Schlagwort: Trump

Herrschaft des Mutmaßlichen – über die Chancen in einer prekären Stagnation

Über 100 Raketen wurden in der Nacht vom 13. auf den 14. April von amerikanischen, britischen und französischen Stationen auf den souveränen Staat Syrien abgeschossen, um Syrien für einen ‚mutmaßlichen‘ Giftgaseinsatz in der Stadt Duoma zu ‚bestrafen‘. Deutsches Militär war nicht beteiligt, Deutschland unterstütze den Angriff jedoch, wie Kanzlerin Merkel vor und nach dem Bombardement ausdrücklich erklärte.[1] Desgleichen die Spitzen der Europäischen Union. Ebenso die Türkei, Israel und selbstverständlich die NATO.

Russland, Wladimir Putin protestierte, verlangte eine Krisensitzung des UN-Sicherheitsrates und rief zur Mäßigung auf. Iran nannte den Beschuss ein Verbrechen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief alle Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf. Donald Trump twitterte, weitere Optionen seien noch offen. Aus dem Pentagon verlautete, mit dem nächtlichen Beschuss sei die Strafaktion vorerst abgeschlossen.

Die Welt hielt den Atem an. Von allen Seiten hörte man – und kann es immer noch hören – jetzt beginne „der Krieg“. Zweifellos ist dieser Angriff zusammen mit der Skripal-Kampagne eine irritierende und aggressive Zuspitzung der in den letzten Monaten vom Westen betriebenen anti-russischen Feindpropaganda.

Dennoch ist dieser Angriff nicht das eigentliche Problem, nicht der „Beginn des Krieges“. Der Schaden war gering. Menschen kamen nicht ums Leben. Direkte Konfrontationen mit russischen Kräften in Syrien wurden vermieden. Der Krieg, wenn der syrische gemeint ist, hat ohnehin schon lange begonnen und wird auch ungeachtet von Aussagen des „Westens“ zu dieser aktuellen „Strafaktion“ weiter ausgetragen werden.

Das ist kein Grund sich zurückzulehnen, aber es gilt zu erkennen, dass das aktuelle Bombardement eine „Botschaft“ für ein noch sehr viel tiefer liegendes Problem unserer gegenwärtigen Ordnung ist. Sichtbar wurde dieses Problem in der Art, wie Donald Trump die Welt auf diese „Aktion“  vorbereitete – oder auch nicht vorbereitete, um in seiner Diktion zu sprechen: „Never said when an attack on Syria would take place. Could be very soon or not so soon at all!“, so sein Twitter in den Tagen vor dem Bombardement. Direkt, auch vom Tenor her, hieß dieser Sprachkrüppel: „Nie gesagt, wann ein Angriff auf Syrien stattfinden würde. Könnte sehr bald sein oder ganz und gar nicht sehr bald.“ [2]

 

Trump – Destabilisator

Was war das? Was ist das? Eine Kriegserklärung? Nein, „nur“ eine „Botschaft“. Eine persönliche Botschaft Donald Trumps? Nein, für eine persönliche Botschaft fehlt das Subjekt in der Mitteilung. Auch das ist bezeichnend. War es eine Mitteilung an Freund und Feind, was die USA zu tun gedenken? Eine Strategie? Nein, eine Woche zuvor hatte Trump noch erklärt, die USA wollten sich aus Syrien zurückziehen.

Nein oder auch ja, um in Trumps Diktion zu bleiben – dieser Twitter-Spruch charakterisiert die politische Situation mehr als die Raketen, die jetzt abgefeuert wurden. Er bildet das aktuelle Konzentrat jener Botschaft, die seit 2014 in zunehmendem Maße die politische und mediale Kommunikation durchsetzt, um nicht zu sagen zersetzt, und die mit Trumps Amtseinführung sprunghaft eskalierte: die Herstellung einer Regellosigkeit als Realität, sei es bewusst oder unbewusst.

Diese ‚Botschaft‘ Trumps steht exemplarisch für den Zustand, besser gesagt für die Erosion der heutigen Völkerordnung: Wir erleben eine Zeit der Mutmaßungen, der Vertragsaufkündigungen, der Entgrenzungen, der politischen Alleingänge, der Auflösung für gültig gehaltener  Regeln. Tatsachen, Beweise, Gewissheiten verflüchtigen sich in einen Nebel, der sich in Wortschwaden wie „mutmaßlich“, „wahrscheinlich“, „höchst wahrscheinlich“, „so gut wie keine Zweifel“  und ähnlichen Wendungen über den Globus ausbreitet. Es ist eine Zeit, in der sich der Übergang aus der Nachkriegsordnung, von der seit 1991 nur noch die unipolare Welt der US-Dominanz übrig geblieben war, in eine mögliche neue multipolare Ordnung von ihrer schlechtesten Seite zeigt – eben als Regellosigkeit, als ein sich andeutendes Chaos.

Resümieren wir kurz:

  • Bruch gültiger Rechtsnormen im „Fall Skripal“ – der Kodex „Im Zweifel für den Angeklagten“ gilt nicht mehr.
  • Bruch des Völkerrechts und der Rückzug aus völkerrechtlichen Vereinbarungen – nationale Souveränität wird beiseite geschoben.
  • Missachtung der Vereinten Nationen – ihr Votum wird beiseite geschoben.
  • Verlust von Vertragssicherheit – heute Austritt aus internationalen Verträgen wie den Klimaschutzverträgen, den Freihandelsvereinbarungen, selbst den WTO-Vereinbarungen, morgen schon Wiedereintritt nach neuen Bedingungen.
  • Verdrängung von Diplomatie durch vollendete Tatsachen und Geheimdienstaktivitäten.
  • Opportunistische ad-hoc-Entscheidungen statt strategischer Verlässlichkeit.

Dies alles ist natürlich nicht ganz neu, wurde auch nicht nur von den USA praktiziert, bekommt jetzt aber einen herrschenden Zug im Nachtrab  der jüngsten US-Politik. Bisher gültige Regeln des zivilen und des staatlichen Zusammenlebens werden außer Kraft gesetzt, schlicht übertreten. Die Welt wird in einen chaotischen Zustand zurückversetzt, der hinter den ersten Völkerbund, ja noch hinter den ersten Weltkrieg zurückfällt, als imperiale Raubzüge um Aufteilung kolonialer  Zugriffe noch an der Tagesordnung waren.

Ist Trump also ein Anarchist, wie manche  glauben? Ist er ein vormoderner Dummkopf? Nein, er ist weder ein Anarchist noch ist er ein vormoderner Dummkopf. Er ist Geschäftsmann, der nach dem Prinzip des uneingeschränkten  Rechts des Stärkeren handelt. Anarchie heißt ja nicht Regellosigkeit, sondern Freiheit von Herrschaft auf der Basis anerkannter Regeln, die für alle gleichermaßen gelten. Die Regellosigkeit Trumps kippt dagegen in unkontrollierbare Willkür und – soweit es die Politik betrifft – in rücksichtslose Verteidigung der von Schrumpfung bedrohten US-Dominanz um. Von Anarchismus keine Spur! Regelbruch, Herstellung von Unsicherheit als  Herrschaftssicherung, solange die eigenen Kräfte noch reichen.

Ähnliche  imperiale Agonien sind aus der Geschichte zur Genüge bekannt: Rom, das mongolische Großreich, das britische Commonwealth, Napoleons kurzlebiges Kaiserreich, die Sowjetunion – um in aller Kürze nur an einige dieser Prozesse zu erinnern.

Die Frage drängt sich auf: Was kommt nach einem Liquidator wie Trump? Aber diese Frage soll hier erst einmal unbeantwortet stehen bleiben.

 

Putin – Krisenmanager

Demgegenüber steht Wladimir Putin, ausgebildeter Geheimdienstler, Etatist, das genaue Gegenteil eines Geschäftsmannes. Putin ist ein Mann, der sich in den letzten achtzehn Jahren als Stabilisator, als Krisenmanager[3], als jemand einen Namen zu Hause und in der Welt gemacht hat, der genau solcher Regellosigkeit entgegentritt, der auf Einhaltung der Regeln der Nachkriegsordnung auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion pocht, der für die Verteidigung der von der UNO repräsentierten Nationalstaatsordnung im Sinne der Achtung von Souveränitätsrechten der Völker eintritt.

Seit Putin 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz erstmalig öffentlich gegen die Interventions- und Fraktionierungspolitik der USA auftrat, sind die Beziehungen zwischen den USA und Russland von diesem Konflikt gezeichnet. In Syrien findet dieser Konflikt zurzeit seine bisher krasseste Zuspitzung. Aber Syrien steht letztlich nur exemplarisch.

Warum agiert Russland in dieser Weise? Weil Russland neo-imperiale Absichten verfolgt? Nein, Russland agiert so zum Selbstschutz und in dieser Position als Kraft, welche die bestehende Völkerordnung gegen die von den USA ausgehenden Auflösungs- und Fraktionierungstendenzen verteidigt, sogar reformieren will, wo sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird. Mit dieser Politik ist Russland zum Orientierungspol für diejenigen geworden, die sich davor schützen wollen, vom Niedergang der amerikanischen Ordnung mitgerissen und erschlagen zu werden. Zugleich ist Russland zur Ermutigung für diejenigen geworden, die eine neue Ordnung anstreben, von der allerdings noch nicht klar ist, wie sie aussehen könnte.

In den Kreis dieser Kräfte gehören neben China, Indien, Iran und dem östlichen eurasischen Raum[4] auch afrikanische und südamerikanische Länder. Putin muss ihnen gegenüber seinem Namen als Stabilisator gerecht werden, das bedeutet für ihn, auf die Entbindung von Regellosigkeit nicht mit Regellosigkeit zu antworten, sondern mit dem Versuch, die bestehende Ordnung zu halten. Entsprechend klingen jetzt seine Mahnungen zur Mäßigung an die Adresse des Westens im „Fall Skripal“ und in Bezug auf Syrien.

Wohin Putin seine Verpflichtungen als Krisenmanager und Stabilisator treiben, ist zurzeit ebenso nicht zu beantworten wie die an Trump als Liquidator sich stellende Frage.

 

Ein globales Kartenhaus

In der Konfrontation der von den USA, konkret von Trump ausgehenden Destabilisierung und den Bemühungen Russlands, konkret Putins, um Stabilisierung der bestehenden Völkerordnung ist eine prekäre Stagnation entstanden, in der es nicht vor und nicht zurückgeht. Letztlich kann diese Situation, wenn auch China noch hinzutritt, nur zu einer neuen Ordnung führen, wie das schon häufig in der Geschichte geschehen ist, doch steht hier heute ein mächtiges ABER im Weg. Das ABER hat die Gestalt eines globalen Kartenhauses, in das die Karten sämtlicher heute herrschenden Kräfte verbaut sind. Die tragenden Karten, ohne hier alle zu nennen, sind:

  • die Aufrechterhaltung der Weltfinanzordnung,
  • die Aufrechterhaltung des atomaren Gleichgewichts,
  • die Eindämmung des Wachstum der Weltbevölkerung,
  • der Erhalt des Status quo der Ressourcennutzung.

Keiner will der Erste sein, der eine Karte aus diesem Gebäude herauszieht und damit das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringt.

 

Was tun?

Die prekäre Stagnation des globalen Kartenhauses ist Bedrohung und Chance zugleich. Was geschieht, wenn jemand tatsächlich eine der Karten zieht, muss nicht lange ausgemalt werden, sei es, dass Angriffe auf die Dollar-Dominanz das Spekulationsgleichgewicht fluten, sei es, dass irgendwo Entscheidungen  getroffen werden, doch Atomwaffen einzusetzen, sei es, dass ein zunehmender Migrationsdruck zum Zusammenbruch der Ordnung in den „entwickelten Ländern“ führt, sei es, dass jemand die Karte der Ressourcennutzung neu spielen will.  Das Ziehen einer einzigen Karte aus diesem Gebäude ließe das ganze Konstrukt zusammenbrechen, also muss man sich arrangieren. Tut man es nicht mehr, ist für alle das Finale angesagt.

