemeinsamen Interessen, wenn gar von gemeinsamer Sprache der Präsidenten die Rede ist, wenn gesagt wird, Trumps  „America first“ bedeute das Gleiche wie Putins seinerzeit erklärte Absicht, Russland wieder aufbauen zu wollen,  wenn gar gesagt wird, beide seien gleich unberechenbar, oder auch, jetzt würden die USA genauso unberechenbar wie vorher Putin, dann ist das nichts weiter als Augenwischerei, im harmlosesten Fall einfach Unkenntnis historischer Tatsachen oder Dummheit. 

Fakt ist die unübersehbare Kontinuität der Putinschen Politik, der seit seinem Amtsantritt vollkommen berechenbar Schritt für Schritt von der Stabilisierung der innenpolitischen Situation Russlands zur Stabilisierung der globalen Beziehungen fortgeschritten ist – während die USA im gleichen Maßstab ihre Berechenbarkeit verloren haben und mit Trump jetzt gänzlich zu verlieren sich anschicken.

Ergebnis ist, dass die beiden großen Mächte, die heute – neben China als bisher stillem Begleiter – die Weltpolitik wesentlich bestimmen, auf polaren Seiten ein und derselben gegenwärtigen Entwicklung stehen, eben als ein Gespann. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied, wenn Trump die Weltordnung in nationale Fragmente zerlegen, der andere, Putin,  die Souveränität des Nationalstaates als Voraussetzung für Stabilität erhalten will.

Putin und Trump treffen an ein und demselben kranken Punkt der gegenwärtigen internationalen Weltordnung aufeinander, beide allerdings letztlich, wenn auch auf gegensätzlichen Seiten, auf löcherigem Boden, denn die heutige Form der globalen Nationalstaatsordnung, manifestiert in den vereinten Nationen, die der eine erhalten, der andere noch weiter als bisher beiseiteschieben will, ist angesichts der weltweiten Vernetzung von Wirtschaft, Technik und Kultur so oder so überlebt. Sie bedarf nicht nur der Reform, sie bedarf einer zeitgemäßen Weiterentwicklung.

Unter nationalstaatlicher Grundorganisation des heutigen Staatenlebens, um das hier in aller Kürze zu verdeutlichen, ist das im 19. Jahrhundert entstandene Credo zu verstehen, nach dem alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens von der Wirtschaft bis zur Kultur durch den nationalen Einheitsstaat unter staatlichem Gewaltmonopol zusammengefasst und verwaltet und gegenüber allen anderen Staaten zur Geltung gebracht werden, mit denen jeder Staat für sich Arbeitskräfte, Ressourcen und Märkte mit anderen teilen muss.

Kurz gesagt: was des einen Staates Gewinn, ist  zwangsläufig des anderen Verlust. Kriege sind bei dieser Ordnung umso unvermeidlicher, je größer die Anzahl der Nationalstaaten wird, die sich in dieser Weise den globalen Kuchen teilen müssen.

Beim Stand der Dinge ist die Politik, die Trump einzuschlagen gedenkt allerdings die gefährlichere, insofern sie die schon von seinen Vorgängern betriebene Fraktionierung dieser Ordnung unter dem Slogan „America first“ ohne Rücksicht auf zukünftige Folgen, nur getrieben vom spontanen Abwärtstrend der US-Supermacht, wie er sich in dem Weckruf „America first“ ausdrückt, ins Extrem zu treiben antritt. Putins Strategie, insofern sie das eigene Überleben nur im Rahmen eines globalen Krisenmanagements begreift, beinhaltet demgegenüber immerhin die Chance, so etwas wie einen vorübergehenden globalen Stabilitätsrahmen herzustellen,  der ein Sprungbrett für eine Ordnung bilden könnte, die über den Nationalstaat als Grundorganisation  des heutigen Staatenlebens hinausweisen – könnte.

 

Vom Zweier- zum Dreierpatt

Dass die Frage der heute anstehenden Neuordnung letztlich nicht allein zwischen den beiden Polen USA und Russland ausgetragen wird, ist dem bisher Gesagten schließlich noch hinzuzufügen. Zwar treten gewisse historische Linien aus der Vergessenheit der Geschichte wieder hervor, so die anglo-amerikanische, die aus der Tradition des Britischen Commonwealth heraus einem eigenen Kurs gegenüber Mitteleuropa und Eurasien folgt. Das ist eine Spur, die sich aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg über den zweiten bis zu den jetzt wieder hervortretenden Konstellationen  zieht. Sie  zielt auf eine Schwächung Europas, genauer der europäischen Mitte, insbesondere Deutschlands, noch  genauer und aktuell gesagt auf die Verhinderung einer möglichen deutsch-russischen Achse. Der Austritt Britanniens aus der EU und seine neue Nähe zu den USA unter Trump lässt diese Linie nach Brexit und US-Präsidentenwechsel unmissverständlich hervortreten.

Die historischen Parallelen sind allerdings nur noch bedingt gültig, eine einfache Wiederholung historischer Konstellationen wird es nicht geben können, weil inzwischen – wie schon von Brzezinski unter dem Stichwort der tendenziellen West-Ost-Verschiebung der globalen Machtzentren richtig beschrieben  – andere Kräfte in der Welt aufgetreten sind, insbesondere China. Damit ist der historische Impuls des Commonwealth nicht mehr das einzige bestimmende Element in der Weltgeschichte und auch nicht in der Beziehung zwischen den USA und Britannien und kann es, wenn kein Wunder geschieht, auch nicht wieder werden.

Ein Dreiecksverhältnis ist entstanden, bestehend aus Russland plus China, Europa und den USA, in das sich alle anderen Länder der Welt einfügen müssen. Das könnte dem zwischen Russland und USA entstandenen Patt vorübergehend  eine festere Haltbarkeit geben.

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Könnte,  wenn …

Allerdings kann selbst in einer solchen Dreiecksbeziehung nicht mehr entstehen als eben ein vorübergehendes Stillhalteabkommen. Warum? Weil die Grundfragen der gegenwärtigen Entwicklung, durch Krisenmanagement allein nicht zu lösen sind, solange die drei, und nicht nur die drei, sondern alle Mächte der Welt, alle heute herrschenden Kräfte der Welt, an der gegenwärtigen Produktions- und Lebensweise der kapitalistischen Expansion festhalten, die ja ihrerseits letztlich Ursache der Krisenerscheinungen ist, wie wir sie heute haben.

Nicht oft genug kann wiederholt werden: Wir leben in einer Welt, in der alle bisherigen Versuche das Paradies auf Erden herzustellen gescheitert sind. Das betrifft das Glücksversprechen des Kapitalismus ebenso wie das des realen Sozialismus. Die bisherige Form der Globalisierung erweist sich darüber hinaus auch nicht als Lösung, sondern als Verschärfung dieser Ergebnisse. Die Frage stellt sich also, wie wollen wir leben, wenn nicht so, aber auch nicht so?

Solange eine Antwort auf diese Frage nicht über die Reduzierung des Menschen auf einen „Homo Konsumentis“ hinauskommt, der nur in Kategorien beständiger Expansion, wirtschaftlich gesprochen „Wachstum“ denken und leben kann, solange keine andere Weltorientierung, kein anderes Verständnis vom Menschen in der Welt entwickelt worden ist, das ihn wieder als kosmisches Ganzes begreift, solange ist eine weitere Zuspitzung der genannten Widersprüche unumgänglich, in welcher Konstellation auch immer.  

Das betrifft auch die nationale Frage. Zwar könnte die Achtung der internationalen Ordnung, wie sie die Charta  der Vereinten Nationen enthält, einen Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen abgeben, wenn sich alle Länder darauf als zur Zeit noch verbindlichen Rahmen einigen könnten, und niemand total quer schösse, aber – um es noch einmal unmissverständlich zu sagen – angesichts der globalen Verflechtung unserer heutigen Weltwirtschaft, Technik und Kultur ist die nationale Ordnung des Völkerlebens, ist die nationale Organisation, konkreter gesprochen, der nationale Zugriff auf das Feld der Ressourcen etc., ein auslaufendes Modell.

Die heute anstehenden Aufgaben, allen voran die Bewirtschaftung von Ressourcen – als Beispiel seien nur Öl und Internet genannt – können nur dann befriedigend und friedlich gelöst werden, wenn dies in nicht national begrenzter gemeinschaftsdienlicher Verwaltung  geschieht. Das allein kann eine Entwicklung öffnen, die im Rahmen der allgemeinen Nutzung zugleich zu der existenziell notwendigen Wiederbelebung lokaler Räume durch miteinander verbundene größere oder kleinere Bedarfsgemeinschaften führt.

Gebraucht wird eine Differenzierung gesellschaftlicher Aktivitäten, bei welcher der einzelne Mensch zugleich selbstorganisiert und in kooperativer Gemeinschaft leben kann, ohne von einem Staatsmonopol oder gar einem globalen Hegemons auf einen bloßen Konsumenten reduziert und zum Schräubchen fremder Interessen erniedrigt  zu werden.  

Mögliche Ansätze zu Entwicklungen in diese Richtung gibt es viele – globale,  regionale und lokale. Nach dem ersten, ebenso nach dem zweiten Weltkrieg und heute. Darüber ist bereits viel geschrieben worden und wird viel ausprobiert . Eine Verwirklichung im großen Maßstab steht jedoch noch aus. Ein vorübergehendes Patt der heutigen Großmächte und ihrer politischen wie auch persönlichen „Follower“ könnte eine Chance sein, einen neuen Anlauf zur Förderung solcher Alternativen zu entwickeln. Klar ist jedoch: Die Rückführung der jetzigen globalen in bi-nationale Beziehungen unter der Dominanz eines Hegemons, wie das von der amerikanischen Politik, genauer von ihrem gegenwärtigen Präsidenten zurzeit anvisiert wird, ist nicht dazu geeignet, Alternativen auch nur ansatzweise zu fördern. Sie läuft auf eine Zertrümmerung solcher Ansätze hinaus. Möglicherweise ist das auch ein Weg zur Erkenntnis, aber es ist der schlechtere Weg.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

Siehe dazu  das Video:

http://www.russland.news/putin-und-trump-ein-gespann-video

 

 

und das Buch:

Kai Ehlers, Die Kraft der Überflüssigen – und die Macht der Über-Flüssigen, Eigenverlag, Bestellung über: www.kai-ehlers.de

 

Außerdem Vortragsangebote, die Sie buchen können:

Siehe dazu auf der Eingangsseite: VORTRÄGE BUCHEN

[1] Brzezinski, Zbigniew, Die einzige Weltmacht, 1996 bei Fischer, neu herausgegeben bei Kopp Verlag, 2015

[2] Brzezinski, Zbigniew, Second Chance, 2006, English, Basic books, 2007

[3] Brzezinski, Zbigniew, Strategic vision, America and the crisis of global power, English, S. 131, Basic Books,

[4] Mackinder, Halford, 1861 – 1947, britischer Geopolitiker, Begründer Theorie des „Herzlandes“

Aleppo – apropos Scham

„Das Versagen“, so lautete der Leitkommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Niederlage der „Rebellen“ in Aleppo am 17. Dezember.

„Dass wir alle etwas sehen im 21. Jahrhundert“, erklärte die deutsche Bundeskanzlerin auf dem zurückliegenden Gipfel der „Europäischen Union“, „was zum Schämen ist, wo das Herz bricht,  was zeigt, dass wir politisch nicht so handeln konnten, wie wir gerne handeln würden.“ (ebendort)

Ja! kann man dazu nur sagen! Ja! Es ist eine Schande, was dort in Aleppo, was heute noch in Syrien geschieht, was weiterhin dort zu geschehen droht .

Aber worin besteht das Versagen? Und wer sind „wir“, die sich schämen müssten, weil sie nicht so handeln konnten wie sie wollten?

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Die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen. Erweiterte Neuauflage

Was bei Erscheinen des Buches vor drei Jahren noch als auf uns zukommende, möglicherweise  eruptive Tendenz erscheinen konnte, nämlich der Aufbruch der „Überflüssigen“ aus der Südhalbkugel des Globus, hat sich im Zuge der „Flüchtlingskrise“ zur manifesten Herausforderung Europas entwickelt, die dem Problem der hiesigen „Überflüssigen“ die explosive globale Dimension unübersehbar hinzufügt.

Aber weit entfernt davon, das akute Ansteigen des Migrationsdrucks als Aufforderung zu verstehen, den Ursachen dieser Entwicklung jetzt endlich an die Wurzel zu gehen, indem zumindest Ansätze  gemacht würden, die dahinter stehenden Ausplünderung des Südens durch den „entwickelten Norden“ zu korrigieren, werden nur die Symptome der Krise bekämpft, um die Flüchtlinge abzudrängen, werden die Zäune noch höher gezogen, wird inzwischen zur militärischen Abwehr der nach Norden drängenden „Flüchtlingsströme“  übergegangen.

Insofern war der Analyse von der Grundtendenz her nichts hinzuzufügen. Leichte statistische Schwankungen der Arbeitslosenstatistik in den „entwickelten Ländern“ sowie der Zahlen der nach Norden strebenden        Menschen aus dem Süden haben demgegenüber bloß konjunkturellen Charakter. Ergänzt habe ich die Neuausgabe lediglich um die Korrektur einiger Druck- und Satzfehler sowie um einen Text von mir, der im Vorfeld der Arbeiten zu den „Überflüssigen“ aus Gesprächen mit dem Künstler und Kulturökologen Herman Prigann entstanden ist, dessen Projekt „Terra Nova“ am Schluss des Buches vorgestellt wird. Der Text findet sich im Anhang unter der Überschrift „Die Krise nutzen“.

Eine Bemerkung schließlich noch zur Kritik eines Lesers der ersten Auflage, ich hätte den eugenischen Tendenzen, die sich heute abzeichnen, zu viel Platz eingeräumt. Ich gebe zu, es ist mühsam, diese Tendenzen wahrzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber anders als der kritische Leser, dem ich sehr dankbar für seinen Einwand bin, sehe ich mich durch die tatsächliche Entwicklung eher bestätigt – nur treten die heutigen eugenischen Tendenzen natürlich nicht in der historisch bekannten Form auf; sie erscheinen heute als Präventionsstrategie im Namen globaler, sogar „ganzheitlicher“  Sicherheit. Die Form dieser Präventionslogik reicht heute von Peter Sloterdijks in schöner Sprache formulierten „Menschenzucht“, über die Verwandlung des individuellen Wunsches nach Gesundheit, über den Druck zum Nutzen der Gemeinschaft nicht krank sein zu    dürfen, bis hin in das  beständig ansteigende Niveau der über den ganzen Globus sich ausbreitenden Ideologie des Terrors, die letztlich nichts anderes propagiert als die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Dabei spielt es schon keine Rolle mehr, wer Terrorist, wer Anti-Terrorist ist.

Um aber zu  erkennen, woraus auch die „moderne Eugenik“ wieder     hervorgeht, ist es wichtig sich ihres historischen Kerns zu erinnern: Sie war Ausdruck des totalisierten  nationalen Einheitsstaates, der den Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche, die vollkommene geistige und physische Verfügungsgewalt über den einzelnen Menschen hatte. Die Ideologie und die Realität dieses Einheitsstaates aus der Kraft selbstbewusster Individuen zu überwinden, die sich mit anderen in kooperativer Gemeinschaft für eine lebensförderliche Welt souverän verbinden, steht heute auf der Tagesordnung und wird mit jedem Tag aktueller.

Entwickeln und sortieren wir die möglichen Alternativen.

Ich wünsche ihnen nunmehr eine ertragreiche Lektüre.

 

Kai Ehlers, bestellen direkt beim Autor

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Syrien – Regime Change der globalen Art?

Syrien, das Land des mesopotamischen Halbmonds – Wiege der europäischen, der westlichen Kultur. Wird es auch ihr Sterbebett sein, wie manche Zeitgenossen und Zeitgenossinnen schon fürchten? Oder gibt es andere Aussichten?

Vieles wurde dazu schon gesagt. Das Unbestreitbarste sei hier vorangestellt, nämlich: Dass es sich bei dem, was gegenwärtig in Syrien geschieht, nicht um einen Bürgerkrieg, sondern um einen Stellvertreterkrieg handelt. Diese Tatsache bedarf keiner neuen Beweise mehr. Berichte und Analysen wie die der Ethnologin, Islam- und Politikwissenschaftlerin Karin Leukefeld, die seit 2000 als freie Journalistin aus dem Nahen Osten, direkt aus Syrien berichtet, sind für jeden verfügbar.[1] Mehr als ein Dutzend Kriegsparteien, 400.000 Tote, 11,6 Millionen Menschen auf der Flucht, ein zerstörtes Land, das dem Terror preisgegeben ist, das sind Tatsachen, die für sich sprechen. Dass es nicht um das Wohl der dort lebenden Menschen, sondern um den geostrategischen Zugriff auf diesen Raum geht, um Zugriff auf Ressourcen, um den Zugang zum Mittelmeer wie auch zum Indischen Ozean, ist ebenfalls klar.

Wichtig zu erkennen sind aber auch die inneren Probleme Syriens, die aus der Lage des Landes zwischen europäischer Orientierung als jungem säkularem, aus der Willkür nachkolonialer Grenzziehungen hervorgegangenem Nationalstaat und seinem traditionellen, nach umfassender geographischer und ideologischer Ganzheit strebenden arabisch-muslimischen Umfeld, speziell den Aktivitäten der über Syrien hinaus organisierten Muslimbrüderschaft erwachsen.

Es waren diese Widersprüche, die Bashar al-Assads Reformansatz, mit dem er seine Regierung im Jahre 200O antrat, in bewaffnete Auseinandersetzungen abgleiten ließen. Die eben zugelassene Opposition spaltete sich schon auf ihrem ersten legalen Kongress 2011 in einen gewaltfreien Teil und militante Widerständler aus dem fundamentalistischen Milieu, die von Anfang an von außerhalb Syriens unterstützt wurden. Die Regierung Assads sah sich in Kämpfe verwickelt und griff hart durch.  Zu einem Krieg, der das Land zerfetzt, hätte die Situation ohne Interventionen von außen jedoch nicht führen müssen.

Dazu noch einmal Karin Leukefeld, die aus intimer Kenntnis des Landes versichert: „Während die regionalen und internationalen Akteure Syrien nach ihren Vorstellungen und Interessen aufteilen, wollen die Syrer ihr Land und ihre Gesellschaft  heilen und wieder aufbauen. Ließe man sie gewähren, könnten sie in einem halben Jahr viele Fronten beruhigen, ist ein UN-Diplomat überzeugt, mit dem ich mehrmals gesprochen habe. Es sind die ausländischen Einflüsse, die sie daran hindern.“

Dies alles kann selbstverständlich nicht oft genug wiederholt werden, zumal Regierung und Medien, einschließlich Wikipedia die Version des Syrischen Krieges als Bürgerkrieg  entgegen jeder inzwischen nicht mehr zu leugnenden Offensichtlichkeit weiter aufrechterhalten. Selbst die kürzlich erfolgte öffentliche Anweisung Obamas, die Nußra-Front, also eine der aktivsten „Rebellen“-Gruppen, wie sie in westlichen Medien genannt werden, nicht weiter zu unterstützen, führt nicht zu einem Eingeständnis, dass diese Gruppe und mit ihr andere „Rebellen“ bisher als Instrumente der Interventionen  benutzt wurden. Und unerwähnt bleibt, dass diese Politik zu einer Ausbreitung des Terrorismus bis in die Zusammenrottung des „Islamischen Staates“ auf der halben Fläche des syrischen Landes und Teilen des Irak geführt hat. 

 

Die andere Dimension

Etwas Drittes rückt jedoch in den aktuellen Absprachen zwischen den gegenwärtigen Hauptantagonisten USA und Russland um einen Waffenstillstand in Syrien inzwischen mehr und mehr zutage, was einer genaueren Betrachtung bedarf. Deutlich wurde dieses Andere durch einen demonstrativen öffentlichen Auftritt Bashar al-Assads im September 2016. Unmittelbar, nachdem die USA und Russland ihre Absicht öffentlich gemacht hatten, ihre Parteigänger – „Rebellen“ hier, Assads Truppen dort – zu einer Einstellung der Kämpfe veranlassen zu wollen, erklärte er, der syrische Staat sei „entschlossen, jedes Gebiet von den Terroristen zurückzuerobern“. Die Syrischen Streitkräfte würden ihre „Arbeit unerbittlich und ohne Zögern, unabhängig von inneren oder  äußeren Umständen“ fortsetzen.[2]

Der Auftritt verblüffte.  Bei genauerem Hinsehen fiel auf, dass in den  Verlautbarungen zu den Waffenstillstandsverhandlungen nichts darüber ausgesagt worden war,  welche Rolle Assad in der von Amerikanern und Russen angekündigten Wende zugedacht ist,  obwohl in den Jahren und noch in den Wochen zuvor aggressiv über die Rolle Assads als Staatspräsident gestritten worden war.

Die russische Position war bis dahin eindeutig: Syrien ist ein souveräner Staat, Assad sein gewählter Präsident. Niemand hat das Recht zu intervenieren und einen „Regimechange“ zu erzwingen. Eine Ablösung Assads kann nur durch Wahlen erfolgen. Alles andere muss notwendig ins Chaos führen.

Ebenso eindeutig war die amerikanische, in ihrem Gefolge westliche Position: Assad muss zurücktreten, um Raum zu geben für eine demokratische Neuordnung  und Stabilisierung Syriens und darüber hinaus des mittleren Ostens.    

Weniger bekannt war, wie Assad selbst zu dieser Frage steht. Hier überraschte ein von der „Deutschen Welle“ in die Öffentlichkeit gebrachtes Interview, das Assad dem US-Sender NBC im Juli 2016, also schon unter den Vorzeichen einer möglichen amerikanisch-russischen Annäherung,  zu der Frage gegeben hatte, wie er zu der zu erwartenden Annäherung stehe.

Assads Antwort war deutlich, als er den Unterschied zwischen den beiden Mächten auf einen Nenner brachte, den er „value and deal“ nannte – „Value“ als Motivation für die russische, „Deal“ für die amerikanische Intervention.

Anders als die Politik der USA, so erläuterte die „Deutsche Welle“ Assads Sicht, beruhe  Russlands  Politik nicht darauf, „Abmachungen zu treffen (deal), sondern auf Werten“. Damaskus und Moskau teilten ein gemeinsames Interesse am Kampf gegen den Terrorismus, der überall zuschlagen könne.

Die Russen, so Assad selbst, seien vom syrischen Staat eingeladen worden, die Amerikaner nicht. Ein souveränes Land habe das Recht einzuladen, wen es für richtig halte. Wer nicht eingeladen werde, habe kein Recht einzugreifen und halte sich illegal im Lande auf.[3]

 

Polare strategische Optionen

Auf den Punkt gebracht, stellen sich die strategischen Optionen, die hier aufeinandertreffen, so dar: Russland verfolgt, man ist versucht zu sagen, seit undenklichen Zeiten, jedenfalls lange vor Wladimir Putins Antritt als Präsident, schon seit  Michail Gorbatschow, selbst unter Boris Jelzin, die Linie der Schaffung einer neuen globalen Ordnung, einer Reform der UN unter dem leitenden Gedanken der Souveränität der Nationen, der Selbstbestimmung der Völker in kooperativer Solidarität unter dem Schirm der UN.

Schon beinahe gebetsmühlenartig klang das, sich in Aufritten führender russischer Politiker wiederholende Angebot zur gemeinsamen Schaffung einer „Sicherheitsarchitektur von Wladiwostok bis Lissabon“.  Putin „schockierte“ damit 2007 die sog. Sicherheitskonferenz von München; Dimitri Medwedew wiederholte das Angebot auf der NATO-Konferenz von Lissabon 2010. Kern war immer die Stärkung der UNO und der KSZE als organisatorisches Rückgrat einer solchen Sicherheits-Struktur auf der Basis einer Anerkennung  der Souveränität von Nationen als verbindliche globale  Grund-Ordnung – mit dem Ziel einer Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen.   

In seiner letzten großen Rede auf dem 13. Waldai-Forum vom 27. Oktober 2016 unterstrich Wladimir Putin diese Position Russlands noch einmal: „Für uns gibt es keinen Zweifel, dass die Souveränität die zentrale Idee des gesamten Systems der internationalen Beziehungen ist.  Ihre Anerkennung und  ihre Festigung  wird helfen Frieden und Stabilität zu sichern  sowohl  auf internationaler wie auf nationaler Ebene.“

Er beließ es nicht bei dieser allgemeinen Feststellung, sondern konkretisierte: „Man muss  der internationalen Agenda die Aufgabe hinzufügen den Ländern des Mittleren Ostens dabei zu helfen, eine nachhaltige Staatlichkeit, Ökonomie und soziale Sphäre wieder aufzubauen. Das  ungeheure Ausmaß an Zerstörung erfordert die Aufstellung eines langfristigen Programms, eine Art Marshall-Plan, um die von Krieg und Konflikten zerrissenen Gebiete wieder zu beleben. Russland ist unbedingt willens sich aktiv an solchen gemeinschaftlichen Bemühungen zu beteiligen.“[4]

 

USA: Spiegelverkehrt

Im gleichen Zeitraum, spiegelverkehrt sozusagen, nahmen die USA sich heraus, die UN, die Souveränität kleinerer Staaten, das internationale Recht  beiseitezuschieben und die von ihnen propagierte Politik des „Regimechanges“ mit der Folge der Fraktionierung der globalen Ordnung  zu betreiben.

Diese Politk ist durch das unter G.W. Bush entwickelte „Project of a new American century“[5] und das daran anschließende weiterführende Projekt eines „Greater Middle East“ [6] mit dem darin nicht misszuverstehenden Aktionsterminus der „kreativen Zerstörung“, schamlos genug propagiert worden und durch die Praxis der Interventionen im Iran, in Afghanistan, im Irak und in Libyen ausreichend belegt. Krönung dieses Projektes, mit dem der mesopotamische Raum für US-amerikanische Interessen aufbereitet werden sollte, sollte die „Demokratisierung“ Syriens werden.

Beide Projekte entstanden nicht etwa aus politischer Not, etwa um ein Chaos im Nahen Osten zu befrieden, sondern gingen aus der Schule des bekannten US-Strategen Zbigniew Brzezinski hervor,  der den nah-östlichen zusammen mit dem zentralasiatischen Raum in seinen Skizzen zur Erhaltung der US-Vorherrschaft als „Eurasischen Balkan“ definiert hatte. Die schwächeren Länder darin bezeichnete er als „Brückenkopf“ für den Zugriff der USA auf die Rohstoffvorkommen dieses Gebietes und zur Stabilisierung der US-Vorherrschaft, insbesondere zur Eindämmung russischen Einflusses.[7] Auch dies ist sattsam bekannt.

 

Syrien letzte Station

Syrien war auf dieser Line die letzte geplante Station. G.W. Bush setzte dabei auf unmittelbare militärische Gewalt. Der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Barack Obama ging dazu über, internationales Recht mit einer drohnengesteuerten globalen Lynchpraxis zu liquidieren.

Am 18. August 2011 forderte Obama Assad öffentlich zum Rücktritt auf: „Die Vereinigten Staaten werden vom Streben der syrischen Bevölkerung nach einem friedlichen Übergang zur Demokratie inspiriert… Die  Zukunft Syriens muss von seiner Bevölkerung bestimmt werden, aber Präsident Bashar al-Assad steht ihr im Weg. … Die Vereinigten Staaten können und werden Syrien diesen Wandel nicht diktieren. Es liegt nun in der Hand der syrischen Bevölkerung, ihre Politiker selbst zu wählen, und wir haben den starken Wunsch der Menschen vernommen, dass es in ihrer Bewegung keinen Eingriff von außen geben soll. Die Vereinigten Staaten werden Bestrebungen vorantreiben, die ein demokratisches und gerechtes Syrien für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes hervorbringen. Wir werden einen derartigen Ausgang der Ereignisse unterstützen, indem wir Präsident Assad dazu drängen, diesem Wandel nicht mehr im Wege zu stehen, und indem wir uns zusammen mit der internationalen Gemeinschaft für die allgemeinen Rechte der syrischen Bevölkerung einsetzen.[8]

Zu  welchem Wandel die Unterstützung der USA geführt hat, muss hier nicht noch einmal ausgeführt werden.  Festzuhalten ist nur, dass Obama sich bis heute nicht von dem Aufruf gelöst hat. Was sein Nachfolger tun wird, ist offen.

 

Wendepunkt Libyen

Mit der Zerschlagung „Libyens“ war das für Russland Hinnehmbare erreicht. Aber es war nicht nur nicht das Hinnehmbare erreicht,  Russland ist inzwischen auch soweit wieder zu Kräften gekommen, dass es sich erlauben kann, der von den USA betriebenen Politik der Fraktionierung nicht nur verbal, sondern konkret, auch machtpolitisch entgegen zu treten.

Dahinter werden selbstverständlich auch neue Konstellationen im globalen Kräfteverhältnis sichtbar: China, Indien, Iran, Türkei, Südafrika, Südamerika, Saudi-Arabien, die Staaten der EU, Kanada und kleinere Mitläufer – alle interessiert an der  Ausweitung ihrer Spielräume durch eine Zähmung der USA, nicht wenige von ihnen wie die Staaten der EU, wie Iran,  die Türkei, Saudi-Arabien, Quatar, Israel direkt oder indirekt in die Kriegshandlungen auf dem syrischen Boden involviert.

