Schlagwort: Selbstorganisation

Russland: Entwicklungsland neuen Typs

Russland und der Westen stehen heute nicht nur in der politischen, sondern auch in der kulturellen Kontroverse. Die westliche Propaganda  betrachtet Russland wie einen unterentwickelten Paria, mit dem auch nur freundschaftlich zu verkehren schon für eine Stigmatisierung und den Verlust eines hohen Amtes ausreicht.

Der folgende Text mag dazu beitragen,  die russische ‚Unterentwicklung‘ von einer anderen Seite her zu betrachten. Er ist heute so wahr wie 2005, als er geschrieben wurde – angesichts der neueren Konfrontationen möglicherweise noch wahrer als zur Zeit seiner Entstehung.

 

Kai Ehlers

 

Mit Jefim Berschin[1] steige ich in die Fragen ein, die sich aus der Einsicht ergeben, dass Russland heute – zum wiederholten Male – zum globalen Entwicklungsland geworden ist, und das nicht etwa im Sinne von Rückständigkeit, sondern im Sinne des wirtschaftlichen, sozialen, ethischen und geistigen Umbruchs – ein Entwicklungsland neuen Typs. In Russland bleibt kein Stein auf dem anderen, auch im mentalen Bereich; es gibt keine Prioritären, keine eindeutigen, keine einseitigen Orientierungen nach Westen oder nach Osten, zum ‚Kapitalismus‘ oder (zurück) zum ‚Sozialismus‘, zum Christentum oder zum Islam, überhaupt zur Religion oder zum Atheismus usw. Es wirbelt vielmehr alles durcheinander, auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Wechselwirkung der Vielfalt pur!

    Insofern wird Russland erneut – wie schon mehrere Male in der Geschichte – zum  Entwicklungsland in dem Sinne, dass sich im Russischen Raum als Integrationsraum Euro-Asiens die Einflüsse aus allen Ecken der Welt überschneiden und neu gestalten. Das formuliert ja interessanter Weise auch Wladimir Putin. Die Form, die diese Entwicklung unter seiner Ägide zurzeit annimmt, ist höchst unglücklich – eine Wiederauflage des Paternalismus von der Art der Selbstherrschaft, im Wesen aber ist gar keine andere Politik möglich als die der Erneuerung der Integrationskräfte Russlands.

    Das Ringen um neue Ziele, neue Kräfte, neue Methoden der Integration bestimmt das gesamte russische, genauer gesprochen, russländische Leben, also nicht nur das der slawischen Russen, sondern das der Völker- und Kulturgemeinschaft Russlands – nicht zuletzt und im tiefstgreifenden Maße im Bereich der Ethik, Moral und Religion. Ohne neue Ethik kann dieser Raum, können die Menschen dort nicht überleben. In der Vielgestaltigkeit, ja in der chaotischen Vielfalt des Raumes, der aber doch ein Gesamtraum ist, liegt, wie jedes Mal deutlich wird, wenn man sich mit offenen Augen in Russland aufhält, die tiefe Begründung für den ethischen Extremismus, mit dem und in dem die russische Bevölkerung lebt: Nur extreme Besinnung auf moralische Verbindlichkeiten kann den Menschen in diesem offenen Raum, der allen Zentralisierungs- und Isolierungsbemühungen und –phasen zum Trotz immer wieder durch von außen kommende Einflüsse (wie jetzt die Globalisierung) chaotisiert wird, so etwas wie einen Halt, eine Sicherheit, eine Heimat geben.

    Die Heimat der russischen Menschen ist deshalb auch weniger – wie bei uns – die schöne Landschaft oder dergleichen, sondern die russische Kultur, was immer darunter verstanden wird, sind die Werte des Zusammenlebens, die Sprache, die Lieder usw. – letztlich die Moralität von Gemeinschaft, eben deswegen, weil in dieser Weite die Moral einer Gemeinschaft ein besonderes schützenswertes Gut ist, das nicht einfach existiert, sondern gegen die uferlose, grenzenlose Weite hergestellt und bewahrt werden muss. Einfach gesagt: Der europäische Mensch ist froh, einen Platz zu finden, an dem er allein sein kann; in Russland ist man froh, Gemeinschaft zu finden, die einen vor dem Alleinsein und Ausgesetzt-Sein schützt.

    Jetzt sind eben diese traditionellen moralischen Werte, durch die siebzig Jahre des realen Sozialismus zugleich bewahrt und diskreditiert, wieder einmal fundamental in Frage stellt – ähnlich wie zu Zeiten des Mongolensturms, ähnlich wie zu Zeiten Iwans IV., ähnlich wie zu Zeiten der großen Bauernrevolten im 18. Jahrhundert, ähnlich wie zu Zeiten des einbrechenden Kapitalismus und der Revolutionsjahre Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Wieder einmal bricht die Außenwelt in das mühsam zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd des Kontinents hergestellte Gleichgewicht ein – dieses Mal als ‚Globalisierung‘. Wieder einmal muss Russland von Grund auf seine Moral des Überlebens zwischen den territorialen, ethnischen und geistigen Extremen neu definieren. Insofern Russland das Zentrum des euro-asiatischen Kontinentes bildet, der seinerseits die größte Land- und Bevölkerungsmasse des Globus konzentriert, betrifft diese Definition die gesamte existierende Welt. In Maßen war das auch früher so – mit Auswirkungen auf die europäische wie auf die asiatische Entwicklung; heute im Zuge der Entwicklung, ja einer neuen Stufe der Intensivierung des globalen Marktes und damit sich entwickelnder gegenseitiger Abhängigkeiten betrifft diese Definition den gesamten Globus, ob wir wollen oder nicht. Grob gesprochen: Es kann der Welt nicht gleichgültig sein, welche Seite der russischen Wirklichkeit heute auf sie einwirkt – die Brutalität der russischen Mafia oder die Kultur der russischen Gemeinschaftstraditionen, oder, noch exponierter formuliert, die asozialen oder die sozialen Impulse, die aus der Transformation, sagen wir auch ruhig, aus der Modernisierung der russischen Gemeinschaftsethik heute hervorgehen.