Wichtiger als über ein solches Finale zu spekulieren, ist zu verstehen, dass – solange die Situation der prekären  Stagnation anhält – die Chance besteht, Keime zu setzen für eine andere Lebensordnung als die, die zu dieser Situation geführt hat. Das bedeutet, im Bewusstsein der Bedrohung wie auch der Möglichkeiten, die der Stand der Entwicklung heute hergibt, nicht zuletzt auch unter ökologischen Aspekten, neue gesellschaftliche Regeln zu entwickeln, die diesen sich andrängenden Umwälzungen förderlich sind.

Die Bedingungen dafür sind, einfach gefasst:

  • In der arbeitsteiligen Weltwirtschaft von heute arbeitet die Mehrheit der Menschen immer weniger nur für sich selbst, soweit es die Herstellung der Produkte betrifft, sondern in zunehmendem Maße für andere, generell gesprochen, für eine gegenseitige Versorgung, die den einzelnen Menschen trägt. Niemand müsste „überflüssig“ sein, wenn dies verstanden und gefördert würde.
  • Die weltweite Verflechtung der Wirtschaft hat die Nationalstaaten schon längst überholt. Im Zuge technischer Vernetzung ermöglicht sie zugleich neue Verbindungen mit wirtschaftlichen Kreisläufen vor Ort, wenn nationalistische Interessen nicht störend dazwischen gehen.
  • Die kulturelle Entwicklung der Welt weist, allen noch bestehenden Rückbindungen zum Trotz, auf einen Zugewinn an Freiheit für den einzelnen Menschen bei gleichzeitig wachsendem Bedürfnis nach Empathie und spiritueller Sinnfindung hin.

 

Wir schaffen schon längst tagtäglich ein gemeinsames Kapital, aus dem das Einkommen für die einzelnen Menschen nicht mehr im Stücklohnverfahren, sondern pauschal generiert werden könnte. Arbeit wird von einer individuellen Lebensvorsorge tendenziell zur Dienstleistung an der Gesellschaft und, je bewusster dies geschieht, kann sie sogar zur Liebestat für die Mitmenschen werden. Das ist natürlich nicht erst seit heute so, aber der Stand der Produktivkräfte erlaubt diese Entwicklung auf einem neuen, erhöhten Niveau. 

Eine Überwindung des natürlichen Egoismus ist unter solchen Bedingungen nicht mehr nur eine moralische Forderung, mit der die Realität der gegenseitigen Ausbeutung bisher immer wieder von ihrer Rückseite her aufrechterhalten wurde, sondern kann zum Lebensalltag werden, der aus dem realen Grad unseres heutigen Entwicklungsstandes erwächst.

Es bedarf keiner moralischen Zeigefinder, keiner ausgedachten Utopien, keiner blutigen Umstürze des Bestehenden. Es geht „nur“ darum, die Tatsache bewusst wahrzunehmen, dass alle, einzelne Menschen wie Völker, bereits in hohem Maße füreinander tätig sind, und Verhaltensweisen und Strukturen im sozialen und politischen Umgang miteinander auf den Weg zu bringen, die der bereits herangereiften Realität der sich so entstandenen Dienstleistungsgesellschaft entsprechen und ihre weitere Entwicklung  fördern, lokal wie global.

Soll keine/r sagen, dass das nicht möglich sei –  es wird ja in Teilen der Gesellschaft, wo öffentliche Dienste geleistet werden, schon lange praktiziert – allerdings bisher sozusagen zwangsweise durch den Staat, der etwa Lehrern und anderen öffentlich tätigen Menschen ein Einkommen für ihre Dienste unabhängig von ihrer Stunden- oder Stückleistung zukommen lässt. Ähnliches gilt, vom Staat unabhängig, für große übernationale Korporationen, wo der Einzelne im kooperativen Netz tätig ist. In unzähligen kleineren Unternehmen und Basis-Initiativen werden solche Lebens- und Arbeitsformen heute häufig spirituell getragen, zudem rund um den Globus in zunehmendem Maße erprobt.

„Nur“, heißt aber selbstverständlich, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, dass eine intensive, allseitige, langfristig angelegte, bildungsorientierte Aufklärung zu der Frage entwickelt werden muss, welcher Grad der Gegenseitigkeit sich unter der Schale der weltweit noch bestehenden Konkurrenz-Verhältnisse bereits herausgebildet hat, den Geist dieser Gegenseitigkeit nach Kräften zu fördern und im Alltag zur Wirkung zu bringen.  

Es besteht heute die Chance von der Konkurrenzgesellschaft auf die nächste Stufe einer Gesellschaft der gegenseitigen Hilfe auf der Basis des füreinander erarbeiteten Kapitals überzugehen, wenn die prekäre Übergangszeit von der unipolaren in eine multipolare Welt dafür genutzt wird, solche Keime zu setzen.

Eine multipolare Welt, eine multikulturelle Gesellschaft kann dann ein Zukunftsentwurf werden, wenn sie sich um diese Achse des selbst bestimmten Füreinanders, statt eines Gegeneinanders dreht. Zu hoffen und daran zu arbeiten ist, dass diese Erkenntnis sich nicht als Zusammenbruch des globalen Kartenhauses, sondern als dessen vorsichtiger Umbau vollzieht.

 

Siehe dazu auch:

Kai Ehlers, Die Kraft der ‚Überflüssigen’ und die Macht der Überflüssigen, BoD, 2016, Bestellung über www.kai-ehlers.de

[1] https://www.bz-berlin.de/welt/usa-frankreich-und-grossbritannien-fliegen-luftangriffe-in-syrien

[2] https://twitter.com/realDonaldTrump?ref_src=twsrc%5Etfw&ref_url=http%3A%2F%2Fwww.russland.news%2Fdonald-trump-wir-schlagen-sehr-bald-gegen-syrien-zu-oder-auch-nicht-so-bald%2F

[3] https://test.kai-ehlers.de/2016/06/globales-zwischenhoch-putin-krisenmanager-chande-oder-irrtum/

[4] https://test.kai-ehlers.de/2017/12/globaler-farbwechsel-gedanken-zu-putins-rueckzug-aus-syrien/

Salisbury – Hintergründe ohne Tatsachen

 

Die einzige zum Giftanschlag von Salibury bekannte Tatsache ist – dass es bisher keine Tatsachen gibt: Keine Fakten, wer, wie, wann das Gift nach Salisbury transportiert hat und wie es eingesetzt wurde.  Selbst die Opfer wurden bisher nicht befragt. Stattdessen eine „lange Liste bösartiger Aktivitäten Russlands“ seitens der britischen Regierung,  die beweisen soll, dass Russland „höchst wahrscheinlich … verantwortlich ist für diesen rücksichtslosen und verabscheuungswürdigen Akt.“[1]

Es geht offenbar gar nicht um die Fakten. Worum also dann?

Aufgezählt werden von Politikern und Medien unisono, kritiklos den Londoner Vorgaben folgend, die „Vergehen“, die Russland sich in den letzten Jahren habe zuschulden kommen lassen, so allen voran in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Das beginnt bei der „Annexion“ der Krim, führt über die „Invasion russischer Soldaten in die Ostukraine“, den „Abschuss des Passagierflugzeuges MH 17“, die „Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow in unmittelbarerer Nähe des Kremls“, „Russlands rücksichtsloses Vorgehen in Syrien“ bis in die „Dopingfälle russischer Athleten.“

Dazu kommen noch diverse angebliche Cyber-Attacken Russlands.

Mit diesen Aufzählungen wird das erste Motiv deutlich, um das es in dieser „Affäre“ geht: So wenig Fakten für den „Fall“ Salisbury vorgelegt werden, so wenig geht es bei der Aufzählung der russischen „Vergehen“ um Fakten. Vielmehr geht es hier um die gezielte Anwendung des alten römischen Prinzips ‚semper aliquid haeret‘, ‚irgendetwas bleibt immer hängen‘, anders gesagt, eine politische Rufmordkampagne gegen Russland, bei dem das ganze Instrumentarium der ideologischen Kriegführung bis hin zur konzertierten Ausweisung russischer Diplomaten  ausgefahren wird.

Die nächste Frage ist natürlich: Wofür, warum jetzt, wem nützt es?

 

„Solidarität“

 Im Vordergrund der Kampagne steht das Wort ‚Solidarität‘, für welche die Vertreter und Vertreterinnen des atlantischen Bündnisses sich gegenseitig beglückwünschen und bedanken. Theresa May dankte Jean-Claude Juncker, Juncker dankte May, alle zusammen dankten Trump. Schließlich trat sogar die NATO noch dem Solidaritätsbündnis bei. Man fühlt sich gestärkt.

Aber ist man wirklich gestärkt? Hier darf man Fragen stellen, die vielleicht ein bisschen zur Entwirrung der Motivlage beitragen können, zunächst der kleinen, um es so zu sagen, ohne dabei allerdings allzu sehr ins Detail gehen zu wollen: 

Theresa May hat wohl das offensichtlichste Motiv. Wenn sie die Position des kleiner gewordenen Britanniens als Weltmacht nach dem Ausstieg aus der EU halten möchte, dann braucht sie den atlantischen Rahmen, vor allem die Anlehnung an die USA.

Jean-Claude Juncker muss sich schon seit geraumer Zeit Sorgen um den Zusammenhalt der Europäischen Union machen. In der Frage der Sanktionspolitik nehmen die Differenzen zwischen den Mitgliedern erkennbar zu.

Donald Trump schafft sich mit seinem aktuellen Sprung in das atlantische Bündnis Bewegungsfreiheit gegenüber seinen Kritikern, die ihm seine Kontakte zu Russland und seine zu große Nähe zu Wladimir Putin vorwerfen.

Und nicht zu vergessen die NATO: sie ist angesichts einer sich entwickelnden globalen Multipolarität in eine Sinnkriese gekommen, in der sie sich nur durch neu entstehende Ost-West-Spannungen legitimieren kann.

Alles zusammen wird in der gegenwärtigen Kampagne gegen Russland zu einem aktuellen Befreiungsschlag gebündelt.

 

Hintergründe

Mit dieser Beschreibung des vordergründigen Nutzens ist die Frage nach den Hintergründen jedoch noch nicht beantwortet. Dazu muss  noch ein genauerer Blick auf die Liste der „Vergehen“ geworfen werden, die Russland vorgezählt werden.

Lässt  man die diversen nicht zu beweisenden Behauptungen über russische Cyber-Attacken auf atlantische Netze beiseite, dann bleiben in diesem Potpourri von Anklagen die wichtigsten Stichworte: Georgien, Krim/Ost-Ukraine und Syrien.

Diese drei Stationen bezeichnen die Marken, an denen der westliche, konkret der US-dominierte globale Hegemonieanspruch in den zurückliegenden Jahren an seine Grenzen stieß – durch Russlands Aufbegehren, um es in einer Formulierung zu sagen, die das Kräfteverhältnis realistisch beschreibt.

Erinnern wir uns:

  • Mit dem Einmarsch in Georgien 2008 warf Russland nicht nur den provokativen Versuch einer Annektion Michail Saakaschwilis gegenüber Nord-Ossetien zurück; mit der Zurückweisung Saakaschwilis zog Russland zugleich die unübersehbare Rote Karte gegen eine weitere Ost-Erweiterung von EU und NATO.
  • Mit der Aufnahme der Krim 2014 in den russischen Staatsverband zum einen, mit der Unterstützung der Ost-Ukraine um die Erhaltung und Entwicklung ihrer Autonomie nach dem Regimewechsel in der Ukraine zum Zweiten verhinderte Russland die Überführung der Ukraine in die EU und die NATO. Russland widerstand damit der strategischen Kastration, wie sie in den Plänen der US-Strategie vorgesehen war, nachzulesen bei Zbigniew Brzezinski.
  • Mit dem Eingriff zur Unterstützung Baschar al-Assads in Syrien seit 2016 stoppte Russland nicht nur den von den USA beabsichtigten Regimechange in Syrien, sondern darüber hinaus die Verwandlung des gesamten mesopotamischen Raumes in ein amerikanisches Protektorat und Aufmarschgebiet gegen Russland, Iran, Türkei und Nordafrika nach den Plänen des „new american century“.