Als Ergebnis bleibt die Frage, was mit Assad geschieht, wenn die USA und Russland als die beiden entscheidenden Mächte sich jetzt darauf einigen eine „Wende„ herbeiführen zu wollen. Ist Assad dann das Bauernopfer, das Russland unter Aufgabe seiner bisherigen Position bringt? Oder schwenken die USA auf die Linie Russlands ein, wonach das syrische Problem, der gesamte mesopotamische Aufruhr nur zu befrieden ist, wenn die syrische Souveränität geachtet wird, wenn Wahlen zu einem neuen syrischen Staatspräsidenten unter Aufsicht der UN durchgeführt werden? Assad würde dem, wie er in dem oben zitierten Interview mehrfach bekräftigt, zustimmen, wenn die Souveränität und  Syriens erhalten bliebe und seine Einheit wiederhergestellt würde. 

 

Noch einmal Assad

Unter dem Eindruck der Verunsicherung, die von dem Ergebnis der US-Wahl ausging, bekräftigte Assad im Gespräch mit dem Portugiesischen  Fernsehens (RTP TV) im November 2016 noch einmal seine Position.[9]

Drei Passagen dieses äußerst lesenswerten Interviews sollen hier vorgestellt werden:

Erstens: Was er dazu sage, dass Russland, der Iran und die Hizbollah an der Seite der syrischen Armee im Einsatz seien.

Assad: „Sie sind hier, weil sie wichtige Hilfe anbieten konnten, denn in der Situation, der wir uns jetzt gegenübersehen, geht es nicht nur um ein paar Terroristen innerhalb Syriens: es ist wie ein internationaler Krieg gegen Syrien. Diese Terroristen sind von zig ausländischen Staaten unterstützt  worden, so dass Syrien nicht in der Lage gewesen wäre ohne Hilfe seiner Freunden dieser Art des Krieges zu begegnen.“[10]

Zweitens: Ob er nicht fürchte in Abhängigkeit von Putin zu geraten:

Assad: „Nein, erstens, wir sind vollkommen frei, nicht teilweise, vollkommen frei, in Bezug auf alles, was Syrien betrifft. Zweitens, was wichtiger ist oder wenigstens so wichtig, wie der erste Teil oder der erste Faktor, ist die Tatsache, dass die Russen  ihre Politik immer auf Werten aufbauen, und diese Werte sind die Souveränität anderer Länder, das internationale Recht, der Respekt für andere Völker, oder Kulturen, so dass sie in nichts intervenieren, was die syrische Zunft oder das Syrische Volk betrifft.“ [11]

Drittens: Ob er der Ansicht des designierten neuen UN-Generalsekretärs António Guterres zustimmen könne, dass Frieden oberste Priorität für Syrien habe:

 

Assad: „Unbedingt. Natürlich. Es  ist seine Priorität, und natürlich ist es unsere Priorität, das ist selbstverständlich. Es ist nicht nur unsere Priorität; es ist eine Priorität des Mittleren Ostens, und wenn der Mittlere Osten stabil ist, ist der Rest der Welt stabil, denn der Mittlere Osten ist das Herz der Welt, geografisch und geopolitisch, und Syrien  ist das Herz des Mittleren Ostens, geografisch und geopolitisch. Wir sind die Bruchlinie; wenn man diese Bruchlinie nicht beachtet, wird man ein Erbeben bekommen, das ist das, was wir immer gesagt haben. Darum ist diese Priorität  aus unserer Sicht hundertprozentig korrekt, und wir sind bereit  in jeder Weise zu kooperieren, um Stabilität in Syrien zu erreichen, selbstverständlich unter Berücksichtigung der Interessen des Landes und des Willens des Syrischen Bevölkerung.“ [12]

 

Treffender lässt sich die Bedeutung des syrischen Krieges kaum noch beschreiben.

 

 

Souveränität für alle?

Hier erhebt sich allerdings die weiter führende Frage, ob der zweiten Seite des heute geltenden Völkerrechtes, nämlich dem Recht auf Selbstbestimmung einer Minderheit, einer Bevölkerungsgruppe oder eines Volkes von den Vertreten des Souveränitätsprinzips die gleiche  Gültigkeit zugestanden wird wie der staatlichen Souveränität. Im syrischen Konfliktfeld betrifft das vor allem die Kurden, die heute in drei verschiedenen Staaten leben – in der Türkei, im Iran und eben auch in Syrien, wo die syrischen Kurden sich inzwischen im Zuge des Zerfalls der syrischen Staatlichkeit zur autonomen, im Gegensatz zu ihrer gesamten Umgebung rätedemokratisch orientierten Republik „Rojawa“ erklärt haben – ohne bisher als eigener Staat anerkannt worden zu sein.

Würde „Rojawa“ von einem souveränen Syrien anerkannt, dann könnte ihre kommunitäre Verfassung, die auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, insbesondere auch der Frauen  aufbaut, nicht nur zu einem zukunftsweisenden Modell für ganz Syrien werden. Es könnte sich darüber hinaus die Lösung der syrischen Frage als übergreifendes Beispiel erweisen, das auch für andere vergleichbare Fälle Maßstäbe lieferte, nicht zuletzt auch für die Ukraine. Im Prinzip geht es dort ja um das gleiche Problem, um das Recht nämlich von Teilen der Bevölkerung des ukrainischen Landes auf Autonomie, sowohl der Krim als auch des abgetrennten Ostens, um das Recht auf Loslösung und staatliche Eigenständigkeit oder gar Anschluss an ein anderes Land.

Unter dem Stichwort „Value“ oder „Deal“ hat Assad die unterschiedlichen Positionen von Russland und den USA zu diesen Fragen durchaus treffend auf den Nenner gebracht. Die Frage ist nur, ob er selbst bereit ist, die Souveränität, die er für den syrischen Staat in Anspruch nimmt, in Form des Selbstbestimmungsrechtes auf Autonomie oder gar Abtrennung auch für „Rojawa“ gelten zu lassen.

Ähnlich ist die Frage an alle Kräfte zu stellen, die in den syrischen Konflikt verwickelt sind – angefangen bei den USA und Russland über die Türkei zum Iran, die allesamt nicht bereit sind den Kurden ein Selbstbestimmungsrecht zuzubilligen, sie nur als Schützenhilfe gegen den „IS“ instrumentalisieren wie die USA und bei nächster Gelegenheit fallen lassen, sie vorübergehend dulden wie Russland  oder sie gar, wie die Türkei,  als „Terroristen“ bekämpfen.

 

„Islamischer Staat“ als Teil des Problems

Zum Nachdenken in diesem Zusammenhang fordert heraus, was Ibrahim al Dschaafari, Außenminister des Irak gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ äußerste, als er dieser Tage zu den „Fortschritten bei der Befreiung Mossuls“ befragt wurde:

„Es ist Hass entstanden bei den jungen Menschen in der Dritten Welt, „erklärte er. „Sie glauben, sie leben in einer Welt, die sehr reich ist, sie aber leben in armen Verhältnissen. Und sie sehen den Wohlstand,  und alle die Rechte der Europäer und Amerikaner.  Es gibt eine ‚Nordwelt‘, wo 20 Prozent der Menschen leben, denen 80 Prozent des Vermögens gehört. Und eine ‚Südwelt‘, wo 80 Prozent der Menschen leben, denen aber nur 20 Prozent gehören.“ 
Und er mahnt: „Wir müssen alle zusammen gegen den Terrorismus kämpfen. Nicht jeder allein für sich, sondern  alle Menschen dieser Erde. Alle  Länder sind vom IS-Terror  betroffen. Wenn die Dschihadisten  aus dem Irak oder aus Syrien oder Ägypten  vertrieben werden, dann werden sie woanders hingehen, wo es stabil ist. Der Kampf gegen den Terrorismus ist zu einem Weltkrieg geworden. Im ersten Weltkrieg bekämpften sich nur die Militärs, im Zweiten Weltkrieg gab es große zivile Opfer. Dieser dritte Weltkrieg ist ein neuer Krieg. Er richtet sich allein gegen Zivilisten.“[13]

 

Und, darf man zustimmend ergänzen, auch wenn manches in Dschaafaris Text Kritik herausfordert, etwa seine Sicht auf die Weltkriege: Hass ist nicht nur in der islamischen Welt entstanden und die Welle des Aufruhrs, die auf die „entwickelte Welt“ zurollt, kommt nicht nur von außen, sondern auch von innen.

Der Krieg in Syrien, heißt das, ist nicht nur mehr als ein Bürgerkrieg, er ist aber auch nicht nur ein Stellvertreterkrieg, er ist ein Weltordnungskrieg.  Es geht um nicht weniger als um die Frage: Wie wollen und wie können wir morgen in einer Welt leben,  die immer mehr Menschen, hervorbringt, die sich nicht als Überflüssige an den Rand drängen lassen wollen.

 

Kampf um eine neue Ordnung

Was also als Herausforderung aus dem syrischen Kampffeld hervortritt, ist die Notwendigkeit einer völkerrechtlichen Ordnung, die staatliche Souveränität,  Selbstbestimmungsrecht der Völker und Selbstbestimmungsrecht des Individuums in ein neues Verhältnis zueinander bringt.

In der Antwort auf diese Frage liegt zugleich die mögliche Lösung des terroristischen Problems, die nur eine Zukunft hat, wenn die Welt nicht dem Diktat einer einzigen globalen Macht, klar gesprochen, dem Modell des amerikanisch dominierten Finanzkapitalismus unterworfen ist.

Im syrischen Krieg, heißt das alles, geht es nicht nur um das Abstecken von Interessensphären, nicht nur um den unmittelbaren Zugriff auf Ressourcen, hier geht es darüber hinaus um die viel weiter führende Frage, WIE das geschieht.  Wie werden die divergierenden Interessen einer vielfältiger werdenden Welt in Zukunft miteinander in Übereinstimmung gebracht – durch nackte Gewalt oder durch internationale Kooperation oder gar – darüber hinaus – durch neue Formen des Arbeitens und miteinander Lebens, die über   die heute noch herrschenden Ausbeutungsverhältnisse hinausführen.

Vor diesem Hintergrund ist die Zurückweisung der von den USA betriebenen „kreativen Zerstörung“ und deren Ablösung durch eine Orientierung auf Stabilität und strikte Einhaltung der nationalen Souveränität im Rahmen einer reformierten UN heute die rationalste Alternative, eine Art Minimalkonsens in Form eines globalen Stabilitäts- und Entwicklungspaktes – wenn sich nicht nur eine gewaltsame Ablösung des bisherigen Hegemons durch einen anderen vollziehen soll.  Ein solcher Pakt könnte den Rahmen für die Bearbeitung der anstehenden Fragen abgeben. Eine Lösung ist er noch nicht.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

 [1] U.a. Kasseler Friedensforum, 30.11.2015,  siehe auch ihr Buch: “Flächenbrand: Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat“, Papyrossa, (Neue Kleine Bibliothek) 20. Februar 2016

[2] Zitiert nach FAZ, 13.09.2016

[3] https://www.google.de/?gws_rd=cr&ei=bpvZV-vPLq-W6QSL8KbADw#q=DW+USA+wollen+in+Syrien+mit+Russland+zusammenarbeiten

[4] Präsident Russlands, Protokoll des 13. Waldai-Treffens: http://en.kremlin.ru/events/president/news/53151 (Englisch)

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Project_for_the_New_American_Century

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fraum_Mittlerer_Osten

[7] Brzezinski, Zbigniew: „Die einzige Weltmacht, Amerikas Strategie der Vorherrschaft“, Fischer tb 14358, 1999, Darin insbesondere der Abschnitt „Geostrategische  Akteure und geopolitische Dreh- und Angelpunkte“, sowie das Kapitel “Eurasischer Balkan“.

[8] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/obama.html

[9]  Portugiesisches Fernsehen, RTP TV, 16. November2016 , Syrien Arab News Agency (SANA), http://sana.sy/en/?p=93484

[10] ebenda, Frage 5

[11] ebenda, Frage 7

[12] RTP TV Channek, 16. November,  2016

[13] FAZ, Montag, 21.11.2016 , S. 2: „Wir brauchen einen Marshallplan für Mossul“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in „Hintergrund“ 1/2017

 

Putins Notruf – und kaum einer hört hin. Betrachtungen im Schatten des US-Wahlkampfes

Waldai 2016: Unüberhörbar deutlich, und doch im Westen unter dem Getöse des amerikanischen Wahlkampfes nahezu ungehört, schickte der russische Präsident Wladimir Putin als Hauptredner der dreizehnten Waldai-Konferenz vom Ende Oktober, die inzwischen als östliches Gegenstück zur Münchner Sicherheitskonferenz gesehen werden muss, einen Notruf in die Welt: Nichts habe sich seit der letzten Konferenz zum Besseren gewendet, so leitete er seine Rede ein, tatsächlich, wäre es ehrlicher zu sagen, nichts habe sich geändert.[1]

Noch „ehrlicher“ wäre es, in Fortsetzung des Putinschen Komparativs festzustellen, dass genau dieses „nichts“, so paradox es klingen mag, das ist, was die Lage verändert hat – und zwar zum Schlechteren hin.

Ein kurzer Rückblick auf die Reden, die Putin bei den Konferenzen 2014 und 2015 hielt, mag das verdeutlichen und damit den Ton der Rede von 2016 verständlicher werden lassen.

 

Vom Angebot zur Mahnung

Die Rede vom elften Treffen  2014 stand unter der Frage „Weltordnung: Neue Regeln oder ein Spiel ohne Regeln?“. Die Rede  enthielt, bei aller unüberhörbaren Kritik an der Einkreisungspolitik des Westens, die alle Reden Putins seit seinem Auftritt auf der Münchner „Sicherheitskonferenz“ transportieren, ein klares Angebot. Angeboten wurde von Putin die aktive Beteiligung Russlands an der Stabilisierung der internationalen Ordnung durch gezielte gegenseitige Achtung und Stärkung der Souveränität aller Nationen auf Basis des für alle gleichermaßen geltenden Völkerrechtes  im Rahmen ihrer Kooperation in der UNO. In dieses Angebot war die Wahrung der eigenen russischen Interessen ausdrücklich mit eingeschlossen:

„Russland hat seine Wahl getroffen“, erklärte Putin damals in voller Zuwendung zu Russlands „Partnern“, wie er seine westlichen Gegenüber nannte, „unsere Prioritäten bestehen in einer weiteren Vervollkommnung der demokratischen Institutionen und einer offenen Wirtschaft, in einer beschleunigten inneren Entwicklung unter Berücksichtigung aller positiven derzeitigen Tendenzen der Welt und der Konsolidierung der Gesellschaft auf Grundlage traditioneller Werte und des Patriotismus. Auf unserer Tagesordnung steht die Integration, diese Tagesordnung ist positiv und friedlich, wir arbeiten aktiv mit unseren Kollegen in der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der BRICS und anderen Partnern zusammen. Diese Tagesordnung zielt auf die Entwicklung von Beziehungen der Staaten untereinander und nicht auf Absonderung. Wir haben nicht vor, irgendwelche Blöcke zusammenzuzimmern oder uns in einen Schlagabtausch ziehen zu lassen. Jeder Grundlage entbehren auch Behauptungen, Russland sei bestrebt, irgendein Imperium wieder zu errichten oder verletze die Souveränität seiner Nachbarstaaten. Russland verlangt nicht nach irgendeinem besonderen, außerordentlichen Platz in der Welt, das möchte ich betonen. Indem wir die Interessen der anderen achten, möchten wir einfach, dass man auch unsere Interessen berücksichtigt und unsere Positionen achtet.“ [2]

In einer Rede die er am 29. September 2015 vor der UN-Vollversammlung zum  70. Jahrestag der Organisation, hielt, bekräftigte Putin übrigens dieses Angebot noch einmal: „Russland glaubt an das riesige Potential der UNO, das uns helfen sollte, eine globale Konfrontation  zu vermeiden und zur Strategie der Kooperation überzugehen. Zusammen mit anderen Staaten  werden wir konsequent  auf die Stärkung  der zentralen und koordinierenden  Rolle der UNO hinarbeiten.“

2015, bei der 12. Waldai-Konferenz schlug Putin einen wesentlich besorgteren Ton an. Hintergrund war die Ausweitung der Konflikte von der Ukraine auf Syrien, der anhaltende Sanktionskrieg  gegen Russland und die ausufernde Dämonisierung Russlands in den westlichen Medien. Unter dem Thema „Krieg und Frieden: Mensch, Staat und die Gefahr eines großen Konflikts im 21. Jahrhundert“ ging Putin die aktuellen Krisen-Schauplätze durch: Ukraine, Syrien, IS, der Sanktionskrieg. Er betonte die Legitimität des russischen Militäreinsatzes in Syrien, die im Einklang mit der Souveränität des Landes stehe, im Gegensatz zur illegitimen Intervention der USA und der von ihr geführten Koalition. Er warnte vor einer Teilung Syriens als „schlimmstem Szenario“ und wurde schließlich sehr deutlich, als er erklärte, nach der Entwicklung von Atomwaffen könne es in einem globalen Konflikt keine Sieger geben. Es liege klar auf der Hand, dass ein solcher Konflikt mit einer gegenseitigen Vernichtung zu Ende gehen würde. „In dem Versuch, eine Waffe mit immer höherer Zerstörungskraft zu entwickeln“, so Putins Fazit zum Thema der Tagung, „machte der Mensch einen groß angelegten Krieg sinnlos.“[3]

In der westlichen Berichterstattung mutierte diese Passage selbstverständlich – so muss man es leider sagen – umgehend zur Drohung.

 

2016: Bemerkenswerte Obertöne

Die aktuelle Rede vom Oktober 2016 unterscheidet sich von den zuletzt vorausgegangenen in bemerkenswerter Weise. Genau betrachtet zerfällt sie in drei Teile, von denen der erste und der letzte, so kann man es inzwischen schon sagen, im konventionellen Rahmen des gegenwärtigen Konfliktmanagements bleiben und deshalb hier nur kurz gestreift werden sollen.

Im ersten Teil der Rede führt Putin die bisherige Kritik an der Politik des Westens zu einer offenen Anklage gegen die von den USA betriebene Politik des Regime-Change. Die USA gemeinsam mit ihren westlichen Verbündeten hätten die Chance einer globalen Verständigung, welche in den späten 80ern und frühen 90ern bestanden habe, bewusst ausgeschlagen. Im Ergebnis befinde sich das „System der internationalen Beziehungen“ in einem „fiebrigen Zustand“, könne die globale Ökonomie ihre „Systemkrise“ nicht überwinden. Im Schlussteil der Rede geht es Putin um aktuelle Maßnahmen des Krisenmanegements. Er bekräftigt die bekannte Position Russlands, „dass Souveränität die zentrale Idee des gesamten Systems der internationalen Beziehungen sei“, um die herum allein Stabilität auf nationaler und internationaler Ebene entwickelt werden könne. Als möglichen Schritt in diese Richtung schlägt er die Entwicklung einer „Art Marshall Plan“ für die Staaten des mittleren Ostens vor, darüber hinaus auch gleich den Übergang zu Entlastungen und Aufbauhilfe für andere schwache Staaten,

 

Mahnungen an die „Eliten“

Zwischen der konventionellen Einleitung, in der Putin die Systemkrise konstatiert, und dem pragmatischem Schlussteil des Minimalprogramms zur Stabilisierung des Mesopotamischen Raumes,  führt der Hauptteil der Rede, anknüpfend an seine Charakterisierung der globalen Lage als „fiebrige Situation,  in eine ganz andere Dimension:

Die Frage stelle sich, so Putin, „was erwartet die Welt, wenn die Dinge sich in dieser Weise fortsetzen? Was für eine Welt werden wir morgen haben? Haben wir Antworten auf die Fragen, wie Stabilität, Sicherheit und eine nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu gewährleisten sind?“

Und er beantwortet diese Frage im nächsten Atemzug gleich selbst: „Traurig zu sagen, es gibt keinen Konsens zu diesen Fragen in der heutigen Welt. Mag sein, dass Sie in Ihren Diskussionen zu einigen allgemeinen Schlüssen gekommen sind, und ich wäre natürlich interessiert, sie zu hören. Aber es ist sehr klar, dass es einen Mangel an Strategie und Ideen für die Zukunft gibt. Das lässt ein Klima der Unsicherheit entstehen, das direkte Folgen auf die öffentliche Stimmung hat.“

Soziologische Studien rund um die Welt zeigten, so Putin, dass die Menschen in  verschiedenen Ländern  und auf verschiedenen Kontinenten dazu tendierten, die Zukunft trübe und öde zu sehen. Dies sei bedauerlich. Die Zukunft verlocke sie nicht, sondern ängstige sie. Zugleich sähen sie keine realen Möglichkeiten, irgendetwas zu ändern, Einfluss zu nehmen und Politik zu gestalten. Selbst in den entwickeltsten Demokratien habe die Mehrheit der Bürger keinen wirklichen Einfluss auf die politischen Prozesse und auf die Macht. Die Menschen fühlten eine zunehmende Kluft zwischen ihren Interessen und den Vorstellungen der „Eliten“ vom  „einzig richtigen Weg, einem Weg, den die Eliten selbst bestimmen.“ Ergebnis: Referenden und Wahlen brächten immer öfter Überraschungen für die Autoritäten hervor. Diese Entwicklung könne nicht einfach als „populistische“ Radikalisierung abgetan werden vielmehr gehe es hier um „gewöhnliche Menschen, normale Bürger, die ihr Vertrauen in die herrschende Klasse verlieren.“!

Es stelle sich schließlich die Frage: „Wer ist tatsächlich die Randgruppe? Die expandierende Klasse der supranationalen Oligarchie und Bürokratie, die in der Tat oft nicht gewählt ist und die nicht durch die Gesellschaft kontrolliert werden kann, oder die Mehrheit der Bürger, die einfache und klare Dinge wollen – Stabilität, freie Entwicklung ihrer Länder, Aussichten für ihr Leben und das ihrer Kinder, Bewahrung ihrer kulturellen Identität und, schließlich, Sicherheit für sich und ihre Lieben.“

Es folgen noch Ausführungen zum internationalen Terrorismus, der von einer fernen Bedrohung zu einer alltäglichen geworden sei. Man solle denken, so Putin, dass nach langen Verhandlungen nun eine gemeinsame Front gegen den Terrorismus zustande gekommen sei. Aber leider zeigten die westlichen Länder  das „unerklärliche und ich würde sagen irrationale Verlangen“, immer wieder dieselben Fehler zu machen wie zuvor schon in Afghanistan, Irak, Libyen, jetzt in Syrien, zu glauben nämlich, man könne Terroristen in gemäßigte, die man für eigene Ziele benutzen könne, und radikale unterscheiden.

Aber dies, so Putin sei ein sehr gefährliches Spiel, und er wende sich noch einmal an die „Spieler“: „Die Extremisten sind in diesem Falle schlauer, cleverer, und stärker als ihr, und wenn ihr diese Spiele mit ihnen spielt, werdet ihr immer verlieren.“

Unüberhörbar schwingt hier die Warnung vor möglichen Unruhen und Revolten mit. Als Präsident Russlands, das von Revolutionen mehr als jedes andere Land geschüttelt wurde, weiß Putin, wovon er spricht.

 

Und dazu die USA: Koinzidenz des Unvereinbaren

Putins mahnende Worte zur Abgehobenheit der „Eliten“, zum schwindenden Vertrauen der Bevölkerungen in ihre Regierungen, zu den daraus hervorgehenden Tendenzen der Selbstorganisation kamen zu einer Zeit, in der die USA sich in einem erschreckend inhaltlosen Wahlkampf  selbst zerfleischten.

Lassen wir hierzu eine Stimme aus der Zahl der besten Freunde der USA zu Wort kommen, der „Frankfurter Allgemeine Zeitung.

In einem Kommentar kurz vor der Wahl kam sie zu folgendem Fazit: „Schlammschlachten um das Weiße Haus  gab es in der langen Geschichte  der amerikanischen Demokratie auch früher.  Doch steht zu befürchten, dass die jüngste nicht am Wahltag endet.  In Amerika tobt ein neuer, ein politischer Bürgerkrieg, in dem nicht nur schwarze Bürger gegen weiße Polizisten und die Demokraten gegen die Republikaner kämpfen, sondern auch die Angehörigen einer sich um den amerikanischen Traum betrogen fühlenden Unter- und Mittelschicht gegen das politische und ökonomische `Establishment´. Dieses ist auch selbst gespalten. In ihm tritt der Isolationismus gegen den Interventionismus an und der Überrest des amerikanischen Missionsglaubens gegen ‚America First“. (…) Die Führungsmacht des demokratischen Westens (…) droht in einer Zeit an sich selbst zu scheitern, in der sie in der Weltpolitik als ein den Werten der liberalen Demokratie verpflichteter Stabilitätsanker und global agierender Ordnungsfaktor gebraucht würde wie selten zuvor.“ ‘…[4]

„Der russische Präsident“, heißt es dann zu Begründung der aus dem Zustand der USA resultierenden Gefahr, „betreibt eine aggressive, remilitarisierte Außenpolitik unter Missachtung internationaler Regeln und Prinzipien, um sein Regime  zu sichern und um von den Missständen im Inland abzulenken. Er nutzt für seine Zwecke nun auch das Machtvakuum und das Chaos, das Washington  nach dem Abzug aus dem Irak im Nahen Osten  hinterließ.“ Auch China wolle Supermacht werden. Die Türkei drohe  zu einer islamistischen Präsidialdiktatur zu werden.  Die EU stecke in der schlimmsten Krise ihrer Geschichte. Kurz: „Die freie Welt wird von Lähmung und Spaltung und Zerfall geplagt und nicht nur in Moskau, sondern auch in den westlichen Völkern  finden manche, das geschehe ihr recht.“

 

Führungswechsel?

Was, fragt man sich, hat dies alles zu bedeuten? Was kann aus dem Zusammentreffen dieser von Putin in Waldai beschworenen und von den USA in ihrem irren Wahlkampf vorgeführten großen Leere bei den „Eliten“ und der wachsenden Unzufriedenheit der „Menschen“  entstehen? Ist das amerikanische Zeitalter mit einem Donald Trump als zukünftigem Präsidenten nun an ihren Tiefpunkt gelangt? Wird Russland neue globale Führungsmacht, die zusammen mit Europa ein eurasisches Zeitalter eröffnet? Steht China vor der Tür? Oder gar die Türkei als Wiedergeburt osmanischer Größe?

Mitnichten. Spekulationen dieser Art verbieten sich. Sicher ist allein, dass die Grundfragen der gegenwärtigen Übergangsepoche die herrschenden politischen Mächte an eine Grenze führen, die zu überschreiten, nicht nur neue Formen der Politik erfordert, sondern auch neue Orientierungen nötig macht, über die heute in keinem der herrschenden Länder, genauer bei keiner ihrer „Eliten“ eine Vorstellung besteht.

Deutlich tritt die Frage zutage, auf die es bisher keine Antwort gibt: Wie will, wie kann die Menscheit leben in einer Welt, die durch profitorientierte Automation und bei gleichzeitigem Wachstum der Weltbevölkerung immer mehr Menschen hervorbringt, die als „Überflüssige“ an den Rand der Gesellschaften gedrängt werden?

Angesichts dieser Lage ist Putins Stimme zurzeit die vernünftigste, wenn er zur Einhaltung des geltenden Rahmens internationaler Beziehungen und zu „wahrer Führungskraft“ aufruft, die darin bestehe, konkrete Wege der Friedenssicherung aufzuzeigen. Was eine von Trump angeführte US-Regierung bringt, wird sich bald  zeigen.

Eine nachhaltige Lösung liegt allerdings auch in Putins Notruf nicht. Bloßes Krisenmanagement muss letztlich in Stagnation enden, solange die Perspektiven nicht über die „Sicherung des Wachstums“ hinausweisen – denn das heute herrschende Verständnis von Wachstum ist ja gerade die Ursache der Konflikte.

Bleibt also nur die Hoffnung, dass die von  Putin genannten weltweiten Impulse aus den unruhig werden Bevölkerungen, selbst die Dinge in die Hand nehmen zu wollen, die „Eliten“ zwingen neue Wege zu gehen – oder selber zu gehen. Ob das auch seine eigene Perspektive ist, ließ Putin in seiner Rede offen.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

Erscheint demnächst:

Kai Ehlers, Die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen, Neuauflage, hrsg. vom Verein zur Förderung der deutsch-russischen Medienarbeit e.V., Dezember 2016,

Bestellungen über www.kai-ehlers.de

[1] Dieser Absatz wie alle folgenden  Passagen der Waldai-rede Putins werden zitiert nach der englischen Übersetzung aus sott.net: https://www.sott.net/article/332371-Putin-2016-speech-at-Valdai-Discussion-Club

[2] Siehe dazu auch: Kai Ehlers, “Wladimir Putins Botschaft an den Westen – ein Zeitfenster für Alternativen“, nachzulesen u.a. auf www.kai-ehlers.de

[3] https://de.sputniknews.com/politik/20151022305127363-garantierte-gegenseitige-vernichtung/

[4] Dieses und die folgenden drei Zitate aus „Selbstmörderische Supermacht“, Kommentar in der FAZ vom 5.11.2016

„Values and deals“ – Anmerkungen zu einem verborgenen Aspekt des syrischen Krieges

Dass es in Syrien nicht um das Wohlergehen der dort lebenden Menschen geht, bedarf keiner Beweise: 400.000 Tote, 11,6 Millionen Menschen auf der Flucht, ein zerstörtes Land. Diese Tatsachen sprechen für sich. Dass dem Terrorismus mit Bomben nicht beizukommen ist, gleich, wo sie produziert, von wem sie abgeworfen werden und wie entschlossen sich alle Beteiligten geben, ist ebenso offensichtlich. Dass es um den geostrategischen Zugriff auf diesen Raum geht, um Zugriff auf Ressourcen, um den Zugang zum Mittelmeer wie auch zum Indischen Ozean, ist auch klar. Das alles kann selbstverständlich nicht oft genug wiederholt werden.