    In Russland treffen heute Individualismus und Kollektivismus am härtesten, am schroffsten, im weitesten Maße und im tiefsten Sinne aufeinander; hier werden Neue Formen des Miteinanders von Einzelinteresse und Kollektivinteresse am extremsten ausprobiert, durchlitten, erfunden – auf allen Ebenen der menschlichen Existenz, vom Kindergarten bis zum Tod und bis zu den Vorstellungen vom Leben nach dem physischen Tode. In diesem Sinne ist Russland heute ein gewaltiges Feld schöpferischer Unruhe von globaler Bedeutung, das neue ethische Räume entstehen lässt.

    Jefim Berschin spricht hier geradewegs von Religion, wobei er sich gleichzeitig von bestehenden Glaubensgemeinschaften distanziert: Sein Credo: Gott im Menschen finden. Vom Judaismus über die historischen Glaubensgemeinschaften des Christentums und des Islam zum Ego des heutigen Menschen – dies, meint er, sei Russlands historische Botschaft. Das ist ein großer Entwurf.

    Ich möchte da vorsichtiger sein: Die Elemente einer Wissenschaft von der Transformation, die für mich aus der Entwicklung der letzten Jahrzehnte russischer Geschichte hervortreten – Krise der Pyramide als Gesellschaftsmodell, Erinnerung an das Labyrinth, Selbstorganisation in der Gemeinschaft – öffnen zwar neue mentale Räume, die ohne Zweifel auch über Russland hinaus gültig sind, aber sie sind doch noch nicht mehr als ein Gerüst, an dem neue Vorstellungen entstehen können. Eine neue Ethik ist das noch nicht.

    Vor allem ist es kein Automatismus: Der gegenwärtige Kurs Putins treibt Russlands Entwicklung auf eine neue Weggabelung zu: In seiner TV-Rede zu Beslan[2], deren zentraler Gedanke ist: „Wir waren schwach und Schwache werden geschlagen“, fordert Wladimir Putin als Ausweg mehr Stärke durch größere Nationale Einheit und eine „organisierte Bürgergesellschaft“. Wie die Maßnahmen zeigen, die er vor und nach Beslan einleitete, meint er damit ganz offensichtlich nicht „Demokratie“ nach westlichem Vorbild, sondern etwas sehr Russisches, nämlich die Überwindung der gegenwärtigen Smuta, der Großen Unordnung, durch eine patriarchale Konsensgesellschaft. Die Smuta ist der Zustand des ungeordneten Pluralismus zwischen Asien und Europa, in den Russland im Lauf seiner Geschichte immer wieder versunken ist, wenn die Zentralmacht verfiel. In dieser Polarität zwischen Anarchie und Zentralismus ist Russland gewachsen. Putin macht den Versuch, diese Polarität zu modernisieren, nachdem Gorbatschow sie gekündigt und Jelzin sie ins pluralistische Chaos überführt hatte. Putins gegenwärtige Stärke ist dabei Voraussetzung und Bremse zugleich: Voraussetzung, weil sie Investitionsanreize für ausländisches Kapital und eine gewisse innere Sicherheit schafft, Bremse, wo sie die Selbstversorgungskräfte der russischen Gesellschaft im Interesse dieser Sicherheit bekämpft und die Mehrheit der Bevölkerung damit in die Verweigerung gegenüber diesem Staat treibt, der ihren vitalen ökonomischen und kulturellen Lebensinteressen entgegen handelt. Das lässt den angestrebten Konsens zur leeren Geste verkommen. Die Erklärung des Präventivkrieges gegen den internationalen Terrorismus verlangt eine ideologische Aufrüstung, zu der die Mehrheit der russischen Bevölkerung nicht motiviert ist.

     Im Ergebnis vertieft sich die Spaltung der Gesellschaft in eine herrschende politische Klasse auf der einen, eine Parallelgesellschaft, die sich auf ihre traditionellen Selbstversorgungsmöglichkeiten zurückzieht auf der anderen Seite. Putin steht vor der Wahl, diese Verweigerung zu akzeptieren oder sie mit Gewalt zu brechen. Sie akzeptieren heißt, den unabgesicherten Weg der Transformation fortzusetzen, dem Kapital die Symbiose mit einer agrarisch orientierten Selbstversorgung als Dauereinrichtung, ja, als Perspektive zuzumuten und Schritt für Schritt neue Beziehungen zwischen ihnen entstehen zulassen; sie brechen, würde bedeuten, einen Ausweg in neuen Fortschrittsillusionen und expansiven imperialen Abenteuern zu suchen. Welchen Weg Putin in Zukunft wählen wird, ist offen; zur Zeit versucht er sich auf der Mitte zu halten. Solange Putin aber – oder ein Nachfolger Putins – den Weg der Reformen geht, besteht die Chance, dass die Transformation des patriarchalen Fürsorgestaats allen Härten und Krisen zum Trotz nicht in die Katastrophe, sondern in eine Erneuerung der traditionellen Symbiose von Produktion und Selbstversorgung unter heutigen Bedingungen führt. Damit könnte Russland einen Weg der Modernisierung gehen, in dem sich individuelle Initiative westlichen Zuschnitts und traditionelle russische Gemeinschaftsstrukturen zu einem neuen Verständnis der Selbstbestimmung des Einzelnen in der Gemeinschaft verbinden, das auch für den Westen Impulse enthält. Möglich ist dies aber nur, wenn Russland bei der Entwicklung seines Weges nicht isoliert und angefeindet, sondern in seinen exemplarischen Werten erkannt und gefördert wird.

