‚Was ist eine Region?` Wie kann ein Europa aussehen, in dem die Bevölkerung nicht dem Diktat der Banken und Monopole unterworfen wird, aber andererseits auch nicht auf historisch zurückliegende Stufen der Kleinstaaterei, des Nationalismus und Lokalpatriotismus zurückfällt?
Autor: Kai
Initiative: 30 Jahre Tonarchiv nachsowjetischer Wandel Aufruf für ein Archiv-Projekt: 30 Jahre O-Ton zum nachsowjetischen Wandel
30 Jahre Gespräche in Rußland und Eurasien: Situationen, Hintergründe, Analysen über Transformation und Zukunft
Ich suche: Interessenten, Unterstützer, Förderer für die Umwandlung meines umfangreichen Tonarchivs (russisch) in einen öffentlich nutzbaren Forschungs-Fundus.
Rußland in der Demografiefalle
Rassistische Massenkrawalle in Moskau. Wer verstehen will, was sich abspielt, muß weit hinter die Kulissen der letzten Vorfälle schauen. Da ist zunächst dies: Rußland ist heute, wie die Mehrheit der alten Industrieländer mit dem konfrontiert, was im Fachjargon der internationalen Demographie „disproportionale Bevölkerungsentwicklung“ genannt wird: Schrumpfung im Norden, überproportionale Zuwachsraten im Süden des Globus.
Stimmabgabe oder Selbstbestimmung?
Schafft zwei, drei viele Allmenden!
Bericht vom 31. Treffen am 13.10.2013
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Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
das Thema „Stimmabgabe oder Selbstbestimmung?“ mag den einen oder die andere provozieren. Es kann natürlich nicht um ein Entweder-Oder gehen. Die polemische Polarisierung vermag aber vielleicht auf einen Blick deutlich zu machen, wo heute das Problem liegt – eben darin, daß Zusammengehöriges im realen Geschehen unserer heutigen politischen Wirklichkeit auseinandergerissen wird. Tatsache ist ja, daß die Wahlen bei uns heute zunehmend gleichbedeutend damit sind, daß wir Wähler unsere Stimme abgeben – und dann ohne weitere Einflußmöglichkeiten mit ansehen müssen, wie die „politische Klasse“ sich die Wahlergebnisse zu den gerade passenden Koalitionen zurechtschiebt. Wobei für die, ihrer Stimme nicht mehr mächtigen, Wählerinnen und Wähler nicht einmal mehr deutlich wird, nach welchen Kriterien hinter verschlossenen Türen was von wem mit wem verhandelt wird. Was davon an die Öffentlichkeit dringt, ist Filterware pur!
Mit Selbstbestimmung eines mündigen Bürgers hat dieser Vorgang jedenfalls nicht mehr viel gemein. Selbstbestimmung, Entwicklung eigener Initiative, Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse in einem für den einzelnen Menschen überschaubaren Raum, liegt offenbar auf einem anderen Feld und den Zusammenhang zur herrschenden repräsentativen Demokratie herzustellen, ist schwierig.
Aber genau darum geht es. Wir wollen das Kind, das nach so viel Mühen zur Welt gekommen ist, also die heute praktizierten Regularien der repräsentativen Demokratie, auf unserem Weg zur Selbstbestimmung ja nicht mit dem Bade ausschütten. Dafür sind zu viele Menschen für das Wahlrecht gestorben. Und dafür ist allzu deutlich, daß viele Menschen auf unserem Globus, aller Modernität und aller Vernetzung zum Trotz, immer noch nicht das Recht haben, sich ihre VertreterInnen frei zu wählen. Oder sie haben zwar das Recht, aber nicht die materiellen Voraussetzungen ihr Recht praktisch wirklich wahrzunehmen. Was nützen schließlich formale Rechte, um es krass zu formulieren, wenn man z.B. die Wege zum Wahllokal nicht bezahlen kann.
Also kurz, es geht nicht darum, repräsentative Demokratie gegen Formen direkter Demokratie oder unmittelbarer Selbstbestimmung auszuspielen. Es geht darum, in welchen Formen Selbstbestimmung als Weiterentwicklung des demokratischen Gedankens gestärkt werden kann, und zwar nicht Selbstbestimmung in individueller Isolation, sondern in kooperativer Gemeinschaft.