Aber etwas Drittes rückt in den aktuellen Absprachen zwischen USA und Russland um einen Waffenstillstand zurzeit in Syrien zutage, was einer genaueren Betrachtung bedarf. Deutlich wurde das durch einen irritierenden Auftritt Bascha al Assads unmittelbar nach Bekanntgabe der zwischen den USA und Russland getroffenen Absichtserklärungen ihre Parteigänger – „Rebellen“ hier, Assads Truppen dort – zu einer Einstellung der Kämpfe veranlassen zu wollen:

„Der syrische Staat“, ließ Assad bei einem, wie die FAZ zu Recht als besonders bemerkenswert hervorhebt, „seltenen öffentlichen Auftritt“ demonstrativ verlauten, „ist entschlossen, jedes Gebiet von den Terroristen zurückzuerobern“. Die Syrischen Streitkräfte, so Assad  weiter,  würden ihre „Arbeit unerbittlich und ohne Zögern, unabhängig von inneren oder  äußeren Umständen“  fortsetzen. (Zitiert nach FAZ, 13.09.2016)

Was war das? Die Ansage eines unverbesserlichen „Schlächters“? Eine Provokation? Verzweiflung? Eine Dummheit? Ein abgesprochener Auftritt? Wenn abgesprochen, dann mit wem und wofür?

 

Schweigen zu Assad

Bei genauerem Nachforschen fällt auf, dass in den aktuellen Verlautbarungen zu den Waffenstillstandsverhandlungen nichts darüber ausgesagt wird, welche Rolle Assad in der von Amerikanern und Russen angekündigten Wende spielen soll, nachdem zuvor aggressiv über die Rolle Assads als Staatspräsident gestritten wurde.

Die russische Position war bisher eindeutig: Syrien ist ein souveräner Staat, Assad sein gewählter Präsident. Niemand hat das Recht zu intervenieren und einen „Regimechange“ zu erzwingen. Eine Ablösung Assads kann nur durch Wahlen erfolgen.

Die amerikanische Position war ebenso eindeutig. Sie ist durch das schon unter G.W. Bush entwickelte „Project of a new American century“[1] unmissverständlich und schamlos genug propagiert worden und durch die Praxis der Interventionen im Iran, in Afghanistan, im Irak und in Libyen ausreichend belegt. Krönung dieses Projektes, mit dem der mesopotamische Raum für US-amerikanische Interessen aufbereitet werden sollte, sollte die „Demokratisierung“ Syriens werden. Auch dies ist sattsam bekannt.

Weniger bekannt ist, wie Assad selbst zu dieser Frage steht. Hier lohnt ein Blick auf ein von der „Deutschen Welle“ gezeigtes  Interview[2], das Assad dem US-Sender NBC im Juli 2016, also schon unter den Vorzeichen einer möglichen amerikanisch-russischen Annäherung,  zu der Frage gab, wie er zu dieser Annäherung stehe.

Assads Antwort verblüfft, wenn er den Unterschied zwischen den beiden Mächten auf den frappierenden Nenner bringt, den er „value and deal“ nennt – „value“ als Motivation für die russische, „deal“ für die amerikanische Intervention.

In den Worten der „Deutschen Welle“ klingt das so: „Anders als die Politik der USA fuße die russische Politik nicht darauf, Abmachungen zu treffen (deal), sondern auf Werten.  Damaskus und Moskau teilten ein gemeinsames Interesse am Kampf gegen den Terrorismus, der überall zuschlagen könne, so Assad.“

Die Russen, so Assad weiter, seien vom syrischen Staat eingeladen worden, die Amerikaner nicht. Ein souveränes Land habe das Recht einzuladen, wen es für richtig halte. Wer nicht eingeladen werde, habe kein Recht einzugreifen und halte sich illegal im Lande auf.

 

Polare strategische Optionen

Auf den Punkt gebracht, stellen sich die strategischen Optionen, die hier aufeinandertreffen, so dar: Russland verfolgt, man ist versucht zu sagen, seit undenklichen Zeiten, jedenfalls lange vor Putins Antritt als Präsident, schon seit  Michail Gorbatschow, selbst unter Boris Jelzin, die Linie der Schaffung einer neuen globalen Ordnung, einer Reform der UN unter dem leitenden Gedanken der Souveränität der Nationen, der Selbstbestimmung der Völker in kooperativer Solidarität unter dem Schirm der UN.

Im gleichen Zeitraum, spiegelverkehrt sozusagen, nehmen die USA sich heraus, die UN, die Souveränität kleinerer Staaten, das internationale Recht  beiseitezuschieben und die von ihnen propagierte Politik des „Regimechanges“ mit der Folge der Fraktionierung der globalen Ordnung  zu betreiben. Syrien war auf dieser Line, wie gesagt, die letzte geplante Station. G.W. Bush setzte dabei auf unmittelbare militärische Gewalt. Der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Barack Obama ging dazu über, internationales Recht mit einer drohnengesteuerten globalen Lynchpraxis zu liquidieren.

Mit der Zerschlagung „Libyens“ war für Russland das Hinnehmbare erreicht. Aber es war nicht nur nicht das Hinnehmbare erreicht,  Russland ist inzwischen auch soweit zu Kräften gekommen, dass es sich erlauben kann, der von den USA betriebenen Politik der Fraktionierung nicht nur verbal, sondern konkret, auch machtpolitisch entgegenzutreten.

Als Ergebnis bleibt die Frage, was jetzt mit Assad geschieht, wenn die USA und Russland als die beiden entscheidenden Mächte sich jetzt darauf einigen eine „Wende„ herbeiführen zu wollen. Ist Assad dann das Bauernopfer, das Russland unter Aufgabe seiner bisherigen Position bringt? Oder sind die USA auf die Linie Russlands eingeschwenkt, wonach das syrische Problem, der gesamte mesopotamische Aufruhr nur zu befrieden ist, wenn die syrische Souveränität geachtet wird, wenn Wahlen zu einem neuen syrischen Staatspräsidenten unter Aufsicht der UN durchgeführt werden? Assad würde dem, wie er in dem oben zitierten Interview mehrfach bekräftigt, zustimmen, wenn die Souveränität und des Landes erhalten bliebe und seine Einheit wiederhergestellt werde.

 

Souveränität für alle?

Hier erhebt sich die weiterführende prinzipielle Frage, ob der zweiten Seite des heute geltenden Völkerrechtes, nämlich dem Recht auf Selbstbestimmung einer Minderheit, einer Bevölkerungsgruppe, eines Volkes die gleiche  Gültigkeit zugestanden wird wie der staatlichen Souveränität. Im syrischen Konfliktfeld betrifft das die Kurden, die heute drei verschiedenen Staaten leben – in der Türkei, im Iran und eben auch in Syrien, wo die syrischen Kurden sich inzwischen im Zuge des Zerfalls der syrischen Staatlichkeit zur autonomen, im Gegensatz zu ihrer gesamten Umgebung rätedemokratisch orientierten Republik „Roschawa“ erklärt haben – ohne bisher als eigener Staat anerkannt worden zu sein.

Würde „Roschawa“ von einem souveränen Syrien anerkannt, dann könnte ihre Verfassung nicht nur zu einem Modell für ganz Syrien werden, es könnte sich darüber hinaus die Lösung der syrischen Frage als internationales,  als übergreifendes Beispiel erweisen, das auch für andere vergleichbare Fälle Maßstäbe lieferte, nicht zuletzt auch für die Ukraine. Im Prinzip geht es dort ja um das gleiche Problem, um das Recht nämlich von Teilen der Bevölkerung des ukrainischen Landes auf Autonomie, sowohl der Krim als auch des abgetrennten Ostens, um das Recht auf Loslösung und staatliche Eigenständigkeit oder gar Anschluss an ein anderes Land.

Unter dem Stichwort „Value“ oder „Deal“ hat Assad die unterschiedlichen Positionen von Russland und den USA zu diesen Fragen durchaus treffend auf den Nenner gebracht. Die Frage ist nur, ob er selbst bereit ist, die Souveränität, die er für den syrischen Staat in Anspruch nimmt, in Form des Selbstbestimmungsrechtes auf Autonomie oder gar Abtrennung auch für „Roschawa“ gelten zu lassen.

Ähnlich ist die Frage an alle Kräfte zu stellen, die in den syrischen Konflikt verwickelt sind – angefangen bei den USA und Russland über die Türkei zum Iran, die allesamt nicht bereit sind den Kurden ein Selbstbestimmungsrecht zuzubilligen, sie nur als Schützenhilfe gegen den „IS“ instrumentalisieren wie die USA und bei nächster Gelegenheit fallen lassen, oder gar, wie die Türkei, sie als „Terroristen“ bekämpfen.

Was also als Herausforderung aus dem syrischen Kampffeld hervortritt, ist die Notwendigkeit einer völkerrechtlichen Ordnung, die staatliche Souveränität  und Selbstbestimmungsrecht der Völker in ein neues Verhältnis zueinander bringt. Das könnte geschehen, indem als drittes Element das Selbstbestimmungsrecht des Individuums mit in den Zusammenhang eingeht – eine Aufgabe der Zukunft.

Im syrischen Krieg, heißt das alles, geht es nicht nur um das Abstecken von Interessensphären, nicht nur um den unmittelbaren Zugriff auf Ressourcen, hier geht es darüber hinaus um die viel weiterführende Frage, WIE das geschieht.  Wie werden die divergierenden Interessen einer vielfältiger werdenden Welt in Zukunft miteinander in Übereinstimmung gebracht – durch nackte Gewalt oder durch internationale Kooperation und darauf beruhende Vereinbarungen. In der Antwort auf diese Frage liegt zugleich die mögliche Lösung des terroristischen Problems, die nur eine Zukunft hat, wenn die Welt nicht dem Diktat einer einzigen globalen Macht unterworfen ist.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Project_for_the_New_American_Century

[2] https://www.google.de/?gws_rd=cr&ei=bpvZV-vPLq-W6QSL8KbADw#q=DW+USA+wollen+in+Syrien+mit+Russland+zusammenarbeiten

Brexit, Russland, Noworossija Kritischer Blick aus Russland auf die (europäische) Linke

Kai Ehlers/Boris Kagarlitzki

(Kai Ehlers) Der Brexit bringt es an den Tag: Wer geglaubt hat, das politische Russland nähme keinen Anteil am europäischen Geschehen, weil es zu sehr mit sich selber beschäftigt sei, sieht sich dieser Tage eines Besseren belehrt.

Zwar hält sich das offizielle Russland mit Stellungnahmen weitgehend zurück, um so aufmerksamer  jedoch werden die Vorgänge  von Seiten der radikaldemokratischen Opposition verfolgt, wie dem unten folgenden Text aus dem Moskauer ‚Institut für Fragen der Globalisierung‘ zu entnehmen ist. Das Institut, das von Boris Kagarlitzki geleitet wird, vertritt die radikaldemokratischen Teile der Opposition in Russland. Seine Vertreter sind nicht zu verwechseln mit den Kritikern,  die Putin  bis heute mit Argumenten des gescheiterten Jelzinschen Liberalismus attackieren.

Im radikaldemokratischen Lager fühlt man sich aktuell an die Erfahrungen erinnert, die in den zurückliegenden drei Jahren mit dem Verlauf der ukrainischen ‚Revolution‘ gemacht werden mussten, wo Ansätze zur Entwicklung von Demokratie in Nationalismus und Separatismus stecken geblieben sind und schließlich in  dem ‚eingefrorenen Konflikt’ endeten, den wir heute sehen.

Zur Kritik an der Politik des Westens, der ‚Demokratisierung‘ predigte, aber wirtschaftlichen Niedergang und die faktische Kolonisierung eines „failed state“ für die Ukraine brachte, kommt die ernüchternde Bestandsaufnahme  für den östlichen Teil des Landes hinzu, in dem die Visionen für Autonomie und Selbstbestimmung im Zuge des  inner-ukrainischen Krieges in einer Militärverwaltung untergingen.

Zur Erinnerung: Im Juli 2014, kurz nach dem Übertritt der Krim in russisches Staatsgebiet, fand in Jalta/Krim eine  Konferenz des internationalen Solidaritätsnetzwerkes der Globalisierungsgegner statt, das zur Solidarität mit den von einem Krieg bedrohten Menschen in der Ukraine aufrief.  Von den rund  70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kamen vier Fünftel aus den autonomen Republiken Donezk, Lugansk und anderen nach Autonomie strebenden Teilen der Ukraine, die übrigen aus Russland, Europa, Kanada und den USA.

Die Konferenz verabschiedete eine „Erklärung von Jalta“, die zur Solidarität mit den vom Bürgerkrieg bedrohten Menschen in der Ukraine aufrief. Darüber hinaus verabschiedeten die Versammelten den Entwurf einer vorläufigen rätedemokratischen Verfassung mit Grundstrukturen wirtschaftlicher und politischer Selbst- und Mitbestimmung in den zu schaffenden zukünftigen autonomen Regionen der Ukraine.

(Details zu der Konferenz vom Juli 2014 und Wortlaut der Jalta-Erklärung in deutscher Übersetzung auf der Website von Kai Ehlers unter dem Stichwort ‚Yalta-Erklrärung“ oder über die LINKS:  https://test.kai-ehlers.de/2014/07/erklaerung-von-jalta/ und: https://test.kai-ehlers.de/2014/07/internationale-konferenz-in-jalta-aufruf-zur-verteidigung-der-menschenrechte-in-der-sued-und-ostukrainekonferenz/

Die Ansätze für eine basisorientierte Demokratisierung, die in der Aufbruchstimmung der sich formierenden Donbas-Republiken formuliert wurden, wurden  aber nicht nur Opfer des Bürgerkrieges, in dem Kiew demonstrierte, dass es nicht bereit war und ist, Strukturen der Selbstverwaltung  und Autonomie zu akzeptieren. Sie wurden auch Opfer der etablierten russischen Politik, die kein Interesse an revolutionären, ja, nicht einmal an radikaldemokratischen Entwicklungen hatte und bis heute  nicht hat – weder im eigenen Lande, noch in dem von ihm unterstützten Donbas.

Die folgende Analyse von Boris Kagarlitzki, der die  Ansätze zur demokratischen Selbstorganisation in den nach Autonomie strebenden Gebieten der Ukraine seinerzeit aktiv zu fördern suchte, beleuchtet die Parallelen zwischen dem Scheitern der ‚Demokratisierung‘ der Ukraine, insonderheit der Niederschlagung der Ansätze zur Selbstverwaltung im Donbas und den europäischen Entwicklungen, die zum Volksentscheid in England führten.

Vor dem Hintergrund der existenziellen nachsowjetischen Brüche und angesichts des harten Kampfes um neue soziale Organisationsformen und die Erhaltung der Einheit der russischen Gesellschaft kommt Kagarlitzkis Text in Kategorien daher, die in der moderaten Protestkultur Europas zurzeit nicht geläufig sind. Man wird sich aber wohl darauf einstellen müssen, solche Töne auch hier wieder öfter zu hören und sich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen.

Kai Ehlers,

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Brexit und Novorossija

(Zwischenüberschriften sind von Kai Ehlers gesetzt)

(Boris Kagarlitzki) Die Abstimmung der Briten, die sich für die Trennung von der Europäischen Union aussprachen, rief nicht nur Panik auf den Finanzmärkten hervor, sondern auch einen weltweiten Ausbruch der Empörung der liberalen Intellektuellen. Verblüffend dabei  ist, dass die Kommentare, die wir in den linksliberalen Publikationen auf dem Kontinent lesen, fast wörtlich mit dem übereinstimmen, was die Rechtsliberalen in der russischen Presse schreiben: Die Wahl der Briten erkläre sich ausschließlich durch Provinzialismus, Rückständigkeit, Xenophobie, Homophobie, durch die „Angst vor der Immigration“ und sogar durch Rassismus.

Die Autoren stören sich nicht einmal daran, dass viele von ihnen selbst noch vor kurzem England als das Musterbeispiel einer modernen, toleranten und demokratischen Gesellschaft präsentierten. Niemand interessiert sich für die Statistik, die mit der Teilung der Stimmen weniger in den Rassen- oder Genderunterschieden übereinstimmt, als in einem wesentlich bedeutenderen Maß den Klassenunterschied widerspiegelt.

Für den Austritt aus der EU stimmten vor allem die Arbeiterklasse und die unteren Schichten der Gesellschaft. Diese sozialen Schichten sind in der Regel tatsächlich nicht besonders gut gebildet, nicht selten auch mit Vorurteilen infiziert und ganz gewiss in den Neuheiten der postmodernistischen Philosophie nicht bewandert. Aber gerade die Bereitschaft der Linken sich selbst in einem Kultur-Ghetto einzuschließen, ihre Vorliebe dafür, sich  mit  ausländischen Kollegen auszutauschen, statt  unter den eigenen „unreifen“ Mitbürgern Aufklärungsarbeit zu leisten, zeichnet in hohem Maße die aktuelle Sachlage vor oder mehr, verschlimmert sie noch. Sehr leicht ist es, eine imaginäre und virtuelle Arbeiterklasse aus  romantischen Büchern oder Filmen zu lieben, wesentlich schwieriger ist es, die Bedürfnisse und Nöte der real existierenden unteren Schichten zu verstehen.

Sinn und Inhalt der Ereignisse zu erörtern ist viel zu gefährlich, es könnte unangenehme Fragen hervorrufen. Genau deshalb möchte niemand darüber diskutieren, wie sich die Systemkrise der Europäischen Union entwickelt, die nichts anderes darstellt, als die institutionelle Verkörperung des Neoliberalismus. Oder die Tatsache, dass die Massenstimmungen in Großbritannien die Oberhand über den Konsens der Eliten gewannen: unter Bedingungen, als alle wichtigen Parteien zur Wahl des Status Quo aufriefen, als die führenden Publikationen und die offiziellen Vertreter der Expertengemeinschaft das Volk einstimmig aufforderten, alles beim Alten zu lassen, und im Fall der falschen Wahl mit allen möglichen Heimsuchungen drohten, entschied sich das Volk. die Veränderung zu wählen.

Die Wahl des Brexit als einen Ausdruck des englischen (oder noch ein wenig – walisischen) Nationalismus zu verstehen, ist für die Eliten sowohl Russlands als auch Westeuropas bequem und nutzbringend, nicht nur weil eine solche Interpretation uns von der Frage des Systemcharakters der Krise wegbringt. Die Diskussion wird auf eine „falsche Fährte“ gelockt, um die Erörterung einer  praktischen Politik zu blockieren, die es erlaubt, die Protestwahl in den Anfang weitreichender Veränderungen zu verwandeln, die potentiell  revolutionären Charakter tragen.

 

‚Rechtsruck‘ der europäischen Linken

 Unter den westlichen Linken zeichneten sich solche Tendenzen schon damals ab, als die radikal antikapitalistische Rhetorik Antonio Negri’s und seiner Anhänger während des französischen Referendums über die Europäische Verfassung zur Grundlage der Agitation für die Übernahme des offiziellen Brüsseler Projekts wurde. Damals führte die gleiche Wahl gegen die EU faktisch nicht nur zum Sieg der Linken, sondern auch der Anhänger der „französischen Eigenart“, jedoch hatten die Linken zu diesem Zeitpunkt die Führung in der „Nein“-Bewegung und konnten diese Tatsache erfolgreich ignorieren.

Im Verlauf der seither vergangenen Jahre änderte sich die Situation nur darin, dass die Linken in ganz Europa nach rechts gerückt sind und den Slogan der europäischen Integration in die Legitimation ihrer eigenen Bereitschaft verwandelten, die gegebene Ordnung zu akzeptieren, praktisch im Austausch für das Privileg diese theoretisch zu kritisieren. Von diesem Moment an, unabhängig von der Radikalität der Worte, nahmen die respektablen linken Intellektuellen in jeder Situation einer praktischen Wahl die Seite der neoliberalen Eliten ein – gegen die „ungebildete“ und „rückständige“ Bevölkerung.

Internationalismus besteht aber nicht darin, die Integrationspolitik, die im Interesse des globalen Kapitals durchgeführt wird, mit Rührseligkeit zu unterstützen, sondern darin, auf der internationalen Ebene einen Widerstand gegen diese Politik solidarisch und koordiniert zu führen. Der Verrat der Intellektuellen wurde zum gesamteuropäischen Phänomen, nachdem die Klassenmerkmale durch kulturelle  Theorie und vielfältige elegante „Diskurse“ ersetzt wurden, deren Reproduktion zu dem Hauptkriterium mutierte, das erlaubte die „Unseren“ von den „Fremden“ zu unterscheiden.

 

‚Verratene Massen‘

 Die von den Linken verratenen und vergessenen Massen wurden nicht nur sich selbst überlassen. Indem sie ihre Vorurteile und den politischen Aberglauben behielten und noch mehr als vorher kultivierten, wurden sie  noch empfänglicher als zuvor für die nationalistische Ideologie. Wenn die Tätigkeit der Banker und der „über alle Grenzen hinweg“ agierenden Korporationen sich praktisch als der Inbegriff des “Internationalismus“ darstellt, und die demokratischen Rechte zugunsten der von niemanden gewählten und niemandem (außer vor den gleichen Bankern) verantwortlichen europäischen Beamten beschnitten werden, verwundert es nicht, dass einfache Menschen ihre Erlösung an Hoffnungen in einen Nationalstaat festzumachen beginnen.

Interessant, dass die europäischen Intellektuellen durchaus bereit waren, die Berechtigung dieser Gefühle unter Einwohnern Lateinamerikas anzuerkennen, in Russland aber schon nicht mehr.  Und je mehr  ähnliche  Proteste sich in den Ländern des „Zentrums“ zu entwickeln begannen, die dort Veränderungen von globaler Bedeutung herbeiführen können, traten die Ideologen der liberalen Linken einträchtig für den Schutz der bestehenden politischen Ordnung und der dominierenden Ideologie ein. Die gesellschaftliche Basis der Länder Europas wurde als „rückständig“, „inadäquat“ und „wild“ deklariert, genauso, wie man vor 150 Jahren die Eingeborenen als rückständig und wild bezeichnete, die der Kolonisation unterworfen werden sollten.

Es ist bezeichnend, dass in diesem Zusammenhang die russische liberale Öffentlichkeit erneut als Wegbereiter der antidemokratischen Reaktion hervortrat. Ihre Philippika an die Adresse ihres eigenen „mit mangelndem Bewusstsein ausgestatteten“ Volkes übertraf in erstaunlichem Maße die Muster, Ideen und Stereotypen, die sich – nur erst später – unter den Intellektuellen im Westen verbreiteten.

Dass die „Eingeborenen“, unabhängig von ihrem Kultur- und Bildungsniveau, gleichwohl Interessen und Rechte besitzen, stellt sich erst dann heraus, wenn die ignorierten und „unzivilisierten“ Massen aufhören zu schweigen. Ja, ihre Sprache erweist sich als stotterig und sogar einfältig. Aber in ihr klingen die Wahrheit und der Wille derer, die man lange Zeit nicht hören wollte.

Indes bedeutet die Bereitschaft der Menschen unangemessene und altmodische Formeln zu wiederholen bei Weitem nicht, dass sie ihre unmittelbaren Interessen vergessen. Sie beginnen zu handeln, ausgehend von  ihren eigenen Nöten, sind jedoch gezwungen ihre Bedürfnisse in unangemessener Form zu formulieren. Dafür muss man zuallererst den Linken – in England und auf dem Kontinent – die Schuld geben, die sich die Führung in der Bewegung der Massenproteste aus der Hand nehmen ließen, beziehungsweise es nicht vermochten, diese zu erlangen. Gerade die berauschende Selbstvergiftung der linken Intellektuellen mit den modernen liberalen Ideen spielte hier eine verhängnisvolle Rolle – nicht nur für den Massenprotest, sondern in erster Linie für die Intellektuellen selbst, die heute aus dem Ohnmachtsschock noch nicht erwacht sind: sie werden von der Bevölkerung in England genauso abgestoßen, wie in Russland.

 

Russische Linke und Novorossija

Kein Wunder, dass die Spaltung der Linken auf dem Kontinent (und ebenso in England) in Bezug auf Brexit sich genauso darstellt wie die in Russland und in der Ukraine in Bezug auf die Ereignisse in Novorossija. Dort und hier sahen wir den Aufstand von unten, der von dem radikalen Teil der linken Bewegung unterstützt wurde,  welcher der Klassenideologie gegenüber loyal blieb. Dort und hier sahen wir, dass die Forderung nach sozialen Rechten, der Protest gegen die neoliberale Politik der Europäischen Union und gegen die eigene Regierung oft einen Ausdruck in „unangemessenen“ Parolen fand – nach einer „russischen Welt“ oder einer „britischen Eigenart“. Dort und hier nahmen die raffinierten liberalen Intellektuellen die Unkorrektheit des völkischen „Diskurses“ zum Anlass, denen Solidarität zu versagen, die wirklich für gesellschaftliche Veränderungen kämpfen.

Die russischen Intellektuellen mit ihrer Verachtung für das eigene Volk und ihrer Bereitschaft, ihm unentwegt sein Unverständnis für die „europäischen Werte“ vorzuwerfen, fand endlich die folgerichtigen Gleichgesinnten auf beiden Seiten des Ärmelkanals.

Und wenn vor drei oder vier Jahren die Ereignisse in der Ukraine und Novorossija dem westlichen Intellektuellen als eine kurzweilige, aber etwas beängstigende Exotik erschienen, so sehen wir jetzt, dass sie lediglich ein besonderes Modell des gesamteuropäischen, vielleicht sogar weltweiten Prozesses demonstrierten.

Unglücklicherweise kann man geschichtliche Veränderungen nicht durch eine einmalige Willensäußerung an den Wahlurnen erreichen. In England beginnt alles erst. Die Regierungskreise der Insel verbergen ihr Streben nicht, den Willen der Bürger zu sabotieren, auch wenn sie diesen verbal anerkennen. Allein die Machtübernahme einer linken Labour-Regierung unter der Leitung von Jeremy Corbyn würde ernsthaft und konsequent erlauben, die Urteile des Referendums zu erfüllen. Der Bewegung für den Austritt aus der EU steht bevor, nicht nur den Widerstand der konservativer Eliten zu überwinden, sondern auch das Schwanken der Labour-Führung  und sogar seines Parteivorsitzenden selbst, der sich im Moment der entscheidenden Wahl nicht entschließen konnte, die eigenen Anhänger öffentlich zu unterstützen.

 

Großbritannien vor dem Zerreißen?

Während der Auseinandersetzung wird man unzweifelhaft versuchen, Großbritannien zu bestrafen, indem man den Staat auseinanderreißt. In diesem Zusammenhang steht den Linken bevor, ihr Verhältnis zu ihren „kleinen Völkern“ zu überdenken, ebenso wie die Bolschewiki nach 1917 dazu gezwungen waren. Wenn sie die territoriale Einheit nicht hätten erhalten können, hätten sie keine Chance gehabt, eine so massive Transformation umzusetzen. Und wenn Lenin und seine Mitstreiter nicht ein Land mit einer mächtigen Verteidigungsindustrie und reichen Kriegstraditionen geerbt hätten, hätten die „Roten“ kaum den Bürgerkrieg gewonnen.

Heute beobachten wir die gleiche geopolitische Logik in Großbritannien. Kaum hat sich die Mehrheit in England für eine Abspaltung von der Europäischen Union ausgesprochen, erklang sogleich die Forderung nach der schottischen Unabhängigkeit, die für ein Bestreben des „europäischen und fortschrittlichen“ Schottlands ausgegeben wird, sich von dem „rückständigen und provinziellen“ England abzuspalten. Aber es genügt, einen Blick auf das Geschehen auf dem Kontinent zu werfen, um zu verstehen – gerade die englischen Wähler drückten die neuen gesamteuropäischen Tendenzen und Bedürfnisse (in ihrer besten und schlimmsten Gestalt) aus. Das britische Referendum weckt nicht nur die nationalen Gefühle der kontinentalen Völker, sondern dient als Mobilisierungssignal für alle, die danach streben, das neoliberale Regime der Wirtschaft zu beenden und einen gesamteuropäischen Marsch auf die Wiederherstellung eines Sozialstaates zu beginnen. Aber die schottischen Nationalisten, ungeachtet ihrer ganzen progressistischen und modernistischen Rhetorik, zeigten sich als das, was sie wirklich sind – die Erben der Reaktionär-Jakobiner, die gegen die englische Revolution kämpften und sich dem gesamteuropäischen Fortschritt bereits im XVII und XVIII Jahrhundert widersetzten.

Genau damals wurde die Frage der schottischen Unabhängigkeit gelöst, die sich als ein Hindernis für die herangereiften Veränderungen nicht nur in England, sondern zu allererst in Schottland selbst erwies.

 

‚Revanche‘ für Thatchers Erbe

1980 verkündete der Machtantritt Margaret Thatcher’s den Beginn der neoliberalen Ära zunächst für Europa und später für die ganze Welt. Diese Ereignisse, zunächst als englische Einzigartigkeit wahrgenommen, nahmen nach und nach ein globales Ausmaß an. Der reaktionäre Angriff auf den „Sozialismus“, von Thatcher ausgerufen, endete in der Zerschlagung des sozialen Staates auf dem gesamten europäischen Kontinent, einschließlich der UdSSR-Republiken.