 

(Entnommen aus:

Kai Ehlers, Russland: Aufbruch oder Umbruch?, Pforte  Entwürfe, 2005, zu beziehen über den Verlag oder direkt über den Autor www.kai-ehlers.de

 

 

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de

 

 

[1] Jefim Berschin, Journalist, Schriftsteller, Dichterin Moskau

Bücher von und mit ihm:

– Jefim Berschin, Kai Ehlers, Dikoe Pole, wildes Feld, Bod, 2016, 9,99 €

– Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte 2009, 1990 €

(Bezug der Bücher über www.kai-ehlers.de). 

[2] Bei der Geiselnahme von Beslan im September 2004 brachten nordkaukasische ‚Gotteskämpfer‘mehr als 1100 Kinder und Erwachsene in einer Schule in der nordossetischen Stadt Beslan in ihre Gewalt. Die Geiselnahme endete nach drei Tagen in einer Tragödie – bei der Erstürmung des Gebäudes durch russische Einsatzkräfte starben nach offiziellen Angaben 331 Geiseln. (Nach Wikipedia)

Siehe auch: https://test.kai-ehlers.de/2004/09/beslan-wer-sind-die-opfer-wer-sind-die-tter/

Die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen. Erweiterte Neuauflage

Was bei Erscheinen des Buches vor drei Jahren noch als auf uns zukommende, möglicherweise  eruptive Tendenz erscheinen konnte, nämlich der Aufbruch der „Überflüssigen“ aus der Südhalbkugel des Globus, hat sich im Zuge der „Flüchtlingskrise“ zur manifesten Herausforderung Europas entwickelt, die dem Problem der hiesigen „Überflüssigen“ die explosive globale Dimension unübersehbar hinzufügt.

Aber weit entfernt davon, das akute Ansteigen des Migrationsdrucks als Aufforderung zu verstehen, den Ursachen dieser Entwicklung jetzt endlich an die Wurzel zu gehen, indem zumindest Ansätze  gemacht würden, die dahinter stehenden Ausplünderung des Südens durch den „entwickelten Norden“ zu korrigieren, werden nur die Symptome der Krise bekämpft, um die Flüchtlinge abzudrängen, werden die Zäune noch höher gezogen, wird inzwischen zur militärischen Abwehr der nach Norden drängenden „Flüchtlingsströme“  übergegangen.

Insofern war der Analyse von der Grundtendenz her nichts hinzuzufügen. Leichte statistische Schwankungen der Arbeitslosenstatistik in den „entwickelten Ländern“ sowie der Zahlen der nach Norden strebenden        Menschen aus dem Süden haben demgegenüber bloß konjunkturellen Charakter. Ergänzt habe ich die Neuausgabe lediglich um die Korrektur einiger Druck- und Satzfehler sowie um einen Text von mir, der im Vorfeld der Arbeiten zu den „Überflüssigen“ aus Gesprächen mit dem Künstler und Kulturökologen Herman Prigann entstanden ist, dessen Projekt „Terra Nova“ am Schluss des Buches vorgestellt wird. Der Text findet sich im Anhang unter der Überschrift „Die Krise nutzen“.

Eine Bemerkung schließlich noch zur Kritik eines Lesers der ersten Auflage, ich hätte den eugenischen Tendenzen, die sich heute abzeichnen, zu viel Platz eingeräumt. Ich gebe zu, es ist mühsam, diese Tendenzen wahrzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber anders als der kritische Leser, dem ich sehr dankbar für seinen Einwand bin, sehe ich mich durch die tatsächliche Entwicklung eher bestätigt – nur treten die heutigen eugenischen Tendenzen natürlich nicht in der historisch bekannten Form auf; sie erscheinen heute als Präventionsstrategie im Namen globaler, sogar „ganzheitlicher“  Sicherheit. Die Form dieser Präventionslogik reicht heute von Peter Sloterdijks in schöner Sprache formulierten „Menschenzucht“, über die Verwandlung des individuellen Wunsches nach Gesundheit, über den Druck zum Nutzen der Gemeinschaft nicht krank sein zu    dürfen, bis hin in das  beständig ansteigende Niveau der über den ganzen Globus sich ausbreitenden Ideologie des Terrors, die letztlich nichts anderes propagiert als die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Dabei spielt es schon keine Rolle mehr, wer Terrorist, wer Anti-Terrorist ist.

Um aber zu  erkennen, woraus auch die „moderne Eugenik“ wieder     hervorgeht, ist es wichtig sich ihres historischen Kerns zu erinnern: Sie war Ausdruck des totalisierten  nationalen Einheitsstaates, der den Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche, die vollkommene geistige und physische Verfügungsgewalt über den einzelnen Menschen hatte. Die Ideologie und die Realität dieses Einheitsstaates aus der Kraft selbstbewusster Individuen zu überwinden, die sich mit anderen in kooperativer Gemeinschaft für eine lebensförderliche Welt souverän verbinden, steht heute auf der Tagesordnung und wird mit jedem Tag aktueller.