Russland, konkret Putin hat in diesen Prozessen die Statur eines globalen Krisenmanagers gewonnen. Die aktuelle Kampagne hat das Ziel, Russland, Putin in dieser Rolle zu demontieren.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

[1] Siehe: Russland.news : http://www.russland.news/wp-content/uploads/2018/03/UK_Briefing.pdf

Globaler Farbwechsel – Gedanken zu Putins Rückzug aus Syrien

Beim GO, dem in Asien beliebten strategischen Brettspiel geht es beim wechselseitigen Besetzen der Spielfläche durch schwarze oder weiße Steinchen um Geländegewinn. Dabei kann ein Steinchen, zur rechten Zeit an die richtige Stelle gesetzt, auf einen Schlag die eben noch dominante Farbe des Feldes umschlagen lassen, wenn die so eingekreisten Steinchen des Gegners aus dem Feld genommen werden. Plötzlich tritt eine vorher gewachsene, aber übersehene Konstellation hervor.[1]

Ein solcher Farbwechsel ist durch den Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Rückzug russischer Truppen aus Syrien, verbunden mit seiner Erklärung, der Terrorismus sei besiegt und die Menschen könnten in ihr Land zurückkehren, um es wieder aufzubauen, soeben auf dem globalen Spielbrett  vor sich gegangen.  Putins Besuche in Ankara und Ägypten, dazu seine öffentliche Kritik an der Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, ergänzen das Bild. Was wird da erkennbar?  

 

Das „Heartland“ beherrschen?

Wer die Welt beherrschen wolle, hieß es bisher, der müsse Eurasien beherrschen; wer Eurasien beherrschen wolle, müsse das „Herzland“, also Russland, beherrschen – müsse es am Besten in drei Teile teilen, einen östlichen, einen mittleren und einen westlichen, die sich so gegeneinander abgrenzen und manipulieren ließen.

Der so sprach, schrieb und zu handeln versuchte, um damit den Fortbestand  des US-Imperiums nach dem Zusammenbruch  der bipolaren Welt  Ende der 80/Anfang der 90 Jahre  zu sichern, Zbigniew Brzezinski, ist inzwischen verstorben. Seine Thesen, basierend auf den Erfahrungen des britischen Empire, erstmals 1904 bei Halford Mackinder formuliert [2], von Brzezinski in seinem Buch „The Grand Chessboard“ (deutsch „Die einzige Weltmacht“)[3] nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1997 mit Blick auf Russland weiter ausgearbeitet, sind jedoch nach wie vor brandaktuell – allerdings in Umkehrung dessen, was das Ziel Brzezinskis war und nach anderen Regeln, eben denen des asiatischen GO, statt des westlichen Schach.

Es gelang nicht das „Herzland“ zu teilen,  jedenfalls nicht in drei Teile. Zwar wurde es von seinen Rändern her beschnitten – Ost-Europa, Kaukasus, Baltikum, Zentralasien. Zwar wurde es eingekreist durch „bunte Revolutionen“. Zwar wurde es militärisch bedrängt mit der Stationierung von NATO „Battle Groups“ und Raketen-Abschussrampen direkt vor seinen Grenzen. Aber es konnte doch trotz allem vom Westen nicht kolonisiert werden, jedenfalls nicht auf Dauer, sondern hat sich nach dem katastrophalen Zusammenbruch der Sowjetunion am Ende des 20. Jahrhunderts in den Jahren ab 2000 dann unter seinem zu der Zeit neu antretenden Präsidenten Wladimir Putin schrittweise von innen her stabilisiert. Es hat sich zum Integrator  des eurasischen Raumes entwickelt, der daran geht, sich selbst zu organisieren, statt Objekt imperialen Zugriffs aus dem Westen zu sein.

Als Vielvölkerorganismus, der die Stürme des ersten und des zweiten  Weltkrieges, des Kalten Krieges wie auch den Druck der US-geführten unipolaren Weltordnung nach dem Zerfall der Sowjetunion im Kern, wenn auch immer noch geschwächt, überlebte, wurde Russland, selbst plural organisiert, zusammen mit China zum faktischen Modell und Impulsgeber des multipolaren Gegenentwurfes gegenüber der unipolaren Imperialordnung der USA.

Steinchen für Steinchen hat sich diese neue Ordnung unerkannt unter der Dominanz der amerikanisch-europäischen Weltordnung herausgebildet – nicht zuletzt auch als Ergebnis überheblicher Abschätzigkeit des Westens gegenüber dem „unterentwickelten Osten“, also gegenüber Russland, China, generell Asien.  Man erinnere sich nur daran, mit welcher Häme und Vordergründigkeit die wiederholten, mühsamen, in den Anfängen nicht sehr erfolgreichen Anläufe Russlands kommentiert wurden, den durch den Zerfall der Sowjetunion entstandenen Fliehkräften im eurasischen Raum entgegenzuwirken. Das betrifft Russlands Beteiligung an der “Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ (GUS), in der die aus der Sowjetunion ausgeschiedenen ehemaligen Republiken, außer den baltischen, zusammenfinden wollten. Das betrifft die Versuche Russlands mit der kleineren „Organisation für Demokratie und Wirtschaftsentwicklung“  (GUAM), bestehend aus Georgien, der Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien, zu kooperieren. Das betrifft den „Vertrag zur kollektiven Sicherheit“ (OVKS) und schließlich auch die bilateralen Beziehungen Russlands zu einzelnen der neu entstandenen Staaten und halbstaatlichen autonomen Gebiete.

 

Viele kleine Schritte vom Westen nach Osten…

 In der Rückschau treten die in der Vergangenheit unscheinbar gesetzten Steinchen, aus denen das aktuelle Bild auf dem globalen Brett hervorging, dafür jetzt umso deutlicher hervor:

  • 1964 entwickelt China, nach der Spaltung der kommunistischen Welt weder zum kapitalistischen, noch zum sowjetischen Lager gehörig, die Strategie einer multipolaren Weltordnung.
  • 1984/5 übernimmt Michail Gorbatschow mit Beginn der Perestroika die Option der Multipolarität auch für Russland, wenngleich noch ganz auf Zusammenwachsen Russlands mit Europa im „Europäischen Haus“ orientiert.  
  • 1996 schließen China, Kasachstan, Kirgisistan, Russland und Tadschikistan sich zu den „Shanghai fünf“ zusammen, um die aus dem Zerfall der Sowjetunion resultierenden Grenzprobleme zu klären.
  • 1997 legen Russland und China der UNO ein Papier zur Entwicklung einer multipolaren, anstelle der unipolaren Weltordnung vor.
  • 1998 lenkt der russische Ministerpräsident Jewgeni Primakow, noch unter Boris Jelzins Orientierung auf den Westen, Russlands Außenpolitik aktiv auf Asien. Er sucht eine Allianz mit Indien und China unter Einschluss von Weißrussland. Mit dem Abbruch eines bereits eingeleiteten Staatsbesuches (er gibt dem Flugkapitän Befehl zur Rückkehr!) brüskiert er die USA wegen des von ihr geführten Kosovokrieges.
  • 2000 tritt Wladimir Putin sein Amt als Staatspräsident Russlands mit der Erklärung an, er wolle nicht nur Russlands Staatlichkeit wiederherstellen, sondern das Land in Übereinstimmung mit seiner historischen Rolle wieder zum „Integrationsknoten Eurasiens“ machen, der Asien, Europa und Amerika miteinander verbindet.
  • 2000 schließen sich Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan zur „Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft“ zusammen; 2002 treten Moldawien, die Ukraine und Armenien, 2006 auch Usbekistan dieser Gemeinschaft mit bei.
  • 2001 erweitern sich die „Shanghai fünf“ zur „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ (SOZ). Sie versteht sich als Kooperationsorgan zwischen der Volksrepublik China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Die SOZ befasst sich über die bisher von den „Shanghai fünf“ behandelten Fragen der Grenzsicherheit und Stabilität der Region hinaus auch mit Wirtschafts- und Handelsangelegenheiten. Der Organisation gehören seit 2017 neben den Gründerstaaten auch Indien und Pakistan an. Damit repräsentiert die SOZ heute die Hälfte der Weltbevölkerung; Weißrussland und die Türkei sind als „Dialogpartner“ angeschlossen.
  • 2001 schließen sich die Länder Brasilien, Russland, Indien und China (Kürzel: BRIC-Staaten, nach den Anfangsbuchstaben der beteiligten Länder) zu einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft zusammen,  die sich als Entwicklungsgemeinschaft gegen die Vormacht der USA wendet.  Seit 2011 nimmt Südafrika an den jährlichen Gipfeln der BRIC-Staaten teil, die seitdem unter dem erweiterten Kürzel  BRICS firmieren und turnusmäßig zu jährlichen Gipfeln zusammenkommen.
  • 2009 schließen sich 29 Staaten Süd-Ost-Asiens zu einem Wirtschaftsraum zusammen, nachdem sie seit 1967 bereits locker im Verband Südostasiatischer Nationen, kurz ASEAN (von englisch: Association of Southeast Asian Nations)  verbunden waren.  Die Gründung weiterer Unter-Organisationen für regionale Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, zur Förderung des Handels uam. folgen. Die ursprüngliche Orientierung gegen die Sowjetunion und gegen China beginnt in eine Kooperation mit der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“, der „Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft“ und den BRICS-Treffen überzugehen.  
  • 2013 stellt der chinesische Staatspräsident Xi Jinping in Kasachstan das Projekt einer „Neuen Seidenstraße“ vor, das den gesamten eurasischen Raum von Osten bis Westen, von China über Zentralasien und Russland bis nach Europa in dem Entwurf einer Länder übergreifenden Kooperation miteinander verbinden soll. Das Projekt versteht sich ausdrücklich als ziviler Gegenentwurf zu der militärisch gestützten Globalisierungs- und aggressiven Fraktionierungspolitik der USA.
  • 2014 geht die „Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft“ in die verbindlichere „Eurasische Wirtschaftsunion“ (EAWU) über. Mitglieder sind Kasachstan, Russland und Weißrussland, ab 2015 auch Armenien und Kirgisistan.
  • 2014 gründen die BRICS-Staaten die „Neue Entwicklungsbank“ als Gegenkraft zur Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), um der Dollarherrschaft etwas Eigenes von Seiten der Entwicklungsländer entgegensetzen zu können.
  • 2015 kommt eine „Asiatische Infrastrukturinvestmentbank“ (AIIB) als Hauptfinanzier des Seidenstraßenprojektes hinzu, ebenfalls als Gegenkraft zu Weltbank und dem IWF. Den 21 Gründungsmitgliedern aus dem asiatischen Raum schlossen sich 57 Interessenten an, von denen die meisten aus dem östlichen und süd-östlichen eurasischen Raum kommen. Dabei sind aber auch Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien – trotz ausdrücklicher Warnungen aus den USA.
  • 2016 wirbt Putin beim turnusmäßigen ASEAN-Gipfel erfolgreich für engere Kooperation der ASEAN-Staaten mit Russland und China im Zuge des Seidenstraßenprojektes und Zusammenwirkens mit der „Eurasischen Wirtschaftsunion“.
  • 2016 unterzeichnen China, Russland und die Mongolei ein Entwicklungsprogramm zur Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftskorridors im Zuge der Seidenstraßen-Initiative.
  • 2016/2107 finden die turnusmäßigen BRICS Gipfel in GOA/Indien (2016), in Xiamen/China (2017) in lockerer Koordination mit Gipfeln der ‚Eurasischen Wirtschaftsunion‘ und dem ASEAN-Netz statt.
  • Seit 2017 werben Vertreter der russischen Politik, konkret Putins Chef-Berater für Ostpolitik, Sergei Karaganow[4], massiv für die Zusammenführung von „Europäischer Wirtschaftsunion“, der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“, den ASEAN-Staaten und dem Projekt „Neue Seidenstraße“ zu einem „Projekt Großeurasien“, wobei sie in Aussicht stellen, darin  auch die Türkei, den Iran, Israel und Ägypten einzubeziehen. „Europa“ wird ebenfalls eingeladen – wenn es die Kraft dazu aufbringen könne; die USA werden ausdrücklich außen vor gehalten.
  • Im Mai 2017 treffen sich 29 Staats- und Regierungschefs aus dem eurasischen Raum auf Einladung des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping auf dem „Seidenstraßen-Forum“ in Peking. Unter den Gästen wird Wladimir Putin als wichtiger Partner und Förderer hervorgehoben.
  • Im November 2017 versammeln sich die ASEAN-Staaten zum 50jährigen Jubiläum ihrer Organisation (und ihrer diversen Vorläufer) in Anwesenheit Chinas und Russlands. China und Russland machen erfolgreich ihren Einfluss geltend, Trumps Drohungen gegen Nord-Korea diplomatisch einzuhegen.