Fixiert wurde der reaktionäre Sieg durch den Vertrag von Maastricht, der die Europäische Union in ein neues Gefängnis der Völker verwandelte, in dem jeder Versuch den Neoliberalismus zu überwinden, sich als ein Anschlag auf die Verfassungsordnung darstellt. Zu diesem Zeitpunkt bildete sich das Schicksal der Sowjetrepubliken vollständig heraus. Selbst die Teile, die nicht offiziell in den europäischen Integrationsprozess eingebettet waren (wo man nur die „saubereren“ Baltikum-Staaten zuließ), nahmen mehr oder weniger die Logik der Privatisierung und antisozialer Reformen an.

Wie sehr die Veränderungen, die sich in den frühen 1980-ern in England entfalteten, unser eigenes Schicksal beeinflussten, erfasste unsere Gesellschaft (die damals gelähmt und unbeweglich erschien) in vollem Maße erst Jahrzehnte später. Das, was heute in England geschieht, betrifft uns nicht weniger. Wir sehen den Anfang einer neuen historischen Etappe, im Laufe derer die Chance hochkommt, den Neoliberalismus zu besiegen und auszumerzen und die gesellschaftliche Ordnung im eigenen Land genauso wie in ganz Europa zu verändern. Die Massen, denen ihre demokratische Souveränität von den liberalen Eliten gestohlen wurde, erhalten endlich die Gelegenheit für eine Revanche.

Der Kampf europäischer Völker gegen das neoliberale Regime der Europäischen Union bildet den wichtigsten politischen Inhalt der Epoche. Das Ergebnis dieses Kampfes hängt vom Umfang der Solidarität zwischen den Basisbewegungen und ihrer Fähigkeit ab, sich aufgrund der gemeinsamen Ziele und Aufgaben zu einigen, die Vorurteile und Illusionen zu überwinden und zu demontieren, und sich von entwertetem Vokabular und den veralteten Begriffen zu befreien.

Und wenn auch die politische Situation in Russland heute hoffnungslos gelähmt erscheint, wird unser Land auch diesmal nicht nur nicht neben dem sich entfaltenden globalen Prozess stehen, sondern wird sich höchstwahrscheinlich, wie es schon mehrmals in der Geschichte vorkam, als der Platz erweisen, an dem dieser Prozess seinen Höhepunkt erreicht und wo die entscheidende Schlacht stattfinden wird.

 

 

bei Kai Ehlers zu  zu beziehen:

 25 Jahre Perestroika – Gespräche mit Boris Kagarlitzki, Laika Vlg, Hamburg, 2014/5.

Band I: Gorbatschow und Jelzin, ISBN: 978-3-944233-28-4, 19,00 €

Band II: Putin, Medwedew, Putin, ISBN 978-3-944233-28-4 18,00 €

Die beiden Bände geben einen authentischen, chronologisch verfolgbaren Einblick in die politischen Bewegungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Einsichten und Irrtümer der russischen Linken während und nach Perestroika

und im heutigen Russland.

Ein großer Tag in der europäischen Geschichte

Boris Kagarlitski

Direktor des ‚Instituts für Globalisierung und soziale Bewegung’ (IGSO) in Moskau,

Aus dem Russischen von Kai Ehlers

Niemand hatte an diesen Sieg geglaubt. Sogar die, die die Kampagne für Großbritanniens Auszug aus der EU angeführt hatten, hatten nicht erwartet, dass am Morgen des 24. Juni 2016 verkündet werden würde, dass die Mehrheit für den Bruch mit der Brüssel’schen Bürokratie und der Politik des vergangenen Viertels des Jahrhundert gestimmt haben würde.

Die britische Entscheidung, sich zurückzuziehen, schickte Sturmwellen über den Kontinent. Die Eliten der Staaten waren verwirrt, die Märkte gerieten in Panik. Euro, Pfund und Öl stürzten ab, die Börsen-Spekulanten waren fassungslos. Die Griechen fühlten sich gerächt für die Art wie sie von der EU behandelt worden waren. Menschen in den benachbarten Staaten diskutierten die Möglichkeit, die britischen Erfahrungen selbst zu wiederholen. Das Bewusstsein der Massen ist an einem Wendepunkt: Was undenkbar schien, was definitiv außerhalb jeder Sphäre der Möglichkeiten zu sein schien, war plötzlich Realität geworden.

Die EU-Gegner hatten gewonnen trotz der Tatsache, dass alle herrschenden Eliten vereint für die Erhaltung der herrschenden Ordnung gestimmt hatten. Schottische Nationalisten, irische Republikaner, sogar die Labour Party schlossen sich den regierenden Tories an und argumentierten, dass das Land bei einer falschen Wahl vor einer Katastrophe stünde. Die Mainstream-Medien, nahezu die gesamte politische Klasse, die bekanntesten Intellektuellen und Schriftsteller und die Stars im Sport machten Kampagnen gegen den Exit. Die vertrauten Gesichter im Fernsehen schienen zu einem zu verschmelzen. Und dieses eine verschwommene Gesicht log auf die verschiedenste Weise, überredete, schüchterte ein und schmeichelte den Wählern. Leider stimmte in letzter Minute auch noch Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der Labour Party in diesen Chor mit ein, allerdings mit Vorbehalt. Angesichts einer drohenden Spaltung der Partei gab er unter dem Druck des rechten Flügels nach und sprach vage davon, „in der EU bleiben zu wollen, um sie von innen zu reformieren“.

Solche Aufrufe – und es gab eine Menge davon – sind leer: Jedem ist klar, dass nichts Konkretes hinter den Aussagen steht: Die EU-Institutionen sind exakt dafür geschaffen worden, um sicher zu stellen, das die Grundsätze des Neoliberalismus die verfassungsrechtliche Grundlage der Union bleiben. Wenn man in diese Grundsätze eingreifen würde, würde die Union auseinanderfallen. Die EU-Strukturen sind im Rahmen dieser Logik geschaffen worden und die grundlegenden Verträge von Maastricht und Lissabon beruhen darauf. Zu einer Zeit, in der der Gedanke von einem „Vereinigten Europa“ bedeutete, dass Multis, das Finanzkapital und autoritäre Bürokratie ihre Vorstellungen verwirklichten, waren es nicht Voltaire, Diderot, Garibaldi oder sogar de Gaulle, sondern die Funktionäre der Europäischen Zentralbank, die die europäischen Werte festlegten.

Aber wie es immer geschieht, arbeitete das System gegen sich selbst. Offensichtlich hat die harte Linie der Politik, der die Bürokratie und die Finanzeliten zustimmten, letztlich das System untergraben.

Die Bedeutung dessen, was geschah, war für den durchschnittlichen Wähler schon lange bevor die Intellektuellen und die Analysten es realisierten, klar. Auch wenn die meisten nicht alles verstanden, sie fühlten es. Die meisten Briten zeigten, dass sie ihrer sozialen Erfahrung mehr vertrauten, als einem Fernsehbild und Demokratie herrschte über dieser „Spektakelgesellschaft“.

Als die Ergebnisse der Abstimmung zusammengefasst wurde, hat Lexit, eine Koalition von linken Gruppen eine Erklärung veröffentlicht: „Es wäre ein großer Sieg für die Labour-Party gewesen, hätte sie beschlossen die Revolte der Arbeiterklasse gegen die Politik der EU zu führen. Aber die Anhänger von Tony Blair haben Jeremy Corbin gezwungen, auf seinen langen Widerstand gegen die EU zu verzichten“.

Im Ergebnis kann man die Abstimmung für den Brexit als Erfolg der Nationalisten sehen und als Rache des englischen Provinzialismus oder einem Versuch, Europa den Rücken zuzukehren. Man kann darauf hinweisen, dass die einzige Partei, die standhaft das Verlassen der EU unterstützt hat, die rechtskonservative Independence Party (UKIP) war. Aber gemäß optimistischsten Schätzungen unterstützt nicht mehr als ein Viertel der Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, diese Partei. Mehr noch, als der Exit Tatsache wurde, hatte die UKIP keinen Handlungsplan, kein Programm und keine Parolen. Die Tatsache, dass viele der Menschen, die in Opposition zur EU stehen, sich entschieden für den Brexit zu stimmen –nachdem die Brüsseler Bürokratie Griechenland am Boden zerstört und gedemütigt hat –  wurde bewusst ignoriert. Sie waren gegen die EU, weil sie verstanden, dass die Beseitigung des neoliberalen Monsters die einzige Chance ist, Europa auf den Weg des sozialen Fortschritts und der Demokratie zurückzubringen.

Allerdings lautet die Frage nicht, wer von den Linken den Brexit befürwortet hat und wer Geisel des Establishments geblieben ist. Viel wichtiger ist, dass der Mann auf der Straße, der nicht zu den Linken zählt, Klassenbewusstsein meist mehr Fremden gegenüber als Intellektuellen zeigt. So seltsam es klingen mag, die meisten Brexit-Anhänger haben bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit den Anhängern von Novorussia (abtrünnige Region in der Ostukraine).  Bei beiden hier und dort sehen wir einen bizarren Mix von Patriotismus, lokalen Interessen und dem Wunsch nach Wiederbelebung des Wohlfahrtstaates, was alles vor lokalen Eliten und äußeren Bedrohungen beschützt werden muss. In beiden Fällen würden die Menschen eher fühlen als verstehen, dass sie nicht immer die richtigen Worte finden und oft Opfer von Vorurteilen sind.

Es ist jedoch die Aufgabe für Intellektuelle in Volksbewegungen, den Menschen zu helfen, ihre Vorurteile zu überwinden und von einem Fühlen ihrer Interessen zu einem bewussten Verstehen zu bringen. Inzwischen wenden sich in Großbritannien wie auch in Novorussia, viele der Linken in Ekel von den „falschen“ Menschen ab, anstatt mit ihnen zu revoltieren. Die Bourgeoisie und die liberalen Eliten sind – sagen wir mal – weit besser gebildet und weit besser mit den Feinheiten eines politisch korrekten Diskurses vertraut als Arbeiter, Bauern und Kleinunternehmer, die kämpfen, um die Marktreformen zu überleben. Früher oder später muss jeder wählen.

Das britische Referendum markiert den Beginn einer neuen Politik in Europa, einer Politik der neuen Möglichkeiten, in denen die Massen eine eigenständige Rolle zu spielen beginnen. Gestern war die Idee, aus der Europäischen Union auszutreten, bewusst aus der Liste der „ernsten“ Möglichkeiten ausgeschlossen, die Anhänger dieser Idee wurden verspottet und ausgegrenzt. Die Tatsache, dass diese „Randerscheinung“ sich der Unterstützung der Gesellschaft erfreut, zwingt uns, unsere Idee darauf zu überprüfen, was möglich oder unmöglich ist in dieser Welt.

Neoliberale Reformer – von Maggie Thatcher zu Anatoly Chubais – haben immer darauf bestanden, dass die Maßnahmen, die sie durchgeführt haben unumkehrbar sind. Es spielte keine Rolle, was die Leute dachten und wie die Institutionen funktionierten. Entscheidungen seien irreversibel, Reformen unwiderruflich. Jede politische, soziale, wirtschaftliche und gegebenenfalls persönliche Strategie musste von nun an in diesen engen Grenzen ausgebaut werden. Die meisten „seriösen“ linken Intellektuellen und Politiker haben nun ein und dieselbe Denkweise angenommen, weil das Establishment sie sonst nicht als seriös betrachtet hätte. Die Manipulation des Massenbewusstseins durch Propaganda ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Ordnung. Trotz der Intensität der Debatte bleiben aber die wirklich wichtigen Themen außerhalb des öffentlichen Diskurses.

Die Anhänger eines Verbleibens Großbritanniens in der EU beschränkten sich auf schöne Worte über die „Europäische Einheit“ und darauf, die Bürger einzuschüchtern. Die Engländer, die Schotten, die Waliser und die Nordiren wurden von einer Welle der Propaganda erschlagen. Die Anhänger der EU konnten nichts anderes anbieten, als den Status quo beizubehalten. Und die Menschen akzeptierten den Zustand jeden Tag weniger. Das System häufte Probleme an und weigerte sich trotzig, sie zu lösen, weil jeder Versuch, etwas durch Änderung der Entwicklungsrichtung wirklich zu beheben, zu einem bedeutenden Präzedenzfall, zu einem Umkippen des Grundsatzes der Unumkehrbarkeit geführt hätte.

Die britische Abstimmung war ein Wendepunkt, der den Zusammenbruch der kulturellen und psychologischen Barrieren, die die Unveränderlichkeit der neoliberalen Ordnung gewährleisten, kennzeichnen. Dies ist der Beginn einer Veränderung, nicht nur für Großbritannien, sondern für den ganzen Kontinent. Nun ist es unmöglich, die Kritik an der bestehenden Ordnung zurückzuweisen, indem man unterstellt, Alternativen seinen unbedeutend und frivol. Umgekehrt, es wurde festgestellt, dass das, was viele Jahre galt und als Mainstream betrachtet wurde, in Wirklichkeit von der Gesellschaft zurückgewiesen wurde.

Ein erheblicher Teil der Bevölkerung Europas begrüßt nicht nur die Entscheidung der Briten, sondern wird versuchen, sie zu wiederholen. Aufgrund der Maastricht- und Lissabon-Verträge war die EU für lange Zeit zu einem „Gefängnis der Nationen“ geworden und der Brexit hat den Menschen gezeigt, dass es einen praktischen Weg und eine echte Möglichkeit gibt, die EU zu verlassen. Wie auf einem Plakat zur Unterstützung des Brexit geschrieben steht „Ein anderes Europa ist möglich, eine andere EU nicht.“

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Über Boris  Kagarlitzki

Autor dieses Textes, Boris Kagarlitzkij, ist der heute im Westen bekannteste russische Reformlinke. Seine Stimme hat Perestroika von ihren Anfängen unter Gorbatschow, durch das Chaos bei Jelzin bis in die heutige Putinsche Restauration hinein kontinuierlich begleitet. Er wurde 1958 geboren, schloss sich als Student einer ‚Marxistischen Gruppe’ an, wurde noch unter Breschnjew verhaftet. Er saß anderthalb Jahre im Gefängnis. Mit einsetzender Perestroika wurde er freigelassen. Seitdem ist er aus sowjetkritischer Position heraus um eine Erneuerung des Sozialismus auf marxistischer Grundlage bemüht. Mit diesen Positionen ist er nicht mehr nur politischer Dissident der UdSSR, sondern unter verdrehten Vorzeichen auch im postsowjetischen Russland.

1990 bis 1993 war Boris Kagarlitzkij Mitglied der ‚Sozialistischen Partei Russlands’ und Abgeordneter des Moskauer Stadtsowjets, später Mitbegründer einer ‚Partei der Arbeit’ und Berater des Vorsitzenden des russischen Gewerkschaftsbundes.  Er ist Autor einer Reihe von Büchern, in denen er die Transformation der Sowjetunion im Prozess der globalen Neuordnung von heute analysiert.[1] Sein Weg führt ihn dabei von der Analyse der sowjetischen Krise aus der Sicht des kritischen Beobachters (‚Gespaltener Monolith’), über die Dokumentation praktischer Versuche Perestroika von unten her zu demokratisieren (‚Farewell Perestroika’) zu der Erkenntnis, dass Perestroika nicht zur Reform des Sozialismus, sondern zur Restauration kapitalistischer Verhältnisse geführt hat – und sogar führen musste. Mit seinem neuesten Buch ‚Aufstand der Mittelklasse’, das in deutscher Übersetzung zeitgleich und im gleichen Verlag mit dem Buch erschienen ist, das Sie in Händen halten, kommt er zur Erörterung der ‚Mittelklassen’ als möglicher zukünftiger Entwicklungskräfte. Das Buch bringt die Erfahrung aus der Restauration des sowjetischen Sozialismus in die Suche nach einem generellen sozialistischen Neuanfang ein.

Boris Kagarlitzkij ist heute Direktor des ‚Instituts für Globalisierung und soziale Bewegung’ (IGSO) in Moskau, Initiator und verantwortlicher Herausgeber des in Moskau erscheinenden Monatsbulletins ‚Linke Politik’ und Redakteur an der Internetplatform ‚www.RABKOR.ru’ Er schreibt regelmäßig für die ‚Moscow Times’[2] und ‚Eurasian Home’[3] und ist Mitarbeiter im ‚Transnationalen Institut’[4] (TNI)

[1] Siehe das Bücherverzeichnis im Anhang
[2] ‚Moscow times’ – die englischsprachige Tageszeitung erscheint seit 1992 in Moskau
[3] ‚Eurasian home’ – Website für Austausch Analysen über politisch-szilae Veränderungen im eurasischen Raum
[4]  ‘Transnational Institute’, internationaler ‘think tank’ für progressive Politik, 1973 in Amsterdam gegründet

 

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Bitte beachten Sie:

25 Jahre Perestroika – Gespräche mit Boris Kagarlitzki, Laika Vlg, Hamburg, 2014/5.
Band I: Gorbatschow und Jelzin, ISBN: 978-3-944233-28-4, 19,00 €

25 Jahre Perestroika – Gespräche mit Boris Kagarlitzki, Laika Vlg, Hamburg, 2014/5.
Band II: Putin, Medwedew, Putin, ISBN 978-3-944233-28-4 18,00 €

Die beiden Bände geben einen authentischen, chronologisch verfolgbaren Einblick in die politischen Bewegungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Einsichten und Irrtümer der russischen Linken während und nach Perestroika und im heutigen Russland.

Beim Autor, Kai Ehlers bestellen: info@kai-ehlers.de

 

EU – Brexit – Tür auf für eine Föderalisierung europäischer Regionen? Schlaglicht auf eine historische Tendenz.

Ein demokratisches Europa föderal verbundener Regionen, in dem die Menschen selbstbestimmt in kooperativer Gemeinschaft und Wohlstand miteinander leben können, ist eine wunderbare Vision. Was hat der Austritt der Briten aus der „Europäischen Union“ mit einer solchen Vision zu tun? Fördert er sie, schädigt er sie oder zerstört er sie gar?

Spekulieren über die nächsten konkreten Folgen des britischen Referendums macht wenig Sinn. Sehr viel mehr Sinn macht es, darüber nachzudenken, in welchem historischen Strom die britische Abstimmung steht. Das soll hier  in wenigen ersten Stichworten geschehen. Sie können zugleich ein Licht darauf werfen,  in wessen Interesse diese Entwicklung stattfinden könnte.

 

Zwischen Multipolarität …

Da  ist zunächst die Multipolarität: Mit dem Ende der Sowjetunion  Mitte der achtziger, Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts fand das Stichwort ‚multipolar‘ zugleich mit dem der Globalisierung seinen Eingang in die strategischen Optionen der neu entstehenden Weltordnung.

Es war Michail Gorbatschow, der es aus der Selbstbegründung des chinesischen Aufbruchs Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts in die Debatte darum brachte, wie er sich die neue Ordnung vorstellen könnte – ein Wirtschaftsraum  von Lissabon bis Wladiwostok  im Rahmen einer neuen Gruppierung der Weltmächte.

Unter Boris Jelzin versank die Vision des Multipolaren vorübergehend in der uneingeschränkten westlichen Dominanz über Russland, vor allem seitens der USA.  Unter neuen Zielsetzungen tauchte sie erst unter Wladimir Putin wieder auf, fand in den Verbindungen der BRIC-Staaten, der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), in Russlands Forderungen nach Reformen der Vereinten Nationen, um die herum sich die verschiedenen globalen Newcomer scharten, ihre Aktualisierung. Russland wurde zu ihrem Impulsgeber.

 

…und Globalisierung

Die Globalisierung der alten Welt im Stile der US-Hegemonie stand dem als Counterpart entgegen. Diese Art der Globalisierung entwickelte sich aber in einer extrem widersprüchlichen Dynamik: Strategisch setzen die USA seit dem Zerfall der bipolaren Welt auf eine Fraktionierung der globalen Staatenwelt, also auf die Methode „Teile und Herrsche“ und dies mit zunehmender  Gewalt. In Zukunft müsse verhindert werden, dass der Herrschaft der USA irgendwo auf der Welt noch einmal ein Rivale entstehen könne.

Wer dies genauer verstehen will, möge sich das bekannte Buch des US-Strategen Zbigniew Brzezinski „Die einzige Weltmacht“ von 1995 noch einmal vornehmen.[1]

Zugleich bauten die USA und ihre westlichen Verbündeten unter dem  Label der ‚Globalisierung‘ ein von ihnen dominiertes weltumspannendes Finanzimperium auf, das den globalen Flickenteppich abhängiger Nationalstaaten und in zunehmendem Maße auch zerschlagener „failed states“, freundlich gesprochen, nur noch absorbiert und zur Abstützung ihrer Herrschaft benutzt.

Ergebnis dieser Entwicklung ist das Heranwachsen eines krassen  Widerspruchs zwischen einer von der Hegemonialmacht USA betriebenen Fraktionierung der Welt und dem  unter ihrer Dominanz zugleich entwickelten Diktat einer wachsenden globalen Finanzdiktatur – WTO, GATT, GATS, aktuell TTIP, TTP  usw.

Diese widersprüchliche Entwicklung trägt unter dem daraus entstehenden Druck zunehmende katastrophale Züge, die lokale Wirtschaften und Kulturen und deren Staatlichkeit erdrückt. Zugleich jedoch geht aus ihr,  entgegen den Intentionen ihrer Urheber, eine Wiederbelebung, gewissermaßen eine Unterfütterung der multipolaren Tendenzen durch vielfältigste Bewegungen für lokale und regionale Autonomie, für mehr Kompetenzen vor Ort, für unterschiedlichste Formen der Kommunalisierung hervor usw., in denen sich die wachsende Unzufriedenheit der Menschen ausdrückt, die sich ihr Leben vor Ort nicht mehr zerstören lassen wollen, die es auch nicht mehr bei Protesten belassen, sondern es bis hin zu Revolten selbst in die Hand nehmen wollen.

 

Die EU im Strom des Multipolaren

In diesem Strom steht inzwischen auch die EU. Schon mit ihrer Gründung war sie ein neues Element zwischen den USA und der Sowjetunion in der von beiden in der Konkurrenz des ‚Kalten Krieges‘ beherrschten Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Das geteilte Deutschland in einem geteilten Europa war bis 1989 Ausdruck dieser Tatsache.

Nach dem Zerfall der Polarität von USA und SU seit Mitte der 1980er/Anfang der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts avancierte Europa in Gestalt der Ost-Erweiterung der EU und der NATO zu einem Bestandteil der sich herausbildenden multipolaren Welt,  die als „Friedensprojekt“ den Anspruch auf  demokratische Überwindung des europäischen Nationalismus stellte. Zugleich war sie aber Objekt des Konfliktes, der nach dem Zerfall der Sowjetunion zwischen dem Anspruch der USA auf Weltherrschaft und Russland als Protagonist einer sich andeutenden multipolaren Ordnung herangewachsen war. Man könnte beinahe versucht sein, von einem Opfer zu sprechen, das der Erhaltung der US-Hegemonie seitens der EU dargebracht wurde.

In diesem Zuge mutierte die EU als Bestandteil des globalen Finanzimperiums zu einem zunehmend bürgerfernen bürokratischen Superstaat, der die nationalen, nicht zuletzt die demokratischen Spielräume seiner Mitglieder  zusehends korsettierte.

 

Europa ist mehr als die EU

Im Effekt tritt in den Bewegungen der zurückliegenden Jahre die Tendenz hervor, dass die von den „Verteidigern“ der herrschenden Hegemonialordnung eingeschlagene Strategie der Fraktionierung der globalen Verhältnisse einerseits Unwillen, Chaos , rückwärts zum Nationalismus gewandte Tendenzen bis hin zu sich ausbreitenden Kriegen hervorbrachte und zunehmend bringt, andererseits aber auch den Keim einer neuen Ordnung erkennen lässt, der in die Richtung einer multipolaren, kooperativ und demokratisch orientierten Beziehung sich selbst bestimmender Völker, Länder, Regionen und Kommunen weist, die sich vom Joch eines lähmenden Zentralismus befreien wollen.

Beide Entwicklungen sind möglich. „Automatisch“ läuft nichts. Die eine ist brandgefährlich mit Tendenzen zur Ausweitung globaler Kriege, die andere vermittelt die Ahnung einer lebensdienlichen Zukunft – wenn der Umbruch, zudem  bekämpft von Gegnern, nicht selber die in ihm angelegten demokratischen Impulse verbraucht.

Kurz gesagt, es geht nicht nur darum die aktuellen Wirkungen des Brexit einzugrenzen, indem wir jetzt „Ruhe und Besonnenheit“ einhalten, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Erklärung zur britischen Entscheidung anmahnt, andererseits aber auch nicht darum, die Abkoppelung weiterer Austrittskandidaten zu beschleunigen, um den Restbestand der EU durch „Demokratisierung“ in ihrer Funktion als funktionierender Gesamtstaat zu retten, wie es der Präsident des europäischen Parlamentes Martin Schulz vorschlägt, oder gar durch Schrumpfung auf eine Kerngemeinschaft zu effektivieren, wie es Wolfgang Schäuble, dem deutschen Finanzminister, schon lange vorschwebt.

Es geht darum, das Europa sich als aktiver Teilnehmer in die Tendenz sich öffnender Föderalisierung europäischer Kommunen und Regionen in einer sich entwickelnden multipolaren Welt eingibt. Dies läge im Interesse der  Mehrheit der Menschen Europas, nicht nur der jetzigen EU – und zweifellos auch der übrigen „westlichen“ Welt.

Dies gilt selbstverständlich auch für Russland, dass seit Jahrzehnten der multipolaren Spur nachgeht – und es gilt nicht nur für seine Außenbeziehungen, sondern auch für seine innere Verfassung, die, anders als die EU, aber nicht minder eine Befreiung der Selbstbestimmungskräfte und regionalen Autonomie von einen strangulierenden Zentralismus braucht.

Man darf sagen, die Welt geht spannenden Veränderungen entgegen.

Kai Ehlers, www.kai-Ehlers.de

 

[1] Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft von Zbigniew Brzeziński.

Kopp Verlag – Unveränderte Neuauflage November 2015;

ISBN: 978-3-86445-249-9; Preis 9,95 €

 

Bildnachweis: Strassenszene IN OUT UK. BREXIT oder BREXIN / BREMAIN? Werden die Briten in der EU bleiben? Foto: Tyler Merbler. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

 

Merkels Minsker Märchenstunde

Parallel zu den NATO- Übungen in Polen, begleitet durch die neue Zielvorgabe von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die deutschen Militärausgaben über das von der NATO geforderte Maß auf das der  Vereinigten Staaten heben zu wollen,  sollen nach dem Willen der EU, allen voran der deutschen Kanzlerin Merkel nun auch die Sanktionen, welche die EU im Sommer 2014 gegen Russland beschlossen hat, um ein weiteres halbes Jahr bis Ende Januar 2017 verlängert werden. Dies beschlossen die Botschafter der 28 EU-Staaten bei ihrem  letzten Treffen Anfang Juni einstimmig. Ihr Beschluss wurde soeben von Brüssel bestätigt.

Als Begründung für die Notwendigkeit der Verlängerung der Sanktionen wurde von der Botschafterversammlung angegeben, dass es mit der  Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, die im Februar 2014 zwischen Angela Merkel, François Hollande , Wladimir Putin und Petro Poroschenko als „Reaktion auf Russlands Unterstützung der Separatisten“ beschlossen wurden, noch ‚gewaltig hapere‘, so der Tenor im Mitteilungsblatt der Regierung, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 22.06.2016, dem ein ausführlicher Bericht zu dem Treffen zu entnehmen war. In dem Bericht heißt es:

„Nicht nur wird der damals  zugesagte Waffenstillstand immer wieder gebrochen. Noch längst wurden zudem offenbar nicht alle schweren Waffen  aus der Pufferzone abgezogen. Und nach wie vor  stehen die in Minsk  vereinbarten Kommunalwahlen  in der Ostukraine aus.“ Weitere Begründungen werden nicht gegeben.“

Stimmt. An der Grenze zwischen den Donbas-Republiken und der Kiewer Ukraine wird nach wie vor geschossen. Nicht mitgeteilt wird jedoch, wer schießt, obwohl die Frage eindeutig zu beantworten wäre: beide Seiten schießen. Die Klage darüber konnte man in den letzten Monaten in wachsendem Maße den Berichten der OSZE entnehmen und sogar aus Munde des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeiers hören. (siehe dazu diverse Berichte in russland.ru, jetzt russland.news), wenn er seine Eindrücke über die Erfolge der Demokratisierung in der Ukraine immer unzufriedener kommentierte.

Dass die  Kommunalwahlen der Ostukraine ausgeblieben seien, stimmt allerding s nur noch halb. Tatsache ist, es fanden Wahlen in der Ostukraine statt, allerdings nicht nach den in Minsk  vereinbarten, sondern nach eigenen örtlichen Bedingungen, weil die in den Minsker Beschlüssen vereinbarten Voraussetzungen von Kiew trotz diverser Gesprächsangebote aus dem Ostteil des Landes nicht hergestellt wurden. Eine Erinnerung an diese Vereinbarungen und ein Bestehen auf ihrer Einlösung sucht man in den  Begründungen für die aktuelle Sanktionsverlängerung jedoch vergebens.

