Schlagwort: Wahlen

Putins Wahlsieg – Signal für ein Russland nach Putin?

In Russland wurde gewählt. Was zu erwarten war, ist eingetreten: eine überwältigende Mehrheit für Wladimir Putin.

In Zahlen: 76,69 % für Putin, 11,77 % für seinen sozialistischen Herausforderer Pawel Grudinin , 5,65 % für den ewigen Provokateur Wladimir Schirinowski; die restlichen Kandidaten und Kandidatinnen fielen weit unter die 5% Marke. „Korruptionsjäger“ Alexei Nawalny scheiterte mit seinem Boykottaufruf. 

Die Botschaft der Wahl ist unüberhörbar:  Stabilität, Sicherheit, keine Revolution, nicht einen Weg zurück, keine Abenteuer voran, alles wie gehabt. Ruhe ist der erste Wunsch des nachsowjetischen Menschen. Wär‘s nicht  nachweislich ein russisches – es könnte ein deutsches Wahlergebnis sein.

Und doch, wer glaubt, dass alles so weitergehen werde wie bisher, irrt sich. Der Sieger selbst versprach Veränderungen für den Fall seiner erneuten Präsidentschaft: Entbürokratisierung, Wachstum der Wirtschaft, Reformen im Sozialen. Und er versprach diese Veränderungen nicht nur; mit rigider Umbesetzung von Ämtern traf er schon im Vorfeld der Wahl  Vorsorge dafür, das Notwendige auch durchsetzen zu können, was er jetzt vornehmen muss, denn das ist klar: das Votum des Wahlsieges bekam er zwar für die von ihm verfolgte Politik der Stabilität, aber ewige, zudem noch autoritäre  Stabilität muss letztlich enden – in Stagnation.

Die drohende Stagnation ist wohl die größte Herausforderung  für  den in seinem Amt bestätigten Präsidenten, außenpolitisch wie auch innenpolitisch.

Außenpolitisch sind weitere Erfolge wie die Eingliederung der Krim, die Teilbefriedung Syriens, das Bündnis mit China zurzeit kaum vorstellbar. Die Welt hat sich im Status quo festgefahren. Russlands,  konkret Putins Rolle darin ist die des Krisenmanagers. In dieser Frage kommt zurzeit niemand an ihm vorbei, aber Entwicklungsperspektiven sind darin kaum erkennbar, außer der von Putin in seiner kürzlich gehaltenen Rede an die Nation deutlich demonstrierten Bereitschaft Russland gegen jedwede zukünftige Angriffe zu verteidigen.

Innenpolitisch stehen für Russland lange vernachlässigte Reformen an. Das beginnt mit so banalen, aber drängenden Themen wie der nationalen Müllbeseitigung, geht über das Wohnungsproblem, die  Zweiklassenmedizin, marode Infrastrukturen bis hin zu einer krass auseinander klaffenden Schere zwischen arm und reich.

Mit Blick auf die innere Entwicklung hat Putin vor der  Wahl starke Aussagen gemacht, Kräfte der Selbstorganisation stärken zu wollen. Sein Aufruf an die Kandidaten nach der Wahl, die Kräfte zu bündeln, geht in die gleiche Richtung. Solche Töne in Verbindung mit der Ankündigung sozialer Reformen könnten von der russischen Bevölkerung als Versprechen auf Liberalität und wachsenden Wohlstand verstanden werden. 

Wenn andererseits Wachstum der Motor für Reformen sein soll, bedeutet das mehr sozialen Druck auf die Bevölkerung bis hin zu Vorschlägen aus den Beraterkreisen Putins, um nur ein Problem stellvertretend zu nennen, die Renten zu kürzen, indem das Rentenalter hinaufgesetzt wird.

Kurz gesagt: Putins Programm wird ein Spagat zwischen Modernisierung und sozialen Versprechungen, der auch von einem erfahrenen Kampfsportler, wie er es ist, schwer zu halten sein wird.

Im Land wachsen  zudem die Stimmungen, dass Russland sich nicht weiterhin einfach dem Prozess der kapitalisierenden Globalisierung unterwerfen dürfe, sondern wieder auf einen eigenen Weg finden müsse. Aber unklar ist immer noch, wie dieser aussehen könnte. Alle bisherigen Versuche, einen eigenen Weg zu definieren, sind auf halber Strecke stehen geblieben: So Gorbatschows ökologischer Aufbruch; so Jelzins nationale Idee. Ist Putins Weg nach Eurasien jetzt sinnstiftender?