Überschaut man die entstandene Konstellation, dann wird unschwer erkennbar, wie  massiv sich die Gewichte in den letzten Jahren und dies mit zunehmender Intensität in Richtung einer dichter werdenden eurasischen Vernetzung verändert haben.

 

… und ihr politischer Rahmen

Ein weiterer Blick zurück, dieses mal auf die politischen Rahmendaten, die diesen Prozess begleiten, macht diese Entwicklung noch offensichtlicher:

  • 2001: Wladimir Putin hält seine erste Auslandsrede – in deutscher Sprache, im deutschen Bundestag. Trotz bereits vereinbarungswidrig erfolgter erster Schritte zur Erweiterung der NATO nach Osten betont Putin damals, noch ganz im Strom der von Gorbatschow formulierten Idee des „gemeinsamen Europäischen Hauses“, die Einheit der europäischen Wertekultur und die Zugehörigkeit Russlands zu Europa. Das einheitliche und sichere Europa müsse zum „Vorboten“ für eine sichere Welt werden. Eine Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok könne der Ausdruck davon sein.
  • 2007: Nach weiteren Ost-Erweiterungen der NATO, angesichts der vom Westen offen unterstützten „Bunten Revolutionen“ in Georgien 2003, in der Ukraine 2004, in Kirgisistan 2005, des gescheiterten Ansatzes in Weißrussland, 2006, sowie den parallel dazu 2004 und 2007 folgenden Ost-Erweiterungen der EU, geht Wladimir Putin auf der „Sicherheitskonferenz“ in München erstmals in Distanz zu den westlichen Weltherrschaftsansprüchen. Er macht seine Kritik allerdings hauptsächlich an der Militarisierungspolitik der USA fest, erkennbar bemüht, zwischen USA und EU taktisch zu differenzieren.
  • 2008: Russland weist die provokativen Versuche des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili militärisch zurück, der im Schatten der NATO-Erweiterung einseitige Grenzkorrekturen auf Kosten Russlands vornehmen will. Das war zugleich als gelbe Karte für NATO und EU zu verstehen, von der geplanten Fortsetzung ihrer Erweiterungspläne über den südlichen Kaukasus hinaus nach Zentralasien Abstand zu nehmen.
  • 2014: Als deutlicher Abbruch der West-Integration muss Russlands Aufnahme der KRIM in den Russischen Staatsverband und die halbmilitärische Unterstützung der Kämpfe der Regionen Donezk und Lugansk um ihre Autonomie verstanden werden. Mit ihrer Politik in der Ukraine-Krise zeigte Russland dem Westen, also der Allianz von NATO, EU und den USA, dass es ein weiteres Vordringen des Westens, vor allem westlichen Militärs auf russische Kosten nicht hinnehmen werde. Die daraufhin vom Westen eingeleitete Sanktionspolitik wirkt seitdem als Brandbeschleuniger für die eurasischen Integrationsprozesse.
  • 2016/2017: Das militärische Eingreifen Russlands in Syrien hat nicht nur den Eroberungszug der US-Politik in Mesopotamien beendet und Syrien in eine vorläufige Waffenruhe geführt. Es hat Russlands Südflanke auch vom Druck der westlichen Allianz befreit und es zum zurzeit wichtigsten Akteur im mesopotamischen Raum werden lassen. Der wird über Russlands neue Bündnispartner Iran und Türkei zudem anschlussfähig für den eurasischen Raum, während die USA sich unter Trump aus der aktiven Politik im mesopotamischen Raum vorläufig zurückziehen, um die Hände frei zu haben für Asien. Putin wird von der globalen Öffentlichkeit –  im Westen widerstrebend und widerwillig, versteht sich – als „neuer starker Mann“ in Syrien und Mesopotamien wahrgenommen. Man werde sehen, schränken die westlichen Kommentatoren ein, noch sei Syrien nicht wirklich beruhigt und Putin wolle nur Punkte für seine innenpolitischen Auftritte sammeln. 
  • 2017: Auf der, schon erwähnten, ASEAN-Konferenz vom November trat die neue Konstellation im globalen Kräftefeld klar zutage: Nicht nur traten China und Russland den atomaren Drohungen Trumps gegen Nordkorea entschieden entgegen. US-Präsident Donald Trump, der mit großem Einsatz versuchte, in dem entstandenen asiatischen Netz Fuß zu fassen, hatte den ASEAN-Mitgliedern nach seiner,  zugunsten der von ihm ausgerufenen Politik des „Amerika first“ vorgenommenen Aufkündigung der „Transpazifischen Partnerschaft“ (TTP) nicht viel zu bieten, so dass sie nach neuen regionalen Zusammenschlüssen suchen. Die Vision eines „Großeurasien“ erwachsend aus einem Zusammenwirken der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“, der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ und dem „Projekt Seidenstraße“ rückt in den Mittelpunkt auch des ASEAN-Staatenbündnisses. Die USA sind nicht Bestandteil dieses Prozesses, die EU ist als Handelspartner am westlichen Ende der Seidenstraße geduldet.

 

Ermutigende Perspektiven…

Man muss die aus der eurasischen Selbstorganisation zum einen und den politischen Entfremdungen und Zusammenstößen zwischen Russland und dem Westen heute entstandene Konstellation nicht überbewerten. Soviel aber ist offensichtlich: Die USA und in ihrem Schatten Europa, konkret die EU haben ihre historische Definitionsmacht als imperiale Zuchtmeister des Globus verloren. Heute kommt die Ansage zur Entwicklung Eurasiens nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten – aus Russland, aus China, aus Zentral- und Süd-Ost-Asien mit Unterstützung einer zunehmenden Zahl von Ländern, die im Aufkommen eines starken Eurasiens die Möglichkeit  sehen, sich vom Druck der ‚westlichen‘ Weltherrschaft zu befreien.  Anders als zuvor aus dem Westen kommt dieser vom Osten herkommende Impuls zur Entwicklung Eurasiens nicht als militärisch gestützter  Impuls von ‚Teile und Herrsche‘, sondern als Prozess des Sammelns und sich Verbündens, des Länder-, Kultur- und Sprachräume übergreifenden Verlangens nach gegenseitiger tatsächlicher Entwicklungshilfe, statt der Herstellung neo-kolonialer Abhängigkeiten unter dem Etikett einer solchen daher.  In dieser Entwicklung kündigt sich eine Tendenz, bescheidener gesagt, eine Chance, noch bescheidener formuliert, die Möglichkeit  für die Entwicklung einer neuen Phase der Weltpolitik an: die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Kooperation einer multikulturell vernetzten Staaten-Gemeinschaft, in der Staaten sich darauf beschränken können, sich gegenseitig zu stützen.

  

… und mögliche Störungen

Um aber nicht in Wunschträume zu verfallen, muss allerdings daran erinnert werden, dass noch nicht alle Steinchen im Spiel und noch nicht alle Möglichkeiten der Störung ausgereizt sind: Ohne in Spekulationen zu verfallen, darf  davon ausgegangen werden, dass sich die „einzige Weltmacht“ mit der jetzt entstandenen Konstellation nicht zufrieden geben wird. Ansatzpunkte, von denen aus, um im Bild zu bleiben, ein erneuter Farbwechsel im globalen Spiel, klarer gesagt, im Ringen um die kommende Rolle Eurasiens bei der Herausbildung einer neuen Weltordnung, seitens des bisherigen Hegemonen erzwungen werden könnte, sind klar zu erkennen. Sie heißen: Europa, Korea und Mesopotamien, alle drei noch von Brzezinski seinerzeit als „Brückenköpfe“ zur Eroberung des „Herzlandes“ benannt und in den zurückliegenden Jahren auch genutzt. Das wäre: Europa als Stoßkeil vom Westen her, wenn es der US Politik gelingt, die EU, insonderheit Deutschland weiter  in die Konfrontation mit Russland zu treiben und so eine Beteiligung Europas an dem „eurasischen Projekt“ zu hintertreiben; Japan, das sich von Korea bedroht fühlt, als Stoßkeil vom Osten her, wenn es gelingt, den koreanischen Konflikt im Herzen der sich erst konsolidierenden ASEAN-Staaten-Gemeinschaft weiter anzuheizen, und schließlich der mesopotamisch-afrikanische Raum als Störfeld vom Süden her, wenn es gelingt, dieses Gebiet allen aktuellen militärischen und diplomatischen Erfolgen der russischen Einsätze zum Trotz erneut zu destabilisieren.

Nicht zuletzt lebt auf westlicher Seite immer noch die Hoffnung, Wladimir Putin, der sich soeben den Anforderungen stellen muss, die aus seiner Absicht resultieren, in eine neue Phase seiner Präsidentschaft einzutreten, ungeachtet seiner außenpolitischen Erfolge über innenpolitische, vornehmlich soziale Probleme stolpern zu sehen. Genauer gesagt sogar, seine außenpolitischen Erfolge zu relativieren, zu stören, wenn möglich sogar zu zerstören, in dem Wissen, dass er für sein innenpolitisches „Rating“, das heißt, für seine zukünftige innenpolitische Handlungsfähigkeit angesichts wachsender innenpolitischer Widerstände, nicht zuletzt sozialer Art auf außenpolitische Erfolge angewiesen ist. Wenn es gelänge, Putin innenpolitisch zu destabilisieren, würde dem eurasischen Projekt ein wesentlicher Pfeiler entzogen.

Noch unberührt von  all dem ist dabei die Frage, ob das „Eurasische Projekt“, wenn es sich denn ungestört entwickeln könnte, tatsächlich zu einer neuen Ordnung führen würde, welche die nationalstaatliche Konkurrenz hinter sich zu lassen in der Lage wäre oder ob es nur der Herausbildung eines neuen Hegemonen Vorschub leistet, nämlich Chinas. Dies wäre dann ein neues Spiel nach ganz alten Regeln, über dessen Ausgang nur spekuliert werden könnte.  

Kai Ehlers,

www.kai-ehlers.de

 

Zum Thema das Buch:

Kai Ehlers, Asiens Sprung in die Gegenwart. Russland – China – Mongolei. Die Entwicklung eines Kulturraums „Inneres Asien“., Pforte, 2006

(In dem Buch werden die grundlegenden Entwicklungslinien dieses Raumes als „Treibhaus der Evolution“ skizziert)

Zu beziehen über den Autor: www.kai-ehlers.de

 

 

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Go_(Spiel)

[2] In „The geographical pivot of history“ , siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Halford_Mackinder

[3] Deutscher Titel: „Die einzige Weltmacht“, erschienen bei  Fischer tb, 2001

[4] Sergei Karaganow, Ehrenvorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, u.a. in Spiegel 28/2016

 

Für eine Bearbeitung des Textes mit weiterführendem Anschaungsmaterial und Hintergrundlinks siehe:

http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/globaler-farbwechsel-gedanken-zu-putins-rueckzug-aus-syrien

Ausserdem Unzensiertes Aktuelles und Strategisches zu Russland in: http://www.russland.news/

Krieg oder Frieden? Dem Treffen der 20 zum Geleit.