Entwickeln und sortieren wir die möglichen Alternativen.

Ich wünsche ihnen nunmehr eine ertragreiche Lektüre.

 

Kai Ehlers, bestellen direkt beim Autor

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einladung In die Welt des Labyrinthes

Liebe Freundinnen, Freunde, Interessierte

In einer Zeit extremer Wandlungen wächst der Bedarf nach Orientierung. Wir brauchen einen  emotionalen und geistigen Kompass. Das Labyrinth ist ein solcher Kompass. Weit entfernt davon ein Irrgarten zu sein, ist es ist das genaue Gegenstück dazu – ein Wegweiser durch das Chaos, ein Schlüssel für den Zugang zu sich selbst und ein Helfer für die Lösung von Knoten. Das Labyrinth kennt nur einen Weg hinein und denselben wieder hinaus. Dieser Weg vollzieht sich allerdings nach festen Regeln in beständigem Wandel. Die Gesetze der Wandlungen kennen zu lernen, nach denen sich dieser Weg entwickelt,  sich in ihrer Anwendung zu üben und für Entwicklung des eigenen Lebensweges, als Hilfe für die Lösung von Problemknoten und als Denkhilfe nutzbar zu machen, ist Sinn und Zweck der Seminare zum und mit dem Labyrinth, zu dem ich Euch einlade.

Ein Grundkurs vom 18. – 20.09.2015 wendet sich an alle, vor allem auch diejenigen, die zu den früheren Terminen Interesse bekundet haben, aber nicht dabei sein konnten.

Achtung:

Die angekündigten Folgeseminare sind auf unbestimmte Zeit verschoben.

Anmeldungen ab sofort. 

Einzelheiten im Anschluss unter Weiterlesen Continue reading “Einladung In die Welt des Labyrinthes” »

Labarinth im Zentrum Ulanbaatars

Nachbetrachtung zum Seminar „Labyrinth als Schlüssel zur Lebensgestaltung“.

Hallo Freunde und Freundinnen des Labyrinthes,
und solche, die es werden können!
Das dritte Seminar der „Schule des Labyrinthes“ haben nun alle Beteiligten mit innerem Gewinn, wie es zu hören war und zugleich großem Bedauern hinter sich gebracht. Gewinn, weil sich alle einmal erneuert haben. Bedauern, weil das Labyrinth schon nach zweieinhalb Tagen wieder verlassen werden musste.

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Ukraine – Bestandsaufnahme im Juni

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

 

Bericht vom 37. „Forum integrierte Gesellschaft“  am 22.06.2014

Thema: Und immer noch die Ukraine.

Eine Bestandsaufnahme im Juni

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Forums, liebe Interessierte!

Es hat jetzt einige Monate gebraucht, bis wir uns wieder  im Forum versammelt haben. Noch steht unsere von den Stürmen des Frühlings zerstörte Versammlungsjurte nicht wieder, aber ihre Wiedergeburt in neuer Gestalt ist für September geplant.

Doch die zerstörte Jurte war nicht der einzige, nicht einmal der wichtigste Grund für die lange Berichtspause – es waren die Ereignisse in und um die Ukraine, die uns so in Anspruch genommen haben, dass für zusätzliche Berichte keine Kraft mehr blieb.

Allmählich ist nun aber absehbar, dass wir mit weiteren Versammlungen unseres Forums und den inzwischen fast traditionellen Berichten nicht weiter  warten können, bis irgendwann einmal Frieden in der Ukraine und eine entspannte internationale Lage, vor allem ost-west  eingetreten ist – denn auch wenn die Lage sich äußerlich aktuell unter dem Schirm dieses „Friedensplanes“ zu entspannen scheint, ist doch eine tatsächliche Lösung der ukrainischen Problematik und eine Ost-West-Entspannung noch in ziemlicher Ferne.

Wir haben uns daher bei unserem letzten Treffen am 22.Juli, zwei Tage nach der Vorlage des „Friedensplanes“ zusammengefunden, um eine Bestandsaufnahme zu versuchen und fanden – ich sage das vorweg – weitaus mehr Fragen als Antworten.

Nur in einem waren wir einig: Der Plan des neuen Präsidenten, so wie er von ihm eingangs vorgelegt wurde, war kein Angebot zu Verhandlungen, sondern ein Katalog, der Unterwerfung  von denen fordert, die bereit sind zu kapitulieren, während er die übrigen mit Ausweisung, bzw. wenn sie weiter Widerstand leisten wollen, mit Liquidation bedroht. Inzwischen sieht es so aus, als ob selbst dieses arge Dokument dazu beigetragen hat, eine gewisse Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten zu fördern.– es sollte aber niemand übersehen,  dass auch nach Vorlage des „Friedensplans“ weiter geschossen wurde und bis zum Abfassen dieses Schreiben noch wird, und zwar von beiden Seiten und dass der Strom ziviler Flüchtlinge, der sich in die russische Föderation nach Norden und in die Krim nach Süden wälzt, in nicht zu kontrollierender Weise in die Hunderttausend geht.

Dies alles gilt zweifellos auch noch nach der überraschenden Aufforderung Wladimir Putins an den russischen Föderationsrat, die ihm erteilte Vollmacht zur  Intervention in die Ukraine wieder aufzuheben. (Dieser Schritt kam Juni zwei Tage nach unserem Treffen vom 22. Juni)

Unter dem Eindruck dieser Situation stellen sich jedoch einige grundlegende Fragen, die hier nicht erschöpfend beantwortet, aber doch wenigstens in Kürze aufgezeigt werden sollen.