Dabei könnte alles so einfach sein, wenn diese Vereinbarungen des Minsker Protokolls, die den Kern des Konfliktes zwischen Kiew und den Ostgebieten betreffen,  genannt, anerkannt und erfüllt würden. Sie lauten: Die Kiewer Regierung führt eine Verfassungsänderung durch, als deren wesentliches Ergebnis sie den Gebieten Donezk und Lugansk eine begrenzte Autonomie zugesteht, auf deren Grundlage dann Wahlen für die gesamte Ukraine durchgeführt werden können. (Siehe die Fakten zu den Vereinbarungen im 2. Teil dieses Artikels)

Tatsache ist, dass die Verfassungsreform bis heute nicht durchgeführt wurde, dass keine direkten Gespräche zwischen Kiew und den Donbas-Vertretern zur Vorbereitung und Einleitung einer solchen Reform zustande kamen – sei es, weil Poroschenko und seine Umgebung es selbst nicht wollen, sei es weil sie durch das nationalistisch dominierte Parlament daran gehindert werden. Mit Terroristen verhandeln wir nicht, hieß die bisher dabei von Kiewer Seite insgesamt verfolgte Linie.

Von  all dem – den ursprünglichen Vereinbarungen, wie deren Missachtung durch Kiew – ist,  wie gesagt, in den Begründungen für die Verlängerung der Sanktionen nicht mehr die Rede. Zwar werden von deutscher Seite, Steinmeier, großzügig „schrittweise Lockerungen“ der Sanktionen angeboten,  allerdings nur, wenn  „substanzielle Fortschritte“ bei der Umsetzung der Verträge erkennbar würden – substanziell von russischer Seite, versteht sich, wobei im Nebel bleibt, worum es hierbei gehen soll, da Russland eh schon seine Unterstützung auf die Aufrechterhaltung der rudimentären Infrastrukturen der Gebiete reduziert hat, die OSZE-Kontrollen in  mitträgt, den beschlossenen Fahrplan, wie oben  benannt, immer wieder zusammen mit den Donbas-Vertretern einklagt.

Dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel wäre, wie er öffentlich erklärte, als „Signal aus Moskau“ sogar schon mit einem „Wahlgesetz für die Ostukraine“ Genüge getan. Aber selbst dafür, höhnt die „Frankfurter“, habe es in Minsk nicht gereicht.

Ähnliche  Töne wie die Steinmeiers und Gabriels sind auch von den Franzosen und Italienern,  waren in St. Petersburg vor einer Woche auch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu hören. Ungarn und Griechen schwanken. Gänzlich unnachgiebig sind die Balten und die Polen.

Kurz, es gibt durchaus widersprüchliche Positionen innerhalb der EU zu der Frage  und es fragt sich, wie lange die nach außen demonstrierte Einigkeit aufrechterhalten werden kann.  Nach dem Austritt Englands aus der EU stellt sich diese Frage noch einmal aktueller. In der Beschlussfassung zu den Sanktionen stellten jedoch weder Steinmeier, noch die Franzosen, noch die Italiener, noch sonst irgendjemand die Einstimmigkeit in Frage.

Die Beendigung der Minsker Märchenstunde lag  dann bei der deutschen Kanzlerin, die „klarstellt(e)“, wie die „Frankfurter Allgemeine“ es kernig formulierte, dass sie  eine Lockerung  der Sanktionen für „verfrüht“ halte. Die Zeitung weiß zu diesem Vorgang im Übrigen noch die folgende nette Anekdote zu berichten:

„Ihr außenpolitischer Berater Christoph Heusgen war in der vergangenen Woche  mit zwei ranghohen Diplomaten  des Auswärtigen Amtes  nach Minsk gereist.  Nach der Reise  konnte Merkel sowohl Skeptikern in der EU als auch ihrem Koalitionspartner ausrichten: Seht her, wir haben es versucht. Aber es reicht noch nicht. Steinmeier und Gabriel mussten dies akzeptieren.“ So einfach ist das.

Was immer Kanzlerin Merkels Emissäre dort in „Minsk“ und bei wem  gefunden haben mögen – die tatsächlichen Vereinbarungen vom Februar 2015 fanden sie dort offenbar nicht. Angesichts eines solchen kollektiven Misserfolges bei der Suche nach Originalquellen oder auch einfach bedauerlichen Gedächtnisverlustes scheint es sinnvoll noch einmal an daran zu erinnern, was in den ursprünglichen Vereinbarungen zu finden wäre, was auch nicht mit neuen Reisen nach Minsk gesucht werden müsste, wenn man es denn finden wollte:

Dies kann jetzt und hier an Hand eines Textes von mir geschehen, der sich vor nahezu einem Jahr, am 1. Mai 2015, schon einmal die Aufgabe stellte, daran zu erinnern, was in Minsk tatsächlich beschlossen und schon seinerzeit beiseitegeschoben worden ist.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

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Es folgt jetzt der Originaltext vom 1. Mai 2015, veröffentlicht u.a. in Russland.ru/russland.news

 

Wie alles sein könnte –

Ein Versuch über den Rand des Minsker Tellers zu schauen

 

Eigentlich ist alles ganz einfach: Die ukrainische Führung akzeptiert die Vereinbarungen des zweiten Minsker Treffens vom 12. Februar 2015, das heißt, sie geht mit den politischen Vertretungen der inzwischen selbst verwalteten Gebiete Donezk und Lugansk in direkte Verhandlungen über den autonomen Sonderstatus, den diese Gebiete ausgehend vom jetzigen Status quo in einer demokratisch und dezentral organisierten Ukraine erhalten sollen. Die Bereitschaft zu diesen Gesprächen geht von der Einsicht aus, dass eine militärische Lösung der Verfassungsprobleme der Ukraine nicht möglich ist.

Die Gespräche um Ausmaß und Form des autonomen Sonderstatus – Föderalisierung, Autonomie, lokale Sonderrechte oder einfache verwaltungstechnische Dezentralisierung – sind zugleich Bestandteil einer Verfassungsreform, als deren Ergebnis die autoritäre zentralstaatliche Organisation der Ukraine in eine dezentrale Demokratie umgewandelt werden soll.

Soweit, so klar, ein solches Vorgehen entspräche voll und ganz den Vereinbarungen, die in Minsk II getroffen wurden. Zur Erinnerung hier die entsprechenden Passagen der Minsker Vereinbarungen, die das Prozedere für die oben beschriebene Entwicklung unmissverständlich benennen (zitiert nach der „Resolution des UN-Sicherheitsrates zur Ukrainekrise“, die dort am 19. Februar 2015 in Übernahme der Minsker Vereinbarungen beschlossen wurden):

 

Aufnahme eines Dialogs

Punkt 1 des Minsker Maßnahmenpaketes:

„Aufnahme eines Dialogs am ersten Tag des Abzugs (der schweren Waffen – ke) über die Modalitäten  von lokalen Wahlen  in Übereinstimmung mit ukrainischem Recht und dem Gesetz der Ukraine über  das Interimsverfahren  für die lokale Selbstverwaltung  in den gesonderten Regionen  der Verwaltungsgebiete  Donezk und Lugansk  sowie über die künftigen Regelungen  für diese Regionen auf der Grundlage dieses Gesetzes. Unverzügliche Verabschiedung eines Beschlusses des Parlaments der Ukraine spätestens 30 Tage nach der Unterzeichnung dieses Dokuments, in dem das Gebiet, das einen Sonderstatus genießt, nach dem Gesetz der Ukraine über das Interimsverfahren  für die lokale Selbstverwaltung  in den gesonderten Regionen  der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk festgelegt wird, und zwar auf der Grundlage der Linie des Minsker Memorandums vom 19. September 2014.„[i]

Kompliziert formuliert – aber doch klar: Nach Rückzug der schweren Waffen soll der direkte Dialog zwischen der Kiewer Führung und den selbstverwalteten  Gebieten Donezk und Lugansk aufgenommen werden, um den Status dieser Gebiete, auch den territorialen, im Verbund des ukrainischen Staates zu klären. Es werden keine Vorgaben über die Form und den Charakter dieses Status gemacht.

Noch deutlicher wird die Forderung nach einem Dialog in den Punkten 9 und 11 des Abkommens; diese Punkte sollen hier, wiewohl auch etwas mühsam zu lesen, ebenfalls zitiert werden, um Einseitigkeiten, Missverständnissen oder sei es auch nur einer allgemeinen Amnesie entgegenzuwirken:

 

Absprache und Einvernehmen

Punkt  9 und 11 des Maßnahmenpakets:

 „Wiederherstellung der vollen Kontrolle über die Staatsgrenze durch die ukrainische Regierung im gesamten Konfliktgebiet, die am ersten Tag  nach den lokalen Wahlen und nach der umfassenden politischen Regelung (lokale Wahlen in den gesonderten Regionen und Verwaltungsgebieten Donezk und Lugansk auf der Grundlage des Gesetzes der Ukraine und einer Verfassungsreform) endet; diese Regelung soll bis Ende 2015 finalisiert werden, vorausgesetzt, dass Absatz 11 in Absprache und im Einvernehmen mit Vertretern der gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe umgesetzt wird.“

 

Punkt 11 lautet, um das gleich anzuschließen:

„Durchführung einer Verfassungsreform  in der Ukraine, wobei die neue Verfassung  bis Ende 2015 in Kraft treten soll und die Dezentralisierung  als Schlüsselelement vorsieht (einschließlich einer Bezugnahme auf die Besonderheiten  in den gesonderten Regionen Donezk und Lugansk, und  zwar in Absprache mit den Vertretern dieser Regionen), und Verabschiedung dauerhafter Rechtsvorschriften über den Sonderstatus der gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk  bis Ende 2015 in Übereinstimmung mit den in der Fußnote dargelegten Maßnahmen. (Anmerkung)“

Ist schon mit diesen Punkten klar, dass NICHTS gehen kann, ohne die Aufnahme eines direkten Gespräches zwischen Kiew und den „gesonderten Regionen“, so beseitigen die Fußnoten („Anmerkung“) jeden Zweifel, was der Geist von Minsk II, der so oft beschworen wird, eigentlich ist – oder sein könnte.

 

Möglichkeit zu Initiativen

„Anmerkung: Nach dem Gesetz über das Sonderverfahren für die lokale Selbstverwaltung  in den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk  handelt es sich um folgende Maßnahmen:

– Verzicht auf Bestrafung, strafrechtliche Verfolgung und Diskriminierung von Personen, die in die Ereignisse verwickelt waren, die in den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk stattgefunden haben;

– Recht auf sprachliche Selbstbestimmung;

– Beteiligung von Organen der lokalen Selbstverwaltung an der Ernennung der Leiter  der Staatsanwaltschaften und Gerichte in den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete  Donezk und Lugansk;

– Möglichkeit für zentrale Regierungsstellen, Vereinbarungen mit Organen der lokalen  Selbstverwaltung betreffend die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung der gesonderten  Regionen  der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk zu initiieren;

– Staatliche Unterstützung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der gesonderten Regionen  der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk;

– Unterstützung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den gesonderten Regionen  der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk mit Regionen der Russischen Föderation  durch zentrale Regierungsstellen;

– Schaffung von Volkspolizeieinheiten durch Beschlüsse der lokalen Räte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk;

– Die Befugnisse der in vorgezogenen Wahlen  und von der Werchowna Rada der Ukraine nach diesem Gesetz ernannten Abgeordneten von lokalen Räten und Amtsträgern können nicht vorzeitig beendet werden.“

 

Im Mittelpunkt der direkte Dialog

Auch wenn hier wieder kompliziert  formuliert wird und ohne an dieser Stelle auf  Einzelheiten eingehen zu können, geht doch auch aus den Anmerkungen eins klar hervor: Im Mittelpunkt der Absprachen steht die Einleitung eines direkten Dialoges zwischen den Konfliktparteien – und in diesem Zuge selbstverständlich auch mit anderen Regionen der Ukraine – um die Frage, welche Form eine Dezentralisierung der Ukraine annehmen kann. Über die konkrete Ausgestaltung soll miteinander gesprochen werden.

Merke: eine bestimmte Form wird in der Vereinbarung nicht vorweggenommen. Zu verhandeln wäre also über unterschiedliche Vorstellungen von der Föderalisierung, über Autonomie, lokale Sonderrechte bis hin zu einfacher Dezentralisierung von Verwaltungsbefugnissen. Die ganze Bandbreite steht zur Debatte.

Als Gesprächspartner werden die „Vertreter dieser Regionen“ zum einen und „zentrale Regierungsstellen“ zum anderen benannt. Den zentralen Regierungsstellen wird in den Anmerkungen (Satz vier) die „Möglichkeit“ eingeräumt, Vereinbarungen mit Organen der lokalen Selbstverwaltung zu „initiieren“, wohlgemerkt, nicht etwa zu verordnen oder zu befehlen, sondern ausdrücklich als Möglichkeit zu initiieren. Auch hier wieder keine Vorgabe einer bestimmten oder gar nur einer Lösung.

 

Politische Grundfrage lösen

Die Erfüllung weiterer Punkte des Minsker Abkommens – wie: Rückzug schwerer Waffen,  Amnestie, Gefangenenaustausch, humanitäre Hilfe, Wiederaufnahme wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den Landesteilen der Ukraine, „Entwaffnung illegaler Gruppen“, Rückzug aller „ausländischen bewaffneten Formationen“ wird dann möglich, kann dann einen Sinn machen und dann entspannende und aufbauende Folgen haben, wenn dieser Dialog um die grundsätzlichen politischen Fragen der Beziehung zwischen dem Kiewer Zentrum und als Statthalter des Staates und seiner einzelnen Subjekten effektiv im direkten Gespräch der Konfliktparteien aufgenommen wird.[ii]

Der Bevölkerung der Ukraine täte es zweifellos mehr als gut, wenn diese Gespräche endlich begonnen würden. Das gilt für die westliche Ukraine ebenso wie für die östlichen Teile, insbesondere natürlich für die „gesonderten Gebiete“ von Donezk und Lugansk, deren soziale und technische Infrastruktur durch den inzwischen einjährigen Krieg soweit zerstört ist, dass ein Leben dort auf ein Vegetieren unter dem Existenzminimum heruntergekommen ist.

Gut wäre die Aufnahme des Dialoges zweifellos auch für die Völker Russlands und die der Europäischen Union, denen die, in immer neue Milliarden gehenden, Lasten für den sinnlosen Sanktionskrieg des Westens gegen Russland und für die Kriegswirtschaft der Ukraine aufgebürdet werden.

Kommt noch das Aufatmen dazu, das durch die Welt ginge, wenn nicht Säbelrasseln, sondern Dialog, Verständigung und Kooperation die internationale Agenda bestimmte.

 

Falsches Spiel

Tatsächlich hat die erste Sitzung der ukrainischen Verfassungskommission, die eine Dezentralisierung der Ukraine einleiten soll, inzwischen stattgefunden –  allerdings gerade n i c h t  im Geiste der Minsker Vereinbarungen, sondern in dessen glatter Verkehrung: Föderalisierung sei eine „biologische Waffe“, die man der Ukraine „von außen aufzwingen“ wolle, „um unsere Einheit zu zerstören“, erklärte Präsident Poroschenko gleich zu Beginn der ersten Sitzung der Kommission. Damit schloss er eine offene Aussprache um die unterschiedlichen Vorstellungen zur Dezentralisierung von vornherein aus. „Die Ukraine ist und bleibt ein Einheitsstaat“, postulierte er.

Zwar setzte Poroschenko, an die Kommission gewendet, noch hinzu: „Für diejenigen, die über Föderalisierung sprechen, schlage ich ein Instrument namens ‚Referendum‘ vor. Ich bin bereit für ein solches Referendum, wenn Sie das für notwendig halten.“ Den eigentlichen Punkt aber setzte Ministerpräsident Jazenjuk mit dem Statement: „Eine neue Verfassung müsse die Interessen des gesamten Landes berücksichtigen – von West nach Ost. Der Dialog mit dem Osten kann erst dann stattfinden, wenn es dort rechtmäßig gewählte Abgeordnete  gibt.  Wir verhandeln nicht mit russischen Kriminellen oder Terroristen.“[iii]

Der ukrainische Parlamentsvorsitzende Wolodymyr Hroisman erklärte im TV-Sender ‚Inter“, die Zentralregierung werde nach Abhaltung freier Lokalwahlen mit den Gewinnern  einen politischen Dialog führen. Anführer von Banditengruppen und Kämpfern  der sog.  „Donezker Volksrepublik“ und „Lugansker Volksrepublik“ an künftigen Wahlen schieden jedoch aus. Und wörtlich: „Es können keine Mörder, keine Bandenführer und alle anderen gewählt werden. Das sind Verbrecher, die bestraft werden müssen.“[iv]

 

Autonomie von Kiews Gnaden

Voraufgegangen war diesen Auftritten die Verabschiedung eines „Gesetzes über die Autonomie in den Separatistengebieten“ in der Werchowna Rada Kiews. Nach diesem Gesetz soll über einen Autonomiestatus der Gebiete Donezk und Lugansk erst nach den gesonderten Kommunalwahlen vom 25. Oktober 2015  entschieden werden. Außerdem legt das Gesetz eine Liste von Ortschaften fest, für die künftig eine Autonomie gelten soll. Diese Territorien werden in dem Gesetz zu „vorübergehend  besetztem Gebiet“ erklärt.

Alle diese Änderungen wurden ohne Beteiligung der Vertreter von Donezk und Lugansk getroffen. Vorschläge, für den Verfassungsprozess, darunter auch solche zu den Kommunalwahlen, die die Vertreter von Donezk und Lugansk nach Kiew geschickt hatten, wurden von dort nicht beantwortet.[v]

Mit dem Gesetz über die Autonomie in den Separatistengebieten und den darauf folgenden Weichenstellungen des Verfassungskongresses ist das Minsker Abkommen faktisch vom Tisch. Die Konsequenz des Gesetzes wäre vielmehr, wenn es umgesetzt  werden könnte, dass die „gesonderten Gebiete“ ihren blutig erkämpften Sonderstatus erst aufgeben müssten, um ihn sich von Kiew dann wieder gewähren zu lassen. Es ist klar, dass die politischen Körperschaften, die durch die Referenden und die unabhängig von Kiew durchgeführten lokale Wahlen n Donezk und Lugansk im Lauf des Jahres 2014 legitimiert worden sind, sich darauf nicht einlassen können. Was jetzt kommt, wenn keine Korrektur erfolgt, kann unter diesen Umständen nur auf eine Fortsetzung der bisherigen „Anti-Terror-Aktion“ hinauslaufen, die sich wahlweise  als Verfassungsreform, Dezentralisierung oder Demokratisierung tarnt. Dass die so ins Visier genommenen „Terroristen“, dies nicht widerstandslos hinnehmen werden, ist ebenso klar. Offen ist allein, wie weit sich die hinter den Konfliktparteien stehenden Schutzmächte in die neue Runde der Konflikte aktiv mit einmischen oder mit in sie hinein ziehen lassen wollen.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                                             Freitag, 1. Mai 2015

Bücher zum Thema:

Peter Strutynski (Hg.), Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen, Papyrossa

 

Ronald Thoden, Sabine Schiffer (Hg.), Ukraine m Visier, Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen, Selbrund Vlg.

 

Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte

 

 

 

[i] Wortlaut von Minsk 1: http://www.bpb.de/internationales/europa/ukraine/192488/dokumentation-das-minsker-memorandum-vom-19-september

[ii] Vollständiger Wortlaut der UN-Resolution: http://www.russland.ru/resolution-des-un-sicherheitsrates-zur-ukrainekrise/

[iii] http://de.euronews.com/2015/04/06/poroschenko-ja-zur-dezentralisierung-nein-zum-foederalismus/

 

[iv] http://www.ukrinform.ua/deu/news/hroisman_von_einer_fderalisierung_der_ukraine_kann_keine_rede_sein_14829

[v] http://www.dw.de/keine-chance-auf-frieden-f%C3%BCr-ostukraine/a-18323459

Globales Zwischenhoch: Putin Krisenmanager – Chance oder Irrtum?

Die Augen müsse man sich reiben, alles werde auf den Kopf gestellt, konnte man dieser Tage in dem führenden Blatt der deutschen Konservativen, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 20.06.2016 lesen.

Empörung breitete sich auf den Bonner und Brüsseler Etagen aus. Einen „ungeheuerlichen Vorwurf“  erkannte der  Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. Eckpfeiler der deutschen, der europäischen Außenpolitik, gar der NATO-Strategie sah man bedroht. Man wolle doch nur die Sicherheit an Russlands Grenzen sichern; ein anderes Interesse als Friedenserhaltung verfolge die NATO nicht, schob Generalsekretär Jens Stoltenberg am Tag darauf nach.

 

Putins Angebot: Weg mit den Sanktionen

Was war geschehen? Auf dem 20. Petersburger Wirtschaftsforum vom 17.06.2016, zu dem rund 500  Vertreter und Vertreterinnen von ausländischen Unternehmen aus 60 Ländern, vornehmlich aus dem Nahen Osten und Asien, aber auch aus den USA und der EU angereist waren, unter ihnen auch der Präsident der Europäischen Kommission der EU, Jean-Claude Juncker, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin seine Gäste aus der EU mit dem Angebot überrascht, die von Russland als Reaktion auf die vom Westen nach den Krim-Ereignissen gegenüber Russland verhängten Sanktionen von Russlands Seite her aufzuheben. Gemeinsam könne  man an den Aufbau einer eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft  gehen  – wenn Russland sich darauf verlassen könne, anschließend nicht (man konnte das feine ‚wieder‘ mit heraushören) betrogen zu werden.

Und nicht nur das: Nicht nur lobte UN-Präsident Ban Ki-Moon Gastgeber Putin für seinen mutigen Schritt und dankte für sein Engagement in Syrien, nicht nur kniff sich Juncker eine Zustimmung zu dieser Perspektive ab, vorausgesetzt, dass  Russland sich weiter kooperativ zeige, nein, allen voran nutzte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Gut-Wetter-Lücke zwischen dem Treffen in St. Petersburg und der für den 8. und 9. Juli bevorstehenden NATO-Tagung,  mit Hinweis auf das zur Zeit in Polen durchgeführte  Nato-Groß-Manöver „Anaconda“ in der „Bild am Sonntag“ öffentlich zu mahnen: „Was wir jetzt nicht tun sollten, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeschrei  die Lage weiter anzuheizen.“

 

Aber war denn nicht alles ganz anders …

Aber die  so Ermahnten können es einfach nicht glauben. War denn nicht alles ganz anders? Werden damit nicht alle Tatsachen auf den Kopf gestellt? War es nicht so, wie man es in der FAZ vom 20.Juli lesen konnte ? „Ursache für die Eiszeit  ist der Verstoß Russlands gegen Prinzipien,  die jahrzehntelang für Frieden und Stabilität in Europa gesorgt hatten. Es war nicht die Nato, sondern der Kreml, der die Krim okkupierte und der in der Ostukraine einen (Sitz-)Krieg führt. Es ist nicht die Nato, sondern Moskau,  vor dem sich  die baltischen Republiken und Polen fürchten,  weswegen sie aus freien Stücken der atlantischen Allianz beitraten. Bis zur Annexion der Krim spielte die Nato militärisch in diesen Ländern keine Rolle. Auch die vier Bataillone, die dort stationiert werden sollen,  stellen keine Bedrohung für Russland dar, das auf seiner Seite der Grenze Divisionen stehen hat.  Steinmeier spricht zu Recht  von ‚symbolischen Panzerparaden‘. Die Nato-Verbände haben einen politischen Zweck: Sie signalisieren Moskau, das der Westen sich nicht noch einmal von einem Handstreich wie auf der Krim überraschen ließe.  Und dass die NATO einen Angriff  auf eines ihrer Mitglieder  als Angriff auf alle betrachten würde.“

Bemerkenswert! Wirklich bemerkenswert diese Sicht! Man kann die Welt doch von sehr verschiedenen Seiten betrachten. Aber man muss sich hier nicht bei den gröbsten Verdrehungen aufhalten, wie etwa der, Russland habe die Krim „besetzt“, man  muss auch nicht den Versuchen Steinmeiers und seiner Parteigänger erliegen, das Schwanken zwischen Verlängerung der Sanktionen gegen Russland und zögernder Anerkennung für dessen Einsatz in Syrien für eine „neue Entspannungspolitik“ auszugeben, es gar noch „im Geiste Brandts“ verstehen. Zu offensichtlich ist die Hilflosigkeit, um nicht zu sagen Verlogenheit dieser Politik, wenn man wahrnehmen muss, wie in strategischen Hinterstuben zugleich Pläne für die nächste Phase geplanter Aggression geschmiedet werden:

  • Die Forderung von 51 US-Diplomaten aus dem Mittelbau des außenpolitischen Establishments, die in einem offenen Brief verlangen, die Politik des „Regimechange“ in Syrien durch Bombardierung von Assads Truppen wieder aufzunehmen. Dies würde den Krieg mit Russland zumindest in Kauf nehmen.
  • Das Offenhalten des Ukraine-Konfliktes, indem die ukrainische Regierung sich – trotz verbaler Kritiken seitens der EU, Steinmeiers, und selbst seitens der USA von ihnen dennoch geduldet – weigert, den Donbas-Republiken ihren im Minsker Vertrag vereinbarten Autonomiestatus zuzuerkennen – die Schuld dafür aber der andauernden „Aggressivität“ der Russen zuschiebt.
  • Die nochmalige Verlängerung der Sanktionen seitens der USA und der EU gegen Russland, sogar Forderungen nach weiterer Verschärfung, so dass es Millionen wirklich wehtue, weil nur so an einen Sturz Putins gedacht werden könne.

 

An einem Wendepunkt angekommen

 Man muss auch Russland nicht in Schutz nehmen als wäre es ein Neugeborenes, das den  Härten der US-, EU-, Nato-Welt und überhaupt den imperialen globalen Realitäten, den Verleumdungen Russlands als Reich des Bösen mit einer Widergeburt Hitlers als Präsidenten noch nicht gewachsenen sei, dem also schon einmal Fehler unterlaufen könnten, ohne dass man es dafür kritisieren müsste. Aus der zweiten und dritten Reihe werden auch in Russland durchaus dumpfe Töne laut.

Nein, man muss jetzt vor allem erst einmal die Tatsache erkennen, dass Russland 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder in die Weltpolitik eingetreten, dass sein Präsident Putin ungeachtet aller Anwürfe als Wiedergänger Hitlers zum anerkannten globalen Krisenmanager aufgerückt ist. Und man muss dies nicht nur konstatieren, um sich dann darauf auszuruhen, es ist auch wichtig zu erkennen, wie es dahin kam, welche Elemente in diesem Krisenmanagement wirksam sind und wo seine Grenzen liegen, um zu verstehen in welcher Etappe der Neuordnung wir uns 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der systemgeteilten Welt, die den Kriegen des vorigen Jahrhunderts folgte, heute befinden.

Denn ungelöst sind die aus dem letzten Jahrhundert herüber gewachsenen Grundfragen, die über ein vorübergehendes Krisenmanagement durch eine charismatische Figur wie den gegenwärtigen russischen Präsidenten weit hinausführen.

Wer diesen Blick auf die zurückliegenden 25 Jahre richtet, erkennt, dass die globale Konstellation mit Putins neuerlichem Angebot an die Europäische Union an einem Wendepunkt angekommen ist.

 

Drei Etappen des  russischen Aufstiegs

Drei Etappen lassen sich bei dem Aufstieg Russlands in seine gegenwärtige Rolle des globalen Krisenmanagers benennen:

Das ist zunächst das  Wegbrechen jeglicher Staatlichkeit mit dem Zerfall der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow und dem Kniefall vor dem Westen unter Boris Jelzin in den Jahren 1985 bis 1998.

Das ist darauf folgend die Wiederherstellung rudimentärer Staatlichkeit und einer mühsamen inneren Stabilisierung unter Putin  im Inneren des Landes seit 1998 bis heute (allerdings schon begonnen unter Primakow 1998, was in der Regel unterschlagen wird).

Das ist, aus dem inneren Krisenmanagement erwachsen, der Übergang in ein Wiedereintreten des Landes in seine Rolle als Integrationsknoten Eurasiens, der für die Newcomer aus den ehemaligen Kolonien zum wichtigsten Partner in ihrem Streben nach einer Ablösung der von den USA allein und militärisch dominierten Weltordnung wurde.

Aber nicht Diktat und Repression, wie westliche Propaganda es immer wieder nahelegt,  hat diesen Weg des inneren und danach äußeren Krisenmanagements getragen, nicht imperiale Stärke,  sondern im Gegenteil eine von Putin aus dem geschwächten eurasischen Zentrum heraus entwickelte Politik des Konsenses.

Aus dem Konsens heraus ist Russlands Wiederherstellung seiner Staatlichkeit im Inneren erfolgt, zweifellos „vertikal“, nicht demokratisch, aber gestützt auf die Struktur realer Vielfalt im Lande. Aus dem inneren Konsens heraus hat Russland seine Rolle als Motor einer internationalen Gegenbewegung der BRIC-Staaten, der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), der Eurasischen Wirtschaftsunion Union entwickelt – letztere immer mit Blick auf Kooperation, nicht zuletzt mit der EU, statt auf Konfrontation.

Die Angebote Putins, Medwedews und anderer russischer Politiker zur Kooperation in einer „Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok“ waren die immer wiederkehrende Essenz dieser Politik, bis Russland sich angesichts der zügellosen Ost-Erweiterung von EU, NATO und dem frechen Vordringen der USA auf den eurasischen Kontinent, ihrem schrittweisen, systematischen Einkreisen der russischen Grenzen seit der Auflösung des Warschauer Paktes, gezwungen sah,  aus der Duldung dieser Einkreisung  in die Verteidigung seiner Grenzen zugehen.