Schaut man so in die Fragestellung, dann wird sehr schnell deutlich, worum es im Kern geht, und zwar sowohl in den Formen repräsentativer wie auch direkter Demokratie bis hin zur unmittelbaren Selbstbestimmung des Einzelnen: Es geht um die Motivation, genauer, die Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Diese Tatsache ist so banal, daß sie immer wieder als selbstverständlich vorausgesetzt oder gar vergessen wird.
Ebenso banal ist jedoch auch die Tatsache, daß die aktivste Verantwortungsbereitschaft des Einzelnen wie auch ganzer Gemeinschaften nichts fruchtet, wenn der stille, soll heißen, der unhinterfragte gesellschaftliche Konsens darin besteht, daß die Verantwortung für die öffentlichen Belange bis hin zur persönlichen Wohlfahrt der Bürger und Bürgerinnen allein bei „dem Staat“ gesehen wird. Demokratie wächst von unten, heißt das, aber damit sie sich frei entwickeln kann, braucht es einen zwischen den Individuen und gesellschaftlichen Gruppen ausgehandelten Konsens über Wert, Gültigkeit und Funktionsweise einer strikten Subsidiarität, d.h., einer politisch-rechtlichen Struktur, sei sie wie immer im Detail gegliedert, in der die oberen Organe im Interesse der Verwirklichung der Menschenrechte Diener der unteren sind. Motto, zugespitzt formuliert: Willensbildung und konkrete Gestaltung geschieht an der unmittelbaren Lebensbasis entlang tatsächlichen Bedarfs. Nach „oben“ wandern nur die Aufträge, die vor Ort nicht umgesetzt werden können. Exekutivkompetenzen nehmen ab, je weiter die jeweiligen Organe von der Basis entfernt sind und verwandeln sich in demselben Maße in Maßnahmen der Unterstützung und Beratung.
Aber wo gibt es heute einen solchen Konsens? Nicht in Deutschland, nicht in der Europäischen Union. Nicht in den USA und auch sonst nirgends in der Welt. Ein solcher Konsens ist heute immer noch Utopie. Mehr noch, es sieht zur Zeit sogar so aus, als ob das bereits erreichte Niveau der demokratischen Kultur im Zuge der globalen Krise rückläufig sei – auch in der Europäischen Union, auch in Deutschland. Die weltweite Migration führt zudem dazu, daß bestehende demokratische Strukturen unter starken Veränderungsdruck kommen. Um so unabweisbarer wächst die Herausforderung sich nicht nur für den Erhalt demokratischer Strukturen, sondern für deren Weiterentwicklung von der Basis her einzusetzen.
Für das nächste Mal haben wir deshalb noch einmal die „Charta für ein Europa der Regionen. Wege der Selbstbestimmung auf freiheitlicher und demokratischer Grundlage“ auf die Tagesordnung gesetzt, die wir schon einmal im Zuge ihrer Erarbeitung 2012 kurz besprochen haben. Inzwischen liegt die Charta öffentlich vor, nachzulesen auf der Website der „Initiative Demokratiekonferenzen“ unter http://www.demokratiekonferenz.org/charta. Zu empfehlen ist rückgreifend auch der Bericht zum 18. Treffen des „Forums integrierte Gesellschaft“ vom 10.06.2012 unter der Überschrift „Europa der Regionen“ (einzusehen unter: www.kai-ehlers.de / Forum integrierte Gesellschaft).
In der „Charta“ wird der Versuch unternommen, den Entwurf einer subsidiären Gesellschaft der Selbstbestimmung in kooperativer Gemeinschaft zu entwerfen. Für die Zeit vom 14. – 16.02.2014 lädt die „Initiative Demokratiekonferenzen“ unter dem Thema „Europa der Regionen“ VertreterInnen von Initiativen, Gruppen und auch Parteien, die auf dem Feld der Demokratisierung aktiv sind, zu Beratungen über mögliche gemeinsame Alternativen im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament und darüber hinaus ein.