Nein, es wird keine Ideologie helfen. Entscheidend wird sein, ob Putin es schafft, die Basiskräfte des Landes zu aktivieren – das heißt, Initiativen auf allen Ebenen der Gesellschaft nicht nur zuzulassen, sondern zu fördern. Daran wird er gemessen werden. Daran wird sich zeigen, wohin die russische Gesellschaft geht.

Kai Ehlers, www.kai- ehlers.de

 

Siehe das Buch:

Kai Ehlers, Herzschlag einer Weltmacht, Pforte, 2009

Bezug über: www.kai-ehlers.de

 

(Dieser Artikel erschien am 22.03.2018 unter anderer Überschrift und leicht verändert in „Freitag“)

 

 

Russische Innenansichten – „Einen Plan B gibt es nicht.“ Kai Ehlers im Gespräch mit Boris Kagarlitzki, Gründer des „Instituts für Fragen der Globalisierung und sozialer Bewegungen“

Als Analytiker des „Instituts für Fragen der Globalisierung und sozialer Bewegungen“ ist Boris Kagarlitzki einer jener Kritiker Putins, die über die Tagesproteste und kurzatmige Aufgeregtheiten hinaus denken. Das Gespräch dreht sich um die Frage, welche politischen Entwicklungen nach den zurückliegenden Duma- und Präsidentenwahlen zu erwarten sind. Das Gespräch fand im Juli in den Räumen des Institutes in Moskau statt.

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Russland nach der Wahl Putins

Auswertung des 16. Treffens vom 21.04.2012   

Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Forums integrierte Gesellschaft,

unser Thema war: Rußland nach den Wahlen. –

Vieles ist dazu schon gesagt; wir hatten als Ergänzung zur Einladung zudem eine analytische Betrachtung der Nach-Wahl-Situation mit herumgeschickt. Dem ist auch nach Ablauf mehrerer Wochen wenig Neues hinzuzufügen. Unser Gespräch kreiste daher in der ersten Hälfte um Details der in dieser Analyse angegebenen Aspekte. Das soll hier nicht wiederholt werden.  (Für die, die den Text nicht mehr präsent haben: www.kai-ehlers.de /Eingangsseite /Rußland nach den Wahlen: Aufstand der Mittelklasse)

Auch ein Skype-Kontakt zum Schriftsteller und Journalisten Jefim Berschin in Moskau, den wir uns während des Treffens gönnten, bestätigte im Wesentlichen den Stand, wie er direkt nach der Wahl war. Das Land befindet sich im Übergangszustand zwischen Noch-Präsident Medwedew und dem zukünftigem Präsidenten Putin.  Regierung, Duma und außerparlamentarische Opposition ordnen ihre Kräfte, bereiten sich für die Tage nach der Amtsübergabe vor. Große Überraschungen nach Art der Proteste in der Zwischenwahlzeit um Weihnachten und Anfang dieses Jahres sind nicht zu erwarten.

Interessant wird die Entwicklung der realen Politik nach der Amtseinführung Putins. Putin wird in der neuen Konstellation zum einen auf die außerparlamentarischen Kräfte zugehen müssen und auch wollen, d.h., eine gewisse Dialog-Bereitschaft in Sachen demokratische Rechte demonstrieren. Ziel wird sein, die Kritiker, wo es geht zu integrieren, zugleich die Bewegung entlang ihrer sozialen Bruchzonen zu spalten – also in Alt-Liberale, politisch undefinierte Mittelklässler, extreme Rechte, extreme Linke zu sortieren. In den zurückliegenden Monaten waren diese Kräfte alle auf die Anti-Putin-Kampagne focussiert.

Das Hauptproblem, mit dem Putin und seine neue Konstellation sich konfrontiert sehen werden, liegt aber nicht in den mittelklässlerischen Protestpotentialen, das Hauptproblem liegt in den, man könnte sagen, ungelösten sozialen Fragen, die durch die Tandem-Politik quasi verschoben worden waren – auf den wieder ins Präsidentenamt zurückkehrenden Putin aber jetzt als unaufschiebbare Aufgaben zukommen.