Die wichtigste Frage, die unter unterschiedlichen Aspekten immer wieder auftaucht, lautet:   Wird Russland sich dazu provozieren lassen, militärisch in die ukrainischen Konflikte einzugreifen? Wenn nicht, wie der aktuelle Schritt Putins deutlich zu machen scheint, dann warum nicht?

Scheut Russland vor der Gefahr einer internationalen Isolierung, einem vielleicht gar möglichen militärischen Großkonflikt mit den Westmächten zurück?  Antwort: Sicher, ja. Positiv gesprochen, Russland hat weder Interesse an einer Zerstörung seiner wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen  zu den Ländern des Westens, auch wenn es sich China annähert, noch an einer militärischen Konfrontation. Russland ist nach wie vor damit beschäftigt, sich aus dem Trümmerfeld herauszubewegen, in das es mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion versunken war.  Die russischen Sorgen resultieren dabei aber weniger aus der Angst vor einem dritten oder wie manche meinen vierten Weltkrieg; ein Weltkriegs- Szenario gilt auch für Russland, trotz allen berechtigten Misstrauens gegenüber den Hegemonialdynamiken des Westens, der USA, aber auch der EU als nicht aktuell.

Aktuell jedoch sind die Sorgen Russlands, sich an der Ukrainischen Krankheit anzustecken. Diese Sorgen haben Russland verleitet, sich auf eine übereilte Einverleibung der Krim einzulassen. Diese Sorgen veranlassen Russland jetzt sich demonstrativ aus den innerukrainischen Konflikten herauszuhalten. Die Ukrainische Krankheit – das ist nicht etwa nur der Separatismus,  nicht etwa nur der russische Nationalismus, der sich im Zuge der Kämpfe, im Gefolge der Flüchtlingsströme in Russland spiegelbildlich zur Ukraine ausbreiten könnte. Es ist vor allem die Dynamik einer sozialen Revolte,  die gegen die Ergebnisse der 25jährigen Oligarchisierung in der Ukraine rebelliert und die sich über die Grenzen der Ukraine auch auf russisches Land ausweiten könnte – denn zwar hat Russland das Stadium des nackten, privaten Oligarchentums, wie es heute noch in der Ukraine herrscht und jetzt unter Poroschenko noch einmal gefestigt werden soll, zugunsten eines  staatlich eingebundenen Oligarchentums hinter sich gelassen,  aber das hat die sozialen Differenzen zwischen arm und reich, zwischen den glitzernden Megastädten und den prekären Lebensverhältnissen auf dem Lande und in den Regionen nicht geringer werden lassen, sondern sie zu neuen sozialen Spannungen verschärft,  die auf Lösung drängen. Ein Partisanenkrieg am Bauch Russlands, ein Flüchtlingsstrom, der die russische Wirtschaft und Gesellschaft belastet, könnte unter diesen Umständen auch für Russland Unruhe bedeuten.

Aber die Frage hat noch einen tieferen Kern: Was sind die Ziele der Volksrepublik Donbass/Lugans und der mit ihnen sympathisierenden Menschen in anderen Teilen der Ukraine – selbst in Kiew und im Westen des Landes, wenn auch durch die dort zur Zeit herrschenden nationalistischen Kräfte überdeckt? Auf den Punkt gebracht, wenn auch keineswegs von allen „prorussischen“,  „separatistischen“ oder einfach nur anti-oligarchischen Kräften gleichermaßen in klarem Bewusstsein  vertreten: die Forderung nach Selbstbestimmung gegenüber der Fremdbestimmung und Ausbeutung durch das oligarchische und jetzt auch noch vom Westen unterstützte Kapital, die Forderung nach räterepublikanischen Lebens- und Verwaltungsstrukturen, kurz: ein aus der Spontaneität kommender radikaler anti-oligarchischer, anti-kapitalistischer Ansatz mit starken Rückbindungen an sozialistische Traditionen. Nicht von ungefähr zogen kürzlich in Donezk zehntausende Stahlarbeiter mit Forderungen nach Vergesellschaftung  der großen Betriebe durch die Stadt. Solche Demonstrationen sind nur die Spitze eines Eisbergs.

Wenn Poroschenko gegen diese Bewegung, deren Grundziele Selbstbestimmung, regionale Selbstverwaltung, Föderalisierung des Landes sind, im Namen einer Zentralisierung der Staatsmacht Krieg führen lässt, dann ist das klare Aufstandsbekämpfung, dann geht es darum – unterstützt durch seine westlichen Befürworter und Finanziers, den antikapitalistischen Funken, der in diesen separatistischen Impulsen liegt, niederzukämpfen.

Und wenn Wladimir Putin den Donezker und Lugansker Separatisten seinerseits die Unterstützung versagt, dann deshalb, weil auch die neue russische herrschenden Klasse  diesen revolutionären Funken, wie schwach auch immer,  nicht im Land haben möchte.