 

Übergang zur offensiven Verteidigung

Das geschah erstmalig mit der deutlichen Antwort auf die georgischen Provokationen von 2004, die Russland militärisch zurückwies.

Das wiederholte sich gegenüber den Versuchen, die Ukraine 2008, dann endgültig seit dem Maidan 2013/14 ins westliche Bündnis zu ziehen, indem Russland den Austrittswillen der Krim in einem schnellen Referendum aufgriff und den Osten in seinen Autonomiebestrebungen personell und sachlich unterstützte.

Das steigerte sich schließlich in dem Einsatz von Kampffliegern in Syrien, nachdem alle Versuche, eine friedliche Beilegung des von der US-Allianz betriebenen gewaltsamen „Regimechanges“ auf dem Verhandlungswege mit der US-geführten „westlichen Allianz“ zu erreichen, auch im fünften Jahr dieses unerklärten Krieges noch am Widerstand der USA gescheitert waren. Erst  der Einsatz der russischen Bomber erzwang jetzt den – wenn auch brüchigen – Waffenstillstand.

Ähnliches gilt für die Ukraine, deren „eingefrorener Konflikt“ nur deshalb nicht heiß weiter läuft, weil Russland nach wie vor als Garantiemacht hinter den selbsterklärten Republiken des Donbas steht.

Dies alles sind bekannte Tatsachen, die hier nicht zum hundertsten Male neu im Detail ausgebreitet werden müssen. Dadurch werden sie für die, die sie leugnen, nicht wahrer. Diese Menschen sehen die Dinge schlicht von der anderen Seite. Es dürfte wichtig sein, ihre Motive und Aktivitäten nicht zu übersehen, sondern genau wahrzunehmen.

 

Erkennbare Grenzen

Aber hier werden selbstverständlich auch schon die Grenzen des russischen Krisenmanagements sichtbar, das nach der Ausdehnung seiner Sicherheitspolitik  in den globalen Raum nunmehr wieder in verstärktem Maße mit der  Sicherung seiner inneren, hauptsächlich der sozialen und „nationalen“ Fragen, d.h., der Entwicklung seiner Republiken konfrontiert ist. Darüber hinaus stellt sich für Russland auf längere Sicht die Frage, ob und wie es unter diesem Druck die Kraft hat, dem Kulturimpuls als „Entwicklungsland neuen Typs“ gerecht zu werden, der in der Überwindung von sowjetischem Sozialismus und heutigem Turbo-Kapitalismus neue Formen des Zusammenlebens hervorbringen könnte, die sich auf die tausendjährige (zweifellos auch sehr widersprüchliche)  Gemeinschaftskultur Russlands stützen  könnten – ohne dass daran nach dem Niedergang des Zarismus, danach dem des sowjetischen Imperiums, nunmehr auch der als zentralisierte Föderation übriggebliebene  Vielvölkerorganismus des neuen Russland zerbricht.

Dies alles muss vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, dass die grundlegenden Konflikte der sich heute entwickelnden globalen Übergangsordnung in keiner Weise gelöst, ja, zum Teil noch nicht einmal richtig erkannt wurden, bzw. wenn erkannt, dann leichtfertig oder sogar wissentlich – ohne Rücksicht auf die Gesamtinteressen der globalen Bevölkerung – beiseitegeschoben werden.

Es sind dies Fragen, die das ganze globale Feld heute betreffen, aber eben auch Russland in seiner Dynamik als aus der Asche des Sozialismus auftauchendem potentiellen Protagonisten einer möglichen Neuordnung, dem die widersprüchliche Aufgabe zufällt, sich als „Hybrid“ neu zu erfinden, der sich in die „Moderne“ einfügen muss, der sich aber in seiner undefinierten, in Bewegung befindlichen Mischung aus gemeinschaftsorientierten und neo-kapitalistisch orientierten Lebensweisen nicht in die „normalen“, sprich zerstörerischen Krisenzyklen der kapitalistischen Welt einfügen kann – und es auch nicht will.

Die Grundfragen, deren Lösung ansteht, sind nicht zu umgehen – so oder so nicht. Fassen wir sie zusammen, dann lauten sie so:

  • Wie wollen wir leben, wenn nicht sozialistisch nach Art der Sowjetunion, aber auch nicht im nach-sozialistischen Turbo-Kapitalismus? Wie wird die soziale Frage der „Überflüssigen“ gelöst, die aus der ungebremsten Automatisierung bei gleichzeitiger rasanter Vermehrung der Weltbevölkerung erwächst?
  • Wie wird die „Nationale Frage“ in einer Welt gelöst, auf der unter dem Prinzip „Teile und Herrsche“ bei gleichzeitigen globalen Zentralisierungstendenzen immer mehr „eingefrorene Konflikte“ als Minenfelder für zukünftige Politik zurückbleiben?
  • Wie sind die zerstörerischen Folgen des immer noch wachstumsorientierten Expansionismus ohne Krieg zu bewältigen?

Wie lange und wie weit Russland zur friedlichen, kooperativen Lösung dieser Fragen beitragen kann, ist eine der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Frage der nächsten Etappe.

 

Kai Ehlers, 21.06.2016

www.kai-ehlers.de

 

 

 

Aufgaben Deutschlands, Aufgaben in Deutschland in der allumfassenden Krise!

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

Bericht vom 57. „Forum integrierte Gesellschaft“

Einladung zum kommenden am 1. Mai.

 

Das „Forum integrierte Gesellschaft“ ist ein offener Gesprächskreis, mit dem Ziel kritische Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Weltsichten in lebensdienlichen  Austausch zueinander zu bringen. Die Treffen finden in lockerer, freundschaftlicher Atmosphäre statt.

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Forums.

 

Der heutige Bericht fällt noch knapper aus als der letzte. Der Grund ist ein doppelter: Eine Berichterstattung zu dem Treffen war wegen längeren Aufenthaltes des Berichterstatters in Russland, zweitens wegen dessen Krankheit nicht zu schaffen. Deshalb jetzt in aller Kürze:

Die Frage des letzten Treffens: „Was kann, was muss unsere Aufgabe in Deutschland angesichts der geistigen Herausforderung durch die globale Krise, durch die europäische Krise, durch Phänomene wie den „IS“ heute sein?

Unsere Annäherung: Konzentration auf eine Erneuerung der „europäischen Werte“  von unten – soll heißen in Auseinandersetzung mit deren Ver- und Missbrauch durch die „Politik“. Wiederanknüpfen an der geistigen Tradition des deutschen Idealismus vor dem Aufbruch Deutschlands zum Inperialismus und vor  dem Weltkriegsjahrhundert, sowie vor  der Verballhornung dieser Werte zu einer von „oben“ und „außen“ gestifteten Formaldemokratie nach 1945, an welcher die Bevölkerung demnächst nur noch per Knopfdruck am Laptop teilnehmen wird…

Diesem Niedergang gilt es entgegenzutreten, die historischen Impulse – grob gesprochen, beide Pole: Goethe hier, Faschismus da – gleichermaßen als Erbe anzunehmen, um so zu einem geistigen Vermögen, einer Vision und daraus hervorgehend zu einem politischen Instrument für die Stärkung, den Aufbau, die Entwicklung einer Gesellschaft selbstbestimmter Individuen zu kommen. (Wer dazu mehr lesen möchte, kann in den Forums-Berichten auf der Website www.kai-ehlers.de der letzten Zeit oder in ihren/seinen eigenen Berichten) ein wenig zurückblättern.)

Vor dem Hintergrund dieses Standes unserer Runde entschlossen wir uns zu einem Sprung in die Praxis über den Forums-Kreis hinaus zu wagen.

So wird das kommende Forum sich mit der in den letzten Monaten vorgestellten Inititiave „VVV“ (Verfassung vom Volk“ beschäftigen (http://www.verfassung-vom-volk.org ). Unser Wunsch ist in Hamburg einen Versuch eines öffentlichen Wirkens mit Ihnen zusammen zu starten. Das Thema „VVV“ wird also auf der kommenden Tagesordnung des Forums stehen.

Treffen zur Erarbeitung um die VVV-Initiative

  1. Mai, 16.00 am bekannten Ort. Achtung:

***** Aus Gesundheitsgründen könnte es so kommen, dass der Termin verschoben werden muss. Bitte deshalb vor Aufbruch zum Treffen überprüfen, ob der Termin weiter steht. Wenn keine Absage kommt – steht er. ******

Und noch dies:

Wer an der Erarbeitung und  möglichen Umsetzung teilnehmen will, ist herzlich eingeladen. Mail genügt: info@kai-ehlers.de (Achtung: Treffen in Hamburg)

 

Im Namen des Forums integrierte Gesellschaft,

Kai Ehlers

 

 

 

 

Krise des Nationalstaats – als Aufforderung zur geistigen Erneuerung

Ukraine, Syrien, Libyen, Irak, Türkei, Afghanistan – unter dem Druck der Flüchtlingsströme von Süden in den Norden des Globus jetzt auch die Europäische Union: das Kampffeld, auf dem nationale Souveränität in Frage gestellt wird und wo sie umso radikaler behauptet wird, weitet sich zusehends aus. Die großen Mächte schieben nationale Souveränität beliebig beiseite, kleine Völker wie die Kurden, wie die Uiguren Chinas, wie Indigene Südamerikas ringen um Autonomie oder „nationale Widergeburt“, arbeiten vergessene Geschichte in eigenen Epen auf. So etwa die Tschuwaschen Russlands, deren neuestes „Nationalepos“ soeben in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Bei all dieser nationalen Selbstbesinnung und ihrer gleichzeitigen Zerstörung stellt sich die Frage, welche Bedeutung Autonomie, nationale Wiedergeburt, genereller nationale Souveränität, Nation, Nationalstaat und überhaupt die völkerrechtlich festgeschriebene nationalstaatliche Grundordnung, die heute als Norm gilt, in der gegenwärtigen Krise hat.
Die neue Weltordnung, die im Zuge des ersten und des zweiten Weltkriegs auf den Trümmern der Vielvölkerdynastien Habsburgs, des Osmanischen Reiches, die in der Nachfolge des englischen Commnonwealth, des Übergangs des russischen Vielvölkerreiches in eine Union der Sowjetrepubliken als nachkoloniale zukünftige Völkerordnung selbstbestimmter Nationalstaaten konzipiert wurde, begleitet vom Aufkommen der USA, später der EU, zerfällt heute in eine, paradox formuliert, fragmentierte Globalisierung – wenn die Konzeption einer stabilen internationalen Ordnung von souveränen Nationalstaaten überhaupt jemals mehr wurde als ein Plan.
Sicher ist allein: Die Erhebung des Nationalstaats zur herrschenden Doktrin der modernen Völkerordnung schnürte die Unterschiede der Staatsformen in ein definitorisches Korsett ein, das die tatsächlichen Machtverhältnisse in dem so entstandenen internationalen Staatengeflecht zum Nutzen der dominanten Mächte formierte und diese Realität zugleich kaschierte.
Um es nur anzudeuten: Unter die Norm des Nationalstaats fallen heute so unterschiedliche Formen wie die mit dem Lineal gezogenen Gebietsaufteilungen zwischen den ehemaligen Kolonialgebieten, die ungeachtet gewachsener Raum- und Kultureinheiten zu „souveränen Staaten“ erklärt wurden, wohl wissend, dass damit Abhängigkeiten von den ehemaligen Kolonialländern erhalten blieben und so Konflikte implantiert wurden, die ein „teile und herrsche“ auch für die Zukunft garantieren sollten.
Die derart schon bei ihrer Geburt um ihre Souveränität gebrachten Nationen liegen heute als politische und soziale Minenfelder über den Globus verteilt. So im gesamten vom Westen dominierten nachkolonialen Raum; so in anderer Form auch innerhalb des nachsowjetischen Raums. Die Reihe sog. „eingefrorener“, dazu die der potentiellen Konflikte breitet sich zurzeit mit großer Geschwindigkeit über den Globus aus.
Und weiter: Als Nationalstaaten galten und werden faktisch auch die multinationalen „Supermächte“ der USA, der UdSSR, sowie neuerdings die EU, ebenso die nach wie vor bestehenden Vielvölkerstaaten Russland, Indien, China, Brasilien gehandelt, um nur einige der wichtigsten zu nennen.
Ein neues Kapitel eröffnen schließlich fundamentalistische Bewegungen wie der „Islamischen Staat“, die den Anspruch stellen, den Nationalstaat durch einen Gottesstaat ersetzen zu wollen, welcher die Grenzen bisheriger säkularer Staatlichkeit überhaupt überschreitet.
Was, bitte sehr, ist angesichts dieses scheckigen Bildes heute noch der Nationalstaat? Zurückhaltend gesprochen sind Definitionen wie „Nationalstaat“, mehr noch „Nation“ oder gar „Nationalismus“ dynamisch, offen für Interpretationen, entwicklungsfähig; schärfer betrachtet, erscheinen die Grenzen dieser Definitionen diffus und in ihrer Unbestimmtheit latent konfliktträchtig. Das gilt nicht nur für die Außenbeziehung dieser Gebilde, deren Hoheitsansprüche sich auf diversen Gebieten immer wieder überlagern. Es gilt auch für die Merkmale, auf welche die Nationen selbst gegründet, bzw. dafür, wie sie gewaltsam zusammengesetzt wurden; ethnische, sprachliche, historische, geografische, ideologische Elemente sind darin eingegangen. Diverse Mischungen von Nationalstaaten sind darüber hinaus anzutreffen. Dazu kommen politische Strukturen, die ein gleitendes Spektrum von autoritärem Zentralismus bis hin zu demokratischen Verhältnissen abdecken.
Nur eins ist am Ende all diesen Erscheinungsformen des heutigen Nationalstaates als kleinster Nenner gemeinsam: der Anspruch des staatlichen Definitions- und Machtmonopols gegenüber den in ihren Grenzen jeweils lebenden Bevölkerungen, in dem sämtliche Funktionen des gesellschaftlichen Lebens unter der Herrschaft der Ökonomie, genauer der profitorientierten Kapitalverwertung zusammenlaufen. Alle anderen Lebensimpulse, einschließlich der geistigen, kulturellen und moralischen sind dieser Dominanz der staatlichen Kapitalverwaltung unter- und nachgeordnet.
Zwar sind die Staaten – im günstigsten Fall – nach Judikative, Legislative und Exekutive in sich differenziert. Über ihren Anspruch des staatlichen Machtmonopols als kleinster gemeinsamer Nenner sind die Staaten jedoch – allen anderen Beteuerungen auf Mitwirkung der Bevölkerungen zum Trotz – der Souveränität der in ihren Grenzen lebenden Menschen als unausweichlicher, ggfls. mit Zwang bewehrter Imperativ entgegengestellt: Wer im Rahmen dieses Machtmonopols lebt, ist Staatsbürger einer Nation, die sich durch ihre souveränen Hoheitsansprüche von anderen Staaten abgrenzt.
Soweit gekommen wird sichtbar, dass selbst diese Kern-Definition von Nationalstaat heute tendenziell keine „nationale“ Gültigkeit, genauer, keine nationalen Grenzen mehr hat, wenn sie inzwischen in der Praxis zunehmend durch supra-nationale Monopole, Korporationen, globalisierte Kapitalflüsse, transnationale Abkommen wie CETA, TTIP usw. nicht nur ausgehebelt, sondern praktisch in deren Dienste gestellt wird.
War die Existenz einer völkerrechtlich geschützten i n t e r – n a t i o n a l e n stabilen Ordnung gleichberechtigter souveräner Nationen schon bei ihrem Entwurf eine Fiktion, so ist sie inzwischen nicht einmal mehr eine Fiktion, sondern selbst in Bezug auf das selbstbestimmte Machtmonopol als dem kleinsten gemeinsamen Nenner für die Definition des Nationalstaat auf ein Niveau heruntergekommen, auf dem Versuche zur Rettung des Nationalstaats zum einen und die brutale Missachtung nationalstaatlicher Souveränität zum anderen sich gegenseitig zu wachsenden Konflikten aufzuschaukeln.
Hier kurz eine Erinnerung an die aktuellsten Symptome dieser widersprüchlichen Eskalation:
Die Ukraine: Mit Gewalt soll in einer nachholenden Entwicklung ein nationaler Einheitsstaat entstehen, wo eine föderale Beziehung autonomer Regionen die einfachste Lösung wäre. Faktisch entsteht hier ein weiterer „eingefrorener Konflikt“.
Syrien: Die völkerrechtlich festgeschriebene Souveränität eines Staates wird von einer Koalition der Willigen unter Führung der USA brutal beiseitegeschoben wie zuvor schon und parallel dazu auch in anderen Staaten ehemaligen „Entwicklungsgebieten“ der Welt. Nur Russland besteht auf Einhaltung der Souveränität.
Die EU: Überwunden geglaubter Nationalismus entwickelt in dem Moment seine erneute Sprengkraft, in dem die EU sich als supranationale Fortsetzung des Nationalstaats entpuppt, statt als Bündnis gleichberechtigter Regionen.
Die geplanten Handelsabkommen: Mit TTIP/TTP, CETA u.ä. macht das globale Finanzkapital Anläufe dazu die Souveränität der Nationalstaaten (sowohl der direkt beteiligten wie auch der von den möglichen Auswirkungen als Dritte betroffenen) auszuhebeln und sich zu unterwerfen.
Und schließlich, schon benannt, doch wichtig genug hier noch einmal in die Reihe gestellt zu werden, Phänomene wie der „Islamische Staat“, die eine völkerrechtliche Nationalstaatlichkeit durch den rechtlich nicht begrenzten Anspruch eines Gottesstaates ersetzen wollen.
Die Konflikte entwickeln sich scheinbar in unterschiedliche Richtungen – verspätete Nationenbildung hier, Renationalisierung, Rückkehr zu Nationalismen, „eingefrorene Konflikte“, die jederzeit aufgetaut werden können dort – der Kern der Konflikte ist jedoch immer der gleiche: die nicht vorhandene, bedrohte oder nicht anerkannte nationale oder mit Gewalt erzwungene Souveränität. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Alle Versuche der Erneuerung müssen zudem folgenlos bleiben, solange der Widerspruch zwischen propagierter nationaler Souveränität und tatsächlicher Unterordnung unter globale ökonomische Fremdbestimmung nicht gelöst wird, genauer gesprochen und eine Etage tiefer gestochen, solange Idee und Realität des Nationalstaats in der heutigen Form eines von der Ökonomie determinierten Machtmonopols weiter unverändert bestehen bleibt.
Selbst aufrichtige, zumindest als Krisenmanagement ernst gemeinte Versuche die Nationalstaatsordnung durch verstärkte Propagierung der vor allem seitens der USA bedrohten nationalen Souveränität zu stützen, wie es Russland zur Zeit in Syrien tut, selbst der aktivste „Werte-Export“, mit dem der Westen die Ukraine zu einem demokratischen Nationalstaat erheben möchte, ja selbst Initiativen von Bürgern und Bürgerinnen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der heutigen Politik ihrer Länder und im internationalen Geschehen, etwa für eine Reform der Vereinten Nationen, bleiben in dem Chaos der Nationalstaatsbeziehungen hängen, solange kein neues Verständnis von Selbstbestimmung gefunden wird, das die Definition von Souveränität als ökonomisch dominiertes Machtmonopol des Staates über „seine“ Bürger und folgerichtig der mächtigeren „Nationalstaaten“ über die weniger mächtigen, über die „failed states“, die „eingefrorenen“ und die potentiellen Konflikte, den schwächeren Konkurrenten usw. hinter sich lässt.

Was ansteht, ist die Entwicklung eines neuen Verständnisses von Staat, die Öffnung, klarer gesprochen, die Sprengung des gegenwärtigen nationalstaatlich definierten staatlichen Machtmonopols in gesellschaftliche Bereiche, die ihre eigenen Belange selbstbestimmt in Kooperation mit anderen Bereichen auf der Basis echter Selbstbestimmung der Bürger und Bürgerinnen und ihrer Basis-Gemeinschaften und Gemeinden entwickeln und verwalten und so ihren Gesamtzusammenhang bilden, ist darüber hinaus die Öffnung in eine Zukunft föderal miteinander verbundener, selbstbestimmter autonomer Länder und Regionen und eine dem folgende globale Ordnung.

Aber wie ist das anzufassen, worauf können, worauf müssen die Impulse für eine geistige Erneuerung sich richten, wenn nicht Initiativen, Reformen, Aufrufe zu mehr Beteiligung, mehr Demokratie, zu einer Ordnung der Vielfalt etc. etc. immer wieder im herrschenden Verständnis und der ermüdenden Wirklichkeit des nationalstaatlichen Machtmonopols hängenbleiben oder von ihm abgeschmettert werden sollen – und: ohne dass andererseits totalitäre Auswege wie die des „Islamischen Staates“ gesucht werden, die ganzheitliche Lösungen aus der jetzigen Malaise vorgaukeln?

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

Geschichte von unten, tschuwaschische Epen „Ylttanbik“ und „Attil“ – Problemkreis: „Nationale Wiedergeburt“, Vielvölkerstaat, Krise des Nationalstaats.

Mitte Januar erschien die deutsche Übersetzung des tschuwaschischen Epos „Ylttanbik – der letzte Zar der Wolgabolgaren.“, Untertitel: „Verschiebung der Mitte der Welt im Mongolensturm des 13. Jahrhunderts“ auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Herausgeber Kai Ehlers zusammen mit Christoph Strässner und Eike Seidel, Verlag „Rhombos“, 39,80 €.

Mit dem Buch tritt eine Seite der eurasischen Geschichte hervor, die unter der heute herrschenden, das heißt konkret, unter der sowjetischen, davor russischen und, wenn wir noch weiter zurückgreifen wollen, unter der mongolischen Geschichtsschreibung verschüttet war. Als Geschichte von unten, die über Jahrhunderte nur in Legenden, Liedern und Gebräuchen überleben konnte, ist dieses Epos geeignet einen neuen Blick auf die Vielvölkergeschichte Russlands und deren heutige Realität zu öffnen.

Darüber hinaus kann es helfen den Blick auf das Problem ethnischer und nationaler Identitäten generell zu schärfen, zumal mit dem Epos um „Ylttanbik“ zugleich ein früheres Epos der Tschuwaschen, die epische Erzählung von “Attil und Krimkilte“, Untertitel „Das Tschuwaschische Epos zum Sagenkreis der Nibelungen“, das bereits seit 2011 in deutscher Sprache vorliegt, noch einmal mit ins Blickfeld rückt.

Das Epos über Attila erzählt die Gründungslegende des Wolga-Bolgarischen Reiches aus Sicht der heute in Russland lebenden Tschuwaschen. Die Tschuwaschen verstehen sich als Nachkommen der Teile der Hunnen, die sich nach dem Tode Attilas 451 ins Gebiet zwischen Wolga und Ural zurückzogen, wo sie, historisch sehr stark verkürzt gesagt, das Reich Wolga-Bolgarien bildeten. Im Epos über Ylttanbik, rund 700 Jahre weiter, wird der Untergang eben dieses Bolgarien im Mongolensturm in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts geschildert. Er führte zur Integration der um ihre eigene Reichsstaatlichkeit gebrachten Bolgaren in das russische Imperium. Heute leben die Bolgaren unter dem Namen Tschuwaschen in der nach ihnen benannten autonomen Republik Tschuwaschien an der Wolga in der Nachbarschaft von fünf weiteren, nach ihren führenden Ethnien benannten Republiken Tatarstan, El Mari, Utmurtien, Mordawien und Baschkirien.

 

Fragen an die Geschichte

Fragen tauchen auf, die in einem Diskurs, der sich für eine vorurteilslose Überprüfung bisheriger geschichtlicher Abläufe öffnet, zu einem erweiterten Verstehen der Dynamiken führen können, die den eurasischen Raum gestalteten und durch ihn die Welt, wie wir sie heute kennen. Zu nennen ist der Untergang Roms in der von den Hunnen angestoßenen Völkerwanderung im fünften, die Verschiebung der Mitte der Welt vom Islamischen Kulturraum nach Europa durch die mongolische Invasion im dreizehnten Jahrhundert, die Teilung der Welt in Ost und West. Mit den Nachwirkungen dieser Kulturbrüche leben wir bis heute.

Allem voran stehen jedoch zunächst Fragen zur Entstehung der Epen selbst, Fragen, die schon bei seinem Erscheinung schon an „Attil und Krimkilte“ gestellt und die durch die Vorlage von „Ylttanbik“ noch einmal aktualisiert wurden:

Die erste Frage lautet: Gibt es ausreichend historische Quellen, die die Existenz einer eigenständigen tschuwaschischen Überlieferung über Attila als Vorfahr der Bolgaren und von ihnen ausgehend der Tschuwaschen belegen? Gibt es belastbare Quellen zu einer Volkslegende über Ylttanbik? Oder sind sowohl „Attil und Krimkilte“ als auch „Ylttanbik“ als „letzter Zar“ Gestalten, die der individuellen Phantasie einer einzelnen Person, nämlich der des heutigen tschuwaschischen „Nationalschriftstellers“ Michail Juchma entsprungen sind, der diese Figuren im möglicherweise im Interesse einer Wiedergeburt tschuwaschischer Identität nach dem Zerfall der Sowjetunion geschaffen hat?

Kritiken dieser Art wurden in Tschuwaschien und in Russland durchaus laut, als die Texte nach der Auflösung der Sowjetunion vom „Tschuwaschischen Kulturzentrum“ in Tscheboksary in deren Zeitung „Herdfeuer“ und danach als Bücher erstmals veröffentlich wurden.

Und weiter: Sind die Übermittlungswege des Erzählstoffes zu „Attil und Krimkilte“ wie auch die zu „Ylttanbik“ nachweisbar und nachzuverfolgen? Gibt es nachprüfbare Quellen dafür, dass die Stoffe tatsächlich über lange Zeiträume in mündlicher Erzähltradition, in Legenden und Sagen bis ins heutige Tschuwaschien hinein weitergegeben wurden?

Michael Juchma hat umfangreiche Quellen und Berichte vorgelegt, die auf fremden und eigenen Forschungen in der russischen, darüber hinaus in der tschuwaschischen, sowie der turksprachigen und arabischen Literatur basieren, auf Erinnerungen, die in tschuwaschischen Dörfern leben und auf Briefen, die das Tschuwaschische Kulturzentrum zum Thema erreicht haben.

 

Legenden contra Gschichtsdaten?

Hier wird allerdings ein Problem sichtbar: Die Erinnerung aus den Volksliedern, den Legenden und Sagen widersprechen in Teilen den Daten, wie sie von der herrschenden Geschichtsschreibung weitergegeben und fixiert wurden – aus der Sicht der Sieger, der mongolischen, der russischen und schließlich auch der sowjetischen, insbesondere in ihrer nach-revolutionären stalinistischen Phase.

Die zuletzt genannte Einschränkung zum Stalinismus bedarf einer Erläuterung, weil sie die Verschriftungsgeschichte in besonderer Weise beleuchtet: Die 1991/2 zu beobachtende Bewegung zur tschuwaschischen Wiedergeburt (im Chor der diversen Wiedergeburtsgeschichten anderer Völker beim Zerfall der Sowjetunion), in deren Zuge die Epen in die tschuwaschische, russische Öffentlichkeit kamen, war bereits die zweite Welle tschuwaschischer Rückbesinnung auf die eigene Identität. Die erste erlebte Tschuwaschien mit der Krise des Zarentums am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts, geleitet durch den Aufklärer Iwan Jakowlew und die von ihm gegründete Simbirsker Schule, die durch ihre für die damalige Zeit fortschrittlichen Reformansätze berühmt war und auch von Lenin noch unterstützt wurde. Die ersten nachweisbaren Verschriftungsansätze der Erzählungen um Attila wie auch um Ylttanbik, auf die Juchma sich bei seiner Zusammenstellung der Texte gestützt hat, gehen auf diese Zeit zurück. In der Stalinzeit galt die Beschäftigung mit diesen Fragen dann jedoch als Nationalismus und stand unter staatlichem Verfolgungsdruck. Viele Tschuwaschische „Heimatforscher“ verloren ihr Leben. Die Texte verschwanden im Untergrund, von wo sie erst 91/92 stückweise, beschädigt, an verschiedenen Orten wieder auftauchten.

Es stellt sich – drittens – also die Frage, wie die in der tschuwaschischen Überlieferung genannten Fakten (Namen, Daten, Orte, Zusammenhänge zwischen Hunnen, Bolgaren und Tschuwaschen, die Bedeutung Bolgarstans uam.), da wo sie von der herrschenden Geschichtsschreibung abweichen, zu bewerten sind. Handelt es sich um Tatsachen, die von der Geschichtsschreibung der Sieger ins Vergessen verdrängt oder gar unterdrückt wurden, die also eine Korrektur, zumindest eine Erweiterung des bisher bekannten Geschichtsbildes verlangen, etwa die Version, die in jedem deutschen Schulbuch zu finden ist, dass die Russen das Abendland vor der Eroberung durch die Mongolen bewahrt hätten? War es nicht vielleicht doch anders, zumindest sehr viel differenzierter? Oder ist die Berufung auf Attila, auf ein großes Bolgarstan vom Ural bis zum kaspischen Meer, ist die Annahme der Tschuwaschen, sie hätten seinerzeit als Bolgaren die Hauptlast der Kämpfe gegen die Mongolen zu tragen gehabt, eine Überhöhung, die sich aus dem Drang zur Selbstvergewisserung eines „kleinen Volkes“ ergibt, das sich trotz zweimaliger Wiedergeburtswellen in seiner Identität heute bedroht sieht? Liegt das tatsächliche historische Geschehen, um nicht von Wahrheit zu sprechen, vielleicht irgendwo zwischen diesen Polen?