Termin für das kommende Treffen:
Sonnabend, d. 16.11.2013 um 16.00 Uhr in der Jurte,
Im Namen des „Forums integrierte Gesellschaft“,
Kai Ehlers, Christoph Sträßner
Scheelabyrinth im winterlichen Garten
Labyrinthe weisen in die Ewigkeit und sind doch zugleich gegenwärtig und vergänglich wie das Leben selbst. Einfach nur Schritte im Schnee, kaum gegangen, verdecken schon weitere Flocken den eben gegangenen Weg. Es gibt keine feste Figur, an die man sich halten könnte. Alles ist Unmittelbarkeit. Und umso deutlicher tritt die Grundkraft hervor.
Wutbürger, Mutbürger oder gar kein Bürger?
Ist „Wutbürger“ ein Schimpfwort? Drückt das Wort im Gegenteil eine Anerkennung aus? An diese Frage schließt sich natürlich sofort die nächste an: Für wen ist es ein Schimpfwort, für wen eine Anerkennung? Und schon ist man mitten im politischen Alltag:
Ich, du, wir – die innere Organisation der Allmende
Schafft zwei, drei viele Allmenden!
Bericht vom 29. Treffen am 1.6.2013
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
ich, du, wir – ein unerschöpfliches Thema! Und letztlich doch auf einen einzigen Satz reduzierbar, den wir einander nicht oft und nicht einfach genug mitteilen können: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Dies und nicht mehr und nicht weniger ist die Essenz, auf die alle Gespräche zurückkommen.
Aber dann geht es los: Wer bin ich? Wer bist Du? Wer ist der Nächste? Und was, bitte sehr, heißt lieben? Was heißt sich selbst zu lieben? Was heißt den Nächsten zu lieben?
Max Stirner schrieb: „Mir geht nichts über mich.“ Emanuel Kant formulierte: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Wie weit liegen diese Sätze – moralische Entrüstung beiseitegelassen – tatsächlich auseinander? Liegt nicht im Anspruch, so zu handeln, daß die Maxime des eigenen Handelns zum allgemeinen Gesetz werden möge, ein ebenso radikaler Subjektivismus wie in der Formulierung Stirners? – vorausgesetzt man nimmt beide, ihn und Kant, ernst und läßt es nicht bei den Worten, sondern fragt nach den inneren, lebendigen Zusammenhängen.
Andere, etwas alltäglichere Varianten desselben Zusammenhangs sind uns vertraut: Nur wer sich selbst versteht, kann andere verstehen. Nur wer sich um sich selbst kümmert, kann sich auch um andere kümmern. Nur wer sich selbst als Mensch begreift, kann auch andere als Menschen begreifen usw. usf. Das sind Sätze, die wir so oder so, immer wieder wie selbstverständlich gebrauchen. Sie bedeuten nichts anderes als das, was heute auch so formuliert wird: Selbstwahrrnehmung ist Weltwahrrnehnung. Rudolf Steiner sprach so. Christiane Kessler spricht heute so. Hans Peter Dürr. Also, warum erschrecken wir immer noch so, wenn Stirner den radikalen Egoismus formuliert?
Darf man solche Fragen in einer Welt stellen, deren Existenz durch radikale Egoismen bedroht ist? Wir denken ja, man muß sie sogar stellen, um auf den Kern der Bedrohung zu kommen. Ich muß die Frage nach den Wurzeln und Bedingungen der eigenen Existenz stellen, um zu verstehen, daß Ich nur Ich sein kann, weil und wenn du auch ein Ich sein kannst. Es heißt nur einfach zu begreifen, daß mein Ich nur ich sein kann, indem es sich als Ausdruck der Welt versteht, verantwortlich dafür, daß die Welt sich in mir verwirklichen, in mir ihren Sinn finden kann. Dies bedeutet den tiefen, untrennbaren Zusammenhang zwischen mir und allem, was ist und was lebt, zu erkennen, in der Weise, daß jede meiner Handlungen Auswirkungen auf das Ganze hat – und also auch auf mich. Radikaler Egoismus und Altruismus sind nur zwei Seiten desselben Zusammenhangs. Kant und Stirner – zwei Seiten einer Medaille, nämlich der Selbsterkenntnis des Ich als Werte setzendes Subjekt.
Tja, liebe Freunde, so ging das bei unserem letzten Treffen – und wo liegen die Grenzen der Identifikation meines Lebens mit der sozialen und der allgemeinen sachlichen (Um)Welt?