Ganz prinzipiell verstanden steht im Ukrainischen Konflikt die Forderung  nach Selbstbestimmung des Menschen als grundlegendes Menschenrecht gegen den Willen der herrschenden Eliten dieses Recht den Profitinteressen des Kapitals unterzuordnen.   Diese heute auf der globalen Tagesordnung stehende Auseinandersetzung wird in der Ukraine zur Zeit exemplarisch ausgefochten – wobei die Motive selbstverständlich nicht in ideologischer Reinheit auftreten, nicht allen Beteiligten gleichermaßen bewusst sind, sondern vermischt sind mit unklaren, widersprüchlichen, hier und da sogar einfach abenteuernden, wenn geplündert wird, sogar anti-asozialen Motiven. Aber wann war eine Revolution schon einmal ein Plan, den alle gleichermaßen gefasst hätten?  Auf Seiten der herrschenden Kräfte ist man andererseits nur in einem einig, dass diese Positionen nicht hochkommen dürfen. Diese Haltung gilt selbstverständlich auch für das nach-sozialistische Russland, bzw. seine herrschende Schicht.

Es gibt hier noch vieles zu erörtern,  vor allem auch zu beobachten, wie der Konflikt jetzt ausgetragen werden wird – wird der revolutionäre Impuls einfach gnadenlos niedergemacht, wird er durch Spaltung teils integriert und neutralisiert, wird er sich in realen Veränderungen der Verhältnisse niederschlagen? So oder so werden die Impulse aus dieser immer noch offenen Situation die gesellschaftliche Wirklichkeit Russlands, Europas und generell l unserer heutigen Ordnung prägen, insofern die Ukraine das Feld ist, wo sich die drei entscheidenden Transformationslinien unserer heutigen Welt treffen und überlagern.

Das ist die Überwindung des nachsowjetischen Traumas, aus dem heraus neue soziale Formen der Gemeinschaft gesucht werden. Das ist die nachholende Nationalisierung, die diesen sozialen Prozess überlagert. Und das ist der Übergang von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt, der sich in dem Integrationskonflikt zwischen Europäischer Union und Eurasischer Union, zwischen atlantischem und asiatischem Bündnisgeschehen ausdrückt. Russland als Teil Europas und zugleich Asiens spielt darin eine entscheidende Rolle.

***

Der Rolle Russland werden wir uns beim nächsten Treffen unter der Fragestellung zuwenden, die durch die den aktuellen Propagandakrieg aufgeworfen wurde:

Sucht Russland eine Revanche für seine Niederlage im Kalten Krieg 1991?

Wir treffen uns am 20. Juli um 16.00 Uhr wie gehabt am bekannten Ort.

Anmeldung bitte unter info@kai-ehlers.de oder Tel. 040 / 64 789 791

 

 

Herzliche Grüße rundherum

Im Namen des Forums für eine integrierte Gesellschaft

Kai Ehlers, Christoph Sträßner

 

(Für weitere Infos zur Krise der Ukraine – bitte : www.kai-ehlers.de )

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sozialstaat oder Solidargesellschaft – wie wollen wir leben?

Den Wandel selbst gestalten – wie wollen wir wirklich leben?

Oder auch: Brauchen wir den Sozialstaat, um sozial und solidarisch zu sein?

Oder auch: Europa der Regionen – Wege zur Selbstbestimmung auf freiheitlicher und demokratischer Grundlage

Drei Veranstaltungen, drei Themen, ein Grundgedanke: Was wir brauchen ist Bildung. Aber die Rede ist natürlich nicht von PISA. Die Rede ist auch nicht von Bachelor und Master unter staatlichem Effektivitätsdruck. Die Rede ist von der Herausbildung selbstbestimmter Menschen, die in selbst gewählter Gemeinschaft ein lebenswertes Jetzt mit Blick auf eine lebensfähige Zukunft verantwortlich und kooperativ gestalten können und wollen.

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Ukrainische Alchemie

Das Schießen auf dem Kiewer Majdan wurde eingestellt. Ein Fahrplan wurde vereinbart, der vom bewaffneten Konflikt zurück in die politische Lösung der ukrainischen Krise führen soll: Bildung einer vorläufigen Regierung der nationalen Rettung binnen zehn Tagen. Rückkehr zur Verfassung von 2004,  das heißt, Rückführung von Kompetenzen des Staatspräsidenten zugunsten parlamentarischer Strukturen. Vorgezogene Neuwahlen zum Dezember 2014, statt März 2015... So weit, so erfreulich und aus vollem Herzen zu begrüßen, bis auf eine Kleinigkeit, nämlich, dass die durch ihre Militanz auf dem Majdan hervorgetretene Gruppe "Rechter Sektor" die Vereinbarung mit der Regierung als  Betrug betrachte. Sie fordert den sofortigen Rücktritt des Präsidenten und will die "nationale Revolution" bis zum kompletten Sturz der Regierung fortsetzen.

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Erörterungen zum Geist der Allmende

Schafft zwei, drei viele Allmenden!


Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

Was ist der Geist der Allmende? Die Diskussion des Forums zu dieser Frage in ihrem Verlauf wiederzugeben, macht keinen Sinn. Sie bewegte sich naturgemäß in einem kreativen Chaos. Wir beschränken uns in diesem Bericht daher auf die knappe Skizze einzelner Fäden, die sich in dieser Diskussion als Anknüpfungsvorlagen für weitere Klärungen ergeben haben.

    Erster Faden: Allmenden existieren nicht isoliert von anderen Allmenden, sprich von der sie umgebenden Gesellschaft. Die einzeln in einer unbebauten Ur-Welt lebende Allmende ist eine irreale Fiktion nicht anders als es Robinson Crusoe als Muster des allein auf einer Insel lebenden Einzelnen ist. Zur Allmende gehört immer auch ein sie – enger oder weiter – umgebendes Netz von benachbarten Gruppen/Gemeinden oder sonstigen offenen Siedlungsverhältnissen, in denen sich die Allmende X in ihrer jeweiligen Eigenart bewegt.

