Autor: Kai

Ukrainische Groteskereien: „Wenn Poroschenko kommt, werden wir sprechen.“

In den Schlagzeilen deutscher Medien wurde gemeldet: „Pro-russische Rebellen starten Großoffensive.“ (Focus) „Separatistenführer will keine Friedensgespräche“ (FAZ), „Separatistenführer lehnt Gespräche mit Kiew ab“ Spiegel-online). (focus) Der deutsche Außenminister Steinmeier wird dazu mit dem Vorwurf der „Kriegstreiberei“ an die Adresse der Donezker Führung zitiert. ...  Damit war der Waffenstill von beiden Seiten beendet. ... Aber, bitte! Sachartschenko kündigte keineswegs nur die neue Offensive an.

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Charlie – Patrioten – Ukraine: Antiterroristische Einheit – auf dem Weg in eine neue Volksgemeinschaft?

Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in Paris, „Islamischer Staat“, Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) – diese Themen überbieten zur Zeit alles andere. Sogar Russland, Ukraine, Sanktionen sind vorübergehend aus den Schlagzeilen verschwunden – allerdings nur, um durch die Hintertür, jetzt bereichert um die Variante der Terrorabwehr, wieder zu erscheinen.

 

Aber der Reihe nach, wie es sich aus dem unvoreingenommen Gespräch ergibt, in dem versucht werden soll, die Geschehnisse zu sortieren:

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Poroschenkos blutige Märchenstunde

Zeitgleich mit der Wiederaufnahme des Artilleriebeschusses der Städte Donezk und Lugansk,  das heißt der faktischen Kündigung des Minsker Abkommens durch eine erneute Offensive Kiews gegen die Volksrepubliken Donezk und Lugansk, veröffentlichte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 19.01.2015 einen Aufruf an Europa.

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Fragen an Angela Merkel

Ein „Signal der Solidarität und Entschlossenheit“ über „nationale, Partei- und Religionsgrenzen hinweg“, erklärt Angela Merkels eingangs, sei von dem Trauermarsch in Berlin und der Mahnwache vor dem Brandenburger Tor ausgegangen. In diesen Tagen spüre man: „Die Freiheit, das ist für die allermeisten Menschen  ein Lebensbedürfnis. Wir sind uns bewusst, dass die von früheren Generationen erkämpfte Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit nicht für alle Zeiten garantiert ist, sondern  dass jede Generation neu für diese Werte eintreten muss.“ – Laut gebrüllt, Löwin! möchte man sagen!

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Minsker Vexierbild – Einladung zu genauerer Betrachtung

Am Anfang des Jahres 2015 steht ein Vexierbild. Auf den ersten Blick zeigt es den ukrainischen Präsidenten Poroschenko, der zur Fortsetzung der Minsker Gespräche nach Astana, in die Hauptstadt Kasachstans einlud. Im „Normandie-Format“, also ohne die USA, sollten dort Wladimir Putin, Angela Merkel, François Hollande und Poroschenko selbst am 15. Januar Gespräche zu Lösung der ukrainischen Krise führen.

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Die soziale Revolte in der Ukraine – was ist ihr Kern und wofür steht sie?

Nun ist morgen Weihnachtsabend und demnächst Sylvester, überhaupt kommt, einfach gesagt, die Jahreswende auf uns zu und sowohl hier bei uns als auch anderswo denkt manch eine/r über einen Neubeginn nach. Zumindest sind solche Versuche nicht auszuschließen.

Wir wollen unseren Bericht deshalb heute extrem kurz halten, indem wir uns auf das beschränken, was unbedingt ins nächste Jahr mitgenommen werden muss.

 

Das ist zum einen, ungeachtet aller später aufgesattelten Verzerrungen,  die Grundbotschaft des Ukrainischen  Maidan: Revolte für ein menschenwürdiges Leben, die Suche nach Selbstbestimmung und Souveränität sind gerechtfertigt.

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Hamburger Friedensdemo am 13.12.2014: Stichworte zur Ukraine

Auf  Wunsch einiger TeilnehmerInnen gebe ich hier eine nachträgliche stichwortartige Zusammenfassung der Rede, die ich bei der Abschlußkundgebung der Hamburger Friedensdemo unter dem Motto: "Gemeinsam  für den Frieden. Friedenslogik statts Kriegsrethorik" gehalten habe. Die Rede konzentriert sich darauf, die Hintergründe des Ukrainekonfliktes zu beleuchten. Sie tritt dem Mythos entgegen, der die neue Ost-West-Spannung mit der Eingliederung der Krim in die russische Föderation beginnen lässt.

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Anmerkungen zu einem Aufruf für eine „realitätsgerechte“ Russlandpolitik

Nach zwei der Öffentlichkeit bereits vorliegenden Aufrufen zum Frieden, einem Aufruf der neu entstehenden Friedensbewegung zu Demonstrationen in verschiedenen Städten am 13. 12. 2014, sowie einem danach veröffentlichten Appell von 64 Prominenten an Parlament und Bundesregierung zur Entwicklung einer Erneuerung der Entspannungspolitik liegt jetzt ein dritter Aufruf vor.

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Gegen den Krieg – können wir sachlich bleiben?

In wenigen Tagen, am 13.12.2014, wird es in verschiedenen deutschen Städten Demonstrationen für die Erhaltung des Friedens und die Rückkehr, bzw. den Aufbruch zu einem neuen Dialog mit Russland geben.

Passend zu diesem Anlass erschien vor wenigen Tagen der Aufruf von 64 Prominenten „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“, der zur Entwicklung einer neuen Entspannungspolitik gegenüber Russland aufruft.

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Regierungsbildung in Kiew – Aufbruch in die Revolte?

Eine Groteske wird soeben vor den Augen der Welt aufgeführt. Das Stück trägt den einfachen Titel: Die Verwandlung einer Umsturzregierung in ein modernes Protektorat. Inhalt: die  Übernahme der Ukraine in die Vormundschaft der USA, der Europäischen Union, des IWF und sonstiger internationaler Geldinstitute.

„Die Regierung steht“, titelte „Die Welt“ und andere Leitmedien fielen in diesen Tenor ein. Zwar sei das, was sich im Zuge der Regierungsbildung jetzt in Kiew abgespielt habe, ein „bisschen unorthodox“. Das Wochenblatt „Die Zeit“, nicht gerade hervorgetreten durch kritische Berichterstattung zum ukrainischen Bürgerkrieg, fand zur Beschreibung der Vorgänge sogar zu der Überschrift: „Jazenjuks schräge Kabinettsbildung.“ Aber schnell beruhigte man sich mit der Versicherung des ukrainischen Präsidenten, dass ungewöhnliche Zeiten auch ungewöhnliche Methoden erforderten. Ähnlich berichteten auch andere etablierte Medien.

Was ist geschehen? Betrachten wir die Aufführung aus der Nähe:

Am 2. Dezember 2014  bestätigte die am 26. Oktober des Jahres neu gewählte, in Kiew tagende Werchowna Rada mit 288 von 399 Stimmen das vom Gespann Poroschenko/Jazenjuk vorgeschlagene neue Kabinett (bei einer Enthaltung eines ins regierungsfreundliche Lager  gewählten Maidan-Journalisten). Mit diesem Beschluss wurde die seit dem Umsturz vom 21. Februar 2014 provisorisch tätige Regierung abgelöst. Die Abstimmung wurde im „Paket“ durchgeführt. Die Kandidaten wurden nicht einzeln besprochen. Der Vorschlag Poroschenkos/Jazenjuks wurde en bloc und ohne vorherige Debatte durchgewinkt. Von Demokratie keine Spur.

Im Amt bestätigt wurden auf diese Weise erwartungsgemäß der bis dahin provisorische Premier Arsenij Jazenjuk, ebenso wie Außenminister Pawlo Klimkin, Verteidigungsminister Stephan Poltarak und Innenminister Arsen Awakow sowie einige andere Mitglieder des alten Kabinetts.  Soweit nichts Besonderes. Das könnte man als Alltag zur Kenntnis nehmen.

Was die Welt jedoch aufhorchen ließ, ist die Tatsache, dass und die Art, wie drei ausländische Politmanager westlicher Herkunft, konkret Experten mit amerikanischem Hintergrund, in Schlüsselstellungen der neuen Regierung gehievt wurden, unter ihnen eine Frau. Um ihre Ernennung zu Ministern einer Ukrainischen Regierung zu ermöglichen, waren sie nur wenige Stunden vor der Abstimmung durch Erlass Poroschenko`s im Eilverfahren eingebürgert worden.

Die drei ukrainischen Neubürger und ihre Funktionen sind:

Natalie Jaresko, gebürtige US-Amerikanerin – für das Finanzministerium: Jaresko studierte in Harvard, betreute für den IWF Programme der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ (GUS); nach der „bunten Revolution“ von 2004 holte der damalige Präsident Juschtschenko sie nach Kiew. Unter anderem leitet sie einen „Private-Eqiuty-Fonds“, also Management von privatem Risikokapital in  der Ukraine. Sie soll die Korruption bekämpfen und das Steuersystem reformieren. Von ihr wird der Spruch überliefert: „Die Wettbewerbsfähigkeit ist die erste, zweite, dritte, vierte, fünfte und zehnte Priorität.“ (Die Zeit, 3.12.2014)

Aivaras Abromavicius, gebürtiger Litauer – für das Wirtschaftsministerium: Auch Abromavicius studierte in den USA, danach war er tätig bei der Stockholmer Investfirma „East Capital Group“, später bei der „Hansabank“ in Estland. Er lebt seit 2000 als Ausländer in Kiew.

Alexander Kwitaschwili, gebürtiger Georgier – für das Gesundheitsministerium: Auch Kwitaschwili wurde in den USA ausgebildet, war dort als Gesundheits-Manager tätig. Als Gesundheitsminister unter dem Georgischen Präsidenten Saakaschwili unterzog er das georgische Gesundheitswesen einer radikalen Sparkur. Er will jetzt auch in der Ukraine ein Gesundheitssystem nach westlichen Maßstäben einführen.

Washington wies eine Beteiligung an dem Coup der Kabinettsbildung von sich, versteht sich. Das Arrangement hat sich zweifellos von selber ergeben.

Die von Poroschenko vor der Abstimmung angekündigte Einrichtung eines Krim-Ministeriums, sowie eines Ministeriums für Fragen der Integration mit der Europäischen Union, die der Präsident ebenfalls mit Ausländern besetzt haben wollte, unterblieb bis auf weiteres. „Die Zeit“ weist jedoch noch darauf hin, dass über die drei neuen aus dem Ausland geholten Minister hinaus auch viele gebürtige Ukrainer im neuen Kabinett „sich durch Ausbildung im Ausland und Erfahrung in der Privatwirtschaft“ auszeichneten: „Igor Schewtschenko, Minister für Ökologie und Naturressourcen, hat in Italien Europarecht studiert und ist Rechtsanwalt und Gründer von Shevchenko Asset Management. Andrej Piwowarski hat die Fletcher School of Law and Dipolmacy in Boston absolviert und war bis zu seiner Ernennung zum Infrastrukturminister Generaldirektor der Kontinuum Group, einer industriellen Holding. Der neue Landwirtschaftsminister hat in den Niederlanden studiert und ist Partner bei Pharus Assets Management.“

Bei diesem kurzen Blick durchs Schlüsselloch des transnationalen Kapitals mag es hier bleiben. Später wird man mehr vom Wirken dieser Reformer hören.