Was gehen mich die Nachbarn an? Was gehen mich die Türken an, die um einen Park streiten? Was die Brasilianer, denen die Tomaten zu teuer sind? Das sind auch wieder solche Fragen, die nur verständlich werden, wenn ich meine eigene Beziehung zu meinen eigenen Tomaten ernst nehme, zu meinem eigenen Erholungspark, zu meinem eigenen Arbeits- und Lebensplatz, der zerstört wird.
Wer sind die Türken, wer sind die Brasilianer, wer sind alle die anderen, die heute um den Erhalt ihrer Lebensqualität, ihrer Zukunftsperspektive auf die Straße gehen. Wutbürger? Oder vielleicht doch eher Mutbürger, um mit Robert Menassew zu sprechen? Und welchen Charakter haben die Proteste in Russland? Sind alles das “sie“, die anderen, mit denen ich nichts zu tun habe, oder sind wir das? Gibt es da ein Gemeinsames, das Ich sagen will?
Also, es ist klar, wohin diese Frage führt: in den Ungehorsam, in den Protest gegen die gegenwärtige profitorientierte Normalität, in den Widerstand gegen eine lebenszerstörende Konformität. Und so kommen wir zu der Frage: Wogegen genau richtet sich eigentlich der Unmut der heute zu beobachtenden Proteste und Revolten? Wer sind ihre Träger? Haben die verschiedenen Ausbrüche etwas gemeinsam? Und wenn, was ist es?
Dieser Frage soll das nächste Treffen genauer nachgehen unter der Fragestellung
„Wutbürger, Mutbürger oder gar keine Bürger?“
P.S.
Mit diesen Fragen setzen wir selbstverständlich unsere Reise in die Welt der Commons und Allmenden fort, denn sicher ist, daß es auf jeden Fall um Selbstorganisation jenseits von Staat und Markt geht. Wir möchten Euch auch auf ein Ereignis hinweisen, das im November in Berlin stattfinden wird. Dort soll es auf einer „Demokratiekonferenz“ unter dem Stichwort „Europa der Regionen“ um die Frage gehen, wie wir wirklich in Europa – und nicht nur dort – leben wollen. Wer interessiert ist und nähere Informationen dazu braucht, möge sich bitte an uns wenden.
P.P.S.
Näheres zum Thema ‚Ich, Du, Wir’ bei:
– Amartya Sen, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt, dtv, München 2010
– Kai Ehlers, Die Kraft der ‚Überflüssigen’, Pahl-Rugenstein, 2013
Erörterungen zum Geist der Allmende
Schafft zwei, drei viele Allmenden!
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
Was ist der Geist der Allmende? Die Diskussion des Forums zu dieser Frage in ihrem Verlauf wiederzugeben, macht keinen Sinn. Sie bewegte sich naturgemäß in einem kreativen Chaos. Wir beschränken uns in diesem Bericht daher auf die knappe Skizze einzelner Fäden, die sich in dieser Diskussion als Anknüpfungsvorlagen für weitere Klärungen ergeben haben.
Erster Faden: Allmenden existieren nicht isoliert von anderen Allmenden, sprich von der sie umgebenden Gesellschaft. Die einzeln in einer unbebauten Ur-Welt lebende Allmende ist eine irreale Fiktion nicht anders als es Robinson Crusoe als Muster des allein auf einer Insel lebenden Einzelnen ist. Zur Allmende gehört immer auch ein sie – enger oder weiter – umgebendes Netz von benachbarten Gruppen/Gemeinden oder sonstigen offenen Siedlungsverhältnissen, in denen sich die Allmende X in ihrer jeweiligen Eigenart bewegt.
Zweiter Faden: Von Allmenden muß man heute überhaupt nicht erst sprechen, wenn die Gesellschaft, für die man sich eine Allmendisierung wünscht, keine Toleranz kennt. Die Gesellschaft muß nicht unbedingt demokratisch im Sinne einer parlamentarischen Demokratie verfaßt sein, aber ohne gegenseitige Achtung der Rechte des anderen müßte sich gegenseitige Hilfe in gegenseitige Kontrolle und Druck verkehren. Damit verkehrte sich der Sinn dessen, was wir uns heute von einer Allende versprechen, in sein Gegenteil. Entsprechende historische Erfahrungen haben unsere Eltern und Großeltern im letzten Jahrhundert im Faschismus und im Stalinismus gemacht. Das müssen wir nicht wiederholen.