All diese Fragen werden durch die Übersetzung dieser beiden Epen ins Deutsche nun auch in den deutschen Sprachraum getragen, nachdem der wissenschaftliche Streit um ihre Gültigkeit und Bedeutung bis dahin im russischen und tschuwaschischen Sprachraum gefangen war. Daran haben auch Übersetzungen beider Epen ins Bulgarische und Turksprachige nichts Wesentliches geändert.

 

Ungehobene Schätze?

Sichtbar wird bei der Umschau durch die Zeit und durch den Raum, aus dem Attila und Ylttanbik kommen, auch, dass über die tschuwaschischen Epen und Legenden hinaus noch weitere, noch viele kleine und größere Epen und Legenden im Schatzhaus der eurasischen Vielvölkergeschichte auf ihre Entdeckung warten. Zwei Hände reichen nach Ansicht russischer Folkloristen nicht, um sie aufzuzählen. Jedes von ihnen wird, wenn eines Tages ebenfalls verschriftet, seine eigene Variante der Völkerbewegungen in der Widersprüchlichkeit darstellen, in der die Vielfalt der sich überkreuzenden Geschichten im Lauf der Völkerbewegungen dieses Raumes gewachsen ist. Jedes Epos, das noch erscheinen wird, wird die Frage nach der Gültigkeit der bis dahin geltenden geschichtlichen Wahrheit verändern – wird sie vervollkommnen oder auch bisherigen Annahmen widersprechen und damit zur Schärfung unseres Geschichtsbildes beitragen.

Eins aber ist sicher und wird durch solche Veröffentlichungen wie die zu „Ylttanbik“ oder zu „Attila“, die jetzt aus dem nach-sowjetischen Untergrund auftauchen, deutlich: Geschichte ist keine einmal gemauerte Größe, an der sich nichts mehr bewegt, Geschichte bewegt sich mit der Gegenwart, so wie sie ihrerseits die Gegenwart bewegt. Es macht ja einen Unterschied, ob die Tschuwaschen ihren Platz in der Geschichte auch jetzt behaupten oder ob sie sich spurlos in der russischen Dominanz auflösen. Und es macht einen weiteren, erheblichen Unterschied, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen die Auseinandersetzung um diesen Platz geführt wird – zur aggressiven Nationenbildung einschließlich restaurativer Ansprüche auf Wiederherstellung vermeintlicher oder tatsächlicher früherer Größe oder zur kulturellen Identitätsbildung, die der Stärkung der Dialogfähigkeit in einem gewachsenen Zusammenhang dienen soll. Für die Veröffentlichung der tschuwaschischen Epen gilt eindeutig das Zweite: Sie zielt auf den kulturellen Wettstreit um den Platz im russischen Vielvölkerorganismus. Die nächsten Partner in diesem Wettstreit sind gleich nebenan die Tataren, die ihrerseits Anspruch erheben, nach der mongolischen Invasion als neue ethnische Kraft aus der Völkermischung des Wolgaraumes hervorgegangen zu sein. In ihrem Institut für Geschichte haben sie mehrere Kilo umfassende Konvolute historischen Materials zu dieser Frage aufgearbeitet.

Die Reihe ließe sich mit den anderen Wolgavölkern sowie weiteren in den russländischen Organismus eingegangenen Völkern fortsetzen. In dieser Gemengelage eines friedlichen Wettstreits liegt zweifellos eine große Kraft, die über Russland, selbst über Eurasien auf zukünftige Möglichkeiten des Zusammenlebens hinausweist – wenn der Wettstreit nicht nationalistisch aufgeblasen wird. Nationalismus, wenn er auch noch von außen geschürt würde, müsste den Vielvölkerorganismus Russlands sprengen. Das bezieht den weiteren eurasischen Raum zwangsläufig mit ein. Die Ukraine, die einen eigenen aggressiven Nationalen Mythos verfolgt, ist dafür das aktuellste Beispiel. Ihre Kolonisierung durch die westliche Politik macht zugleich unübersehbar deutlich, dass das Prinzip der nationalen Souveränität, ob nationalistisch oder nur national, unter den Bedingungen der weltumspannenden Herrschaft der internationalen Monopole und der globalen Finanzoligarchie heute ein auslaufendes Modell ist.

So bleibt am Ende der Befassung mit den Tschuwaschischen Epen „Ylttanbik“ und „Attil“, abgesehen vom Lesegewinn, die Frage nach dem Sinn und der Form der „Nationalen Widergeburt“ in einer Zeit , in welcher der Nationalstaat als herrschendes Modell des Zusammenlebens auf dem Globus in die Krise gekommen ist.
Kai Ehlers: www.kai-ehlers.de

24.01.2016
Link zum Buch:

Screenshot Syrien – Vom Schachspiel zum Poker

Die Schärfe der globalen Spannung, die zurzeit über Syrien lastet, fordert über die Tagespolitik hinaus mehr Beachtung der langfristigen Wirkungen der dortigen Vorgänge. In Kurzem:

„The Grand Chessboard…“ nannte Zbigniew Brzezinski sein bekanntestes Buch, in dem er die Strategie der US-Regierung Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts vor aller Welt offenlegte. Essens der Strategie war: Es dürfe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, durch den die USA zur einzigen Weltmacht geworden seien, kein neuer Rivale auf dem Globus heranwachsen, der die Vorherrschaft der USA in Frage stellen könne.

An dieser Zielvorgabe ließ sich die US-Politik bis in den Ukrainischen und auch bis in den Syrischen Krieg hinein messen: Unruhe schaffen, um mögliche Rivalen zu schwächen. Hauptadressat dieser Politik war und ist das nachsowjetische Russland als Impulsgeber einer multipolaren Welt.

CIA-Vorgaben aus den Jahren 90/91 des letzten Jahrhunderts, die empfahlen, dem absehbaren Bevölkerungswachstum der ehemaligen Kolonialgebiete wirksam entgegenzutreten, bildeten den nicht-öffentlichen, aber keineswegs geheim gehaltenen Hintergrund dieser Strategie. In den Vorgaben wurde vorgeschlagen dafür zu sorgen, dass die in den ehemaligen Kolonialländern heranwachsenden „Überflüssigen“ (in der Fachsprache der Dienste „Youth-Bulge“, Jugendüberschuß genannt) sich in lokalen Kriegen und Bürgerkriegen gegenseitig dezimieren.

 

Die Partie stagniert

Diese 91er Strategien, sagen wir es vorsichtig, haben sich überlebt. Die Jahrzehnte der einsamen US-Vorherrschaft wie auch der ebenso einsamen multipolaren Opposition Russlands dagegen gehen ihrem Ende entgegen. Eine neue Lage hat sich herausgebildet: Vergangen ist die unipolare Welt der scheinbar unaufhaltsamen neoliberalen Globalisierung, die sich nach Ende des Kalten Krieges unter der Dominanz der USA entwickelte hatte. Auch die der Globalisierung vorangegangene systemgeteilte Welt mit ihren leicht erfassbaren Freund-Feind/Sozialismus-Kapitalismus-Schablonen liegt weit zurück und ist nicht wiederholbar – auch nicht als Krieg der Kulturen.

Entstanden ist eine globale Gemengelage gegenläufiger, sich auf vielfältigste Weise überschneidender Interessen, die sich in wachsender Rivalität gegenüberstehen. Die langfristigen strategischen Optionen der systemgeteilten, ebenso wie die der unipolaren und auch der multipolaren Welt sind nicht vergessen, aber sie schrumpfen zurzeit auf kurzatmige taktische Manöver zusammen. Im Kampf um Ressourcen, globalen Einfluss und mögliche Vorherrschaft ist das Schachspiel aktuell zum Poker verkommen, in dem sich die ‚Spieler‘ in wechselnden Bündnissen gegenseitig belauern, einander zu übervorteilen und ins Risiko zu ziehen versuchen.

 

Eine neue Etappe

Man mag vielleicht einwenden, dass Poker gewissermaßen die natürliche, die ‚normale‘ Form des politischen ‚Spiels‘ sei, dem gegenüber die Regeln der system-geteilten Welt nach 1945 und selbst noch jene der US-Alleinherrschaft nach 1991 die entwickeltere, die rationalere, weil Stabilität bewirkende Form des globalen Konflikt- und Friedensmanagements gewesen seien, dass die heutigen globalen Beziehungen dagegen von der vorübergehenden Ausnahme sozusagen zur historisch Regel zurückkehrten. Mit dieser Sicht ginge man jedoch an der inzwischen erreichten Eskalationsstufe der globalen Beziehungen vorbei, die man, um es paradox aber realistisch zu formulieren, als zunehmende Fragmentierung der Globalisierung charakterisieren kann. Die führt entweder ins Chaos oder auf bisher nicht beschrittene zukunftsoffene, lebensdienlichere Wege der gesellschaftlichen, man darf ruhig sagen, der kulturellen Entwicklung.

In dem Maße, in dem die Weltbevölkerung technisch-logistisch als globale zusammenwächst, im dem Maße, in dem territoriale Entfernungen an Bedeutung abnehmen, steigt weltweit zugleich der Grad der Individualisierung, der Atomisierung und der Sektoralisierung der Gesellschaften in sich selbst genügende Einheiten, die ihre Beziehungen zu anderen Einheiten neu definieren müssen.

Der Nationalstaat, wie er im letzten Jahrhundert als Zentralstaat definiert wurde, erst recht der ethnisch dominierte, sowie der mit dem Lineal ohne jede Rücksicht auf historische Gewordenheiten gezogene, verliert in diesem Prozess seine bindende Kraft. Das drückt sich unter anderem darin aus, dass der Nationalstaat heute nicht mehr als Ausdruck eines Volkes, sondern als bloßer Rahmen für eine in viele Sektoren gegliederte Bevölkerung verstanden wird, deren Teile nicht selten mit der Außenwelt enger verbunden sind als mit den Menschen innerhalb der nationalen Grenzen.

Zugleich verlieren die Beziehungen zwischen den Nationalstaaten ihre Verbindlichkeit als grundlegende völkerrechtliche, besser gesagt globalrechtliche Ordnungseinheit. Auch sie sind, real betrachtet, in zunehmendem Maße nur noch Sektoren einer überstaatlichen, aber deshalb nicht etwa definierten und nicht etwa legitimierten allgemeinen Ordnung. Für die internationalen Beziehungen heißt das: Es herrscht das Recht des Stärkeren.

All dies sind Indikatoren der Krise des Nationalstaats und der mit ihm verbundenen gegenwärtigen Völker-Ordnung in seiner bisherigen Form und Bedeutung. Die Krise kann kurzschlüssige Rückwendungen zu nationalistischen Exzessen wie in der Ukraine und als Gegenstück dazu Weltherrschaftsphantasien wie die des „IS“ hervorbringen. Sie kann aber auch zur Weiterentwicklung des Nationalstaates in Richtung souveräner, miteinander in föderalem Verbund gleichberechtigt kooperierender autonomer Regionen, politischer Großkollektive und länderübergreifender Korporationen führen. In dieser Entwicklung wird auch der Nationalstaat als rechtlicher Rahmen seine neue Bedeutung finden.

Es stellt sich die Frage, welche Karte im globalen Poker um Syrien als nächste gespielt wird. Wenn Russland darauf besteht die Souveränität des syrischen Nationalstaates zu achten, ist das selbstverständlich noch nicht der endgültige Weg in die Zukunft, aber vermutlich ist es die Karte, die das geringste Risiko nach sich zieht, die ganze Runde zu sprengen und die Raum lässt für weitere Runden.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

Syrien – Gipfel der Souveränität.

So wie es vom Gipfel aus abwärts geht – oder im hohen Flug in ungesicherte Gefilde, so geht es vom Krieg in Syrien aus in die endgültige Beseitigung des Prinzips des souveränen Nationalstaats – oder zu deren grundlegender Neubestimmung.

Schauen wir, was da auf dem syrischen Schlachtfeld zusammenläuft: Continue reading “Syrien – Gipfel der Souveränität.” »

Alternativlos in den syrischen Krieg? Den Terrorismus besiegen?

Wenn die deutsche Bundesregierung der deutschen Bevölkerung erzählen will, es gebe keine Alternative zum Kriegsbeitritt der Bundeswehr in Syrien – was ist das? Dummheit? Lüge? Schamloser Opportunismus?

Man mag es kaum zum x-ten Mal wiederholen, was selbst die Strategen des von George W. Bush 2001 losgetretenen „Krieges gegen den Terrorismus“ inzwischen eingestehen mussten: dass der von den USA geführte „Krieg gegen den Terror“ den Terror erst zur globalen Geißel hat werden lassen, und zwar in doppelter Weise: als staatlichen Terror und in der Entstehung dessen, was sich heute „IS“ nennt sowie anderer verstreuter Milizen. Continue reading “Alternativlos in den syrischen Krieg? Den Terrorismus besiegen?” »

Flüchtlinge: … an die Wurzel gehen

Inzwischen mag man es kaum noch aussprechen: Den Ursachen, warum Menschen zu Zehntausenden und in zunehmender Zahl ihre Heimat verlassen ist nicht mit Aufforderungen an die Türkei, die Grenzen zu schließen, ist nicht mit schnellerer „Abfertigung“ an den Grenzübergängen, selbst nicht mit Reduzierung der deutschen „Willkommenskultur“ durch Leistungskürzungen für die Flüchtlinge u.ä. beizukommen, sondern …ja, wo hört man, wo liest man etwas über dieses „Sondern“ ?

Selbstverständlich muss den Menschen, wenn sie einmal hier sind, geholfen werden. Man lässt ein Kind ja schließlich nicht im Bade ertrinken, wenn es einmal hineingefallen ist. Darüber kann es „eigentlich“ keine zwei Meinungen geben. Man kann es sich auch ersparen, den Abgründen nachzugehen, die sich hinter dem Wörtchen „eigentlich“ auftun. Es findet sich bei gutem Willen und warmem Herzen immer ein Plätzchen, um das Kind in Sicherheit zu bringen. Es finden sich, anders gesagt, allen Unkenrufen über die selbstsüchtige Jugend und die selbstzufriedenen Alten in Deutschland zum Trotz immer noch Tausende Menschen, die bereit sind, den nach Hoffnung auf ein ruhigeres Leben lechzenden Flüchtenden zu helfen. Hier liegt, auch wenn das Geschrei über die angebliche Überforderung Deutschlands zurzeit sehr schrill klingt, nicht das Problem. Zu anderen Zeiten hat man noch ganz andere Opfer gebracht und Deutschland hat es überlebt.

Das Problem liegt in der schamlosen Unverfrorenheit, mit der die Regierenden der Bevölkerung das Auffangen der Flüchtenden aufbürden – während sie zur gleichen Zeit fortfahren – und das noch in zunehmendem Maße – ehemalige Kolonien, heute selbstständige Nationalstaaten, über Kredit- und Schuldenpolitik in Abhängigkeit und unter Druck zu halten, deren lokale Wirtschaften mit subventionierten Dumping-Exporten zu strangulieren und letztlich, wenn daraus Revolten hervorgehen, militärisch zu intervenieren – ganz zu schweigen von den Waffenexporten in die so entstandenen Krisengebiete.

Solange diese Politik, an der Deutschland an der Spitze der EU führend beteiligt ist, nicht einem grundsätzlichen Revirement unterworfen wird, wird die Flut derer, die ihr Heil in der Flucht nach Norden oder in andere Teile der „entwickelten“ Welt suchen, nicht abnehmen, sondern weiter anwachsen – sagen wir es unumwunden: wird die Flut der Migrationsbewegungen als neuer Verteilungskampf über die Ufer der gegenwärtigen Weltordnung treten und die heutige Eskalation extremer Ungleichheit mit sich reißen.

Also – was tun? Die Geschichte lehrt uns, wenn wir bereit sind zu lernen, dass solche Situationen, in denen eine gesellschaftliche Minderheit vom Elend einer großen Mehrheit lebt, zwar lange gestreckt werden können. Anders gesagt, die Wellen der Empörung laufen über weite Strecken des Meeres allmählich heran, immer wieder niedergedrückt von kurzfristig aufkommenden Wetterumschwüngen, bis sie aber irgendwann dann doch zu großen Brechern auflaufen. Nehmen wir die letzten großen zurückliegenden Revolutionen:

Die Französische Revolution kündigte sich lange vor dem Sturz Ludwigs XVI. in den Schriften und Polemiken der französischen Aufklärer an. Ihre durchschlagende Wucht, die die Strukturen des Ancien Regime in den Grundfesten erschütterte, bekam sie durch das Massenelend der französischen Bauern, deren sich wiederholende und steigernde Hungerrevolten und damit einhergehenden Brutalisierung der vorrevolutionären Gesellschaft, in der die Bauern nichts mehr zu verlieren hatten als ihr ihr Elend – in der für die Feudalen dagegen alles auf dem Spiel stand.

Im Kern nicht anders die russischen Revolutionen von 1905 bis 1917: Lange kündigte sich der Sturz des Zarismus in den Schriften der russischen Intellektuellen des 18. und 19. Jahrhunderts an, deren Aktivitäten, ebenso wie die des wankenden Zarentums um die Jahrhundertwende bis zum Terror eskalierten, bevor sie dann durch die Erhebung der Bauern 1905 die gewaltsame und auch brutale Dynamik bekamen, die eine relativ leichte Machtübernahme durch die Bolschewiki 1917 erst ermöglichte.

Macht es Sinn, unsere heutige Situation mit diesen zurückliegenden gesellschaftlichen Erschütterungen zu vergleichen? Nein, wenn man nur die äußeren Umstände vergleicht. Heute ist die Herrschaft der Ausbeuter global und tendenziell total, Kritik und Revolte sind dagegen über den ganzen Globus verteilt; eine Revolution, die diese Verhältnisse gewaltsam stürzen will, kann nur gleichbedeutend mit globalem Chaos sein.

Im Kern allerdings wiederholt sich der Spagat zwischen hoch entwickelter, radikaler Gesellschaftskritik und dem wachsenden Drang der Benachteiligten und der zunehmend „überflüssig“ Gemachten, ihrem Elend ein Ende zu setzen. Was ist der wachsende Terror heute denn anderes als die radikalisierte Reaktion auf die ausbeuterische Herrschaft der übermächtigen Kapitale und ihrer perfektionierten Unterdrückungsapparate?

Wieso begriffen die Adligen des Ancien Regime, die Aristokraten des Zarismus nicht, dass der von ihnen geführte Krieg gegen die Revolten diese nur weiter anheizen konnte? Wieso begreifen die heute herrschenden Kräfte nicht, dass der Krieg gegen den Terrorismus nur neue Terroristen hervorbringen kann? Oder begreifen sie es doch? Oder haben sie ein Interesse daran, die Welt unter dem Druck dieses anti-terroristischen Krieges zu halten? Wer hat mehr Interesse daran, die Bevölkerung in Angst zu halten? Diejenigen, die die vermeintliche Weltsicherheit angreifen oder diejenigen, die sie zu verteidigen vorgeben? Eine offene Frage.

Hier hilft vielleicht die Erkenntnis von Pjotr Kropotkin weiter, der als Ergebnis seiner Analyse der vorrevolutionären Bauernrevolten Frankreichs feststellte, man müsse mit einem allgemeinen Irrtum aufräumen, nämlich dem, dass Revolten – und noch mehr Revolutionen – aus Angst und Verzweiflung erwüchsen, nein, so Kropotkin, sie entzündeten sich über das Elend, die Angst und die Verzweiflung hinaus eher an der Hoffnung, nämlich an der, dass das Leben in Zukunft nur besser, vielleicht sogar glücklicher werden könne.

Könnte es vielleicht sogar sein, dass wir es heute mit Kräften zu tun haben, denen daran gelegen ist, die Mehrheit der Menschen in Angst zu halten, um überhaupt erst keine Hoffnung aufkeimen zu lassen, dass die Verhältnisse, wie sie heute sind, veränderbar sein könnten?

Und wo wären solche Kräfte zu suchen? Anders gefragt, ist der Terror tatsächlich eine Gefahr für die bestehenden Verhältnisse oder stützt er sie eher? „Sicherheit“ ist ja heute, wie es scheint, alles, was noch zählt. Mit nichts lässt sich eine Zementierung der herrschenden Verhältnisse besser begründen als mit drohendem Terror. Führt seine Ausbreitung, genauer die Angst vor seiner Ausbreitung nicht im geraden Gegenteil zu den hysterischen Warnungen zur Festigung, ja, geradewegs in die Eskalation der bestehenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse in Richtung einer präventiven globalen Sicherheitsdiktatur? Ängste, Opfer des Terrors zu werden, sind heute eher hervorzurufen als jene, an zukünftigen Klimakataklysmen zugrunde zu gehen. Bedenken wir dies, wenn wir heute mit präventiven Sicherheitsstrategien unter der Parole „Krieg dem Terrorismus“ überzogen werden!

Was wir brauchen sind keine Strategien präventiver Sicherheit, sondern Visionen und umsetzbare Strategien zur Verwirklichung der bisher noch nicht verwirklichten Ziele aller, besonders der beiden letzten großen Revolutionen: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – unter Einbeziehung der Ebenbürtigkeit von Männern und Frauen erweitert zu „Freiheit, Gleichheit, Solidarität“. Das ist heute ein schwieriger Balanceakt, der den Mut zur radikalen Kritik des Bestehenden und seiner Veränderung bis hin zu aktivem Widerstand gegen kriegstreiberische Politik, von wem immer betrieben, mit dem scheinbar entgegengesetzten Mut verbindet, der äußeren Eskalation ein Widerlager der Deeskalation im eigenen Inneren und im konkreten Umgang mit dem Anderen, dem Fremden, sogar dem Feindlichen entgegenzusetzen. Es bedeutet auch, sich keine bequemen Feindbilder aufschwatzen zu lassen, sondern in kritischer Solidarität zu unterscheiden, wann und von wem eskaliert, wann und vom wem Deeskaliert wird. Das heißt, selbst denken, den eigenen Kopf benutzen.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

Zu diesem Thema:
Kai Ehlers, die Kraft der „Überflüssigen“, Pahl-Rugenstein, 2013
Bezug über den Autor: info@kai-ehlers.de

Stichworte zu einer häufig gestellten Frage: Russland – eine regionale oder eine imperiale Macht?

Schriftliche Fassung eines Vortrags
auf der „Friedenskonferenz“ vom 08.11.2015 in Hamburg

Die Frage ist zweifellos aktuell. Allein schon deshalb, weil sie auch von Barack Obama gestellt wird. Aber was ist regional, was imperial? Wonach wird gefragt? Continue reading “Stichworte zu einer häufig gestellten Frage: Russland – eine regionale oder eine imperiale Macht?” »

Apropos Sanktionen: Ein Blick auf Russlands Ressourcen

Nach vorübergehender Annäherung zwischen Russland und dem Westen, speziell der EU, lautet die herrschende Frage des Westens heute wieder, ob die Welt Angst vor Russland haben müsse.

Wer glaubte, Russland fünfundzwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder auf die Knie zwingen und zu einer Erdöl liefernden Regionalmacht, gar Kolonie herabstufen zu können, sieht sich getäuscht. Wieder einmal, muss hinzugefügt werden. Schon Napoleon, später Hitler unterlagen dieser Täuschung. Jetzt hat Russland den Erweiterungs-Offensiven der EU und der NATO ein klares Njet entgegengesetzt, verwandelt die vom Westen gegen das Land verhängten Sanktionen und Isolierunsversuche in neue eigene Entwicklungsschübe und festigt sein Bündnissystems mit den aus der US-Hegemonie heraustretenden Neuen Welt.

Woher nimmt Russland die Kraft der „Weltgemeinschaft“ auf diese Weise zu trotzen? Wie erklärt sich die Russland-Phobie der USA – obwohl doch „einzige Weltmacht“? Wovor fürchtet sich die EU – obwohl doch im Besitz der höchsten zivilisatorischen Werte?
Doppelt gestaffelte Autarkie

Die Antwort ist umwerfend einfach, dabei jedoch, wie es scheint, ebenso schwer zu verstehen wie sie einfach ist: Sie liegt – wenn man sich nicht nur an der Person Wladimir Putins aufhalten will – in Russlands Möglichkeit zur Autarkie. Die russische Autarkie ist doppelt begründet. Das sind zum einen die natürlichen Ressourcen der eurasischen Weite: Gas, Öl, Erze, Wald, Tiere usw.; es sind zum zweiten die sozio-ökonomischen Ressourcen, die aus der Fähigkeit der russischen Bevölkerung zur Eigenversorgung und den damit verbundenen, ins Land eingewachsenen kulturgeografischen Strukturen folgen. Dazu gehört als besonderes Element auch noch die Vielfalt der in Russland lebenden Völker, die zusammen einen Organismus bilden, in dem Zentrum und Autonomie sich noch einmal unterhalb der staatlichen Verwaltungsstrukturen in besonderer Weise ergänzen.

Zu sprechen ist von einem außerordentlichen natürlichen und menschlichen Reichtum, einer strukturell begründeten potentiellen Autarkie, die keine andere Gesellschaft auf der Erde in dieser konzentrierten Art und Weise ihr Eigen nennen kann. Sie gibt Russland die Möglichkeit, wenn es denn sein muss, unabhängig von globaler Fremdversorgung oder – in feindlichen Kategorien gedacht – von Sanktionen zu existieren, zumindest wesentlich länger zu überleben als andere Länder.

Dreimal versetzte diese strukturelle Autarkie Russland im Lauf der neueren Geschichte – wie oben schon angedeutet – bereits in die Lage, europäischen Kolonisierungsversuchen zu trotzen, sie zumindest zu überstehen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen: denen Napoleons 1812, denen der Deutschen Wehrmacht 1917, denen Hitlers 1939. Heute ist es wieder so: Trotz Krise, trotz technischer Rückständigkeiten, trotz Dauer-Transformation seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und bis heute schaffte es Russland zum Erstaunen der Welt nicht nur zu überleben, sondern auch dieses Mal wieder stärker aus der Krise hervorzugehen.

Wladimir Putins Wirken und seine Auftritte spiegeln diese Tatsachen: Nach innen ist das die Konsolidierung einer neuen herrschenden Schicht; Stichworte dazu sind: Eine bürokratische Zentralisierung, eine Ausrichtung der Medien am nationalen Interesse und eine Disziplinierung der Oligarchen. Dazu kommt eine – wenn auch durch den Ölpreis gestützte und von ihm abhängige – soziale Befriedungspolitk gegenüber der werktätigen Bevölkerung.

Nach außen ist es der Widerstand gegen den hegemonialen Anspruch der USA. Die Stichworte dazu sind: Beschluss einer neuen Militärdoktrin seit 2002, Auftritt gegen die USA bei der Münchner NATO-Tagung 2006, dazu eine, so möchte ich es in Erinnerung an vordergründige westliche Kritiken nennen, die dem nachsowjetischen Russland Unentschiedenheit vorwarfen, konsequent opportunistische Politik Russlands zwischen Ost und West, zwischen EU im Westen und Shanghaier Bündnis im Osten. Es folgte das erste Njet gegen die NATO-Erweiterung 2008 im sog. Georgischen Krieg, in dem Russland sich gegen die weitere Ausdehnung der NATO in die Ukraine und nach Georgien wandte; gegenwärtig erleben wir die Aktualisierung dieses Njet im verdeckten Ukrainischen Stellvertreterkrieg zwischen EU/USA und Russland.

Im Zuge dieser Entwicklung wurde Russland zum potentiellen Führer einer aus den ehemaligen Kolonien hervorgehenden neuen Welt, die sich aus der US-Hegemonie lösen will, während die frühere Neue Welt, die USA, sich im Versuch, ihren überhöhten Energiebedarf zu decken und ihre Weltherrschaft zu behaupten, in Kriege verstrickt und am Verfall ihrer moralischen wie auch politischen Autorität krankt.

In dieser sich abzeichnenden Wende liegt die Ursache für die Angst des Westens, dessen herrschende politische Schichten meinten, Russland im Kalten Krieg geschlagen zu haben und die nun erkennen müssen, dass die Geschichte keineswegs beendet ist, sondern auf ganz neue, von ihnen nicht erwartete und nicht erwünschte Weise neu angestoßen wird.
Basis der Autarkie – extreme Bedingungen

Die russische Autarkie entsteht aus der außergewöhnlichen Kombination von extremem natürlichem Reichtum – Weite, Größe, Vielfalt – und ebenso extremen Härten, die aus denselben Bedingungen resultieren: 11 Klimazonen von extremer Hitze bis zu extremer Kälte, Weglosigkeit, Völkergemisch, Bedingungen, die nur im engen Zusammenwirken von Gemeinschaften bewältigt werden können. Diese Kombination von Reichtum und extremer Härte hat eine Kultur gemeineigentümlich wirtschaftender Dörfer unter einheitlicher zentralistischer Führung hervorgebracht. In dieser Kultur hat sich im Unterschied zur westlichen Entwicklung, in welcher die frühere Gemeinwirtschaft durch eine private Eigentumsordnung abgelöst wurde, kein Privateigentum an Produktionsmitteln herausgebildet. Sofern doch Privateigentum an Produktionsmitteln entstand, waren es lokale Ausnahmen und vorübergehende Erscheinung von kurzer Dauer, wie gegen Ende des 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts, als neben den der staatlich initiierten Industrialisierung aus den dörflichen Strukturen zusätzlich private Industrie entstand, deren private Rechtsformen jedoch mit der Revolution von 1917 schon wieder beseitigt wurden.