In Hamburg treffen sie just zusammen, um zu beraten, wie es in der Welt politisch weitergehen soll – in einer Zeit, in der kaum jemand weiß, wie es weitergehen kann. Hier finden Sie den Video-Mitschnitt eines Vortrags, der sich passend zu den Vorgängen in Hamburg mit den anstehenden Fragen befasst: Stichworte zur gegenwärtigen Lage, Stichworte zu möglichen Alternativen, sowie Einschätzungen zu der Rollneverteilung zwischen den großen ‚Playern‘ in diesem großen Spiel.

Hier anklicken: https://youtu.be/5i3nMlX6Ydk

Trump und Co – Unberechenbarkeit als Prinzip? Die andere Osterbotschaft

Donald Trumps unberechenbare Wendemanöver beunruhigen die Weltgemeinschaft. Der Kampf um die Erhaltung der US-amerikanischen Vorherrschaft nimmt irrationale und existenzielle Formen an: Raketenangriff auf Syrien, Megabombe in Afghanistan, Interventionsdrohungen gegen Nordkorea. Was demnächst? Eine strategische Linie ist nicht erkennbar außer Demonstrationen von „Entschlossenheit“.

Fragt sich, Entschlossenheit wozu? Sind die USA unter Trump bereit, den von vielen Menschen befürchteten finalen Crash zu riskieren, um ihre Vormacht zu halten? Sind die Europäer und die übrigen Staaten der Welt bereit, das Risiko mit zu tragen? Wofür? Gegen wen? Was gibt es zu retten?

Betrachten wir die entstandene Situation  aus der Sicht der frühen Kritiker des Kapitalismus, dann finden wir vielleicht einen Zugang zur Beantwortung dieser Fragen:

„Der moderne Arbeiter,“ schrieben die Verfasser des Kommunistischen Manifestes, Karl Marx und Friedrich Engels dem entstehenden Kapitalismus 1848 als Schlusswort ihrer Analyse ins Stammbuch, „statt sich mit dem Fortschritt der Industrie  zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus  entwickelt sich  noch schneller als Bevölkerung und Reichtum.  Es tritt hiermit offen hervor, daß die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die beherrschende Klasse  der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbedingungen  ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen, Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb  seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden.“

Es folgt das bekannte Schlusswort: „Die Bedingung  des Kapitals ist die Lohnarbeit.  Die Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz  der Arbeiter unter sich. Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung  der Arbeiter durch die Konkurrenz  ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwickelung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihre eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“[1]

 

Absehbare Revolten

Nun vereinigt die heutige industrielle Entwicklung die Arbeiter und die Belegschaften von Betrieben immer weniger in revolutionären Assoziationen, sondern bringt stattdessen in steigendem Maße individualisierte Arbeitsprozesse hervor, die zugleich immer Menschen als nicht mehr benötigte ‚Überflüssige‘ freisetzen, als Subproletariat aussondern. Zugleich wächst die Erdbevölkerung von jetzt bereits acht Milliarden Menschen um rund achtzig Millionen Menschen jährlich.  Daraus erwächst für  die herrschenden Verhältnisse eine noch fundamentalere Gewissheit ihres drohenden Unterganges, wenn anstelle der von Marx prognostizierten „revolutionären Assoziation“ Revolten atomisierter, entwurzelter  Individuen treten, in denen sich die blanke Überlebensnot gewaltsam Bahn bricht – nicht zuletzt in Formen eines hilflosen, ziellosen Terrorismus.

Vor diesem Hintergrund gewinnt Donald Trumps Poltern als Vertreter der Vormacht des an seine Grenzen stoßenden Kapitalismus seine Bedeutung. Vor diesem Hintergrund werden auch die ‚verständnisvollen‘ Kommentare zu den ‚entschlossenen‘ Maßnahmen seiner Politik wie etwa die der deutschen Kanzlerin, aber auch die zurückhaltenden Reaktionen anderer westlicher Staaten als das transparent, was sie ihrem Wesen nach sind: als Versuch, den absehbaren Untergang der herrschenden kapitalistischen Weltordnung mit allen Mitteln und sei es militärisch aufzuhalten. Zweimal ist dieser Versuch unter ungeheuren Opfern gelungen; erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg. Stehen wir jetzt vor dem nächsten, vielleicht letzten Versuch?

 

Die Offenbarungen Trumps

Die Aktivitäten des neuen US-Präsidenten lassen solche Befürchtungen in die Wahrscheinlichkeit treten. Aber es ist nicht  etwa so, dass Donald  Trump, wie manche Zeitgenossen meinen, durch seine Unberechenbarkeit eine völlig neue Qualität der US-Politik präsentierte, indem er die Kriterien, nach denen diese Politik betrieben wird, undurchschaubar macht. Nein, im Gegenteil, er offenbart nur den tatsächlichen Charakter der US-Politik in ihrer nackten nationalistischen Egozentrik.

Fraktionierung der Weltgemeinschaft nach dem Prinzip ‚teile und herrsche‘, Politik des ‚Regime Changes‘, all dies ist ja nicht neu. Auch die Willkür, mit der die US-Politik ihre Ziele durchsetzt, ist nicht neu. Es ist nur so, dass unter Trump die Rücksichten, die unter Obama noch genommen wurden, jetzt fallen gelassen werden, sei es weil Trump keine Ahnung davon hat, wie Diplomatie funktioniert, ja, nicht einmal als Demagoge geschickt genug ist, sich zu verstellen, sei es, dass es ihm vollkommen gleich ist oder weil er einfach provozieren will.  

Der entscheidende Punkt ist, dass unter Trump Weltpolitik nach dem Prinzip einer US-Unternehmensführung betrieben wird,  ‚hire and fire‘. Wer mir nicht nützt, wird gefeuert. Das war schon das Prinzip unter George W. Bush. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das  war unter Barack Obama im Grunde nicht anders, nur leicht verdeckt, weil die USA durch die Politik, die Bush angelegt hatte, zu stark in die Isolation gekommen waren.

Im Prinzip wurde das Durchstechen, der Alleingang der US-Politik von Obama nur auf eine technische Ebene gehoben, weg von der sichtbaren und demonstrativ vorgeführten plumpen Intervention auf die Ebene des weniger sichtbaren, heimlichen, ‚sauberen‘ Drohnenkrieges. Mit dem Drohnenkrieg ging die amerikanische Politik unter verbindlichem Lächeln ihres Präsidenten zu direkter Liquidation der von ihr zu Gegnern erklärten Personen über, klar gesagt, zu globaler Lynchjustiz unter Missachtung jeglicher völkerrechtlicher Regeln.

 

Neue Formen des Krieges

Lassen wir also die moralische Empörung, die sich an Trumps persönlichen Mängeln als ‚unerhört‘, ‚unverantwortlich‘ und dergl. abarbeitet, beiseite und schauen wir, was konkret passiert.

Konkret passiert nichts anderes, als dass die USA in ihrer Situation der niedergehenden Weltmacht wie ein wildes Tier um sich schlagen, so wie, um ein altes Bild aus der chinesischen Politik zu gebrauchen, der Tiger, der in die Enge getrieben wird, um sich schlägt. 

Aber was bedeutet das? Bedeutet das, dass wir morgen den großen, den dritten Weltkrieg zu erwarten haben? Vermutlich trotz allem nicht, nicht in der Art jedenfalls, die wir von den beiden großen vorangegangenen Weltkriegen kennen. Nur kann dies keine Entwarnung sein. Unsere Vorstellungen vom Krieg müssen neu gedacht werden. Es muss neu wahrgenommen werden, wie Krieg heute geführt wird. Heute geht es nicht mehr um Landnahme, wie noch im zweiten Weltkrieg, wie selbst noch unter Bush, der in den Irak einmarschieren ließ. Alles Gerede, von wegen ‚einmarschieren in Syrien oder nicht einmarschieren‘, kann man getrost als hohle Propaganda beiseitelassen. Darum geht es nicht. Heute geht es darum, die möglichen Gegner zu diffamieren, klein zu machen, einzudämmen, zurück zu drängen, zu schwächen, seine Gesellschaft lahm zulegen und zu spalten, Unfrieden zwischen ihnen zu schüren, damit  sie sich möglichst gegenseitig bekämpfen etc. pp.

Den großen Krieg zu führen, das hieße den Atomkrieg zu riskieren. Das wäre der totale Widersinn auch für die, die einen solchen Krieg beginnen sollten. Widersinnig bleibt es selbst unter der Voraussetzung, dass heute ‚nukes‘ existieren, deren Einsatz örtlich begrenzbar ist. Ein solcher Einsatz müsste in jedem Falle eine Eskalation nach sich ziehen.  

Schauen wir genau hin: Das Gerede um die Modernisierung der NATO:  Was wird da modernisiert? – Modernisiert wird die NATO als Kriseninterventionsinstrument im globalen Maßstab, auf der Ebene des Cyberkrieges, des Internetkrieges, des Weltraumkrieges, des sog. ‚hybriden Krieges‘, das heißt, des  entgrenzten, vielstufigen Krieges. Was sich heute entwickelt, ist der unerklärte Krieg, in dem Krieg oder Frieden fließend ineinander übergehen, in dem nicht mehr klar zu unterscheiden ist, wo Frieden aufhört und wo Krieg schon begonnen hat. Der Krieg beginnt bereits im Kindergarten, in der Schule, in den Medien, in der Propaganda, in der Wirtschaft. Er steigt über all diese Ebenen hinein bis in die sog. „Innere Sicherheit“, bis in die Generalprävention gegenüber einer täglich beschworenen globalen Bedrohung.

 

Irreführende Feinderklärungen

Von wo kommt die Bedrohung? Von Russland? Von China? Vom Islam? Von Korea? Vordergründig mag das so scheinen. Langfristig gesehen kommen die Bedrohungen jedoch nicht von Russland, nicht von China, erst recht nicht von Korea. Jedenfalls nicht primär. Diese Konflikte sind konjunkturell und können geregelt werden, wenn man sich einig ist in der Hauptsache. Die Hauptsache aber heißt: Die eigentliche Bedrohung kommt aus der Masse der Menschen, die heute aus den Industriegesellschaften ausgegrenzt werden. Hier hat denn auch die Kritik ihre tiefere Ursache, die von den wichtigsten der heutigen ‚player‘, also von Russland, ebenso wie von China gegen die US-Politik vorgebracht wird, nämlich, dass die USA nicht bereit seien, gemeinsam gegen ‚den‘ Terrorismus vorzugehen.

‚Gemeinsam gegen den Terrorismus‘ heißt im Kern eben nichts anderes, als gemeinsam gegen die Unterprivilegierten, die Ausgestoßenen, die in ihrer Ohnmacht, Wut  und Verblendung zu Terror greifenden  Minderversorgten und zivilisatorisch Zurückgestauten vorzugehen, um sie niederzuhalten, sie wenn nötig nieder zu bomben. Da liegt das Ziel der NATO, die sich anschickt eine Weltorganisation zur Krisenprävention werden zu wollen. Da liegt die eigentliche Struktur, um die es heute geht – lokal wie global. Hier sei nur an Sbigniew Brzezinskis Warnungen vor dem „awakening of people“, dem Erwachen der Völker und Personen  erinnert.[2] Alles andere sind vordergründige Techtelmechtel, sind Ablenkungen, Ersatzkämpfe, auch wenn sie brutal daherkommen und immer wieder die Schlagzeilen der Presse füllen.