    Zweiter Faden: Von Allmenden muß man heute überhaupt nicht erst sprechen, wenn die Gesellschaft, für die man sich eine Allmendisierung wünscht, keine Toleranz kennt. Die Gesellschaft muß nicht unbedingt demokratisch im Sinne einer parlamentarischen Demokratie verfaßt sein, aber ohne gegenseitige Achtung der Rechte des anderen müßte sich gegenseitige Hilfe in gegenseitige Kontrolle und Druck verkehren. Damit verkehrte sich der Sinn dessen, was wir uns heute von einer Allende versprechen, in sein Gegenteil. Entsprechende historische Erfahrungen haben unsere Eltern und Großeltern im letzten Jahrhundert im Faschismus und im Stalinismus gemacht. Das müssen wir nicht wiederholen.

    Dritter Faden: Toleranz und gegenseitige Hilfe in einer Allmende sind noch kein Garant dafür, daß dieses Grundprinzip auch zwischen verschiedenen Allmenden, bzw. zwischen Allmende und der sie umgebenden Siedlungsrealität oder Gesellschaft lebt. Vielmehr zeigt die historische Erfahrung, daß einzelne Gruppen, die nach innen die Prinzipien der Selbstorganisation und der gegenseitigen Hilfe praktizieren, nach außen gegenüber Nachbargruppen und erst recht gegenüber entfernten, für sie anonymen Gruppen oder Lebenseinheiten stattdessen in Konkurrenz steckenbleiben, also das Prinzip der gegenseitigen Hilfe nicht über die eigenen Grenzen hinaus zu heben verstehen. Hier wird dann sehr schnell nach „dem“ Staat gerufen, der von außen für Ordnung sorgen soll – was das Prinzip der Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Allmende aushebelt.  

    Der Geist der Allmende, das zeigt sich hieran, und damit sind wir beim vierten Faden, besteht zunächst und vor allem anderen erst einmal darin, die Konkurrenz zu überwinden, bzw. genauer – von der Erkenntnis her formuliert – Konkurrenz genauso als natürliche Voraussetzung im Zusammentreffen von Menschen (noch zu schweigen von weiteren Lebewesen) zu verstehen wie die Möglichkeit der Kooperation. Das heißt, weder Konkurrenz und Kooperation als Realität zwischenmenschlicher Beziehungen zu leugnen, sondern zu verstehen, daß Konkurrenz und Kooperation ein und dieselbe Grundsituation beschreiben, die nur durch gegenseitige Anerkennung des Lebensinteresses jedes einzelnen Menschen zu einem langfristigen Nutzen für alle führen kann.

    Dabei geht es nicht darum, sich gegenseitig mit moralischen Ansprüchen unter Druck zu setzen, sondern die stufenweise Umwandlung von gesundem Egoismus, mit dem jeder Mensch sich selbst erhält, statt anderen zur Last zu fallen, über den erweiterten Egoismus der Gruppe auf eine Erkenntnisstufe und ein Handlungsniveau zu heben, bei dem das eigene Wohl zum gegenseitigen Nutzen aller im Gemeinwohl aufgehoben wird.

    Damit sind wir beim fünften Faden, dem Nutzen und werden jetzt aufhören zu zählen, denn sobald diese Frage aufgeblättert wird, wird deutlich, daß mit einer Einigung auf den gegenseitigen Nutzen zwar schon viel gewonnen ist, aber noch keineswegs alles: Wie ist Nutzen zu definieren? Nur ökonomisch? Materiell? Mental? Ökologisch? Kulturell? Spirituell? Jemand sprach gar von einem „sozial industriellen Komplex“. Es kann einem schwindlig werden angesichts der Vielfalt, die sich hier auftut. Am Ende führt diese Leiter zu der Einsicht, die weiteste Definition des Nutzens darin zu erkennen, was einem Menschen ermöglicht, sein Leben nach seinen Möglichkeiten selbst zu gestalten.  

    Letztlich zeigt sich, daß Miteinander und Gegenseitigkeit in dem gegenseitigen Verständnis für die Nöte und die Chancen des Menschseins kulminieren – materiell, mental wie auch spirituell. Damit ist der Geist der Allmende im Grunde beschrieben. Er führt geradewegs in den Bereich der Ethik, Moral und Religion, die sich in dem afrikanischen Ubuntu-Satz „Ich kann nicht sein, wenn Du nicht bist“, ebenso finden läßt wie in der biblischen Aufforderung: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder dem Motto der deutschen Kommune Niederkaufungen „Gemeinwohl ist mein Wohl“.

    Damit ist ja fast schon alles gesagt. Dennoch treten hier, abgesehen von den bereits erörterten Fragen der Organisation der Allmende, ihrer Beziehung zum Staat und zum Kapital, noch weitere Aspekte in Erscheinung, die beachtet werden müssen, wenn wir uns auf einen Pfad der Allmendisierung unserer heutigen neoliberalen industriellen Realität  machen wollen. Allem voran wären Differenzierungen zwischen Geist und Geist zu klären, um nicht gleich von Mißverständnissen zu sprechen. Die Rede ist von den sog. „Geistigen Allmenden“. Gemeint sind damit Erscheinungen wie Wikipedia, Google, Facebook etc. pp. Hier gilt es unseres Erachtens streng hinzuschauen, was  w i r k l i c h  in Gemeinschaftsbesitz kooperierende Individuen im Sinne einer Bewirtschaftung begrenzter Ressourcen sind, was dagegen per se unbegrenzter Raum ist, gleich wie sehr sich auch diverse Mächte in der Geschichte darum bemüht haben, ihn zu begrenzen, nämlich: der mentale Raum, Wissen, Kultur etc. Man erinnere sich des schönen deutschen  Liedes: „Die Gedanken sind frei…“

    Wissen, Gedanken, Geist, um es klar und unmißverständlich zu sagen, können keine Allmenden sein. Sie sind unbegrenzt und in diesem Sinne frei!