Zu erinnern ist an die „nationalen Projekte“, mit denen Medwedew antrat: Erschwinglicher Wohnraum, Ausbau des Bildungssektors, des Gesundheitssektors und Entwicklung der Agrarwirtschaft. Keins von diesen Problemfeldern wurde so beackert wie angekündigt. Ich will darauf jetzt hier nicht im Einzelnen eingehen. (Ich verweise dazu auf mein Buch: „Kartoffeln haben wir immer. (Über)leben in Rußland zwischen Supermarkt und Datscha“, das einen Aufriß der zu lösenden sozialen Probleme beim Stand von 2008/2009 gibt)

Hier zur Zeit nur dies: In den Vordergrund scheint sich die Wohnungsfrage zu drängen, genauer, die Frage der Wohnungszusatzkosten – also, Kosten für Wasser, Gas, Heizung, Modernisierung usw. Diese Kosten nehmen solche Höhen an, daß sie das Lebensniveau der Mehrheit der Bevölkerung empfindlich drücken. Die Wohnungsfrage hat sich zudem mit der sog. „Datschenexplosion“ verschränkt, d.h. der Entstehung eines unabsehbaren Zuwachses an kleinen Privathäuschen plus Garten im Umkreis der großen Städte im Zuge der letzten Jahre. Viele dieser Kleinstsiedlungen sind nach den heute bestehenden Gesetzen nicht legal, nicht registriert, nicht katastermäßig erfaßt, zugleich aber in vielen Fällen zu Ausweichquartieren für Menschen geworden, die ihre Wohnungen vermieten. Die Regierung ist mit dem Problem konfrontiert, dieses Unverhältnis von nicht mehr erschwinglichem Wohnraum und illegaler Datschen-Explosion in einem Zeitrahmen bis 2014 regeln zu müssen; bzw. zu wollen. Dies kann mit starken sozialen Verwerfungen einhergehen.

Das Problem ist, daß die Überführung des illegalen Datschenbooms in eine kontrollierte Datschenbesiedlung nur möglich ist, wenn zugleich das bisher nicht eingehaltene nationale Programm des „erschwinglichen Wohnraums“ dahingehend erfüllt wird, daß es tatsächlich erschwinglichen Wohnraum gibt, der das Ausweichen auf die Datschensiedlungen überflüssig macht. Dies ist zudem nicht nur ein sachliches, also ökonomisches Problem, sondern auch ein kulturelles, insofern die Datscha und der dazu gehörige Garten für die russländische Bevölkerung über ihre Rolle als familiäre Zusatzwirtschaft hinaus die Stelle der persönlichen Entfaltung gegenüber dem öffentlichen staatlichen und wirtschaftlichen Druck einnimmt. Wie Putin dieses Problem lösen will, ist zur Zeit nicht absehbar.

Zu ähnlich brennenden Fragen haben sich die nicht durchgeführten Reformen auf dem Bildungs- und Gesundheitssektor aufgestaut, ebenso auf im Bereich der Landwirtschaft.

Kurz. Um hier keine Analysen der sozialen Fragen Rußlands vorwegzunehmen: Die nächste Runde der Putinschen Amtszeit wird wesentlich von der Sozialpolitik bestimmt werden. Putin muß dabei das Kunststück fertig bringen, diese innenpolitische Aufgabe mit der Stiftung eines neuen russischen Selbstverständnisses zu verbinden. Er macht diesen Versuch mit der Argumentation, Rußland müsse angesichts zu erwartender globaler „Turbulenzen“ seine Autarkie als multinationaler Staat zwischen Asien und Europa entwickeln und sich dabei und damit zum Motor eines eurasischen Kooperations- und Bündnissystems entwickeln.

Nach übereinstimmender Sicht der uns bekannten Stimmen aus Rußland gibt es – bei aller Kritik an Putins autoritärem Führungsstil – keine politische Herausforderung, die es effektiv mit Putin aufnehmen könnte. Die einzige Kraft, die nach wie vor eine Basisverankerung im sozialen Milieu hat, ist die KP-Russlands, aber sie ist kräftemäßig zu nicht mehr in der Lage, als ein schwaches Korrektiv zu bilden.

Wir kamen überein, daß das zukünftige Augenmerk Rußland betreffend auf der Kombination von eurasischer multinationaler Vormacht und aktiver Sozial- und Kommunalpolitik auf den oben genannten Feldern zu suchen sein wird. Putin geht auf den Prüfstand.

***

Außenpolitisch wird Rußland daran gelegen sein, als Eurasische Hegemonialmacht das globale Gleichgewicht einer multipolaren Ordnung aufrechtzuerhalten. Die damit verbundenen Fragestellungen führten angesichts der aktuellen Ereignisse um Syrien, Israel und den Iran dazu, daß wir uns beim nächsten Treffen mit dem „Brennpunkt Syrien“ befassen wollen.

Wer Interesse hat teilzunehmen, ist eingeladen, sich bei mir zu melden: KONTAKT

 

 

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