Übertroffen wurde diese Art der Kabinettsbildung nur noch durch den Beschluss der Rada, ein zentrales „Ministerium für Informationspolitik“ einrichten zu wollen. Es soll russischer Propaganda eine eigene ukrainische entgegensetzen.  Verantwortlich soll Juri Stets sein, bisher Chef für „Informationssicherheit“ der Nationalgarde, davor Chef des privaten Fernsehsenders „5. Kanal“, dessen Eigentümer Poroschenko auch als Präsident immer noch ist. Sets äußerte die Ansicht, dass die „unkontrollierte“ ukrainische Informationspolitik einer einheitlichen Führung bedürfe.

Angesichts der Existenz eines „Ukrainian Crisis Media Center“, das seit März 2014 eine eigene Website unterhält, das neben sonstigen Tätigkeiten täglich Briefings an mehr als 900 Adressen in der ganzen Welt versendet; angesichts solcher Konferenzen wie „Ukraine: Thinking together“ vom Mai 2014, zu der sich eine „internationale Gruppe von Intellektuellen“ traf, um von dort die Botschaft in die Welt zu schicken, dass der Westen den Kulturkampf gegen Russland aufnehmen müsse und angesichts der Tatsache, dass Poroschenko in der Ukraine immer noch den „5. Kanal“ kommandiert, lässt die Forderung von Sets nach mehr Kontrolle vermuten, dass man mehr will als nur „Informationen“ zu verbreiten.

Zumindest hat Stets harte Kritik von Maidan-Bürgerrechtlern hervorgerufen. Rund vierzig Journalisten protestierten vor der Rada mit Schildern, auf denen das geplante „Informationszentrum“ als „Wahrheitsministerium“ kritisiert wird, wie es George Orwell seinerzeit in seinem Roman 1984 beschrieben habe. Auch „Reporter ohne Grenzen“ protestierten. Es sei „nicht Aufgabe der Regierung, Informationen zu kontrollieren“, so der Geschäftsführer der Organisation. Weitere Proteste sind zu erwarten.

An den Beschlüssen der Rada ändert das vermutlich wenig. Die neue Regierung soll jetzt die Vorgaben des Assoziierungsabkommens umsetzen. Jazenjuk kündigte „harte Zeiten“ an. Die Regierung sei bereit für radikale Veränderungen. „Die Mission wird zu Ende geführt“, versicherte er. Um 300.000 Millionen Dollar seien die Sozialausgaben in diesem Jahr schon gesenkt worden, weitere Absenkungen würden folgen; steigen sollen nach Jazenjuks Willen dagegen die Ausgaben für das Militär – wenn es der Haushalt, der jetzt von den aus dem Westen eingeführten Managern saniert werden soll, denn hergibt.

 

Hinter der Bühne

Die ganze Brisanz des Arrangements dieser Kabinettsbildung wird deutlich, wenn man sich erinnert, dass kurz vor den Parlamentswahlen vom 26. Oktober 2014 das zu der Zeit provisorische Übergangs-Parlament mit einer knappen Mehrheit von 231 Stimmen (von offiziell 450 laut Verfassung für die gesamte Ukraine) schnell noch das sog. Lustrations-Gesetz beschloss. Die genaue Bezeichnung des Beschlusses lautete: „Gesetz über die Säuberung des Regierungsapparates“. (siehe dazu die  Analyse der Böllstiftung vom 21. Oktober 2014)

Nach diesem Gesetz sollen alle diejenigen Beamten und Angestellten entlassen werden, die in der Zeit vom 25. Februar 2010 bis zum 22. Februar 2014 unter dem gestürzten Präsidenten Janukowytsch in leitender staatlicher Stellung tätig waren. „Das betrifft Regierungsmitglieder, Angehörige der Staatsanwaltschaft und der Sicherheitsorgane, des Zolls, der Steuer, geht aber hinunter  zu den Leitern von Kreisverwaltungen und Leitern von Staatsunternehmen, die ‚administrative Dienstleistungen‘ gewähren.“ (Böllstiftung) Betroffen sind auch die Menschen, die in der Verlaufszeit des Euromaidan vom 21. November 2013 bis 22. Februar 2014 nicht freiwillig ihre Arbeitsstellen gekündigt haben.

Ausgenommen von dem Gesetz sind alle Stellen, die durch Wahl besetzt werden, also alle Abgeordneten, aber auch Regierungsmitglieder – und dies auch dann, wenn sie wie zum Beispiel Poroschenko, in mehrfachen Funktionen unter Janukowytsch gedient haben.

Damit entlarvt sich das Gesetz in doppelter Weise, einmal als opportunistisches Zugeständnis an die unzufriedenen Maidaner, die nach wie vor eine Reinigung des Landes von oligarchischen Korruptionären fordern. Rechte „Aktivisten“ des Maidan waren vor der Parlamentswahl schon selbst zur sog. „Müll-Lustration“ übergegangen, in deren Verlauf missliebige Staatsangestellte gewaltsam, nicht selten auch brutal, öffentlich in Müllcontainer „entsorgt“ wurden.

Zum anderen zeigt das Gesetzt sich als Instrument einer geradezu „klassischen“ Säuberung des Herrschaftsapparates, wie sie schlimmer, aber auch dümmer nicht angelegt sein könnte. Es öffnet zudem, da alle „Lustrationen“ öffentlich bekannt gegeben werden, der Denunziation und der weiteren Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas Tür und Tor und stellt die Verwaltung des neuen Staates zudem auf äußerst opportunistische und zugleich unerfahrene Füße.

Hinzu kommt schließlich noch, dass sich auch von der Lustration befreien kann, wer aktiv an der von der Regierung so genannten Anti-Terror-Operation, also dem Bürgerkrieg gegen die abtrünnigen Gebiete im Osten teilnimmt. Dies kommt einer staatlichen Aufforderung zum Töten aus niederen Beweggründen gleich – Juristen nennen so etwas Anstiftung zum Mord.

Mit Unterschrift vom 16. Oktober setzte Poroschenko dieses Gesetz in Kraft. Nach Schätzungen sind von dem Gesetz, wenn es  konsequent umgesetzt wird, rund eine Million Menschen betroffen.

Dem ist nur noch hinzuzufügen, was selbst die Böllstiftung, die sich im Verlauf der Maidan-Revolte nicht gerade in der Aufdeckung faschistischer Tendenzen hervorgetan hat, in ihrer Analyse jetzt zustimmend zitiert: „Vernichtend ist die Kritik an dem Gesetz von Seiten von Bürgerrechtlern. In einem inzwischen versteckten Beitrag für die einflussreiche Internetzeitung Ukrajinska Prawda konstatiert Jewhen Sacharow von der Charkower Menschenrechtsgruppe: ‚In der Ukraine wird das Recht des Stärkeren  zur Hauptsache und die Stärke des Rechts ist auf den Nullpunkt gesunken‘. Gleichzeitig bezeichnet er die Welle der ‚Müll-Lustrationen‘ als ‚faschistische Handlung‘. Der ehemalige Dissident Semjon Glusman konstatiert enttäuscht: ‚Das Lustrationsgesetz, das die Werchowna Rada unter dem Druck der Straße verabschiedet hat, ist kein Rechtsdokument. Es widerspricht sogar dem recht‘.“ (Böllstiftung, 21.11.2014)

Passend zu der Einführung von Ausländern als oberste Sanierer und Korruptionsjäger des Landes und zu der Einrichtung eines „Informationszentrums“ als Kontrollorgan richtigen Ukrainischen Denkens bekräftigte Jazenjuk am Tage der Kabinettsbildung den bevorstehenden Vollzug des Lustrations-Gesetzes, der zunächst etwa 500.000 Menschen betreffen werde. Deutlicher kann ein Statthalter des Westens seine Verachtung für die Menschen seines Geburtslandes wohl kaum noch demonstrieren. Das ist auch durch noch so radikale nationalistische Sprechblasen auf Dauer nicht zu übertönen. Die Antwort der so Verachteten, ins Abseits Gedrängten und Getäuschten wird nicht auf sich warten lassen – ganz zu schweigen von der aus der puren Not wieder aufsteigenden sozialen Revolte, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen des Landes. Einheimische Kritiker geben der Regierung 100 Tage. Die Frage ist allein, wie die Antwort dann aussieht.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                     Freitag, 5. Dezember 2014

Putin ist kein Sozialist – Anmerkungen zum Lärm um Front National

Putin ist kein Sozialist – Anmerkungen zum Lärm um Front National

Die Gewährung eines Kredites über neun Millionen Euro an den Front National durch eine tschechisch-russische Bank (FCRB) hat einen Sturm der Entrüstung in der deutschen Öffentlichkeit hervorgerufen. Für viele Menschen ist Wladimir Putins Gefährlichkeit damit endgültig  bewiesen. „Der Deal mit Moskau“, war in „Spiegel-online“ zu lesen, „schürt Befürchtungen, Putins Russland  finanziere  gezielt populistische  Parteien und Gruppierungen, um die Europäische Union  als außenpolitischen Konkurrenten zu schwächen. Denn nicht nur nach Frankreich zum Front national streckt der Kreml seine Fühler aus. In Großbritannien umwirbt der Kreml die radikalen Europa-Gegner von Ukip. In Ungarn unterhält er gute Beziehungen  zur rechtsextremen  Jobbik-Partei. In Deutschland ist Putin auf der Suche nach einem politischen Partner fündig geworden: bei der Alternative für Deutschland. Die AfD wies einen entsprechenden Bericht jedoch als ‚falsch‘ zurück.“

Zugegeben, der Vorgang irritiert – dabei könnte er eigentlich weniger irritierend sein als die die Tatsache, dass die NPD in Deutschland Staatsgelder über die Parteienfinanzierung erhält. Solche bekommt der Front National nicht; in den etablierten politischen Etagen der EU geächtet, konnte er sich nicht einmal einen Bankkredit besorgen. Jetzt fließt ausländisches Geld, zudem ausgerechnet aus Russland, mit dem die EU sich im Sanktionskrieg befindet. Das sieht aus, als müsste man bei der ganzen Angelegenheit ein bisschen tiefer stechen.

Zunächst dies: Nicht Putin gibt einen Kredit, sondern eine Bank, zudem noch eine tschechisch-russische, also eine grenzüberschreitend arbeitende Bank. Zwar werden den Bankchefs vertraute Beziehungen zum russischen Präsidenten nachgesagt, aber dies kann man mit der gleichen Bestimmtheit von hunderten weiterer Personen sagen, die sich im Dunstkreis des Kreml aufhalten. Daraus folgt noch nicht, dass Putin der Auftraggeber dieses konkreten Handels ist, selbst wenn, wie der „Spiegel“ und andere berichten, Marie le Pen im Anschluss an das Krim-Referendum nach Moskau reiste, selbst wenn sie „eine gewisse Bewunderung“ für Putin zum Ausdruck gebracht hat und selbst wenn der Front National zu den „stärksten Kritikern“ der Sanktionspolitik der Europäischen Union gehört. In Russland ist, manche mögen es noch nicht bemerkt haben, seit ein paar Jahren das Wirtschaften nach den Regeln des neo-liberalen Kapitalismus eingezogen. Geld fließt dorthin, wo dessen Verfüger sich Rendite versprechen.

Für Kritiker des Kapitalismus reicht eine solche Erklärung nicht aus. Der Vorgang bleibt politisch und auch moralisch anrüchig. Die heutige Realität des Geldes beschreibt diese Feststellung  jedoch genau. Das gilt umso mehr in einer Situation, in der ein Sanktionskrieg geführt wird, in dem politische Fragen über wirtschaftlichen Druck entschieden werden sollen – mit Sanktionen gegen Russland, mit Verweigerung von Krediten gegen eine politisch unbequeme Partei. Da stellen sich dann Allianzen her, die den mangelnden politischen Dialog auf ihre krude, materielle Weise ersetzen.