Was heute heranwächst, sind Stellvertreterkriege einer ganz neuen Art, Abwehrkämpfe einer zum Untergang verurteilten Ordnung, die nach dem Gießkannenprinzip weltweit  inszeniert werden. Im Kern geht es um die Millionen, besser wohl sogar zu sagen, die Milliarden der ‚Überflüssigen‘. Milliarden Menschen, die nach Teilhabe verlangen, welche ihnen in zunehmendem Maße verwehrt ist, lassen sich ja nicht einfach mit einem großen Krieg auslöschen, bei dem das Risiko besteht, dass die herrschenden Kreise selbst mit untergehen. Nein, die Ausgegrenzten müssen propagandistisch so eingelullt, so in Angst versetzt, so eingeschüchtert werden, dass sie eine manipulierbare Masse werden, in der sich die ‚Überflüssigen‘ möglichst noch gegenseitig dezimieren. Die dazu langfristig angelegten Präventionsstrategien in ihrer Abstufung von der Indoktrination bis zur Bombe sind die eigentliche Kriegführung von morgen – und schon heute erkennbar. [3]

Der Wunsch nach Grundversorgung, nach Selbstbestimmung, nach Autonomie, nach anderen als den kapitalistischen Beziehungen ist der eigentliche Gegner der gegenwärtigen Großmächte. Diese Bestrebungen unten zu halten, darin sind sich die Führungen der Großmächte, bei aller Unterschiedlichkeit der dazu verfolgten Strategien einig. Die einen, wie Trump, wollen das durch die Dominanz eines bewaffneten großen Nationalstaates erreichen, eben der USA als Weltpolizist, die anderen wie Russland oder China über die Stärkung einer Völkerordnung, wie sie die gegenwärtige UNO darstellen könnte, wenn sie als Vertretungsorgan mehr Macht hätte. Das sind erhebliche Unterschiede, die Stoff für aktuelle Konflikte enthalten. Unter dem Strich aber steht die als gemeinsame Bedrohung ausgemachte Geahr: die Unkontrollierbarkeit möglicher Revolten rund um den Globus gegen die gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen.

 

Es ist Zeit aufzustehen

Lassen wir uns also nichts vormachen. Lassen wir uns nicht erfundene Feindbilder aufdrängen, nicht in eine Angstpsychose jagen, die einzig und allein auf Wohlverhalten, auf Stillhalten der Bevölkerung zielt, damit  die Herrschaften, die heute noch das Sagen haben, weiterhin das Sagen haben können.

Es ist Zeit den Ursachen der heutigen Probleme wirklich an die Wurzel zu gehen. An die Wurzel gehen heißt, es ist Zeit, die kapitalistische Produktionsweise, die katastrophentreibende Priorität der Ökonomie zu durchbrechen zugunsten einer Weltordnung, einer Menschenordnung, einer Völkerordnung, die den Menschen, jeden einzelnen, das Individuum und seine Bedürfnisse, wirtschaftliche, geistige und rechtliche in den Vordergrund stellt in einer Welt, die geleitet wird von gegenseitiger Hilfe statt einer Welt, in der Konkurrenz als Leitwert gilt.

Es wird Zeit, sich nicht weiter in die Ohnmacht pressen zulassen, es wird Zeit sich zu wehren, es wird Zeit aufzustehen, es wird Zeit, da, wo wir leben, jede und jeder an seinem und ihrem Ort, die Prinzipien, nach denen diese kapitalistische Gesellschaft heute funktioniert – genau gesagt, eben nicht mehr funktioniert – in Frage zu stellen, dem Krieg da  entgegenzuwirken, wo er im Alltag bereits als Ellbogengesellschaft beginnt. Zäune gegen Armut, Bomben gegen den Terror – das wird die sich abzeichnende Entwicklung nicht aufhalten. Krieg gegen den‘ Terror ist nichts anderes als eine Eskalationsspirale.

Man muss sich dieser Eskalationsspirale entziehen. Wenn es bei Marx heißt, dass die kapitalistische Produktionsweise notwendig zum Untergang bestimmt ist, dann ist das unter ökonomischen Gesichtspunkten eine unbestreitbare Wahrheit, zumal, wenn sie durch die heutige Entwicklung des Kapitalismus zur roboterisierten Gesellschaft zugespitzt wird, aus der kein rettendes Proletariat mehr herauswächst, sondern die Perspektive weltweiter Revolten von marginalisierten ‚Überflüssigen‘ am Horizont auftaucht. Dennoch, ja, gerade deswegen, muss gesagt werden, dass zwischen die Pole von Krieg oder Nichtkrieg immer noch die Entscheidung des Menschen, einzelner wie die von Staatsführungen gestellt ist, ja, dass mehr noch als je zuvor jeder einzelne Mensch an dem Platz, an dem er oder sie steht, die Möglichkeit hat, ja zu sagen, zu einer anderen als der bloß ökonomischen Priorität. Dieses Recht dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Es ist unsere einzige Chance, aber die gibt es.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

Zum Thema:

Die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen, (erweiterte Neuauflage von „Die Kraft der ‚Überflüssigen‘ – Der Mensch in der globalen Perestroika“ )

Eigenverlag, Erschienen bei „Verein zur Förderung der deutsch-russischen  Medienarbeit e.V.“, Hannover, Dezember 2016, ISBN 9783-7412-98066, 10.99 €

    Das Buch zeigt, wer die „Überflüssigen“ sind und welche Kräfte in ihrem „Überflüssigsein“ liegt, welchen Widerständen bis hin zu eugenischen Selektionsphantasien ihr Aufbruch ausgesetzt ist, wie der Weg der Selbstorganisation in einer neuen, sozial orientierten Gesellschaft aussehen könnte. (Bestellungen über: info@kai-ehlers.de)

 

[1] Manifest der Kommunistischen Partei, Ende von Teil I, Bourgoisie und Proletariat, in Kröner, Frühschriften, S. 538

[2] Zbigniew Brzezinski, Strategic vision, America and the crisis of Global power, basic Books, New York, 2013, S. 30 ff

[3] Siehe dazu: Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht, orell füssli, Zürich, 2003

Ausserdem: Kai Ehlers, die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen“, erweiterte Neuauflage, 2016

 

Vortrag beim Kieler Friedensforum vom 1. April 2017: „Russland und die Logik des neuen kalten Krieges“

 

Votrag Ortsgruppe Ottersberg  der anthroposophischen Gesellschaft vom 7. April 2017:

„Krise des Nationalstaats und Perspektiven der Dreigliederung heute.“

Hybrid Russland? – Ein Angebot zur Entdämonisierung eines Feindbildes

Ungeachtet des angekündigten Kuschelkurses zwischen Donald Trump und Wladimir Putin, ungeachtet aller Beteuerungen aus Kreisen der EU wie auch der politischen Etagen Deutschlands, man wolle sich um ein gutes Verhältnis zu Russland bemühen, ungeachtet der von niemandem zur Zeit mehr bestrittenen Tatsache, dass das Schlachten in Syrien durch das Hinzutreten von Russland in einen – zumindest vorläufigen – Waffenstillstand übergegangen ist, also, ungeachtet all dieser Signale, ist das Verhältnis zwischen den Weltmächten doch nach wie vor das bekannte: die soeben zurückliegende „Sicherheitskonferenz“ in München brachte es unmissverständlich an den Tag: dort hat, wie die  „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ es treffend zusammenfasste, die neue amerikanische Regierung in der Person des US-Vize-Präsident Mike Pence den Europäern „Bündnistreue in der NATO und eine Kritische Haltung gegenüber der russischen Aggression zugesichert.“ US-Präsident Trump twitterte gar in Abwesenheit, er sei ein „NATO-Fan“. Continue reading “Hybrid Russland? – Ein Angebot zur Entdämonisierung eines Feindbildes” »

Putin und Trump – ein Gespann? Ein Versuch hinter die Worte zu blicken

Ja, möchte man sagen – und doch nein. Ungeachtet unterschiedlicher persönlicher und politischer Profile sind Donald Trump und Wladimir Putin ein Gespann, notgedrungen, ob sie es wollen oder nicht. Und sind es doch nicht.

Beide sind vor einen Wagen gespannt, dessen Räder im Sumpf ungelöster globaler Probleme und Aufgaben zu versinken drohen. Sie selbst und die hinter ihnen stehenden „Eliten“ sind ratlos, wie sie mit der aus allen Fugen schießenden globalen Expansionsdynamik und der wachsenden Ungleichheit zwischen den wenigen Profiteuren dieser Entwicklung und der bedrohlich wachsenden Zahl Benachteiligter, Ausgegrenzter, „Überflüssiger“, Marx würde sagen, überflüssig gemachter Paupers umgehen oder sich ihrer entledigen können. Immer ungeduldiger fordern diese Milliarden ihren Anteil am Reichtum der Welt, global und lokal. Eine Elitendämmerung kündigt sich an, wenn keine Vernunft einkehrt.

Die unipolare Weltordnung, die mit dem Ende des Kalten Krieges entstanden war, ist in wilder Bewegung.  Syrien ist dafür der aktuelle Brennpunkt, wo Kämpfe um lokale Souveränität, regionale Einflusszonen und globale Vorherrschaft sich an der Grenze zum globalen Krieg überschneiden.  

Denkbar wäre natürlich, dass die „Eliten“ in dieser Krisensituation, ungeachtet ihres Herkommens und ungeachtet der persönlichen Profile ihrer Vertreter und Vertreterinnen gemeinsam an einer Lösung dieses Knotens arbeiten, um ihre Ratlosigkeit zu überwinden, ja, sich vielleicht gar bereitfinden Ratschläge und Hilfe von „unten“ zu akzeptieren,  statt Milliarden von Menschen zu ohnmächtigen Zuschauern  oder zu Opfern ihrer Entscheidungen zu machen.

In Einzelfragen, die gegenwärtig in ersten Telefonaten zwischen dem neuen Mann in Washington und seinem schon länger amtierenden Kollegen in Moskau verhandelt werden, könnte tatsächlich Einiges möglich werden. Die Rede ist von der Einrichtung geschützter Zonen für Flüchtlinge in Syrien, von einem Ende der  Sanktionspolitik gegen Russland, von  einer Beilegung der Krim- und Ukrainekonflikte. Schließlich sogar von einem gemeinsamen Vorgehen gegen den Terror – wobei allerdings schon zu fragen ist, was unter „dem“ Terror jeweils verstanden wird.  

Das alles klingt nach Frontbegradigungen – und wäre auch zu begrüßen, wenn es zu Entspannung auf überfälligen Konfliktfeldern führen, wenn es dazu beitragen könnte, die weitere Ausbreitung des Terrorismus zu verhindern. Allerdings muss hier über die Frage hinaus, was jeweils unter Terror verstanden wird, festgehalten werden, dass Terrorismus nicht mit Waffengewalt, auch mit einer russisch-amerikanisch kombinierten Militäraktion nicht zu beseitigen sein wird, sondern nur mit einer grundlegend anderen Politik der „entwickelten“  gegenüber der sich entwickelnden Welt, die den Menschen die Möglichkeit gibt, ihr Leben vor Ort zu gestalten.

Im Übrigen sind schon die ersten außenpolitischen Dekrete des neuen US-Präsidenten, die ein willkürliches Einwanderungsverbot aus einer Reihe von muslimischen Ländern in die USA verfügen, eher geeignet, dem Terrorismus weltweit neue Kämpfer und Kämpferinnen aus diesem Feld zuzuführen als ihn zu dämpfen. Auch flackern in der Unsicherheit des neuen Frontverlaufs ungelöste Konflikte wieder auf wie in der Ukraine, andere sind zu erwarten. 

 

Unterschiedliche Perspektiven

Obwohl gleichermaßen eingespannt und trotz möglicher Kompromisse in Einzelfragen streben Putin und Trump doch in entgegengesetzte Richtungen. Der eine, Putin, strebt seit seinem Amtsantritt 1999/2000 in die Richtung einer kooperativen Weltordnung, aus wohlverstandener eigener Schwäche  und aus bitterer historischer Erfahrung, wohin eine Überdehnung der eigenen Kräfte führt.

Der andere, Trump, getrieben von dem Bestreben, von globalen Verpflichtungen nicht länger, wie er sagt,  „ausgebeutet“ zu werden, setzt unter dem Motto „America first“ auf Parzellierung  gewachsener globaler Strukturen – bei gleichzeitiger Überhöhung seines und des US-Machtanspruches. Das setzt autoritäre und nationalistische Impulse frei.