Dritter Faden: Toleranz und gegenseitige Hilfe in einer Allmende sind noch kein Garant dafür, daß dieses Grundprinzip auch zwischen verschiedenen Allmenden, bzw. zwischen Allmende und der sie umgebenden Siedlungsrealität oder Gesellschaft lebt. Vielmehr zeigt die historische Erfahrung, daß einzelne Gruppen, die nach innen die Prinzipien der Selbstorganisation und der gegenseitigen Hilfe praktizieren, nach außen gegenüber Nachbargruppen und erst recht gegenüber entfernten, für sie anonymen Gruppen oder Lebenseinheiten stattdessen in Konkurrenz steckenbleiben, also das Prinzip der gegenseitigen Hilfe nicht über die eigenen Grenzen hinaus zu heben verstehen. Hier wird dann sehr schnell nach „dem“ Staat gerufen, der von außen für Ordnung sorgen soll – was das Prinzip der Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Allmende aushebelt.
Der Geist der Allmende, das zeigt sich hieran, und damit sind wir beim vierten Faden, besteht zunächst und vor allem anderen erst einmal darin, die Konkurrenz zu überwinden, bzw. genauer – von der Erkenntnis her formuliert – Konkurrenz genauso als natürliche Voraussetzung im Zusammentreffen von Menschen (noch zu schweigen von weiteren Lebewesen) zu verstehen wie die Möglichkeit der Kooperation. Das heißt, weder Konkurrenz und Kooperation als Realität zwischenmenschlicher Beziehungen zu leugnen, sondern zu verstehen, daß Konkurrenz und Kooperation ein und dieselbe Grundsituation beschreiben, die nur durch gegenseitige Anerkennung des Lebensinteresses jedes einzelnen Menschen zu einem langfristigen Nutzen für alle führen kann.
Dabei geht es nicht darum, sich gegenseitig mit moralischen Ansprüchen unter Druck zu setzen, sondern die stufenweise Umwandlung von gesundem Egoismus, mit dem jeder Mensch sich selbst erhält, statt anderen zur Last zu fallen, über den erweiterten Egoismus der Gruppe auf eine Erkenntnisstufe und ein Handlungsniveau zu heben, bei dem das eigene Wohl zum gegenseitigen Nutzen aller im Gemeinwohl aufgehoben wird.
Damit sind wir beim fünften Faden, dem Nutzen und werden jetzt aufhören zu zählen, denn sobald diese Frage aufgeblättert wird, wird deutlich, daß mit einer Einigung auf den gegenseitigen Nutzen zwar schon viel gewonnen ist, aber noch keineswegs alles: Wie ist Nutzen zu definieren? Nur ökonomisch? Materiell? Mental? Ökologisch? Kulturell? Spirituell? Jemand sprach gar von einem „sozial industriellen Komplex“. Es kann einem schwindlig werden angesichts der Vielfalt, die sich hier auftut. Am Ende führt diese Leiter zu der Einsicht, die weiteste Definition des Nutzens darin zu erkennen, was einem Menschen ermöglicht, sein Leben nach seinen Möglichkeiten selbst zu gestalten.
Letztlich zeigt sich, daß Miteinander und Gegenseitigkeit in dem gegenseitigen Verständnis für die Nöte und die Chancen des Menschseins kulminieren – materiell, mental wie auch spirituell. Damit ist der Geist der Allmende im Grunde beschrieben. Er führt geradewegs in den Bereich der Ethik, Moral und Religion, die sich in dem afrikanischen Ubuntu-Satz „Ich kann nicht sein, wenn Du nicht bist“, ebenso finden läßt wie in der biblischen Aufforderung: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder dem Motto der deutschen Kommune Niederkaufungen „Gemeinwohl ist mein Wohl“.