Diese Feststellungen beantworten selbstverständlich nicht die weitergehende, sehr komplizierte Frage, ob und wenn, dann warum sich hinter der Kreditierung des Front National mehr als geschäftliche Interessen verbergen könnten, was dran ist an den Befürchtungen, dass sich eine EU-weite populistische Blockbildung herausbilde, in der linke, sozialistische und rechte nationalistische Kritiken an der gegenwärtigen Entwicklung der EU, aktuell an ihrer sinnlosen Sanktionspolitik zu einer europakritischen konservativen Bewegung zusammenfließen, die in Putin angeblich ihren Heilsbringer sieht.

Genannt werden müssen hier die aktuellen Phänomene der sog. „Querfront“ –einer Bewegung, die links und rechts verbinden will, wie auch durchaus, die schon im obigen Zitat des „Spiegel“ genannten populistischen Parteien mit nationalistischen Programmen wie die deutsche AfD, die englische UKIP, die ungarische Jobbik-Partei,  die „Wahren Finnen“, die niederländische „Partei für die Freiheit“ und andere. Die Zuneigung dieser Parteien gegenüber Russland, selbst in den östlichen Teilen der EU, und die Offenheit Russlands ihnen gegenüber ist selbstverständlich keine Frage, die man übergehen könnte, sondern vor dem Hintergrund der historischen Abläufe wie auch denen der konkreten Entwicklung der heutigen Europäischen Union ein ernst zu nehmendes Phänomen – auch wenn der Hinweis darauf von Putin-Feinden als Totschlagargument in der politischen Auseinandersetzung benutzt wird und selbst politisch unbelastete Menschen mit Unverständnis darauf reagieren.

Die einfachste Antwort auf das Phänomen liegt in der generellen Wahrheit des Satzes: Dein Feind ist auch mein Feind.  Unter den Bedingungen der gegenwärtigen Frontbildung zwischen Russland und dem Westen  gewinnt dieser Satz eine beängstigende Realität. Da ist dem „Spiegel“ leider wieder zuzustimmen, allerdings nur halb, denn diese Realität ist sehr fadenscheinig: Was die EU schwächt, scheint Russland zu nutzen und umgekehrt. In Wirklichkeit schadet es beiden. Auch dem lachenden Dritten, den USA, könnte das Lachen auf Dauer vergehen. Diese Konstellation wird sich weiter verschärfen, solange die EU-Spitze – auf Kosten ihrer Mitgliedsländer, die nicht einverstanden sind, sondern unter den Folgen der Sanktionen stöhnen, wie auch auf Kosten ihrer Bevölkerung, welche die mit der Sanktions-Politik verbundenen „Opfer“ als Steuerzahler ausbaden soll, diese Politik fortsetzt.

Das Ergebnis kann nur der Protest gegen den so praktizierten Brüsseler Einheitsanspruch sein, der sich vor dem Hintergrund einer ohnehin prekären Entwicklung der sozialen Lage einer wachsenden Zahl von Menschen in den Mitgliedsländern der EU mit der Kritik an den konkreten wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Sanktionspolitik verbindet.

Das Phänomen der „Querfront“-Proteste, die rechts und links, nationale Frage und soziale Proteste miteinander verbinden wollen, ebenso wie die populistischen Parteien, die denselben Anspruch stellen, sind Ausdruck dieser Unzufriedenheit. Ihr durchgehendes Thema ist, bei allen nationalen Unterschieden, die Verteidigung der eigenen, politisch der nationalen, Interessen gegen eine „Überfremdung“ durch das internationale Kapital – und dessen Hauptvertreter die USA, vertretungsweise die Europäische Union als deren Juniorpartner. Darin treffen sie sich unter dem Druck des Sanktionskrieges, der von eben diesen Kräften gegenwärtig gegen Russland geführt wird, voll und ganz mit der einfachen russischen Propaganda.

Ich sage  ‚einfache russische Propaganda‘, weil auf etwas weniger einfacher Ebene zwischen westlichen und russischen Vertretern des Big Business, traditionell gesprochen, des großen Kapitals zu gleicher Zeit, aber hinter verschlossenen Türen Verhandlungen über die Ausweitung von  Geschäftsbeziehungen geführt werden. So zu lesen in der neuesten Ausgabe von „German Foreign Policy“ vom 28.11.2014. Der Sanktionskrieg wird, wie es in dem Bericht wohl zutreffend eingeschätzt wird, zwar fortgesetzt, aber nur um die Fixierung der Rangverhältnisse geführt. Dies mildert die politische Situation allerdings nicht, sondern verstärkt noch die Reflexe einer großen Mehrheit von Menschen, sich vor den Machenschaften dieses internationalen Kapitals in ihre jeweiligen nationalen und sozialen  Nischen zu flüchten.

Wo ist bei dieser Entwicklung noch Platz für Menschen, die sich von diesen Strömungen nicht in ein national-sozialistisches Revival auf neuem historischem Niveau mitreißen lassen wollen? Diese Frage erhebt sich nicht nur in Deutschland, nicht nur in der EU; sie erhebt sich ebenso im ehemaligen sowjetischen Raum, dort, wie  zurzeit in der Ukraine zu sehen, noch um einige Grade unvermittelter, weil im Transformationsprozess zusammengedrängter.

Insgesamt gilt: Nicht einverstanden mit dem Siegeszug  der globalen Kapitalisierung nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Sozialismus, nicht willens zurückzukehren in überlebte Formen des Sowjetsozialismus, auch nicht bereit zu einem Einschwenken auf nationale Verkürzungen der globalen Krise, schon gar nicht in der extremen Form wie zur Zeit in der Ukraine oder im „islamischen Staat“, wird der Korridor, der aus der jetzigen Krise in eine Gesellschaft hinüber führt, in der wir wirklich leben wollen, spürbar enger.

Um es ganz anders zu sagen: Zweifellos ist es notwendig dem sinnlosen Putin-Bashing entgegenzutreten und sich für ein Ende des Sanktionskrieges stark zu machen. Eine kooperative Ordnung verschiedener Weltmächte auf Augenhöhe, statt einer konfrontativen unter dem Diktat einer Hegemonialmacht USA, ist das Mindeste, was die Menschheit heute braucht. Dafür ist Russlands Rote Karte gegen die weitere US/EU-Expansion ein Segen. Ebenso sinnlos ist es aber auch, von Putin, ebenso wie von anderen Gestalten auf der gegenwärtigen globalpolitischen Bühne, etwas anderes als Realpolitik zu erwarten. Putin ist, um auf die Überschrift zurückzugreifen, kein Sozialist. Putin ist ein neo-liberaler Traditionalist, der gewachsene soziale Strukturen modernisieren, das heißt, für kapitalistische Produktionsweise  öffnen will. Darin trifft er sich durchaus mit den EU-Bürokraten. Sofern dies auf friedlichem Plateau geschähe, wäre schon etwas gewonnen. Die Debatte um die andere, die zu entwickelnde Zukunft jedoch muss aus der Mitte der Gesellschaft, nicht zuletzt auch in der Auseinandersetzung mit  neuen nationalistischen Strömungen geführt werden, und sie muss radikal geführt werden, in Russland nicht anders als in Europa und anderswo auf dem Globus; selbst die USA sollten man nicht vergessen.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                   Freitag, 28. November 2014

Lesen Sie hierzu:

Kai Ehlers, Die Kraft der ‚Überflüssigen‘, Pahl-Rugenstein, 2013

Kai Ehlers, Grundeinkommen als Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft, Pforte, 2. Auflage, 2007

 

Was kommt nach Putin?

Was kommt nach Putin?

„Früher  konnte man ja bei der alten Sowjetunion mal die Hoffnung haben, dass sich Probleme bei den Herrschenden oder bei der sowjetischen Politik biologisch erledigen. Putin ist vergleichsweise jung, dynamisch.“ Mit diesem Satz, in dem das „leider“ nicht ausgesprochen, aber aus der Diktion mitzuhören war, resümierte Günther Jauch die von ihm am 17.11.2014 moderierte politische Gesprächsrunde über das von Hubert Seipel mit Wladimir Putin für die ARD geführte und in der Sendung besprochene Interview.

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Sanktionen und Russlands Autarkie – hintergründige Betrachtungen statt vordergründiger Polemik

Sanktionen und Russlands Autarkie –

hintergründige Betrachtungen statt vordergründiger Polemik

Was geschieht, was bedeutet es, wenn Russland sich nicht mehr dafür entschuldigt, die seit der Auflösung der Sowjetunion bestehende Weltordnung verändern zu wollen, sondern demonstrativ Veränderungen fordert  und bewirkt – und dafür Anklagen, Kritik, propagandistische Anfeindungen, und nicht nur das, sondern auch Versuche des Westens erntet, Russland zu isolieren und im Sanktionskrieg zu schwächen?

 

Konkret: Hat Russland die Kraft diesen Konflikt zu bestehen? Worin könnte diese Kraft liegen? Nacheinander sind dazu drei Elemente zu betrachten:

  1. Die Rolle der Vielvölkerrealität Russlands?
  2. Die Rolle der traditionellen Selbstversorgungskultur Russlands.
  3. Russlands Reichtum an Ressourcen.

Die Überlegungen zu diesen Fragen sind als Annäherungen gedacht, die zur Diskussion stehen. Zustimmende oder auch gereizte Reaktionen sind erwünscht.

 

Vielvölkerrealität:

Die Vielvölkerrealität ist Russlands Reichtum Nummer Eins. Anders als die aus der Geschichte übriggebliebenen großen Vielvölkerreiche der Neuzeit, die Habsburger Monarchie und das Osmanische Reich, überstand der russische Vielvölkerorganismus nicht nur den ersten und den zweiten Weltkrieg, sondern ging in Gestalt der Sowjetunion gestärkt und sogar noch erweitert daraus hervor. Während das Habsburger Vielvölkergebilde wie auch das Osmanische Reich im Zuge dieser Entwicklung in eine Vielzahl von Nationalstaaten  zerfiel, die sich untereinander bekämpften und in ethnischen Säuberungen zerfleischten, ging das Zarenreich in eine föderale Ordnung von Unionsrepubliken, autonomen Regionen und Bezirken über. Das  mag man gut oder schlecht finden, man mag die später von Stalin betriebene „Sowjetisierung“, konkret Deportation ganzer Völker nach Sibirien dagegen halten, es war aber vom Ansatz her, wie ihn Lenin, selbst Stalin in der Gründungsphase der Union verfolgte, ein Schritt, der die traditionelle autokratische Herrschaftsstruktur in die Moderne einer föderal organisierten Pluralität von Völkern verwandelte, wenn auch unter Führung Moskaus.

Mit dem Zerfall der Union hat sich diese Struktur, soweit es die Sowjetunion betraf, in unabhängige Gebiete aufgelöst, die unter dem Druck einer nachholenden Nationenbildung ihre Identität suchen. Zu welchen Konflikten das geführt hat, konnte man die letzten zwanzig Jahre über an den Rändern der ehemaligen Sowjetunion beobachten. Aktuell sind wir immer noch Zeugen dieses Vorgangs, diesmal in der Ukraine und hier auf Grund der besonderen Bedingungen der Ukraine als traditionellem Durchgangsraum besonders heftig.

Für Russland konnte Wladimir Putins Politik der autoritären Konsensbildung einen auch auf den Kernbestand Russlands übergreifenden Zerfall aufhalten, mit dem Ansatz zur Entwicklung einer Eurasischen Union sogar eine Gegenbewegung einleiten. Oder anders, einmal von der katastrophischen Seite aus betrachtet: Wenn es der russischen Regierung nach dem anarchischen Auseinanderdriften der russischen Regionen und Völker unter Jelzin nicht gelungen wäre, dem von Jelzin 1991 ausgegebenen Motto: „Nehmt euch so viel Souveränität, wie ihr braucht“ eine Restauration der Zentralmacht entgegenzusetzen, dann – sagen wir es so – wäre es nicht bei den tschetschenischen Absetzbewegungen geblieben. Eurasien wäre in eine lange Phase nationalistischer, separatistischer Kämpfe und ethnischer „Säuberungen“ eingetaucht.  Umgekehrt geht aus dem Erhalt der föderativen Gliederung der Vielvölkerrealität eine starke Kraft für Russland und auch für die Stabilität Eurasiens hervor  – wenn sie gefördert wird. Diese Kraft wirkt nicht nur in Russland selbst, sondern wirkt zugleich als Impuls für die von Russland, konkret jetzt Putin vertretenen Perspektiven einer multipolaren Weltordnung.