Weit entfernt also davon in eine Richtung zu ziehen, obwohl in einem Gespann, gehen die Dynamiken Russlands und der USA extrem auseinander. Putin  orientiert auf Stabilisierung und Reform der nationalstaatlichen Ordnung, wie sie sich in den Vereinten Nationen herausgebildet hat und in ihrer Charta fixiert ist. Trump forciert bilaterale Beziehungen unter Führung der USA.

Damit setzt sich ins Extrem fort, was schon die Politik der letzten Jahre bestimmt hat. Sollte man die Situation, die so entsteht, in ein Bild bringen, so müsste man das einer Waage wählen, deren eine Seite sich senkt, während die andere sich hebt. Schauen wir im Detail.

 

Schrumpfen mit Trump?

Seit Jahren zielt die US  Strategie darauf die globale Vorherrschaft der USA nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ zu bewahren – und kann doch deren Verfall nicht  aufhalten. Bester Zeuge dafür ist der bekannte US-Stratege Zbigniew Brzezinski, in dessen Büchern die Stufen des Verfalls der US-Vormacht umso deutlicher hervortreten, je stärker er die Vorzüge dieser Macht hervorzuheben bestrebt ist – darin ein unfreiwilliger Vorbote Trumps, der jetzt auf den unteren Sprossen dieser Stufenleiter als Erbe erscheint:

Den Zusammenbruch der Sowjetunion begrüßt Brzezinski mit dem  Fanfarenruf des Siegers in dem Buch: „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“[1]. Es erschien erstmals 1997, avancierte danach zum Weltbeststeller. In dem Buch wird das strategische Szenario entworfen, wie die USA die ihr in den Schoß gefallene Weltherrschaft  bewahren könnten, wenn sie dafür sorgten, dass in der Welt, insbesondere in Eurasien in Zukunft kein neuer Rivale sein Haupt erheben könne. Auf dieser Linie entwickelten die USA nach 1990/91 ihre Politik der Einkreisung Russlands.

Zehn Jahre später, 2006, schon wesentlich gedämpfter, folgt Brzezinskis erste Bilanz unter dem Titel: „The second chance“[2]. In diesem Buch schaut er auf die Präsidentschaften von Bush I, Clinton und Busch II zurück (so Brzezinskis Schreibweise).  Bush I – in Brzezinskis Charakteristik ein mittelmäßiger Verwalter, der nichts aus dem Sieg von 1990/91 gemacht habe, Clinton – ein Parvenü, der der Welt zu viel versprochen und dadurch amerikanisches Potential  leichtfertig verschleudert habe, Bush II  – ein politischer Hasardeur, der mit seinem brachialen, alleingängerischen „Krieg gegen den Terrorismus“ amerikanisches Ansehen in der Welt und dessen Vormachtstellung in krimineller Weise geschädigt habe. Zugleich habe er die Bildung der Bevölkerung sträflich vernachlässigt. Mit dem von ihm zurückgelassenen Bildungsniveau der US-Bevölkerung, so Brzezinski, sei keine Weltpolitik zu machen. 

Eine zweite  Chance für die in der Folge dieser drei Präsidenten geschwächte Weltmacht könne es nur geben, so Brzezinski, wenn das Land einen neuen Anlauf nähme, den „American way of life“ durch eine Bildungsoffensive im Innern und eine Bündnisoffensive nach außen zu erneuern. Barack Obamas Politik des „Yes we can“ war ein Kind dieser Kritik, eine Offensive des Lächelns bei gleichzeitiger Eskalation der US-Interventionen im Selbstmandat.

Noch ein Intervall später, 2013, im Vorjahr zum Ukrainischen Maidan, unter dem Titel „Strategic Vision, America and the crisis of global Power“[3]  sieht Brzezinski sich zu der Aussage gezwungen: „Angesichts des neuen dynamischen,  und international komplexen und politisch erwachenden Asien ist die neue Realität die, dass keine Macht versuchen kann – in Mackinders Worten[4] – Eurasien ‚zu beherrschen‘ und so die Welt zu ‚kommandieren‘.  Amerikas Rolle, besonders  nachdem es zwanzig Jahre vergeudet  hat (having wasted), muss jetzt sowohl subtiler als auch verantwortlicher gegenüber Asiens neuen Machtrealitäten sein. Herrschaft durch einen einzigen Staat, wie mächtig auch immer, ist angesichts des Hochkommens neuer regionaler Spieler (player) nicht länger möglich“. Nur unter Berücksichtigung dieser Tatsachen, wiederholt Brzezinski beschwörend, könne dem  weiteren Niedergang der US-Vormacht entgegengewirkt werden.

Wie die Entwicklung zeigt, hat eine breiter angelegte Bündnispolitik  unter Obama auch nach Brzezinskis zweiter Ermahnung den weiteren Niedergang der US-Vormacht nicht aufhalten können, sondern mit der Politik des Regime Changes und der gezielten Tötung durch Drohnen noch tiefer in die Sackgasse des US-Alleingangs geführt. Darüber konnte auch Obamas aggressive Propaganda gegenüber dem angeblichen Kriegstreiber Russland nicht hinwegtäuschen. Das Ukrainische Abenteuer, wie auch der vorläufige Rückzug der USA aus Syrien haben vielmehr die zunehmende Schwäche der USA klar erkennen lassen.

Trump ist der Erbe  dieses innen- und außenpolitischen Niedergangs. Statt sich in ein erweitertes Bündnis der von Brzezinski beschworenen „Newcomer“ zur Herausbildung einer kooperativen Kraft einzugliedern, sucht er den Weg in die weitere Fraktionierung der internationalen Ordnung, die er, wie gesagt, als Last empfindet – in der irrigen Annahme Amerika auf diese Weise wieder groß machen zu können. Das geschieht ohne erkennbares Programm nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.

Im Gegensatz zu den zurzeit vor allem in Europa grassierenden Klagen, mit Trumps brachialem Motto werde die demokratische Tradition der „Pax Americana“ gebrochen, findet der unter diesem Schild bisher verdeckte Nationalismus der USA mit Trump lediglich seine unverhüllte Zuspitzung und Offenbarung. Die irritierte Empörung der atlantischen Partner der USA angesichts dieser Offenbarung des tatsächlichen Charakters der US-Politik lässt vor allem anderen eine Sorge erkennen, nämlich die, mit der Demaskierung der US-Politik zugleich selbst demaskiert zu werden.

 

… und wachsen mit Putin?

Demgegenüber Putin – ebenfalls Erbe, allerdings einer gegenläufigen Entwicklung. Sie steigt von Michail Gorbatschow, der ins europäische, über Boris Jelzin, der gleich ins amerikanische Haus einziehen wollte bis zu Putins und Medwedews immer aufs Neue wiederholtem Angebot auf, gemeinsam mit der NATO eine „Sicherheitsarchitektur“ von Wladiwostok bis Lissabon schaffen zu wollen . 

Auf dieser Linie ging es darum Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder zu Kräften zu bringen. Dafür brauchte das Land eine Stärkung der internationalen Ordnung, wie sie von den Vereinten Nationen repräsentiert und in ihrer Charta beschrieben wird. Wohlverstanden im eigenen Interesse Russlands, aus eigener Schwäche, zum Schutz gegen die übermächtige Dominanz der USA.

Die Stationen dieses spät- und nachsowjetischen Restaurationsprozesses folgten nicht aus einem Programm der Revanche und der Re-Imperialisierung, wie vom Westen unterstellt, sondern aus den Tatsachen des für die Bevölkerung lebensbedrohlichen Zusammenbruchs der Sowjetunion und den blanken Notwendigkeiten einer Restauration der russischen Staatlichkeit, sprich fundamentaler sozialer Strukturen.   

Gorbatschow bat den Westen 1991 um Hilfe für die Verwirklichung seiner Reform des Sozialismus – die er, versteht sich, von den potentiellen Geldgebern nicht erhielt. Man schickte ihn vom Londoner G7-Treffen zum Scheitern nach Haus, während man Jelzin zu gleicher Zeit ermutigte und half, das Land für eine ökonomische und kulturelle Kolonisierung durch den Westen zu öffnen.

Erst mit Wladimir Putin kehrte so etwas wie die Besinnung Russlands auf sich selbst in die russische Gesellschaft zurück. Putin formulierte bei seinem Amtsantritt zwei grundlegende Ziele, die er danach beharrlich verfolgte und bis heute verfolgt: Russlands Staatlichkeit wieder aufzubauen und Russland entsprechend seiner gewachsenen historischen Rolle wieder zum Integrationsknoten Eurasiens zu machen.

Mit diesem Arbeitsprogramm, seinerzeit unprätentiös als einfache Internetmeldung der Öffentlichkeit bekanntgegeben, wandte er sich zunächst der  Stabilisierung der inneren Verhältnisse des Landes zu, verpflichtete die Oligarchen ihren im Zuge der Privatisierung des Volksvermögens gegeneinander geführten Krieg einzustellen und sich dem Wiederaufbau des Landes zuzuwenden. Das bedeutete für die neuen Reichen wieder Steuern, wieder Löhne zu zahlen, wieder in minimale kommunale und soziale Verpflichtungen einzusteigen, ihre privaten Vermögen in eine korporative Führung zu überführen, die sich staatlichen Regeln zu unterwerfen hatte. 

Kurz, es war ein Aufbauprogramm. Wer nicht wollte, wurde  beiseite gedrängt. Man erinnere sich an die Namen Wladimir Gussinski, Boris Beresowski, Michail Chodorkowski, die unter Jelzin – neben dem IWF – zu den unerklärten Herrschern Russland aufgestiegen waren.

Der eigentliche Befreiungsschlag Putins bestand jedoch in der Aufkündigung der von Jelzin eingegangenen Abhängigkeit von den Milliardenkrediten des IWF, darauf folgend auch noch in der Rückzahlung der sowjetischen Altschulden an die westlichen Gläubiger, die an der Rückzahlung überhaupt kein Interesse hatten, sondern es lieber gesehen hätten, die Schulden wachsen zu lassen.

Nach der inneren Konsolidierung trug Putin den Anspruch seines Krisenmanagements in die Außenpolitik, um dort der Einkreisung zu begegnen. Von da an ging es Zug um Zug entsprechend den allmählich wachsenden Kräften des neuen Russland.

2007: Putins Auftritt auf der Münchner „Sicherheitskonferenz“, bei dem er der aggressiven Militarisierung der Weltpolitik durch die USA, sowie der ebenso aggressiven Ost-Erweiterungspolitik der EU und der NATO erstmals weltöffentlich entgegentrat – ohne dass er zu der Zeit ernst genommen worden wäre. Die westlichen Medien ließen ihn vielmehr als Möchtegern Kraftprotz erscheinen.

Dann aber 2008: Nach der Serie „bunter Revolutionen“ und angesichts neuer Ansätze der Ost-Erweiterung von NATO und EU in die Ukraine, über Georgien und darüber hinaus, zieht Russland die gelbe Karte gegen die Provokationen des Georgischen Präsidenten Saakaschwili, der sich Ossetien einverleiben will.

In der Folge der Georgischen Krise, ebenfalls 2008, entstehen erste Ansätze zur Gründung der Eurasischen Union – übrigens nicht von Putin, sondern vom Kasachischen Präsidenten Nasarbajew angestoßen. 2010 folgt die aktive Erneuerung des Angebotes an die NATO zur Bildung einer gemeinsamen „Sicherheitszone“. 2013 schlägt Russland vor, das Problem der Ost-West-Gespaltenheit der Ukraine zwischen europäischer und eurasischer Union einvernehmlich in Gesprächen zu lösen. Keines dieser Angebote erschien dem Westen wert darauf einzugehen.

Mit dem vom Westen betriebenen Regimewechsel in der Ukraine 2014 ging Russland vom passiven Widerstand gegen die westliche Einkreisungspolitik zum aktiven über, indem es das Referendum der Bevölkerung der Krim zur Frage einer Rückkehr der Halbinsel nach Russland aktiv unterstützte und die Krim in den russischen Staatsbestand aufnahm. Zugleich förderte Russland die Bestrebungen im Osten der Ukraine nach Autonomie – lehnte von dort ausgehende Beitrittswünsche allerdings ab, ja, unterband sogar den Aufbau einer eigenen Staatlichkeit des Gebietes als „Novo Rossia“.