    Eine andere Sache ist, daß die Apparaturen wie Wiki, Google, Facebook etc., in denen heute für alle abrufbares Wissen transportiert wird, selbstverständlich begrenzte Ressourcen sind. Aber diese elektronischen Ressourcen, diese Apparate, Netze usw. sind als materielle Basis noch keine Allmenden im Sinne des sozialen Organismus einer selbstorganisierten kooperativen Bewirtschaftung begrenzter Ressourcen, sie sind so etwas wie eine künstliche elektronische Weide, auf der alle grasen dürfen. Zu einer Allmende werden sie erst dort, wo alle NutzerInnen sich auch an der gemeinsamen Bewirtschaftung und der Pflege dieser Weide beteiligen und die vereinbarten Zugangsregeln beachten.

    In diesem Sinne kann man alle WIKIformen wohl als Ansatz zu Allmenden bezeichnen. Google, Facebook; Amazon und dergleichen aber sicherlich nicht. Die Letztgenannten sind im Gegenteil als Monopole das pure Gegenteil eines Weges zur Selbstverantwortung oder Selbstorganisation. Sie fördern nicht die kooperative Selbstverantwortung, sie manipulieren und betäuben sie eher durch die Möglichkeit des passiven Nutzens. Ob dies durch Initiative der NutzerInnen umkehrbar ist, ist eine der heute offenen Fragen.

     Wir sind hier auf dem Feld angekommen, auf dem wir noch einmal auf das Wesen, also den Geist der Allmende treffen, nämlich: Kooperative Selbstverantwortung des einzelnen Menschen für sein Menschwerden zwischen Staat und Markt auf der Grundlage begrenzter Ressourcen. Das wäre so eine Formulierung, um die herum das eingrenzbar sein könnte, was wir auch in Zukunft Allmende oder Commons nennen wollen.

    Viele weitere Fragen tun sich auf: Was ist mit der menschlichen Arbeitskraft? Ist sie eine begrenzte Ressource, die von einer begrenzten Gruppe von Menschen bewirtschaftet wird? Wer bewirtschaftet diese Ressource? Welche Rolle spielt auf diesem Feld die Selbstverantwortung, Selbstorganisation, Selbstversorgung? Oder ist menschliche Arbeitskraft, nennen wir sie auch einmal anders, um deutlicher zu machen, worum es geht, also menschliche Schaffenskraft global betrachtet, unbegrenzt wie auch das Wissen?

    Hier stieß unsere Debatte in einen neuen Bereich des Allmende-Geistes vor: den Geist der Selbstverantwortung, des Glaubens an den Sinn der eigenen Existenz, des Wunsches nach Selbstverwirklichung und schließlich nach – Überleben in einer bedrohten  Welt.

    Dies alles lief am Ende unserer Debatte in der, uns selbst überraschenden Erkenntnis zusammen, daß das, was Allmende in Zukunft werden und sein kann, sich im Widerstand, gegen die zur Zeit herrschenden Formen der Vernutzungsgesellschaft herausbilden wird und,  um auch das deutlich und unmißverständlich zu sagen, nur so herausbilden kann.

Wir laden Euch ein, bei der nächsten Runde dabei zu sein.

Wir treffen uns am 1.6. 2013 wie üblich um 16.00 Uhr

Bitte anmelden unter: Kontakt

Thema:  Thema: Ich, Du, Wir – die innere Organisation der Allmende.

 Als besondere Anregung dieses Mal: Jede/r bringt ein Gedicht zum Thema mit, ein eigenes oder ein fremdes.

Im Namen des Forums integrierte Gesellschaft,

freundliche Grüße, Kai Ehlers

P.S.

Das Thema Allmende wird ausführlich behandelt in:

Kai Ehlers: „Die Kraft der ‚Überflüssigen’, der Mensch in der globalen Perestroika“,

Pahl-Rugenstein.

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Ausführliche Daten, Fakten, Hintergründe zur Geschichte und aktuellen Transformation von Gemeinschaftskultur finden Sie weiterhin in folgenden Büchern von mir:

Allmende und Markt – ein Entweder-Oder?

Wiederentdeckung der Allmende, kooperative Selbstorganisation zwischen Staat und Markt lautet das Thema, zu dem sich das Forum jetzt zum sechsten Mal zusammengefunden hat. Nach Untersuchung der Grundregeln der Allmende, nach Beschäftigung mit ihren Formen und ihrer Geschichte, nach Untersuchung der Beziehung von Allmende und Staat geht es in diesem Bericht um das Verhältnis von Allmende und Markt.

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Allmende und Staat. Kann es eine Allmendisierung des Staates geben?

Schafft zwei, drei viele Allmenden.

Wir setzen unsere Treffen zur Wiederentdeckung der Allmende fort.

Grundbedingung für eine gedeihliche Beziehung zwischen Staat und Allmende ist also zuallererst, daß von staatlicher Seite die Allmenden als Ausgangsfeld an der Basis gesellschaftlichen Lebens akzeptiert werden, auf dem Interesse, Kompetenz und erkennbarer Bedarf sich treffen. Sind solche Voraussetzungen heute gegeben?

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