Westliche Beobachter sollten begreifen, dass diese russische Ordnung nach anderen Gesetzen als denen des aus dem Westen bekannten nationalen Einheitsstaates lebt. Im russischen „Patriotismus“ ist lokaler Stolz und Zugehörigkeit zum russländischen Ganzen in einer Weise verflochten, die sich einfachen „nationalistischen“ Deutungsmustern entzieht. Ein Mensch Russlands, der oder die sich als „Patriot“ bezeichnet, ist noch lange kein „Nationalist“. „Patriotismus“ ist in Russland etwa mit Heimatverbundenheit zu übersetzen, einschließlich deren, wenn nötig auch bewaffneter Verteidigung, „Nationalismus“ definiert sich dagegen als eine Haltung, die anderen aggressiv die eigene Identität überstülpen will.

Ausgesprochen fad wird es, wenn der Chef der Moskauer Böllstiftung Jens Siegert („Russlandanalysen“, Heft 251, 8.2.2013)) ausgerechnet die Vielvölkerrealität Russlands zu dem erklärt, wovon heute die besondere Aggressivität Russlands ausgehe, da man nicht wisse, wo sie ende und diese Gefahr nur überwunden werden könne, wenn auch Russland seine nachholende Nationenbildung erfolgreich durchführe. Wie blind muss man sein, um nicht zu erkennen, dass eine solche Nationenbildung ein tiefer historischer Rückfall hinter die föderalen Strukturen Russlands wäre und nur in einer Atomisierung Russlands und einer Chaotisierung Eurasiens enden könnte? Eine andere Sache wäre es, den föderalen Aufbau in Richtung einer Kooperation autonomer Regionen zu stärken.

 

Traditionelle Selbstversorgungsstruktur Russlands

Wer es aus der Geschichte noch nicht wusste, auch aus der aktuelleren, der oder die erlebt es jetzt unter den Bedingungen des vom Westen gegen Russland entfesselten Sanktionskrieges. Die Sanktionen sollen die russische Wirtschaft nicht nur schwächen, sie schwächen sie auch tatsächlich: der Rubel entwertet, die Preise steigen, der Ölpreis sinkt, Fabriken fahren ihre Produktion wegen nicht gelieferter Zwischenbauteile runter usw. usf., aber gleichzeitig scharen sich Olga und Iwan, aber auch die Tschuwaschen Aidar und Elfi und Mitglieder anderer russländischer Ethnien um Wladimir Putin und die von ihm zur Zeit repräsentierte Politik der Verteidigung Russlands gegen die als vollkommen ungerechtfertigt erlebten Angriffe von außen. Gleichzeitig mobilisieren die Sanktionen die traditionellen Fähigkeiten der Selbstversorgung im kollektiven und im individuellen Maßstab: Jetzt werden Pläne für die Re-kultivierung lange brachliegender Felder, für die zeitweilig halb stillgelegten in Russland so genannten familiären Zusatzproduktionen auf den Datschen und Hofgärten in Angriff genommen, der Konsum leichter Industrieware wird auf eigene russische Produkte  umgelenkt und die  Produktion effektiv umgestellt usw. usf.

Das alles verhindert nicht, dass die russische Wirtschaft kurzfristig in den Keller geht – längerfristig ruft es die Entwicklungskräfte wach, die unter der Decke des bequemen West-Konsums in den letzten Jahren geschlafen haben. Die russische Wirtschaft besitzt eine traditionelle Doppelstruktur, in der sich industrielle Produktion auf Basis von Privateigentum (bzw. Staatseigentum) an Produktionsmitteln  und Lohnarbeit und andererseits kollektive Produktion auf Basis selbstversorgerischer Nutzungsstrukturen zu einer hybriden Ökonomie verbinden, die Marx seinerzeit asiatische Produktionsweise nannte. Hintergrund ist die aus der russischen Geschichte in die Neuzeit herüberwachsende Gemeinschaftstradition der sog. Óbtschschina, der Bauern-, Produktions- und Lebensgemeinschaft. Der heutige russische Wirtschaftswissenschaftler  Theodor Schanin hat dafür den Begriff der „expolaren Wirtschaft“  gefunden, einer Wirtschaft, die sich nicht in die theoretisch sauberen Kategorien von „kapitalistischer“ oder „sozialistischer“ Wirtschaft einordnen lässt.  Aus einer ganz anderen Sicht, nämlich aus jener der US- Ökonomin Elenor Ostrom, Nobelpreisträgerin für die von ihr über Jahrzehnte betriebene Commons-Forschung, könnte man von einer besonderen „sozialökonomischen Potenz“ sprechen, die in der russischen Bevölkerung bis in die konkreten Lebensstrukturen und die Topographie des Landes hinein veranlagt ist.

Zweifellos hat die Politik der russischen Reformer – von Michail Gorbatschow über Jelzin einschließlich Putins – in den letzten Jahren einen harten Kampf der „Kapitalisierung“, der „Monetarisierung“, also der „Modernisierung“ gegen diese für uneffizient und dem gewünschten „Wachstum“ hinderlichen Strukturen der russischen Volkswirtschaft geführt,  nichtsdestoweniger hat die russische Regierung sich in allen zurückliegenden Krisen der letzten Zeit auf eben diese Strukturen gestützt. Ohne diese Basis der traditionellen kollektiven und individuellen Selbstversorgungsstrukturen hätte die russische Bevölkerung weder die „Schocktherapie“ Ende der 80er und in der ersten Hälfte der 90er ohne Hungerkatastrophen überlebt, noch den „Default“ von 1998, als die kurze russische Scheinblüte der Privatisierungsgewinne zusammenbrach, noch die schwere internationale Krise von 2008/2009.

Immer sind es die sozio-ökonomischen Kompetenzen der informellen „expolaren“ Wirtschaft, die die Krise auffangen, während die Krise zugleich dazu führt die eigenen Aufbaukräfte  gegenüber den importierten zu stärken. Dieser sozio-ökonomische Reflex ist umso stärker, je mehr die Krise durch Angriffe von außen  verursacht ist. Das ist eine russische Wahrheit, fast eine Banalität. Man muss aber wohl doch darauf hinweisen, weil manche Menschen dazu neigen, historischen Tatsachen wie die zu verdrängen, dass weder Napoleon, noch Hitler in der Lage waren, dieses Land in die Knie zu zwingen.

 

Ressourcen

Zu den Ressourcen halten wir uns kurz. Öl, Gas, Kohle, Metalle, Wald, Flüsse und riesige Flächen kultivierbaren Landes sind ein ungeheurer Vorrat an materiellem Gut, der natürlich doppelten Charakter trägt – zum einen als Grundlage eines großen Reichtums, zum anderen als Ursache für das, was die „holländische Krankheit“ genannt wird, also dafür, die wirtschaftliche Aktivität zu lähmen, „weil wir ja alles im Überfluss haben.“ Das dies variable Faktoren sind, das heißt, Bedingungen, die unterschiedliche Wirkung auf  die Arbeitsmoral der Bevölkerung haben, je nachdem in welcher Lage sie sich findet, liegt  auf der Hand. Gearbeitet wird auch in Russland,  versteht sich – aber nur in dem Maße, in dem es sich als wirklich notwendig erweist. Das macht die russische Bevölkerung für viele Ausländer so unverständlich, aber sympathisch – von denen abgesehen, die genau dies verurteilen.

Das Gespräch mündet hier in die Frage, wie wir wirklich leben wollen. Von dort kehrt  es notwendigerweise zu der Frage zurück, wie wir wirklich leben – und von dort ganz hart an den brennenden Fragen der Gegenwart – wie wir  n i c h t  leben wollen. Vermutlich macht es mehr Sinn, über solche Dinge miteinander zu sprechen und voneinander zu lernen, als uns gegenseitig mit Sanktionen zu traktieren.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                                               20. November 2014

 

Hierzu zwei Buchempfehlungen:

. Kai Ehlers, Kartoffeln haben wir immer, Horlemann, 2010

. Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte, 2009

Aspekte zur Frage der russischen Autarkie

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

Bericht vom 40. „Forum integrierte Gesellschaft“  am Samstag, 15.11.2014

Thema: Sanktionen und Russlands Autarkie

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Interessierte,

Unser letzter Bericht endete mit der Frage, was geschieht, was bedeutet es, wenn Russland sich nicht mehr dafür entschuldigt, die seit der Auflösung der Sowjetunion bestehende Weltordnung verändern zu wollen, sondern demonstrativ Veränderungen fordert  und bewirkt – und dafür Anklagen, Kritik, propagandistische Anfeindungen, und nicht nur das, sondern auch den Versuch des Westens erntet, Russland zu isolieren und im Sanktionskrieg zu schwächen.

 

Konkret: Hat Russland die Kraft diesen Konflikt zu bestehen? Worin könnte diese Kraft liegen? Das war das Thema unserer letzten Forums-Runde.

 

Nacheinander haben wir dazu drei Elemente betrachtet:

  1. Die Rolle der Vielvölkerrealität Russlands?
  2. Die Rolle der traditionellen Selbstversorgungskultur Russlands.
  3. Russlands Reichtum an Ressourcen.

Unsere Überlegungen zu diesen Fragen verstehen wir als Annäherungen, die wir zur Diskussion stellen. Reaktionen sind uns willkommen.

 

Vielvölkerrealität:

Die Vielvölkerrealität ist Russlands Reichtum Nummer Eins. Anders als die aus der Geschichte übriggebliebenen großen Vielvölkerreiche der Neuzeit, die Habsburger Monarchie und das Osmanische Reich, überstand der russische Vielvölkerorganismus nicht nur den ersten und den zweiten Weltkrieg, sondern ging in Gestalt der Sowjetunion gestärkt und sogar noch erweitert daraus hervor. Während das Habsburger Vielvölkergebilde wie auch das osmanische Reich im Zuge dieser Entwicklung in eine Vielzahl von Nationalstaaten  zerfiel, die sich untereinander bekämpften und in ethnischen Säuberungen zerfleischten, ging das Zarenreich in eine föderale Ordnung von Unionsrepubliken, autonomen Regionen und Bezirken über. Das  mag man gut oder schlecht finden, man mag die später von Stalin betriebene „Sowjetisierung“, konkret Deportation ganze Völker nach Sibirien dagegen halten, es war aber vom Ansatz her, wie ihn Lenin, selbst Stalin in der Gründungsphase der Union verfolgte, ein Schritt, der die traditionelle autokratische Herrschaftsstruktur in die Moderne einer föderal organisierten Pluralität von Völkern verwandelte, wenn auch unter Führung Moskaus.

Mit dem Zerfall der Union hat sich diese Struktur, soweit es die Sowjetunion betraf, in unabhängige Gebiete aufgelöst, die unter dem Druck einer nachholenden Nationenbildung ihre Identität suchen. Zu welchen Konflikten das geführt hat, konnte man die letzten zwanzig Jahre über an den Rändern der ehemaligen Sowjetunion beobachten. Aktuell sind wir immer noch Zeugen dieses Vorgangs, diesmal in der Ukraine und hier auf Grund der besonderen Bedingungen der Ukraine als traditionellem Durchgangsraum besonders heftig.