Damit ist ja fast schon alles gesagt. Dennoch treten hier, abgesehen von den bereits erörterten Fragen der Organisation der Allmende, ihrer Beziehung zum Staat und zum Kapital, noch weitere Aspekte in Erscheinung, die beachtet werden müssen, wenn wir uns auf einen Pfad der Allmendisierung unserer heutigen neoliberalen industriellen Realität machen wollen. Allem voran wären Differenzierungen zwischen Geist und Geist zu klären, um nicht gleich von Mißverständnissen zu sprechen. Die Rede ist von den sog. „Geistigen Allmenden“. Gemeint sind damit Erscheinungen wie Wikipedia, Google, Facebook etc. pp. Hier gilt es unseres Erachtens streng hinzuschauen, was w i r k l i c h in Gemeinschaftsbesitz kooperierende Individuen im Sinne einer Bewirtschaftung begrenzter Ressourcen sind, was dagegen per se unbegrenzter Raum ist, gleich wie sehr sich auch diverse Mächte in der Geschichte darum bemüht haben, ihn zu begrenzen, nämlich: der mentale Raum, Wissen, Kultur etc. Man erinnere sich des schönen deutschen Liedes: „Die Gedanken sind frei…“
Wissen, Gedanken, Geist, um es klar und unmißverständlich zu sagen, können keine Allmenden sein. Sie sind unbegrenzt und in diesem Sinne frei!
Eine andere Sache ist, daß die Apparaturen wie Wiki, Google, Facebook etc., in denen heute für alle abrufbares Wissen transportiert wird, selbstverständlich begrenzte Ressourcen sind. Aber diese elektronischen Ressourcen, diese Apparate, Netze usw. sind als materielle Basis noch keine Allmenden im Sinne des sozialen Organismus einer selbstorganisierten kooperativen Bewirtschaftung begrenzter Ressourcen, sie sind so etwas wie eine künstliche elektronische Weide, auf der alle grasen dürfen. Zu einer Allmende werden sie erst dort, wo alle NutzerInnen sich auch an der gemeinsamen Bewirtschaftung und der Pflege dieser Weide beteiligen und die vereinbarten Zugangsregeln beachten.
In diesem Sinne kann man alle WIKIformen wohl als Ansatz zu Allmenden bezeichnen. Google, Facebook; Amazon und dergleichen aber sicherlich nicht. Die Letztgenannten sind im Gegenteil als Monopole das pure Gegenteil eines Weges zur Selbstverantwortung oder Selbstorganisation. Sie fördern nicht die kooperative Selbstverantwortung, sie manipulieren und betäuben sie eher durch die Möglichkeit des passiven Nutzens. Ob dies durch Initiative der NutzerInnen umkehrbar ist, ist eine der heute offenen Fragen.
Wir sind hier auf dem Feld angekommen, auf dem wir noch einmal auf das Wesen, also den Geist der Allmende treffen, nämlich: Kooperative Selbstverantwortung des einzelnen Menschen für sein Menschwerden zwischen Staat und Markt auf der Grundlage begrenzter Ressourcen. Das wäre so eine Formulierung, um die herum das eingrenzbar sein könnte, was wir auch in Zukunft Allmende oder Commons nennen wollen.
Viele weitere Fragen tun sich auf: Was ist mit der menschlichen Arbeitskraft? Ist sie eine begrenzte Ressource, die von einer begrenzten Gruppe von Menschen bewirtschaftet wird? Wer bewirtschaftet diese Ressource? Welche Rolle spielt auf diesem Feld die Selbstverantwortung, Selbstorganisation, Selbstversorgung? Oder ist menschliche Arbeitskraft, nennen wir sie auch einmal anders, um deutlicher zu machen, worum es geht, also menschliche Schaffenskraft global betrachtet, unbegrenzt wie auch das Wissen?
Hier stieß unsere Debatte in einen neuen Bereich des Allmende-Geistes vor: den Geist der Selbstverantwortung, des Glaubens an den Sinn der eigenen Existenz, des Wunsches nach Selbstverwirklichung und schließlich nach – Überleben in einer bedrohten Welt.
Dies alles lief am Ende unserer Debatte in der, uns selbst überraschenden Erkenntnis zusammen, daß das, was Allmende in Zukunft werden und sein kann, sich im Widerstand, gegen die zur Zeit herrschenden Formen der Vernutzungsgesellschaft herausbilden wird und, um auch das deutlich und unmißverständlich zu sagen, nur so herausbilden kann.
Wir laden Euch ein, bei der nächsten Runde dabei zu sein.