Mit dem Eingreifen  russischer Bomber auf Seiten Baschar al Assads in Syrien und gegen den „Islamischen Staat“ , das zum vorläufigen Rückzug der USA aus deren Interventionsreihe in Mesopotamien führte, fand das russische Krisenmanagement seinen vorläufigen Höhepunkt. Ergebnis ist das gegenwärtige Krisenpatt zwischen den USA und Russland, wie es sich in den von der Türkei, Russland und Iran initiierten Waffenstillstandsverhandlungen in der kasachischen Hauptstadt Astana niederschlug, an denen die USA nur als Beobachter teilnahmen. Was daraus folgt, ist offen.

 

Patt – aber gemeinsame Interessen?

So stehen sich diese beiden globalen „Partner“ heute gegenüber. Wenn jedoch von gemeinsamen Interessen, wenn gar von gemeinsamer Sprache der Präsidenten die Rede ist, wenn gesagt wird, Trumps  „America first“ bedeute das Gleiche wie Putins seinerzeit erklärte Absicht, Russland wieder aufbauen zu wollen,  wenn gar gesagt wird, beide seien gleich unberechenbar, oder auch, jetzt würden die USA genauso unberechenbar wie vorher Putin, dann ist das nichts weiter als Augenwischerei, im harmlosesten Fall einfach Unkenntnis historischer Tatsachen oder Dummheit. 

Fakt ist die unübersehbare Kontinuität der Putinschen Politik, der seit seinem Amtsantritt vollkommen berechenbar Schritt für Schritt von der Stabilisierung der innenpolitischen Situation Russlands zur Stabilisierung der globalen Beziehungen fortgeschritten ist – während die USA im gleichen Maßstab ihre Berechenbarkeit verloren haben und mit Trump jetzt gänzlich zu verlieren sich anschicken.

Ergebnis ist, dass die beiden großen Mächte, die heute – neben China als bisher stillem Begleiter – die Weltpolitik wesentlich bestimmen, auf polaren Seiten ein und derselben gegenwärtigen Entwicklung stehen, eben als ein Gespann. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied, wenn Trump die Weltordnung in nationale Fragmente zerlegen, der andere, Putin,  die Souveränität des Nationalstaates als Voraussetzung für Stabilität erhalten will.

Putin und Trump treffen an ein und demselben kranken Punkt der gegenwärtigen internationalen Weltordnung aufeinander, beide allerdings letztlich, wenn auch auf gegensätzlichen Seiten, auf löcherigem Boden, denn die heutige Form der globalen Nationalstaatsordnung, manifestiert in den vereinten Nationen, die der eine erhalten, der andere noch weiter als bisher beiseiteschieben will, ist angesichts der weltweiten Vernetzung von Wirtschaft, Technik und Kultur so oder so überlebt. Sie bedarf nicht nur der Reform, sie bedarf einer zeitgemäßen Weiterentwicklung.

Unter nationalstaatlicher Grundorganisation des heutigen Staatenlebens, um das hier in aller Kürze zu verdeutlichen, ist das im 19. Jahrhundert entstandene Credo zu verstehen, nach dem alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens von der Wirtschaft bis zur Kultur durch den nationalen Einheitsstaat unter staatlichem Gewaltmonopol zusammengefasst und verwaltet und gegenüber allen anderen Staaten zur Geltung gebracht werden, mit denen jeder Staat für sich Arbeitskräfte, Ressourcen und Märkte mit anderen teilen muss.

Kurz gesagt: was des einen Staates Gewinn, ist  zwangsläufig des anderen Verlust. Kriege sind bei dieser Ordnung umso unvermeidlicher, je größer die Anzahl der Nationalstaaten wird, die sich in dieser Weise den globalen Kuchen teilen müssen.

Beim Stand der Dinge ist die Politik, die Trump einzuschlagen gedenkt allerdings die gefährlichere, insofern sie die schon von seinen Vorgängern betriebene Fraktionierung dieser Ordnung unter dem Slogan „America first“ ohne Rücksicht auf zukünftige Folgen, nur getrieben vom spontanen Abwärtstrend der US-Supermacht, wie er sich in dem Weckruf „America first“ ausdrückt, ins Extrem zu treiben antritt. Putins Strategie, insofern sie das eigene Überleben nur im Rahmen eines globalen Krisenmanagements begreift, beinhaltet demgegenüber immerhin die Chance, so etwas wie einen vorübergehenden globalen Stabilitätsrahmen herzustellen,  der ein Sprungbrett für eine Ordnung bilden könnte, die über den Nationalstaat als Grundorganisation  des heutigen Staatenlebens hinausweisen – könnte.

 

Vom Zweier- zum Dreierpatt

Dass die Frage der heute anstehenden Neuordnung letztlich nicht allein zwischen den beiden Polen USA und Russland ausgetragen wird, ist dem bisher Gesagten schließlich noch hinzuzufügen. Zwar treten gewisse historische Linien aus der Vergessenheit der Geschichte wieder hervor, so die anglo-amerikanische, die aus der Tradition des Britischen Commonwealth heraus einem eigenen Kurs gegenüber Mitteleuropa und Eurasien folgt. Das ist eine Spur, die sich aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg über den zweiten bis zu den jetzt wieder hervortretenden Konstellationen  zieht. Sie  zielt auf eine Schwächung Europas, genauer der europäischen Mitte, insbesondere Deutschlands, noch  genauer und aktuell gesagt auf die Verhinderung einer möglichen deutsch-russischen Achse. Der Austritt Britanniens aus der EU und seine neue Nähe zu den USA unter Trump lässt diese Linie nach Brexit und US-Präsidentenwechsel unmissverständlich hervortreten.

Die historischen Parallelen sind allerdings nur noch bedingt gültig, eine einfache Wiederholung historischer Konstellationen wird es nicht geben können, weil inzwischen – wie schon von Brzezinski unter dem Stichwort der tendenziellen West-Ost-Verschiebung der globalen Machtzentren richtig beschrieben  – andere Kräfte in der Welt aufgetreten sind, insbesondere China. Damit ist der historische Impuls des Commonwealth nicht mehr das einzige bestimmende Element in der Weltgeschichte und auch nicht in der Beziehung zwischen den USA und Britannien und kann es, wenn kein Wunder geschieht, auch nicht wieder werden.

Ein Dreiecksverhältnis ist entstanden, bestehend aus Russland plus China, Europa und den USA, in das sich alle anderen Länder der Welt einfügen müssen. Das könnte dem zwischen Russland und USA entstandenen Patt vorübergehend  eine festere Haltbarkeit geben.

s

Könnte,  wenn …

Allerdings kann selbst in einer solchen Dreiecksbeziehung nicht mehr entstehen als eben ein vorübergehendes Stillhalteabkommen. Warum? Weil die Grundfragen der gegenwärtigen Entwicklung, durch Krisenmanagement allein nicht zu lösen sind, solange die drei, und nicht nur die drei, sondern alle Mächte der Welt, alle heute herrschenden Kräfte der Welt, an der gegenwärtigen Produktions- und Lebensweise der kapitalistischen Expansion festhalten, die ja ihrerseits letztlich Ursache der Krisenerscheinungen ist, wie wir sie heute haben.

Nicht oft genug kann wiederholt werden: Wir leben in einer Welt, in der alle bisherigen Versuche das Paradies auf Erden herzustellen gescheitert sind. Das betrifft das Glücksversprechen des Kapitalismus ebenso wie das des realen Sozialismus. Die bisherige Form der Globalisierung erweist sich darüber hinaus auch nicht als Lösung, sondern als Verschärfung dieser Ergebnisse. Die Frage stellt sich also, wie wollen wir leben, wenn nicht so, aber auch nicht so?

Solange eine Antwort auf diese Frage nicht über die Reduzierung des Menschen auf einen „Homo Konsumentis“ hinauskommt, der nur in Kategorien beständiger Expansion, wirtschaftlich gesprochen „Wachstum“ denken und leben kann, solange keine andere Weltorientierung, kein anderes Verständnis vom Menschen in der Welt entwickelt worden ist, das ihn wieder als kosmisches Ganzes begreift, solange ist eine weitere Zuspitzung der genannten Widersprüche unumgänglich, in welcher Konstellation auch immer.  

Das betrifft auch die nationale Frage. Zwar könnte die Achtung der internationalen Ordnung, wie sie die Charta  der Vereinten Nationen enthält, einen Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen abgeben, wenn sich alle Länder darauf als zur Zeit noch verbindlichen Rahmen einigen könnten, und niemand total quer schösse, aber – um es noch einmal unmissverständlich zu sagen – angesichts der globalen Verflechtung unserer heutigen Weltwirtschaft, Technik und Kultur ist die nationale Ordnung des Völkerlebens, ist die nationale Organisation, konkreter gesprochen, der nationale Zugriff auf das Feld der Ressourcen etc., ein auslaufendes Modell.

Die heute anstehenden Aufgaben, allen voran die Bewirtschaftung von Ressourcen – als Beispiel seien nur Öl und Internet genannt – können nur dann befriedigend und friedlich gelöst werden, wenn dies in nicht national begrenzter gemeinschaftsdienlicher Verwaltung  geschieht. Das allein kann eine Entwicklung öffnen, die im Rahmen der allgemeinen Nutzung zugleich zu der existenziell notwendigen Wiederbelebung lokaler Räume durch miteinander verbundene größere oder kleinere Bedarfsgemeinschaften führt.

Gebraucht wird eine Differenzierung gesellschaftlicher Aktivitäten, bei welcher der einzelne Mensch zugleich selbstorganisiert und in kooperativer Gemeinschaft leben kann, ohne von einem Staatsmonopol oder gar einem globalen Hegemons auf einen bloßen Konsumenten reduziert und zum Schräubchen fremder Interessen erniedrigt  zu werden.  

Mögliche Ansätze zu Entwicklungen in diese Richtung gibt es viele – globale,  regionale und lokale. Nach dem ersten, ebenso nach dem zweiten Weltkrieg und heute. Darüber ist bereits viel geschrieben worden und wird viel ausprobiert . Eine Verwirklichung im großen Maßstab steht jedoch noch aus. Ein vorübergehendes Patt der heutigen Großmächte und ihrer politischen wie auch persönlichen „Follower“ könnte eine Chance sein, einen neuen Anlauf zur Förderung solcher Alternativen zu entwickeln. Klar ist jedoch: Die Rückführung der jetzigen globalen in bi-nationale Beziehungen unter der Dominanz eines Hegemons, wie das von der amerikanischen Politik, genauer von ihrem gegenwärtigen Präsidenten zurzeit anvisiert wird, ist nicht dazu geeignet, Alternativen auch nur ansatzweise zu fördern. Sie läuft auf eine Zertrümmerung solcher Ansätze hinaus. Möglicherweise ist das auch ein Weg zur Erkenntnis, aber es ist der schlechtere Weg.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

Siehe dazu  das Video:

http://www.russland.news/putin-und-trump-ein-gespann-video

 

 

und das Buch:

Kai Ehlers, Die Kraft der Überflüssigen – und die Macht der Über-Flüssigen, Eigenverlag, Bestellung über: www.kai-ehlers.de

 

Außerdem Vortragsangebote, die Sie buchen können:

Siehe dazu auf der Eingangsseite: VORTRÄGE BUCHEN

[1] Brzezinski, Zbigniew, Die einzige Weltmacht, 1996 bei Fischer, neu herausgegeben bei Kopp Verlag, 2015

[2] Brzezinski, Zbigniew, Second Chance, 2006, English, Basic books, 2007

[3] Brzezinski, Zbigniew, Strategic vision, America and the crisis of global power, English, S. 131, Basic Books,

[4] Mackinder, Halford, 1861 – 1947, britischer Geopolitiker, Begründer Theorie des „Herzlandes“