Für Russland konnte Wladimir Putins Politik der autoritären Konsensbildung einen auch auf den Kernbestand Russlands übergreifenden Zerfall aufhalten, mit dem Ansatz zur Entwicklung einer Eurasischen Union sogar eine Gegenbewegung einleiten. Oder anders, einmal von der katastrophischen Seite aus betrachtet: Wenn es der russischen Regierung nach dem anarchischen Auseinanderdriften der russischen Regionen und Völker unter Jelzin nicht gelungen wäre, dem von Jelzin 1991 ausgegebenen Motto: „Nehmt euch so viel Souveränität, wie ihr braucht“ eine Restauration der Zentralmacht entgegenzusetzen, dann – sagen wir es so – wäre es nicht bei den tschetschenischen Absetzbewegungen geblieben. Eurasien wäre in eine lange Phase nationalistischer, separatistischer Kämpfe und ethnischer „Säuberungen“ eingetaucht.  Umgekehrt geht aus dem Erhalt der föderativen Gliederung der Vielvölkerrealität eine starke Kraft für Russland und auch für die Stabilität Eurasiens hervor  – wenn sie gefördert wird. Diese Kraft wirkt nicht nur in Russland selbst, sondern wirkt zugleich als Impuls für die von Russland, konkret jetzt Putin vertretenen Perspektiven einer multipolaren Weltordnung.

Westliche Beobachter sollten begreifen, dass diese russische Ordnung nach anderen Gesetzen als denen des aus dem Westen bekannten nationalen Einheitsstaates lebt. Im russischen „Patriotismus“ ist lokaler Stolz und Zugehörigkeit zum russländischen Ganzen in einer Weise verflochten, die sich einfachen „nationalistischen“ Deutungsmustern entzieht. Ein Mensch Russlands, der oder die sich als „Patriot“ bezeichnet, ist noch lange kein „Nationalist“. „Patriotismus“ ist in Russland etwa mit Heimatverbundenheit zu übersetzen, einschließlich deren, wenn nötig auch bewaffneter Verteidigung, „Nationalismus“ definiert sich dagegen als eine Haltung, die anderen aggressiv die eigene Identität überstülpen will.

Ausgesprochen fad wird es, wenn der Chef der Moskauer Böllstiftung (in den aktuellen „Russlandanalysen“) ausgerechnet die Vielvölkerrealität Russlands zu dem erklärt, wovon heute die besondere Aggressivität Russlands ausgehe, da man nicht wisse, wo sie ende und diese Gefahr nur überwunden werden könne, wenn auch Russland seine nachholende Nationenbildung erfolgreich durchführe. Wie blind muss man sein, um nicht zu erkennen, dass eine solche Nationenbildung ein tiefer historischer Rückfall hinter die föderalen Strukturen Russlands wäre und nur in einer Atomisierung Russlands und einer Chaotisierung Eurasiens enden könnte? Eine andere Sache wäre es, den föderalen Aufbau in Richtung einer Kooperation autonomer Regionen zu stärken.

 

Traditionelle Selbstversorgungsstruktur Russlands

Wer es aus der Geschichte noch nicht wusste, auch aus der aktuelleren, der oder die erlebt es jetzt unter den Bedingungen des vom Westen gegen Russland entfesselten Sanktionskrieges. Die Sanktionen sollen die russische Wirtschaft nicht nur schwächen, sie schwächen sie auch tatsächlich: der Rubel entwertet, die Preise steigen, der Ölpreis sinkt, Fabriken fahren ihre Produktion wegen nicht gelieferter Zwischenbauteile runter usw. usf., aber gleichzeitig scharen sich Olga und Iwan, aber auch die Tschuwaschen Aidar und Elfi und Mitglieder anderer russländischer Ethnien um Wladimir Putin und die von ihm zur Zeit repräsentierte Politik der Verteidigung Russlands gegen die als vollkommen ungerechtfertigt erlebten Angriffe von außen. Gleichzeitig mobilisieren die Sanktionen die traditionellen Fähigkeiten der Selbstversorgung im kollektiven und im individuellen Maßstab: Jetzt werden Pläne für die Re-kultivierung lange brachliegender Felder, für die zeitweilig halb stillgelegten in Russland so genannten familiären Zusatzproduktionen auf den Datschen und Hofgärten in Angriff genommen, der Konsum leichter Industrieware wird auf eigene russische Produkte  umgelenkt und die  Produktion effektiv umgestellt usw. usf.

Das alles verhindert nicht, dass die russische Wirtschaft kurzfristig in den Keller geht – längerfristig ruft es die Entwicklungskräfte wach, die unter der Decke des bequemen West-Konsums in den letzten Jahren geschlafen haben. Die russische Wirtschaft besitzt eine traditionelle Doppelstruktur, in der sich industrielle Produktion auf Basis von Privateigentum (bzw. Staatseigentum) an Produktionsmitteln  und Lohnarbeit und andererseits kollektive Produktion auf Basis selbstversorgerischer Nutzungsstrukturen zu einer hybriden Ökonomie verbinden, die Marx seinerzeit asiatische Produktionsweise nannte. Hintergrund ist die aus der russischen Geschichte in die Neuzeit herüberwachsende Gemeinschaftstradition der sog. Óbtschschina, der Bauern-, Produktions- und Lebensgemeinschaft. Der heutige russische Wirtschaftswissenschaftler  Theodor Schanin hat dafür den Begriff der „expolaren Wirtschaft“  gefunden, einer Wirtschaft, die sich nicht in die theoretisch sauberen Kategorien von „kapitalistischer“ oder „sozialistischer“ Wirtschaft einordnen lässt.  Aus einer ganz anderen Sicht, nämlich aus jener der US- Ökonomin Elenor Ostrom, Nobelpreisträgerin für die von ihr über Jahrzehnte betriebene Commons-Forschung, könnte man von einer besonderen „sozialökonomischen Potenz“ sprechen, die in der russischen Bevölkerung bis in die konkreten Lebensstrukturen und die Topographie des Landes hinein veranlagt ist.

Zweifellos hat die Politik der russischen Reformer – von Michail Gorbatschow über Jelzin einschließlich Putins – in den letzten Jahren einen harten Kampf der „Kapitalisierung“, der „Monetarisierung“, also der „Modernisierung“ gegen diese für uneffizient und dem gewünschten „Wachstum“ hinderlichen Strukturen der russischen Volkswirtschaft geführt,  nichtsdestoweniger hat die russische Regierung sich in allen zurückliegenden Krisen der letzten Zeit auf eben diese Strukturen gestützt. Ohne diese Basis der traditionellen kollektiven und individuellen Selbstversorgungsstrukturen hätte die russische Bevölkerung weder die „Schocktherapie“ Ende der 80er und in der ersten Hälfte der 90er ohne Hungerkatastrophen überlebt, noch den „Default“ von 1998, als die kurze russische Scheinblüte der Privatisierungsgewinne zusammenbrach, noch die schwere internationale Krise von 2008/2009.

Immer sind es die sozio-ökonomischen Kompetenzen der informellen „expolaren“ Wirtschaft, die die Krise auffangen, während die Krise zugleich dazu führt die eigenen Aufbaukräfte  gegenüber den importierten zu stärken. Dieser sozio-ökonomische Reflex ist umso stärker, je mehr die Krise durch Angriffe von außen  verursacht ist. Das ist eine russische Wahrheit, fast eine Banalität. Man muss aber wohl doch darauf hinweisen, weil manche Menschen dazu neigen, historischen Tatsachen wie die zu verdrängen, dass weder Napoleon, noch Hitler in der Lage waren, dieses Land in die Knie zu zwingen.

 

Ressourcen

Zu den Ressourcen halten wir uns kurz. Öl, Gas, Kohle, Metalle, Wald, Flüsse und riesige Flächen kultivierbaren Landes sind ein ungeheurer Vorrat an materiellem Gut, der natürlich doppelten Charakter trägt – zum einen als Grundlage eines großen Reichtums, zum anderen als Ursache für das, was die „holländische Krankheit“ genannt wird, also dafür, die wirtschaftliche Aktivität zu lähmen, „weil wir ja alles im Überfluss haben.“ Das dies variable Faktoren sind, das heißt, Bedingungen, die unterschiedliche Wirkung auf  die Arbeitsmoral der Bevölkerung haben, je nachdem in welcher Lage sie sich findet, liegt  auf der Hand. Gearbeitet wird auch in Russland,  versteht sich – aber nur in dem Maße, in dem es sich als wirklich notwendig erweist. Das macht die russische Bevölkerung für viele Ausländer so unverständlich, aber sympathisch – von denen abgesehen, die genau dies verurteilen.

Unser Gespräch, liebe Freundinnen, liebe Freunde wandte sich an dieser Stelle längeren Erörterungen zu, wie wir wirklich leben wollen. Von da kehrte sie zu der Frage zurück, wie wir wirklich leben – und von dort ganz hart am Thema – wie wir  n i c h t  leben wollen.

Diesen Fragen wollen wir beim kommenden Treffen unter dem Thema nachgehen:

Thema:

Die Soziale Revolte in der Ukraine – was ist ihr Kern und wofür steht sie?

 

Am Sonntag, d. 21.12.2014 um 16.00 Uhr in der Jurte am bekannten Ort.

 

Bitte anmelden: info@kai-ehlers.de  Tel: 040 64 789 791 mob: 0170 27 32 482

Wer den Ort nicht kennt, bekommt ihn dann mitgeteilt. Und wie immer bitten wir darum eine Kleinigkeit zum Knabbern mitzubringen.

 

Seid gegrüßt,

Kai Ehlers, Christoph Sträßner,

im Namen des Forums integrierte Gesellschaft

Ukraine: Die andere Wahl

Ukraine:

Die andere Wahl

Am Sonntag, dem 2.November 2014 wurde im Osten der Ukraine gewählt, nachdem eine Woche vorher die von Kiew durchgeführte Westwahl über die Bühne gegangen ist. Viele Aspekte sind zu beleuchten, um eine Vorstellung zu gewinnen, worauf die ganze Situation hinausläuft.  Betrachten wir zunächst die Ergebnisse, bevor wir die Hintergründe  sortieren.

Obwohl weiter geschossen wurde, wurde gewählt. Das von den Veranstaltern der Wahl anvisierte Ziel wurde erreicht: Die Führungsspitzen der bisher nicht anerkannten Volksrepubliken, die Republikchefs Alexander Sachartchenko in Donezk und Igor Plotnizki in Lugansk  sowie ihre Volksräte in ihren bisher informellen, nur aus den Kämpfen hervorgegangenen Funktionen, wurden mit erkennbarem Zuspruch der Bevölkerung bestätigt. Sachartchenko mit  ca. 80%, Plotznizki mit ca. 65%. Auch die Parlamente von Donezk und Lugansk wurden legitimiert. Große Auswahl zwischen Parteien gab es nicht. Nicht alle Parteien durften teilnehmen. Zur Wahl standen keine Programme, sondern Personen. Praktisch diente die Wahl der Festigung der entstandenen Machtstrukturen in den Gebieten Donezk und Lugansk.

Es ist, darf man sagen, eine Legitimation der besonderen Art, nämlich ein Zuspruch durch jene Menschen, die trotz fortdauernder Kämpfe, trotz Bombardierungen, trotz der damit verbundenen Chaotisierung, Brutalisierung und sogar kriminellen Bedrohung des Alltags in ihren Wohnorten Donezk, Lugansk und Umgebung geblieben sind. Nicht wenige sind sogar gerade deswegen geblieben. Mit dieser Abstimmung zeigen sie, dass sie nicht bereit sind, sich dem von Kiew ausgehenden Druck zu beugen. Nicht bei wenigen nahm das am Wahltag die etwas holzschnitzartige Form eines „Widerstandes gegen die Faschisten“ an. Das zeugt nicht unbedingt von viel Differenzierung in der Wahlpropaganda und auch nicht innerhalb Bevölkerung; nichtsdestoweniger kennzeichnet es die Grundmotivation der zu dieser Wahl gehenden Menschen. Eindeutiger könnte das Signal nicht sein. Es zeigt unmissverständlich, wo die Mehrheit der Menschen in diesen beiden Wahlgebieten sich zuhause fühlt – mit Sicherheit NICHT in einer von Kiew dominierten Ukraine. Alles andere ist nicht so eindeutig: „heim nach Russland“, in die Autonomie oder in die Selbstständigkeit.