Wir treffen uns am 1.6. 2013 wie üblich um 16.00 Uhr
Bitte anmelden unter: Kontakt
Thema: Thema: Ich, Du, Wir – die innere Organisation der Allmende.
Als besondere Anregung dieses Mal: Jede/r bringt ein Gedicht zum Thema mit, ein eigenes oder ein fremdes.
Im Namen des Forums integrierte Gesellschaft,
freundliche Grüße, Kai Ehlers
P.S.
Das Thema Allmende wird ausführlich behandelt in:
Kai Ehlers: „Die Kraft der ‚Überflüssigen’, der Mensch in der globalen Perestroika“,
Pahl-Rugenstein.
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Ausführliche Daten, Fakten, Hintergründe zur Geschichte und aktuellen Transformation von Gemeinschaftskultur finden Sie weiterhin in folgenden Büchern von mir:
- Herausforderung Rusland: Vom Zwangskollektiv zur selbstbestimmten Gemeinschaft?
- Erotik des Informellen, Voin der Not der Selbstversorgung zur Tugend der Selbstorganisation
- Grundeinkommen für alle als Sprungrett in eine integrierte Gesellschaft
- Kartoffeln haben wir immer. (Über)leben in Russland zwischen Supermarkt und Datscha
Allmende und Markt – ein Entweder-Oder?
Wiederentdeckung der Allmende, kooperative Selbstorganisation zwischen Staat und Markt lautet das Thema, zu dem sich das Forum jetzt zum sechsten Mal zusammengefunden hat. Nach Untersuchung der Grundregeln der Allmende, nach Beschäftigung mit ihren Formen und ihrer Geschichte, nach Untersuchung der Beziehung von Allmende und Staat geht es in diesem Bericht um das Verhältnis von Allmende und Markt.
Die Eurasische Union zwischen EU und SOZ
Die Gründung der Eurasischen Union ist die neueste Wendung im Prozess einer ins Globale erweiterten Perestroika. Besorgte Fragen tauchen auf, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Rußland, insbesondere auf die zwischen Deutschland und Rußland haben werde...
Forum integrierte Gesellschaft
Das Forum ist ein Ort der Diskussion zu brennenden Fragen der Zeit
orientiert am Grundgedanken einer integrierten Gesellschaft, wie ich sie in meinem Buch
- Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft – skizziere.
Zugang zu den Materialien der Gründungsveranstaltung 2008 finden Sie unter
Aktuelle Infos zu den laufenden Treffen des Forums finden Sie unten.
Allmende und Staat. Kann es eine Allmendisierung des Staates geben?
Schafft zwei, drei viele Allmenden.
Wir setzen unsere Treffen zur Wiederentdeckung der Allmende fort.
Grundbedingung für eine gedeihliche Beziehung zwischen Staat und Allmende ist also zuallererst, daß von staatlicher Seite die Allmenden als Ausgangsfeld an der Basis gesellschaftlichen Lebens akzeptiert werden, auf dem Interesse, Kompetenz und erkennbarer Bedarf sich treffen. Sind solche Voraussetzungen heute gegeben?
Liste verschiedener Themenangebote – aktuell und langfristig
Aktuell:.
- Ukrainekrise – Fakten, Propaganda, Hintergründe, Perspektive
- Sucht Putin Revanche für den Zusammenbruch der Sowjetunion?
- A propo Krim: Das Selbsbestimmungsrecht der Völker – ein überholter Mythos?
- EU&EU – Kulturkampf, Machtkampf oder bloß Ökonomie?
- Vom Europäischen Traum zur Europäischen Union. Europa der Regionen als Ausweg?
- Krise des Neoliberalismus – Revolten der „Überflüssigen“?
- Von der unipolaren Hegemonie zur multipolaren Völkerordnung – friedlicher Übergang oder Krieg?
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- Wochenend-Seminar: Das Labyrinth und musikalische Improvisation.
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Nehmen Sie Kontakt auf, um Themen zu konkretisieren.
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Grundsatzthemen zu Russland, zur Mongolei, zur Rolle des Islam und zu generelleren Fragen der Ost-West Beziehungen wie auch der globalen Neuordnung können wir mündlich konkretisieren. * Auf der Seite unten finden Sie weitere Anregungen für weitere Themen.
Allmende, Commons, Obschtschina – Fortsetzung: Wo finden wir sie?