Das heißt, vor Ort, in den Weiten des russischen Landes, im Bewusstsein des Volkes war Eigentum „schon immer“ gemeinschaftlich organisiert. In der westlichen Geschichtswahrnehmung sind diese Verhältnisse als russische Dorfgemeinschaft, als Dorfdemokratie (MIR), russisch Òbschtschina bekannt; in Sibirien und im Süden Russlands waren es Genossenschaften freier Bauern, aber auch diese waren aufeinander angewiesene Gemeinschaften.

Die russischen Dörfer waren in ihrer Mehrheit ihrerseits Gemeineigentum des Zaren, der herrschenden Schicht, das heißt, des Hofes, der Kirche, des dem Zaren hörigen Dienstadels, alles zusammengefasst unter der Führung der zaristischen Selbstherrschaft, zu der Kirche und Staat sich verbunden hatten. Autarkie und Autokratie sind in dieser Geschichte untrennbar miteinander verbunden. Man hat es im Ergebnis im traditionellen Russland mit einer Wirtschafts- und Lebensweise zu tun, die Karl Marx und Friedrich Engels seinerzeit als „asiatische Produktionsweise“ charakterisierten. Damit waren Verhältnisse gemeint, wie sie auch aus dem alten Mesopotamien, aus Ägypten, von den Inkas, aus China, Indien usw. bekannt waren. . In der Industrie setzte sich diese Realität als staatlich initiierter Kapitalismus fort.
Asiatische Produktionsweise

Marx und Engels kategorisierten die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entlang zweier von ihnen angenommener Linien. Auf der Hauptlinie sahen sie, noch ganz einem ungebrochenen eurozentristischen Verständnis verhaftet, die Entstehung der abendländisch-europäischen Produktionsweise: Urgesellschaft – Sklavenhaltergesellschaft – Feudalismus – Kapitalismus – Sozialismus – Kommunismus, die sich, basierend auf der Entwicklung des Privateigentums an Produktionsmitteln, dynamisch, unaufhaltsam, eskalierend von Revolution zu Revolution aus einer Formation in die nächst höhere bewege. Für Marx/Engels war Europa das Zentrum dieser Bewegung, heute sind es von Europa ausgehend die USA, allgemeiner der euro-amerikanische Westen. Auf der Nebenlinie verorteten sie die asiatische Produktionsweise, anders von Marx auch als gemeineigentümlicher Despotismus bezeichnet, die aus dem Zusammenwirken von dörflicher Selbstversorgung und einer ihr übergeordneten Bürokratie entstehe und von den Dörfern lebe (Priesterkaste, Gelehrtenhierarchie, Beamtenapparat…).

Prinzipiell formuliert: Die europäische Produktionsweise entwickelte Privateigentum als Motor der Selbstverwertung des Geldes, aus welcher der privatwirtschaftliche Kapitalismus hervorging. In ihr sind Staat, Kirche und Kapital getrennt und müssen sich immer wieder neu verbinden. Ihre Krisen tragen dynamischen Charakter. Die asiatische Produktionsweise entwickelt Gemeineigentum als Basis einer stabilen individuellen und allgemeinen Selbstversorgung unter der Herrschaft einer verwaltenden Klasse. Krisen entstehen periodisch aus der Schwäche der Bürokratie, nicht aus der Dynamik des Kapitals.

Marx bezeichnete diese asiatischen Formen der Wirtschaft im Gegensatz zur griechisch/römischen Sklavenhaltergesellschaft, in welcher einzelne Menschen zum Privatbesitz einzelner Menschen wurden, als eine „allgemeine Sklaverei“, weil in ihnen der Einzelne zwar frei, im Kollektiv aber dem Staat unterworfen oder gar hörig sei. Einen wesentlichen Unterschied der asiatischen Produktionsweise zur europäischen sahen Marx und Engels auch darin, dass die asiatische Produktionsweise keine innere Dynamik aufweise, die zum Kapitalismus dränge, sondern eine im Wesen sich immer gleich bleibende Gesellschaftsordnung sei, die als Krise der herrschenden Bürokratie zwar auch periodisch zusammenbreche, sich aber immer auf demselben Niveau wiederherstelle.

Marx und Engels entwickelten ihre Analyse am Beispiel der indischen Gesellschaft und bezogen auch die alten Hochkulturen mit ein. In Russland erkannten sie eine besondere Form der asiatischen Produktionsweise, die sich aus einer immer wieder erfolgten Mischung mit europäischen Elementen ergeben habe; eine Entwicklung billigten sie Russland jedoch nur im Kontext mit dem Kapitalismus und der Revolution im Westen zu.

Aber Marx und Engels irrten. Ausgelastet mit der Aufarbeitung der Entwicklung des europäischen Kapitalismus konnten sie die Analyse der asiatischen Produktionsweise nicht zu Ende führen. So konnten sie nicht erkennen, dass auch diese Gesellschaftsform, insbesondere in ihrer russischen Variante, periodische Modernisierungskrisen erlebte, die nach Zeiten des Zerfalls regelmäßig in eine Effektivierung des Systems von bürokratischem Zentralismus und Peripherer Autonomie übergingen, nur dass die Ursachen ihrer Krisen nicht in wirtschaftlicher Dynamik, sondern in bürokratischer Stagnation lagen.

Kurz, sie erkannten nicht, dass euro-amerikanische und asiatische Produktionsweise zwei Wege der Entwicklung sind, die nicht aufeinander folgen, sondern in Wechselwirkung neben- und miteinander existieren und sich gegenseitig beeinflussen, sodass auch immer wieder neue Zwischenformen entstanden. Das gilt für die russische Geschichte, einschließlich ihrer sowjetischen Periode.
Russlands Besonderheiten

Schauen wir deshalb noch ein wenig genauer auf die russische Entwicklung: Russland entstand im offenen Niemandsland zwischen mongolischen Chanaten und westlichen Städten, in reicher Natur, aber der Weite und der Wildnis ausgesetzt. Ergebnis war die Selbstherrschaft der Moskauer Zaren als Beschützer und Ausbeuter der sich selbst versorgenden Dörfer, deren Selbstverwaltung zugleich Basis der Verwaltung des Zaren wurde. Es entstand die polare Doppelstruktur: Zar – Dorf, Schatzbildung in Moskau – autonome Versorgung im Lande. Es entstand kein Lehen, sondern ein jederzeit kündbarer Dienstadel, kein individuelles Eigentum, sondern Kollektivbesitz, keine vermögende, handlungsfähige Mittelschicht, keine Urbanität, kurz, was nicht oft genug wiederholt werden kann: keine Dynamik eines sich selbst verwertenden Kapitals. Hinzu kamen die auf sich selbst bezogenen kollektiven Traditionen der in den zaristischen Organismus integrierten Völker, die eine Dynamik der Selbstbestimmung innerhalb des Gesamtorganismus bildeten – wenn auch zweifellos nicht immer ohne Konflikte.

Die Modernisierungswellen gingen über das Land, ohne die Grundstruktur von Zentrum und Dorf in Frage zu stellen; Veränderungen vollzogen sich letztlich als Revolutionen von oben, als Teilimport westlicher Elemente, aber immer nur mit dem Ergebnis der Auswechslung von Personen. Selbst wo versucht wurde die Grundstruktur der kollektiven Selbstversorgung anzutasten, wie unter Nikolaus II. Anfang des 20. Jahrhunderts, kam das Gegenteil zustande. Sein Ministerpräsident Stolypin provozierte als Reformer den bäuerlichen Widerstand; auch die Bolschewiki, die das Land danach gewaltsam industrialisierten, machten doch die Selbstversorgung zugleich zur Grundeinheit des Staates, überwacht von einem wiederhergestellten Zentralismus.
Modernisierungsetappen: Stolypin, Lenin, Stalin…

In den Umwälzungen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts prallten asiatische und europäische Produktionsweise in Gestalt des von Europa ausgehenden Imperialismus und der bäuerlichen Realität Russlands besonders hart aufeinander. Die Revolution von 1905, ebenso wie die von 1917 waren Ausdruck dieser Entwicklung. In seinem Feldzug gegen die Selbstgenügsamkeit der Obschtschina wollte Stolypin im vorrevolutionären Russland die Fortsetzung der von Peter I. begonnenen Industrialisierung erzwingen. Die Dorfgemeinschaften sollten in Wirtschaften privater Großbauern überführt werden, die „überflüssigen“ Mitglieder der Dorfgemeinschaft sollten als Arbeiter in die Städte gehen. Am „Stolypinschen Kragen“, wie der Strick des Galgens von der Bevölkerung damals getauft wurde, endeten tausende von Bauern, die dieser Politik nicht folgen wollten – aber ihr Opfer dokumentierte auch das Scheitern der Stolypinschen Politik.

Lenin wiederholte den Stolypinschen Ansatz zur Industrialisierung der Landwirtschaft – aber nicht durch Auflösung der Dorfgemeinschaften, sondern indem er sie – Sowchosen und Kolchosen (Staatswirtschaft und kollektive Wirtschaft) – zu staatlichen Grundeinheit des neuen Staatswesens erhob. Ihre Struktur wiederholte sich im sowjetischen Aufbau der Verwaltung. Lenins Sieg über den Zarismus lebte einerseits von seinem Versprechen, jedem Bauern ein Stück Land zu geben. Gleichzeitig leitete er die Verstaatlichung der Landwirtschaft ein; Stalin setzte sie gewaltsam fort und verwandelte die kollektive Tradition des Landes zugleich in einen allgemeinen Zwangskollektivismus auf dem Lande wie in der Industrie. Wer sich weigerte oder angeblich im Wege stand, wurde deportiert und liquidiert. Aus dem agrarischen Despotismus des Zarentums wurde so ein planmäßiger industrieller Despotismus. Enteignung der Bevölkerung von ihrer gewachsenen Gemeinschaftstradition könnte man diesen Vorgang nennen.

Was zwischen 1905 und 1930 geschah, war aber dennoch kein Aufschließen zum Kapitalismus nach dem Etappenmodell von Marx und Engels. Die sowjetische Gesellschaft übersprang nicht etwa nur einfach den Kapitalismus, um gleich zum Sozialismus überzugehen, sie entwickelte vielmehr eine andere Art der Kapitalisierung, nämlich eine Kapitalisierung des Gemeineigentums unter Führung der bolschewistisch erneuerten Bürokratie. Das geschah als Kollektivierung der Landwirtschaft, als Organisation kollektiven Lebens rund um die Betriebe und Institute, als Erneuerung der Einheit von Selbstherrschaft und Dorf in der Form von Parteiführer und Volk, indem Gemeineigentum als Staatseigentum definiert wurde.

Im Kern stellten sich die Strukturen der Zarenzeit auf neuem Niveau wieder her: keine Selbstverwertungsdynamik privaten Kapitals, Herrschaft nicht durch Geld, sondern durch zentral vorgegebene Ziele. Diese Konstellation, wie schon frühere Konstellationen der russischen Lebensweise, wäre auf langfristige Stabilität, in westlicher Diktion „Stagnation“, angelegt gewesen, wenn sie nicht – dies allerdings stärker als früher – mit dem europäischen Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase zusammengestoßen wäre. So ergab sich eine Konfrontation von prinzipiellem Charakter und historischen Ausmaßen: Selbstversorgung, auch auf industriellem Gebiet gegen Selbstverwertung des Kapitals und Selbstgenügsamkeit gegen konsumistische Expansion.

Für den Ablauf russischer Modernisierungsschübe heißt dies alles: für die Entwicklungszyklen der russischen Produktionsweise gelten offensichtlich andere Regeln als die europäischen. Sie lassen sich nach drei Phasen gliedern: Phase eins: Zusammenbruch nach langer Stabilität, Zerfall der herrschenden bürokratischen Schicht, Stagnation. Phase zwei: Eintritt einer „verwirrten Zeit“, russisch: Smuta. Phase drei: Wiederherstellung des Konsenses in der herrschenden Schicht unter Hinzunahme von einzelnen Elementen der europäischen/westlichen Wirtschafts- und Lebensweise auf neuem technisch-zivilisatorischem Niveau. Die Grundstruktur: Zentrum – Peripherie bleibt jedoch erhalten. So war es nach dem Tod Iwans Iv. , im Westen besser bekannt als Iwan der Schreckliche, so nach den großen Bauernaufständen im 16. und siebzehnten Jahrhundert, so nach Peter I., so nach dem 1. Weltkriegs und danach, so ist es heute.
Heute

Vor dem Hintergrund dieser Regeln werden die heutigen Abläufe erkennbar: Unter der Decke der gemeinwirtschaftlichen Ordnung der Sowjetunion waren im Laufe der 70er Jahre seit 1917 – gegliedert in mehrere Etappen, versteht sich, die hier nicht im Detail auszuführen sind – individuelle und regionale Qualifikationen herangewachsen, die nach Verwirklichung drängten. Gorbatschows Perestroika („Neues Denken“) und „Glasnost“ waren nicht die Ursache für neue Initiativen, sie waren der Ausdruck, das grüne Licht für eine schon lange befahrene Straße, auf der sich der Verkehr bereits gefährlich staute. Nach dem 17. Juli 1953 in der DDR, dem Aufstand in Ungarn 1956, dem Bau der Mauer 1961 war der Prager Frühling 1968 schließlich ein unübersehbares Zeichen; er zeigte aber auch, dass die sowjetische Staatsbürokratie noch nicht reif für die Smuta war. Einen theoretischen Reflex auf diese Entwicklung konnte man 1977 in Rudolf Bahros „Alternative“ nachlesen; einen zweiten in der Sowjetunion selbst am Ende der 70er in den Untersuchungen der Nowosibirsker Schule unter ihrer Leiterin Tatjana Saslawskaja.

Das Auftreten Michail Gorbatschows Anfang der 80er Jahre signalisierte die Bereitschaft der Führung der KPdSU zu einer der in der russisch-sowjetischen Geschichte üblichen Reformen von oben: Perestroika zielte auf eine gelenkte Befreiung der herangewachsenen Potentiale privaten Interesses im Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Ordnung, ohne diese insgesamt aufheben zu wollen. Es ging um eine Effektivierung dieser Ordnung der kapitalisierten Gemeinwirtschaft, nicht um deren Abschaffung, nicht um die Einführung einer privatwirtschaftlichen Ordnung, auch nicht um die Verwandlung des asiatischen Typs der Produktion in den europäisch-westlichen.

Die herrschende Bürokratie der Sowjetunion hatte jedoch das Ausmaß der bereits erreichten Individualisierung und Privatisierung des Denkens und Wollens, sowie die Dynamik der regionalen Entwicklungen unterschätzt, so dass die Lockerung der staatlichen Vorgaben zu einem sich beschleunigenden allgemeinen Zerfall führte. Der Druck der Anpassung an die umgebende Welt war einfach zu groß, um ihn kanalisieren zu können, die technische Revolution der neu entstehenden globalen Kommunikationsstruktur als Einwirkung von außen nicht – von heute aus gesehen: noch nicht – wieder beherrschbar. Mittel der Abschottung und Kontrolle der neuen Medien waren noch nicht zur Hand. Man könnte sagen, die Moskauer Bürokratie wurde von der Computerisierung überrannt. Boris Jelzin und seine ganz an den äußeren Einflüssen orientierten Reformer waren der Ausdruck dieser Dynamik – die sich dann im Schockprogramm Luft machte, das die Umwälzung innerhalb von zwei Jahren schaffen wollte.
Putin

Die Restauration des Staates unter Putin war der konsequente nächste Schritt, dessen Inhalt darin bestand und besteht, die nach-sowjetische gemeinwirtschaftliche Produktions- und Lebensweise unter Einbeziehung westlicher Impulse und nach dem Abstoßen ineffektiver Ballaste im Lande wie an seinen Außenbereichen auf einem neuen Niveau wieder funktionsfähig zu machen. Nicht Nachvollzug, nicht Übernahme der europäisch-westlichen Produktions- und Lebensweise ist der Inhalt der nach-sowjetischen und heutigen russischen Transformation, sondern die Effektivierung des bürokratischen Kapitalismus auf privatwirtschaftlicher Basis.

Was dabei bisher herausgekommen ist, ist keine einfache Übernahme des uns bekannten Kapitalismus mit der ihm immanenten Selbstverwertungslogik des Kapitals, auf keinen Fall nur ein Nachvollzug westlicher Muster, sondern die Entstehung eines bürokratischen Zentralismus, der westliche und die russische Gemeinschaftstradition zusammenführt, eine Entwicklung also, die Elemente der zentralistisch gelenkten gemeineigentümlichen Ordnung mit privateigentümlichen Freiheiten zu verbinden sucht – das, was man im Westen ohne viel Verständnis für die innere Struktur des Landes „gelenkte Demokratie“ nennt.

Ihre widersprüchlichen Elemente sind: Öffnung für internationale Investitionen, Angleichung an die Standards der WTO sowie Front mit den USA gegen internationalen Terror auf der einen Seite; dem auf der anderen Seite steht die Beibehaltung von Staatskapital und staatlichem Zugriff auf Ressourcen, die erklärte Absicht, Subventionen für die eigene Landwirtschaft beizubehalten und der Anspruch auf eine Integrationsrolle Russlands für die Völker der russischen Föderation und Eurasiens mit Auswirkung auf die globale Ordnung gegenüber. Klar gesprochen: Russland wird sich auch in Zukunft nicht in eine von den USA und der EU-beherrschte Globalisierung eingliedern, es wird seine „Sonderrolle“ nach wie vor wahrnehmen. Russland kann sich diese Rolle leisten, weil es aus seiner Geschichte die doppelt begründete Autarkie mitbringt: die Unabhängigkeit in den natürlichen Ressourcen und die Tradition der Eigen- und Selbstversorgung in der Bevölkerung, und autonomer Völker in einem übergreifenden zentralisierten Organismus.

 

Internationale Kraftlinien
Unter all diesen Bedingungen haben die Westmächte, wenn sie Russland klein halten wollen, statt ein starkes Russland als Chance für einen zukünftigen Weltfrieden zu begreifen, nur wenige Optionen. Eine erneute Destabilisierung Russlands auf dem jetzigen Niveau wäre gleichbedeutend mit einer Destabilisierung des Weltmarktes und der internationalen Beziehungen. Eine direkte militärische Zerstörung Russlands, die mehr bewirken sollte als nur eine vorübergehende Lähmung des Landes auf dem Niveau der Selbstversorgung wäre angesichts atomarer Bewaffnung der möglichen Kontrahenten gleichbedeutend mit einer Zerstörung der Welt. Daran können selbst größenwahnsinnige Noch-Hegemonisten kein Interesse haben. Was außerhalb rationaler Interessen geschieht, ist eine andere Frage, über die zu spekulieren keinen Sinn macht.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

 

DEUTSCH – EUROPÄISCHE SCHWANENGESÄNGE: Der Tag als die Einsicht kam …

Deutsch-Europäische Schwanengesänge
Der Tag als die Einsicht kam …
Das muss man gelesen haben. Das reißt sogar Kranke vom Lager:
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dem deutschen Kampfblatt der EU-Kampagne gegen die „Bedrohung aus Russland“, vorgetragen von einem der schärfsten Vollstrecker dieses Kurses, Reinhard Veser, war am. Freitag, d. 25.09.2015 auf S. 10, unter der Überschrift „Eine Misserfolgsgeschichte – Ukraine-Konflikt und Flüchtlingskrise: Die EU formuliert ihre Nachbarschaftspolitik neu“ Folgendes zu lesen.Ich zitiere:

 

„Ich wünsche mir einen Ring von Freunden um die Europäische Union und ihre engsten Nachbarn herum, von Marokko bis Russland und zum Schwarzen Meer“, sagte der damalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi im Dezember 2002. Damals, kurz vor der Aufnahme der Staaten Ostmitteleuropas, begann die EU, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie die Beziehungen zu ihren Nachbarn langfristig und systematisch gestalten könnte. Das Schlüsselwort von Prodis Rede war Stabilität: Die von der EU innerhalb ihrer Grenzen geschaffene Stabilität solle auf die benachbarten Regionen ausgedehnt werden. Es sollte freilich nicht eine beliebige Form der Stabilität sein, sondern eine, die aus der Förderung von Demokratie und Rechtsstaat, aus wirtschaftlicher und politischer Kooperation entsteht. Einigen Nachbarn wurde langfristig der EU-Beitritt in Aussicht gestellt, andere sollten so nahe wie möglich an sie herangeführt werden.
Heute ist die EU von so viel Instabilität umgeben wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Russland ist mehr Feind als Freund, in der Ukraine herrscht Krieg, die Türkei entfernt sich immer weiter von demokratischen Verhältnissen und schlittert in eine neue gewaltsame Eskalation des Konflikts mit den Kurden, aus den zerfallenden Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas strömen in bis vor kurzem unvorstellbaren Massen Flüchtlinge nach Europa – durch Balkanstaaten, in denen zwölf Jahre, nachdem ihnen feierlich eine Beitrittsperspektive eröffnet worden war, mehr Hoffnungslosigkeit als Fortschritt zu erkennen ist. Von den Zielen der Nachbarschaftspolitik wurde so gut wie keines erreicht. Die 2008 gegründete „Union für das Mittelmeer“ hat nie politische Bedeutung gewonnen. Das ist bei der im Jahr darauf ins Leben gerufenen „Östlichen Partnerschaft“ zwar ganz anders, doch mit Folgen, die nicht beabsichtigt waren: Russland verstand die Initiative als geopolitische Kriegserklärung – der Krieg in der Ukraine ist seine Antwort.

Angesichts dieser Bilanz wird in Brüssel derzeit an einem neuen Konzept für die Nachbarschaftspolitik gearbeitet, das im November vorgestellt werden soll. Ein von der Kommission im Frühjahr dazu veröffentlichtes Papier besteht vor allem aus vielen Fragen und einigen wenigen Erkenntnissen: Es sei eine „klarere Analyse der Interessen sowohl der EU als auch ihrer Partner“ nötig, außerdem müsse das Verhalten „der Nachbarn der Nachbarn“ bedacht werden.
Spricht man in Brüssel mit EU-Diplomaten, benennen sie bereitwillig vor allem eine Schwachstelle der bisherigen Nachbarschaftspolitik: Man habe zu wenig berücksichtigt, dass die potentiellen Partnerländer unterschiedliche Bedürfnisse haben, unterschiedlich entwickelt sind und verschiedene Grade und Formen der Annäherung an die EU wünschen. Das habe in diesen Ländern zu dem Eindruck geführt, dass es sich weniger um eine Partnerschaft als vielmehr um eine einseitige Beziehung handle, in der die EU Vorgaben mache – und das obwohl die EU, so ein ranghoher Diplomat, ihre eigenen Interessen eigentlich zu zurückhaltend verfolgt habe. Auch das soll sich ändern: Die Formulierung der eigenen Interessen soll künftig in der Nachbarschaftspolitik mehr Raum einnehmen. Ein Beispiel dafür liegt angesichts der Flüchtlingskrise auf der Hand – die Sicherung der Außengrenzen.

So versuchen manche EU-Diplomaten noch immer, die russische Wahrnehmung, die „Östliche Partnerschaft“ diene der Schaffung einer gegen Russland gerichteten westlichen Einflusszone, mit dem Mantra wegzubeten, sie sei gegen niemanden gerichtet. Doch das wird nicht nur im Kreml niemanden überzeugen, sondern geht auch an der osteuropäischen Wirklichkeit vorbei, denn sowohl in Georgien, Moldau und der Ukraine als auch in den baltischen Staaten und Polen wird die „Östliche Partnerschaft“ sehr wohl als Mittel zur Zurückdrängung des russischen Einflusses betrachtet.
Eher hilflos wirken auch die Erklärungen, mit welchen Mitteln den Nachbarn geholfen werden soll, auf dem rechten Pfad von Demokratie und Marktwirtschaft voranzuschreiten. In Brüssel weiß man sehr wohl, dass die bisherigen Aktionspläne zur Förderung von Reformen an einer harten Realität gescheitert sind, in der Korruption, Klientelismus und eine politische Kultur vorherrschen, in der Kompromisse als Zeichen von Schwäche verstanden werden. Dass die europäischen Kooperationsprogramme nur ineffizient sind, wie auf dem Balkan, ist dabei nicht der schlimmste Fall. In der Republik Moldau etwa erscheint die EU heute in den Augen vieler Bürger als Komplize korrupter Seilschaften, die in den vergangenen Jahren im Gewand „proeuropäischer“ Parteien auftraten: Auf dem Papier trieben sie viele Reformen voran und wurden dafür von Brüssel gelobt, während sie gleichzeitig die staatlichen Institutionen unter sich aufteilten und als Privateigentum behandelten und die Banken des Landes ausplünderten. Sollte die Ukraine nicht an der russischen Aggression, sondern wie nach der orange Revolution an den eigenen Eliten scheitern, besteht die Gefahr, dass sich dieser Ansehensverlust der EU in einem viel größeren Maßstab wiederholt.

Allerdings steht die EU auch vor einem kaum lösbaren Dilemma: Sie muss mit den in diesen Ländern vorhandenen Kräften zusammenarbeiten, wenn sie überhaupt etwas tun will – und dass sie im eigenen Interesse wenigstens versuchen muss, die Nachbarschaft zu stabilisieren und wirtschaftlich und politisch voranzubringen, ist unbestreitbar. Die dürftigen Ergebnisse von gut zehn Jahren Nachbarschaftspolitik selbst in kleinen europäischen Ländern zeigen indes, dass die Chancen, Fluchtursachen in den arabischen Bürgerkriegsstaaten oder in Afrika wirksam zu bekämpfen, nicht besonders groß sind.

Über allem der Leitkommentar des Tages
unter der Überschrift „Applaus aus Moskau“
Vorausgegangen war der aktuellen Ausgabe der FAZ vom 25.09.2015 eine Erklärung der Bundeskanzlerin Merkel bei dem aktuellen Gipfeltreffen der EU in Brüssel in der Nacht vom 24.09. auf Donnerstag, den 25. Und tags darauf die Regierungserklärung in Berlin, dass angesichts der „Flüchtlingskrise“ nicht nur über deren Integration, auch nicht nur über deren Eindämmung nachgedacht, sondern auch mit Assad gesprochen werden müsse.
Die Bundeskanzlerin, habe in ihrer Regierungserklärung viele Punkte genannt, an denen die Politik des Westens ansetzen müsse, wenn er nicht von den Millionen Flüchtlingen überrannt werden wolle, heißt in dem Kommentar der in der gleichen Printausgabe erschien, in dem auch Vesers „Misserfolgsschichte“ zu lesen ist.
In der von mir gelesenen FAZ-Printausgabe hat der Kommentar von Berthold Kohler den Titel „Applaus aus Moskau“.
Den Kommentar zu diesem Schwanengesang wird die Wirklichkeit schreiben.

Pressefassung bei russland.ru

Dort lesen unter dem Stichwort: Analysen, Hintergründe:

Kai Ehlers: Deutsch-Europäische Schwanengesänge …

 

Notizen zum Tage – und auf ein paar Tage voraus. Ukraine, Griechenland und die möglichen Folgen

Erinnern wir uns: der Maidan war eine Revolte gegen das Kapital in seiner primitivsten Form, der offenen oligarchischen Willkür. Seine Grundimpulse richteten sich, ungeachtet seiner Ost-West-Färbungen und seines späteren Missbrauchs, auf die Überwindung des Oligarchentums, auf soziale Grundsicherung, auf Selbstbestimmung, auf Autonomie und Demokratisierung der Gesellschaft.

Erinnern wir uns weiter, wie der ursprüngliche soziale Protest sehr schnell ins Fahrwasser einer nationalistischen Radikalisierung gelenkt wurde, die zu einer Polarisierung der Bevölkerung entlang „pro-westlicher“ und „prorussischer“ Teile der Bevölkerung führte, Maidan und Anti Maidan. Mehr noch, wie er zu einer Wiederbelebung historischer Frontstellungen von „Faschisten“ auf westlicher Seite und „Antifaschisten“ auf der östlichen führte, die keine andere Sprache mehr miteinander fanden als die der Waffen. Continue reading “Notizen zum Tage – und auf ein paar Tage voraus. Ukraine, Griechenland und die möglichen Folgen” »

Auftauen, Einfrieren – oder die Zeichen der Zeit wahrnehmen?

Das Aktuelle ist schnell benannt: der ukrainische Präsident Poroschenko möchte zusammen mit dem rumänischen Präsidenten Johannis den „eingefrorenen Konflikt“ zwischen Moldawien und der von Moldawien abgespaltenen Dnjesterrepublik (Transnistrien) auftauen, „damit ein unabhängiges Moldawien seine territoriale Integrität wiedererlangen und Transnistrien re-integrieren kann.“ Er will damit zugleich die von ihm immer wieder beschworene territoriale Einheit der Ukraine wiederherstellen, versteht sich.

Wenige Tage vor dieser Ankündigung hatte Poroschenko den ehemaligen Präsidenten Georgiens, Michail Saakaschwili, bekannt für seinen provokativen Kriegskurs gegen Russland 2008, als dessen Ergebnis die Enklaven Südossetien und Abchasien zurückblieben, zum Gouverneur des Bezirks Odessa ernannt. „Ich kam nach Odessa, um Krieg zu verhindern“, erklärte Saakaschwili in einem Interview der Deutschen Tagesschau vor wenigen Tagen, konnte sich aber nicht bremsen, sofort dazu zu setzen: „Es gibt den klaren Plan Russlands, die Region zu zerstören.“ ‚Krieg verhindern‘, das heißt für Saakaschwili also unmissverständlich, Russlands ‚klaren Plan‘ zu verhindern. Continue reading “Auftauen, Einfrieren – oder die Zeichen der Zeit wahrnehmen?” »