Die Regierungen von Kiew, den USA, der EU und auch die Deutschlands erklärten, die Wahl störe den  in Minsk begonnenen „Friedensprozess“. Sie lehnen eine Anerkennung des Ergebnisses ab und bestehen weiter auf der Einheit der Ukraine, für die sich Moskau einsetzen müsse. Moskau dagegen erkennt die Wahl als Faktor an, der dem Friedensprozess und der Stabilität dienen könne.

Damit wäre eigentlich schon das Wichtigste gesagt: Die generelle Konfrontation zwischen den Atlantikern und Russland wird fortgeschrieben. Einiges muss aber noch nachgezeichnet werden, wenn man verstehen will, was sich aus der Doppelwahl, jener am 25.10.2014 und dieser am 2.11. 2014 ergibt.

 

Verstoß gegen den Frieden?

Wenn von Störung des Friedensprozesses die Rede ist, der in Minsk vereinbart worden sei, dann muss zunächst festgestellt werden, dass die in Minsk vereinbarte Waffenruhe bisher von keiner der beiden Seiten eingehalten wurde. Der in Minsk vereinbarte Puffer zwischen den Fronten existiert faktisch nicht, zumal die ukrainische Seite ihre Unterschrift zu diesem konkreten Punkt wieder zurückgezogen hat.  Die Zahl der täglichen Toten ist in den letzten Tagen vor der  Wahl beständig angewachsen. Allein in der letzten Woche wurde sie von den UN mit 300 angegeben. Es ist offensichtlich, dass der Druck Kiews auf die Regionen Donezk und Lugansk in den Tagen kurz vor der Wahl am 2. November erheblich zugenommen hat.

Politisch hat die Westwahl klar gemacht, das Pjotr Poroschenkos „Friedensplan“ das Papier nicht mehr wert ist, auf dem er steht, dass Arsenij Jazenjuks antirussische und offen auf Fortsetzung des Bügerkriegs orientierte  Politik, der Poroschenko sich wird beugen müssen, keineswegs auf Dialog mit den aufständischen Regionen zielt, sondern auf gewaltsame Wiedereingliederung und Unterordnung der Aufständischen. Die Ankündigung aus dem Verteidigungsministerium in Kiew, die Teilnahme an den Wahlen im Donbas vom 2.11. strafrechtlich verfolgen zu wollen, ist nur der aktuellste Ausdruck dieser Linie. Vor diesem Hintergrund sind die Wahlen – wie sollte es anders sein – ein klare Aktion der Gegenwehr aus dem Donbas.

 

Nicht demokratisch…?

Wenn davon die Rede ist, dass die Wahl nicht demokratisch gewesen sei, dann ist dem zweifellos zuzustimmen. Es gab nur zwei Parteien,  die „Volksrepublik Donezk“ von Sachartschenko  und die „Bewegung für den Frieden“ von Plotnizki. Andere waren nicht zugelassen, auch die kommunistische Partei nicht. Zwischen Personen gab es allerdings Wahlmöglichkeiten. Die Wahlen hatten die Funktion, die in den Kämpfen des letzten halben Jahres gewachsene Ordnung zu festigen, das Chaos widerstreitender Kompetenzen einzuschränken, willkürlich handelnde Feldkommandeure zu disziplinieren usw. Einige Nachrichten aus den letzten Wochen haben ein ziemlich chaotisches Bild der Zustände entstehen lassen, die unter den Bedingungen der sich zersetzenden ukrainischen und einer noch nicht wieder legitimierten neuen Staatlichkeit entstanden sind. Etwa das über You tube verbreitete Video von einer Sitzung des „Volksgerichtshofs“, bei dem unter Missachtung menschenrechtlicher Maßstäbe Todesurteile per Akklamation des teilnehmenden Publikums bestätigt werden.

Unter solchen Bedingungen ging es bei dieser Wahl eindeutig nicht um Demokratie, schon gar nicht um formale, sondern um die Wiederherstellung von Mindestregeln einer zivilen Ordnung. Nicht als Parteien anerkannt wurden Gruppen, nicht auf die Listen gelassen wurden Personen, bei denen die Organisatoren offenbar davon ausgingen, dass sie bei der Wahl zu der gewünschten Strukturierung von zivilen Verhaltensregeln nichts hätten beitragen können.

Darin unterscheiden sich die Ost-Wahlen in ihrer Grundausrichtung diametral von den vorhergehenden  von Kiew durchgeführten, bei denen die diversen nationalistischen Parteien den berüchtigten Milizenführern und offenen Faschisten reihenweise ihre Listen geöffnet und so den Einzug von Nationalisten und Faschisten ins Parlament ermöglicht haben. Die Ost-Wahl  diente im Gegensatz dazu, eine zivilisierende Konsolidierung erst einmal wieder zu ermöglichen. Sie dient dem Versuch eine Staatenbildung zu fördern, in erklärter Abkehr vom Bürgerkriegschaos. Paradox gefasst, kann man sagen: Demokratisches Reinholen nationalistischer bis faschistischer Kräfte ins Parlament bei der Kiewer Wahl, autoritäres Ausgrenzen militaristischer, nationalistischer oder auch einfach radikalistischer Abenteurer bei der Wahl im Osten – polarer könnten die Grundimpulse dieser beiden Wahlen kaum noch sein.

Und noch ein weiteres: Hätten die Ost-Wahlen, wie in Minsk vereinbart, am 7. November auf der Grundlage ukrainischer Gesetze, konkret des von Poroschenko angekündigten Gesetzes über die Einrichtung einer Sonderzone für Donezk und Lugansk, demokratischer sein können? Ja, hätten sie, wenn es diese Sonderzone gäbe.  Aber es gibt sie nicht! Das angekündigte Gesetz wurde im Parlament noch nicht verabschiedet. Was es gibt, ist eine Zentralmacht in Kiew, die ihren Herrschaftsanspruch mit Gewalt durchsetzen will, nach der Wahl vom 25.11. mehr als zuvor. Demgegenüber ist jede lokale Ordnungsmacht, die die Interessen der Menschen vor Ort zu organisieren versucht, für diese Menschen ganz offensichtlich das kleinere Übel, selbst wenn sie wie in den gegenwärtigen Donezker und Lugansker Republiken mit ursprünglichen Grobheiten einer noch willkürlich brodelnden entstaatlichten Realität belastet ist.

 

Ideologische Verhärtungen?

Diese Tatsachen führen am Ende zu der Frage, wofür diese Volksrepubliken eigentlich langfristig stehen. Denken wir kurz an die Vorgänge dieses Jahres zurück: Volksabstimmung für eine Autonomie des Donbas im Mai dieses Jahres, nachdem die Krim sich im Protest gegen den Versuch einer gewaltsamen Ukrainisierung durch die Umsturzregierung aus der Ukraine gelöst hatte. Sehr schnell trat neben die Forderung nach Autonomie die weiter gehende nach Anlehnung an Russland und schon im Juni die nach Eigenstaatlichkeit von „Novorossija“.  Russische Nationalisten mischten sich aktiv ein.

Noch im Juli jedoch fanden Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Städten des Südens, des Ostens, sogar einzelne aus Kiew und aus dem Karpatischen Teil der Ukraine auf einer Konferenz in Jalta zusammen, wo sie nach intensiver Auseinandersetzung ein gemeinsames „Manifest“ zu ihren  Zielen verabschiedeten. Es war ausdrücklich auf die ganze Ukraine gerichtet. Darin definierten sie die Ukraine als „ein Territorium zwischen der Europäischen Union und Russland mit einer starken christlichen Tradition (vor allem orthodox), besiedelt von verschiedenen Völkern (Ukrainern, Russen, Weißrussen, Moldawiern, Bulgaren, Ungarn, Rumänen, Polen, Juden, Armeniern, Griechen, Tataren, Rusinen, Huzulen und anderen),  das eine Jahrhunderte alte Tradition der Selbstverwaltung des Volkes und des politischen Kampfes für seine Freiheit hat.“ Und ausdrücklich hieß es auf die selbst gestellt Frage, ob der Kampf im Südosten Separatismus sei: „Nein, das Territorium des Kampfes ist die ganze Ukraine. Die Aufständischen des Südostens (Neurussland) strecken die Hand den Brüdern und den Schwestern in allen Regionen der Ukraine mit dem Aufruf entgegen: «Steht auf gegen den gemeinsamen Feind! Wir werden die neue, freie, sozial verantwortliche Volksmacht auf dem ganzen Territorium der Ukraine und Neurussland´s schaffen.“

Gemeinsamer Grundtenor war: Protest gegen oligarchische Willkür, Forderung nach  rätedemokratischer Selbstorganisation und Widerstand gegen die von Kiew ausgehende Absicht der gewaltsamen Ukrainisierung, eine basisdemokratische Vision  ausgehend vom  Gemeinderat über autonome Regionen bis in eine Föderalisierung des Landes. Das Ziel: „Aufbau einer gerechten sozialen Volksrepublik ohne Oligarchen und ohne korrumpierte Bürokratie auf dem Territorium der Ukraine.“

Vom 10. Juli des Jahres 2014 bis zum 2. November 2014 verengte sich der Tenor der Befreiungsbewegung unter dem sich eskalierenden  Feuer des Bürgerkrieges erkennbar auf zu erreichende Kriegsziele, Kampfhandlungen und auf die Organisation des Überlebens in den umkämpfen Gebieten.

Die Ost-Wahlen vom zurückliegenden Wochenende sind der Versuch der Aktivisten der Donezker und Lugansker Bewegung sich aus dieser Verengung wieder zu befreien. Die Frage ist, welches der ursprünglichen Ziele – lokale Selbstorganisation, regionale Autonomie, Föderalisierung, Kampf den Oligarchen  – unter dem Druck der Verhältnisse auf der Strecke bleibt.

Der Druck der Verhältnisse, das muss gesagt werden, hängt nicht nur von Kiew und nicht nur von dessen westlichen Unterstützern ab, sondern auch davon, wie sich Russland verhält. Nach dem gegenwärtigen Verlauf der Dinge sieht es so aus, als ob Russland sich die Republiken  Donezk und Lugansk als „eingefrorene Konflikte“ vorstellen kann. Das ist natürlich keine Lösung auf Dauer. Aber es wäre, vorausgesetzt Kiew und besonders seine kriegswütigen Nationalisten und auch der Westen ließe das geschehen, für die Bevölkerung der Ukraine – und zwar in Ost wie in West – zur Zeit vermutlich die annehmbarste Entwicklung des Konfliktes, bei der die Menschen erst einmal dazu übergehen könnten, ihren Alltag zu reorganisieren – und dann vielleicht auch wieder miteinander  zu reden.