Das Gespräch drehte sich rund um die Frage, ob und wie sich eine Allmende gegen das Gewaltmonopol des Staates entwickeln kann.
Allmende, Commons, Obschtschina – was ist darunter zu verstehen?
Die Wiederentdeckung dessen hat erst begonnen. Das gilt für unsere eigene Befassung mit diesen Fragen ebenso wie weltweit.
„Das Wunderbare im Faktischen – Interview mit Kai Ehlers
Das Labyrinth als Motivationshelfer. Kai Ehlers im Gespräch mit Franka Henn, Redakteurin bei "Initiativ-Blickpunkt" Nr. 134, Zeitung der "Ökumenischen Initiative eine Welt"
Nowosibirsk – Altai am Katun 2011
Seminarwoche zum kretischen Labyrinth im Altai im Sommer 2011
Eine Nibelungensage aus hunnischer Sicht? Besprechung von „Attil und Krimkilte“ in „Der Berner“
Eine kritische Überprüfung zum Alter des Epos von "Attil und Krimkilte" kommt zu dem Ergebis: Das Epos ist keine Fälschung, sondern nachweisbar eine eigene hunnisch-tschuwaschische Geschichtsspur.
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Provokationen im sakralen Raum: Was verbindet „Pussy Riots“ und Islamfeindliche Aktionen?
Was ist vergleichbar? In Moskau, Provokation am zentralen Altar der neuen russischen Orthodoxie. In der Sache der Botschaften: Ein antimuslimischer Film als Provokation gegen den Islam. Die Reaktionen – maßlos hier wie dort. Auf die „Pussies“ stürzten sich Staat und Kirche mit dem Ergebnis eines unverhältnismäßigen Urteils gegen die Frauen. Der Film provozierte den Zorn gläubiger Muslime, gleich ob spontan oder aufgewiegelt, das ist schon zweitrangig.
„Pussy Riot“, brennende Botschaften – wie wir nicht leben wollen
Was ist vergleichbar? In Moskau, Provokation am zentralen Altar der neuen russischen Orthodoxie. In der Sache der Botschaften: Ein antimuslimischer Film als Provokation gegen den Islam. - Provokationen im sakralen Raum. Wollen wir so leben?
Rußland in die WTO – warum jetzt? Oder auch: WTO auf dem Weg in die Transformation?
Am 22.08.2012 unterschrieb Wladimir Putin das Beitrittsdokument Rußlands zur WTO, der Welthandelsorganisation. Was verspricht sich Rußland von diesem Beitritt? Und warum gerade jetzt? Was wird geschehen?
USA: Botschaften aus der Vorwahlzeit
Was sind die USA – eine Demokratie oder eine kapitalistische Oligarchie? Welches Gewicht hat der gewählte Präsident in dieser sog. Präsidialdemokratie? Bestimmt er wirklich die Richtlinien der Politik?
Pussy Riot – ein Mythos entsteht
Zwei Jahre Lagerhaft, die U-Haft von 5 Monaten wird angerechnet. Eine Berufung ist möglich. Das war das vorläufige Ergebnis des Prozesses gegen die drei Frauen der Aktionsgruppe „Pussy Riot“ ...
Russische Innenansichten – „Einen Plan B gibt es nicht.“ Kai Ehlers im Gespräch mit Boris Kagarlitzki, Gründer des „Instituts für Fragen der Globalisierung und sozialer Bewegungen“
Als Analytiker des „Instituts für Fragen der Globalisierung und sozialer Bewegungen“ ist Boris Kagarlitzki einer jener Kritiker Putins, die über die Tagesproteste und kurzatmige Aufgeregtheiten hinaus denken. Das Gespräch dreht sich um die Frage, welche politischen Entwicklungen nach den zurückliegenden Duma- und Präsidentenwahlen zu erwarten sind. Das Gespräch fand im Juli in den Räumen des Institutes in Moskau statt.
Kongreß integrale Politik
Der lange angekündigte "Kongreß integrale Politik - wie wir wirklich leben wollen" hat vom 28.7. - 5.8. 2012 in St. Argbogast (bei Ötzis/Österreich) stattgefunden. Von ihm werden hoffentlich starke Impulse in Richtung der Entwicklung einer Synergie kultur-kreativer Politik ausgehen.