Die im Anfangsstadium der Autonomiebewegung angedachten radikalen Perspektiven einer rätedemokratisch organisierten autonomen Gesellschaft werden in einem solchen Klima allerdings vermutlich erstarren und eher vom Reif einer Sowjet-Nostalgie überzogen werden, denn verengt haben sich auch die Perspektiven in der Donezker und Lugansker Führung. Beispielhaft dafür sind die Vorstellungen von Boris Litwinow, ehemaliger Funktionär der Kommunistischen Partei der Ukraine, jetzt Vorsitzender des Obersten Sowjet der Donezker Volksrepublik und verantwortlich für die“ zivile Gestaltung der zukünftigen Lebens“. Er stellt sich für die Zukunft eine „kollektivistische“ Gesellschaft auf der Grundlage von Staatseigentum vor, das klingt wie ein Revival sowjetischer Strukturen – nur aufgelockert durch die Zulassung von Privateigentum, das er „selbstverständlich“ gut findet. Mit solchen Vorstellungen vom Staat, wenn sie nicht noch korrigiert werden, reduziert sich der revolutionäre Impuls der Republiken Donezk und Lugansk dann doch auf Separatismus, d.h. auf eine Kopie des Großen russischen Bruders im Kleinformat. Dieser Zustand könnte als Status quo lange Zeit konserviert werden, länger jedenfalls als die revolutionäre Unruhe des anfänglichen Maidan und Anti-Maidan. Man mag es nicht mögen, aber auf so eine „eingefrorene“ Situation  könnten sich vermutlich sogar die großen „Player“ einigen, vorausgesetzt es ginge um eine Beilegung der ukrainischen Konflikte und nicht um andere Ziele, für welche die Ukraine nur das Aufmarschgebiet ist.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

04.November 2014

 

Ukraine: Westwahl erfolgt – Problem gelöst?

Die vorgezogenen Wahlen zum Kiewer Parlament vom 26.10.2014 lassen ein interessantes Dejà vue  aufkommen. Erinnern wir uns: 1991, die Sowjetunion wurde aufgelöst. Francis Fukuyama schrieb, das Ende der Geschichte sei gekommen, Demokratie habe sich als Ordnungsmodell endgültig durchgesetzt. In ähnlicher Manier erklären die westlichen Regierenden und die regierungstreuen Medien heute, in den soeben in der Ukraine durchgeführten Wahlen habe die Ukraine und mit ihr der Westen heute die „Abkehr vom autoritären russischen Modell besiegelt“.

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Ukraine: Bestandsaufnahme

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

Bericht vom 39. „Forum integrierte Gesellschaft“  am Samstag, 18.10.2014

Thema: Bestandsaufnahme

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Interessierte,

drei Monate ist es schon wieder her, seit wir uns das letzte Mal bei Euch seitens des „Forums integrierte Gesellschaft“ gemeldet haben. Einige neue Teilnehmer/innen fanden sich zur Wiedereröffnung unserer Versammlungsjurte ein, nicht wenige Interessierte haben erstmals einen Platz auf der Verteilerliste des Forums gefunden. (Das sei hier gleich vorausgeschickt: Wer dort nicht bleiben möchte, möge es mailwendend mitteilen, danke)

Es hat einige Mühe gekostet, die Jurte wieder in den Zustand zu versetzen, dass sie sich für eine politische Runde eignet, so dass sie trotz schwerer Thematik, in angenehmer und freundschaftlicher Atmosphäre stattfinden kann. So war es – und so war es gut.

Thema waren, wie könnte es zurzeit anders sein, wieder die Ukraine, Russland und der Westen. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Texte wiederholen, die Ihr, die Sie mit Gewinn – oder auch mit Widerspruch – bereits auf meiner Website lesen konnten/t, soweit es die Infos zum Krisen- und Kriegsverlauf rund um die Ukraine und die Hintergründe dazu betrifft.

Nur ein paar wesentliche Aspekte sollen hier gesondert betont werden:

Das ist erstens der konjunkturelle Charakter des heutigen Krisenverlaufes. Nach wie vor sind die Grundfragen der Ukrainischen Krise in keiner Weise gelöst und doch wird sie aktuell schon von der nächsten – Stichwort: „IS“ – aus der Medienwirklichkeit verdrängt. So unerträglich schrill die Propaganda jetzt über fast ein Jahr schmerzte, so schwer ist die plötzliche Stille zu ertragen, in der man den Eindruck gewinnen könnte, als kehre in dieser Frage nun so etwas wie Normalität und politische Routine ein. Gerade der jähe Wechsel lässt jedoch den Charakter des Informationskrieges, dem wir zunehmend ausgesetzt  werden, umso krasser und unübersehbar hervortreten. Gelöst ist gar nichts, nur die Kulissen werden ein bisschen verschoben, bevor allzu deutlich werden kann,  was auf ihnen gespielt wurde. Jetzt dürfen wir uns eine Zeitlang mit IS und Ebola beschäftigen – der Hintergrund bleibt der gleiche: eine konzertierte strategische Offensive der westlichen Allianz-Mächte und ihrer willigen Partner gegen Russland und die von ihm angeblich gefährdete Zivilisation.

Aber vielleicht muss man diese Propaganda gar nicht so zurückweisen, wie wir es ständig versuchen? Vielleicht ist es ja wirklich so? Vielleicht gefährdet Russland tatsächlich die herrschende Weltordnung? – allerdings in einem anderen Sinne als es von den Verteidigern der westlichen Wertegemeinschaft gemeint ist, die von einer Weltfriedensordnung sprechen, aber in Wirklichkeit die herrschende US-Hegemonialordnung meinen.

Das ist der zweite Aspekt, der herauszustellen ist: Wir erleben heute die Transformation der nach dem Zerfall der Sowjetunion vorübergehend übriggebliebenen unipolaren US-dominierten Weltordnung, ihren Übergang in eine multipolare globale Ordnung kooperativ miteinander verbundener Großregionen. Die Bedingungen und die politischen Konturen für diese Ordnung haben sich bereits herausentwickelt, die gegenwärtige Hegemonialmacht USA will die neue Ordnung aber unter keinen Umständen akzeptieren, obwohl ihre eigenen Strategen wie z.B. Sbigniew Brzezinski die Tatsache des Niedergang der USA als Weltpolizist selbst unverblümt aussprechen. In dieser weltpolitischen Situation steht Russland als Kernland Eurasiens und aus seiner Dynamik der nachsowjetischen Entwicklung heraus im Zentrum der heranwachsenden multipolaren Neuordnung – als Impulsgeber. Klar gesagt, selbst wo Russland defensiv auftritt wie etwa mit Vorschlägen einer Sicherheitszone von Wladiwostok bis Lissabon unter dem Dach der OSZE u.ä. wirken die von seiner heutigen Rolle als nachsowjetisches Transformationszentrum ausgehenden Impulse zersetzend auf das, was die aktuellen Hegemonialmächte, die Weltfriedensordnung nennen. Unter den gegebenen Bedingungen kann sich Russland, konkret die Putin-Regierung verhalten wie sie will – sie ist aus ihrer historisch gewachsenen Lage als wieder erstarkter Nachfolgestaat der Sowjetunion, als sich auf seine Rolle besinnender Integrationsknoten in Eurasien, als unermüdlicher Impulsgeber einer im Entstehen begriffenen multipolaren Ordnung unvermeidlich der strategische Opponent der USA – jedenfalls aus Sicht der heute dort herrschenden politischen Klasse, die sich keine multipolare Kooperation vorstellen kann oder will.

Damit sind wir beim dritten Punkt: Jede Konstellation, die Russland schwächt, schwächt die Entstehung einer multipolaren Ordnung. Aber können die USA – selbst im Bündnis mit ihren willigen Juniorpartnern – Russland tatsächlich so weit schwächen, dass es seine Rolle im Zuge der Herausbildung einer multipolaren Welt nicht wahrnehmen kann? Hier sind entschiedene Zweifel angebracht. Im Moment sieht es eher so aus, als ob die Versuche der USA Russland zu isolieren das genau Gegenteil bewirken, nämlich den engeren Zusammenschluss eben der Länder, in deren Reihen die multipolare Ordnung soweit herangewachsen ist, das sie heute eine politische Realität zu werden beginnt – im Zentrum die Schaffung eines mit dem IWF konkurrierenden Weltwährungsfonds und anderes mehr. Und Russland immer dabei! Noch entscheidender jedoch ist die grundsätzliche sozio-ökonomische Verfasstheit Russlands, das aus dem gegen ihn von den USA und dem Westen geführten Informations- und Sanktionskrieg eher gestärkt als geschwächt hervorgehen könnte – die Sanktionen fordern Russlands Autarkiekräfte heraus, der Informationskrieg führt dazu, dass sich Russland um seinen vom Westen dämonisierten Präsidenten schart, selbst dann, wenn er im Zuge eines Notregimes innenpolitisch zu autoritären Methoden greift.

Über diesen Effekt werden wir beim nächsten Treffen des Forums genauer sprechen.

Thema: Russlands Antwort auf den Informations- und Sanktionskrieg des Westens.

Am Samstag, d. 15.11.2014 um 16.00 Uhr in der Jurte am bekannten Ort.

 

Bitte anmelden: info@kai-ehlers.de  Tel: 040 64 789 791 mob: 0170 27 32 482

Wer den Ort nicht kennt, bekommt ihn dann mitgeteilt. Und wie immer bitten wir darum eine Kleinigkeit zum Knabbern mitzubringen.

 

Seid gegrüßt,

Kai Ehlers, Christoph Sträßner,

im Namen des Forums integrierte Gesellschaft

Ukraine – steht etwas zur Wahl?

Ukraine –

steht etwas zur Wahl?

Gut ein Jahr nach dem Eintritt der Ukraine in ihre Maidan-Turbulenzen soll nun mit einer-vorgezogenen Parlamentswahl neue Legitimität hergestellt werden, während trotz vereinbarter Waffenruhe gleichzeitig weiter Krieg geführt wird. Was steht zur Wahl? Machen wir es kurz, ohne uns in Einzelheiten zu verlieren.

 

Ungeachtet der verwirrenden Vielzahl von Parteien, Wahlblöcken und Einzelkandidaten, die jetzt antreten, manche Quellen sprechen von 150 Gruppierungen, steht unterm Strich faktisch nur eins zur Wahl: die  „Anti Terror Operation“ gegen die Aufständischen im Süden und Osten des Landes fortzuführen oder den Dialog um mögliche Formen der Autonomie mit ihnen aufzunehmen. Die sozialpolitischen Fragen werden davon in den Hintergrund gedrängt. Die Positionen der einen oder der anderen Seite werden dabei weniger von Programmen als von Personen repräsentiert.

Für die Aufnahme des Dialoges steht inzwischen Poroschenko, der seinen „Friedensplan“, mit dem er von seiner anfänglichen harten Linie abrückte, zum Wahlprogramm erhoben hat. Kernstücke darin sind sein Zugeständnis einer vorübergehenden Teilautonomie für die aufständischen Gebiete im Osten, eine Teilamnestie für Aufständischen, ein Versprechen auf Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur des Landes und Gespräche zur Verständigung mit Russland. Vitali Klitschko hat sich Poroschenko angeschlossen, zusammen bilden sie den „Block Poroschenko“. Dieses Lager kann damit rechnen als stärkste Kraft, wohl aber nicht als Mehrheit, aus der Wahl hervorzugehen.

Die zur Fortsetzung des Bürgerkriegs entschlossene Fraktion wird angeführt von dem jetzigen Ministerpräsidenten Jazenjuk. Die von ihm speziell für die jetzigen Wahlen gegründete „Volksfront“ agitiert für eine Intensivierung der „antiterroristischen Aktion“ gegen die Aufständischen bis hin zur Rückeroberung der Krim. Poroschenko wird von ihm als Verräter der nationalen Einheit angegriffen. Unter Umgehung bestehender Wahlrechtsvorschriften hat Jazenjuk die Wahllisten seiner Partei für die Kandidatur der bekanntesten Führer der nationalistischen Milizen und der Nationalgarde geöffnet, zum Beispiel auch für den Kommandeur der offen faschistischen ASOV-Milizen, Andriy Biletsky. Im Fahrwasser Jazenjuks folgen als nationalistische Populisten Julia Timoschenko, der für seine nationalistische Gewaltpropaganda bekannte Oleg Ljaschko und andere im Westen weniger bekannte Gestalten bis hin zu den offenen Rechten Oleg Tjagnibog und dem  Führer des Rechten Sektors Dmitri Jarosch.

Die offenen Rechten werden allen Prognosen nach an der 5%-Hürde hängen bleiben. Wie sich die Stimmen auf Jazenjuk, Timoschenko und Ljaschko, als die Stärkeren nach Poroschenko verteilen, ist im Detail offen. Zusammen wird die Pro-Bürgerkriegsfraktion aber zumindest ein Drittel der 450 Sitze der Rada, wenn nicht mehr, für sich gewinnen können. Das wird starken Druck auf Poroschenko ausüben. Die Kommunistische Partei, das sei hier nur angemerkt, ist seit der Auflösung ihrer Fraktion und angesichts des gegen sie laufenden Verbotsverfahrens am westlichen Wahlgeschehen praktisch nicht beteiligt.

Die Kiewer Wahlen stehen unter dem Anspruch für das gesamte Gebiet der vor dem Umsturz vom Februar des Jahres bestehenden Ukraine zu gelten. Ausdrücklich eingeschlossen werden von allen Beteiligten die Krim und „Novorossia“, deren Wahlergebnisse in eigenen Wahlgängen nachgeholt werden sollen, wenn man, wie es heißt, diese Gebiete wieder „zurückgewonnen“ haben wird.

Dem von Kiew ausgehenden Wahlgeschehen steht die Ankündigung aus Lugansk und Donezk, alias „Novorossia“ gegenüber, am 2. November eine eigene Wahl auf dem Gebiet der von ihnen ausgerufenen Volksrepublik durchführen zu wollen. Dabei sollen örtliche und regionale Organe und die in ihnen wirkenden Vertreter/innen erstmals gewählt werden, nachdem sie bisher nur per Akklamation und „Kriegsrecht“ tätig waren. Die politische Ausrichtung dieser Wahlen auf Selbstorganisation, Autonomie und Föderalisierung, bei einigen Kandidaten auch immer noch auf engeren  Anschluss an Russland, steht selbstverständlich in diametralem Gegensatz zu Wahlzielen der Kiewer Seite.

Inzwischen hört man, noch eben rechtzeitig vor den Wahlen und angesichts der real-existierenden Teilung des Landes nicht verwunderlich, auch aus den westlichen Gebieten Signale des Separatismus. In Lemberg gründete sich eine „Europäisch galizische Versammlung“, die für eine Ausgliederung Galiziens aus der Ukraine und Eingliederung in die Europäische Union eintritt.

Wer nun immer noch glaubt, dass die Ukraine durch die Wahlen tatsächlich zum Frieden übergehen könnte, wird sich vermutlich von den kommenden Ereignissen belehren lassen müssen, denn ungeachtet dessen, wer in diesen amputierten Wahlgängen siegt, wird sie in folgendes Szenario übergehen:

Die Bevölkerung der Ukraine, im Westen des Landes nicht anders als im Osten,  wird unter dem Druck der ökonomischen Krise weiter in Proteste um ihr pures Überleben getrieben. Zweifellos werden die Maßnahmen, die von den Regierenden ergriffen werden, im Westteil des Landes andere sein als im Osten und erst recht natürlich als auf der inzwischen zu Russland gehörenden Krim. Während der Westen unter dem Diktat des IWF den Weg der Privatisierung zugunsten westlicher Konzerne einschlägt, gehen die Absichten im Bereich von „Novorossia“ in die Richtung erneuter Verstaatlichung der seit `91 schon privatisierten Betriebe. Die Krim geht weder den einen noch den anderen Weg; sie wird sich unter der speziellen Moskauer  Förderung eher zum Subventionsparadies entwickeln. So oder so jedoch entwickeln sich die Teile der vor dem Umsturz bestehenden Ukraine weiter auseinander – und, was zu befürchten ist, auch gegeneinander, wenn die sozialen Probleme weiterhin, wie bisher, unter Entwicklung nationalistischer Demagogien jeweils der Gegenseite angelastet werden, hier den „Kiewer Faschisten“, dort den „Russischen Nationalisten“, „Putinisten“ oder „russischen Aggressoren“.

Weiter: Selbst wenn Poroschenko mit seinem Dialogangebot erkennbar gewinnen sollte, wird er unter dem Druck der nationalistischen Kräfte stehen. Der wird ihm zum einen aus der absehbaren Zusammenballung nationalistischer bis offen rechter Kräfte aus dem neuen Kiewer Parlament entgegen kommen, gleich ob von Jazenjuk, Timoschenko oder Ljaschko angeführt, den bekommt er zum anderen von den späten radikalen Maidan-Aktivisten der kleineren rechten Parteien, der Nationalgarde und der diversen marodierenden Milizverbände, die es nicht ins Parlament schaffen, die sich aber schon jetzt als paramilitärischer Stoßtrupp für eine weitere „Ukrainisierung der Ukraine“ außerhalb legaler Strukturen organisiert haben. Die bekommt er zum dritten schließlich seitens „Novorossia“, dessen erst neu entstehende Verwaltung die im Osten aktiven nationalistischen Milizen ebenfalls nicht vollkommen unter Kontrolle hat, selbst wenn sie es gern wollte.

Schließlich wird als Tatsache bleiben, dass jede der beiden Wahlen nur einen Teil der ukrainischen Bevölkerung repräsentieren kann, ganz abgesehen von denen, die sich unter den Umständen des nach wie vor geführten Bürgerkrieges erst gar nicht an der Wahl beteiligen.

Wenn die beiden Teile der Ukrainischen Bevölkerung keine gegenseitige Akzeptanz des Status quo  finden, das heißt, wenn sie die Tatsache zweier unabhängiger Wahlen in zwei unabhängigen Verwaltungsräumen nicht als Realität zu akzeptieren imstande sind, wird es auch nach den Wahlen keinen Frieden geben, sondern eher noch stärkere Konfrontationen.

Aber selbst im Fall einer gegenseitigen Akzeptanz des Status quo werden die Wahlergebnisse nicht zu nationaler Einheit eines demokratisch legitimierten Zentralstaats, sondern besten Falles, jedenfalls vorerst, zu gegenseitig geduldeten unterschiedlichen Lösungswegen führen, hier unter europäischer, dort unter russischer Dominanz. Zu groß ist auch, abgesehen von den unterschiedlichen konkreten Interessen, der durch die Gräuel des Bürgerkrieges zurzeit hochgezüchtete Hass. Mit einer Aufnahme in den jeweiligen staatlichen Zusammenhang von EU oder Russischer Föderation können jedoch beide Teile nicht rechnen, heute jedenfalls nicht. Das Problem eines geteilten Landes bleibt bestehen. Es lässt sich unter den Bedingungen der gegenseitigen Akzeptanz nur mit Sicherheit besser lösen als unter einem zwanghaften Einheitsanspruch – gleich von welcher Seite er erhoben wird.

Ohnehin ist dies alles jedoch nur möglich, wenn die globalen Player ihren Griff auf die Ukraine als Eckpfeiler ihrer jeweiligen Herrschaftsansprüche aufgeben, zumindest erst einmal lockern, damit die Menschen in der Ukraine sich selbst entscheiden können, wo und wie sie leben wollen. Von einer solchen Entwicklung sind wir allerdings leider noch sehr weit entfernt.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                                 20. Oktober 2014

Schule des Labyrinthes – Kleine Nachbemerkung nach dem zweiten Seminar

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, liebe verhinderte Interessenten.

Zwei Seminare der „Schule des Labyrinthes“ haben wir bisher in Osten an der Oste  durchgeführt, Zeit eine kleine Rückschau zu  halten.  Auch über Rückmeldungen von Eurer Seite würde ich mich sehr freuen.

Zunächst noch einmal zur Erinnerung: Warum „Schule des Labyrinthes“?

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Apropos UN-Gipfel: Sprachregelungen -Pfui deibel!

Apropos UN-Gipfel:

Sprachregelungen – Pfui deibel!

 

Sorry, liebe Leserinnen und Leser – ich kann mir diese bittere Anmerkung zu den weltpolitischen Sprachregelungen der letzten Tage nicht verkneifen.

BILD-online titelte am Vorabend der UN-Vollversammlung:

„UN-Gipfel in New York: Was tut die Welt gegen Isis, Ebola und Putin?“

 

Einen Tag später referierte die FAZ die Kernbotschaft Barak Obamas vor der UNO so:

„Es gebe ‚ein  Gefühl, dass gerade die Kräfte, die uns zusammengebracht haben, neue Gefahren entstehen lassen. ‘Als Beispiele führte Obama neben der Bedrohung durch den IS die Ebola-Epidemie in Westafrika und die ‚russische Aggression‘ in Europa an. Der amerikanische Präsident zeichnete einen starken Kontrast zwischen seiner Führung  und der Vision Russlands. Moskau fordere die Nachkriegsordnung heraus. Es sei der Ansicht, dass aus Macht Rechte erwüchsen. Amerika dagegen glaube, dass Macht aus der Achtung vor Rechten entstehe, ‚dass größere Nationen kleinere nicht bedrängen sollten‘.“ (25.09.2014)

Der Beweis wird aktuell gleich wieder einmal durch die Tat angetreten:

Die USA können massive Bombereinsätze gegen die IS auf syrischem Staatsgebiet ohne UN-Mandat fliegen, weil das durch den § 51 der UN-Charta legitimiert sei, der, wie es die FAZ formuliert, „angegriffenen Staaten das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung“ gebe. Begründung: Russland hätte im Sicherheitsrat der UN einen Einsatz in Syrien ohnehin mit Hinweis auf das Völkerrecht blockiert. Die „pragmatische““ Zustimmung „Berlins“ zu diesem US-Vorgehen wird in der FAZ dann mit dem Kraftspruch festgeklopft: „Soll heißen: Der Kampf gegen den IS ist nicht für Seminare über internationales Recht geeignet.“ Na, bitte!“

Russland dagegen, man erinnert sich, habe durch seine aktive Unterstützung des Referendums auf der Krim und deren anschließende Aufnahme in die Föderation das Völkerrecht gebrochen, obwohl es seit Aufnahme von Wilsons 14 Punkten  in denVölkerrechtskanon und auch nach Lenins Initiative zur Selbstbestimmung von Völkern oder Gruppen diesen ausdrücklich ein Austrittsrecht zubilligt, wenn sie sich durch den Staat, in dem sie leben, berechtigter Weise nicht mehr vertreten oder gar gefährdet sehen. Genau eine solche Situation war  nach dem Umsturz in Kiew gegeben, als die Übergangsregierung mit der Aufhebung des Sprachenschutzgesetzes die Perspektive einer gewaltsamen „Ukrainisierung der  Ukraine“, also auch der mehrheitlich russisch sprechenden Bevölkerung der Krim auf die Tagesordnung setzte. Es fiel im Prozess der Eingliederung aber nicht ein einziger Schuss, von einer Annektion ganz zu schweigen!

Wer es immer noch nicht verstanden hat, kann es jetzt verstehen: es geht auch bei diesem neuen US-Einsatz, so erschreckend die IS-Praktiken auch sind, so gefährlich die Ebola, so wenig bereit Russland auch ist, sich der US-Dominanz weiter zu beugen, nicht um das Völkerrecht, auch nicht um Menschenrechte, sondern um „Isis, Ebola und Putin“, eine Seuche, wie man uns offenbar nahebringen will, die die Existenz der Menschheit bedroht und die ausgemerzt werden muß.

Die Sprache, in die das inzwischen gekleidet wird, hatten wir schon einmal.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                                    25. September 2014