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Putin ist kein Sozialist – Anmerkungen zum Lärm um Front National

Putin ist kein Sozialist – Anmerkungen zum Lärm um Front National

Die Gewährung eines Kredites über neun Millionen Euro an den Front National durch eine tschechisch-russische Bank (FCRB) hat einen Sturm der Entrüstung in der deutschen Öffentlichkeit hervorgerufen. Für viele Menschen ist Wladimir Putins Gefährlichkeit damit endgültig  bewiesen. „Der Deal mit Moskau“, war in „Spiegel-online“ zu lesen, „schürt Befürchtungen, Putins Russland  finanziere  gezielt populistische  Parteien und Gruppierungen, um die Europäische Union  als außenpolitischen Konkurrenten zu schwächen. Denn nicht nur nach Frankreich zum Front national streckt der Kreml seine Fühler aus. In Großbritannien umwirbt der Kreml die radikalen Europa-Gegner von Ukip. In Ungarn unterhält er gute Beziehungen  zur rechtsextremen  Jobbik-Partei. In Deutschland ist Putin auf der Suche nach einem politischen Partner fündig geworden: bei der Alternative für Deutschland. Die AfD wies einen entsprechenden Bericht jedoch als ‚falsch‘ zurück.“

Zugegeben, der Vorgang irritiert – dabei könnte er eigentlich weniger irritierend sein als die die Tatsache, dass die NPD in Deutschland Staatsgelder über die Parteienfinanzierung erhält. Solche bekommt der Front National nicht; in den etablierten politischen Etagen der EU geächtet, konnte er sich nicht einmal einen Bankkredit besorgen. Jetzt fließt ausländisches Geld, zudem ausgerechnet aus Russland, mit dem die EU sich im Sanktionskrieg befindet. Das sieht aus, als müsste man bei der ganzen Angelegenheit ein bisschen tiefer stechen.

Zunächst dies: Nicht Putin gibt einen Kredit, sondern eine Bank, zudem noch eine tschechisch-russische, also eine grenzüberschreitend arbeitende Bank. Zwar werden den Bankchefs vertraute Beziehungen zum russischen Präsidenten nachgesagt, aber dies kann man mit der gleichen Bestimmtheit von hunderten weiterer Personen sagen, die sich im Dunstkreis des Kreml aufhalten. Daraus folgt noch nicht, dass Putin der Auftraggeber dieses konkreten Handels ist, selbst wenn, wie der „Spiegel“ und andere berichten, Marie le Pen im Anschluss an das Krim-Referendum nach Moskau reiste, selbst wenn sie „eine gewisse Bewunderung“ für Putin zum Ausdruck gebracht hat und selbst wenn der Front National zu den „stärksten Kritikern“ der Sanktionspolitik der Europäischen Union gehört. In Russland ist, manche mögen es noch nicht bemerkt haben, seit ein paar Jahren das Wirtschaften nach den Regeln des neo-liberalen Kapitalismus eingezogen. Geld fließt dorthin, wo dessen Verfüger sich Rendite versprechen.

Für Kritiker des Kapitalismus reicht eine solche Erklärung nicht aus. Der Vorgang bleibt politisch und auch moralisch anrüchig. Die heutige Realität des Geldes beschreibt diese Feststellung  jedoch genau. Das gilt umso mehr in einer Situation, in der ein Sanktionskrieg geführt wird, in dem politische Fragen über wirtschaftlichen Druck entschieden werden sollen – mit Sanktionen gegen Russland, mit Verweigerung von Krediten gegen eine politisch unbequeme Partei. Da stellen sich dann Allianzen her, die den mangelnden politischen Dialog auf ihre krude, materielle Weise ersetzen.

Diese Feststellungen beantworten selbstverständlich nicht die weitergehende, sehr komplizierte Frage, ob und wenn, dann warum sich hinter der Kreditierung des Front National mehr als geschäftliche Interessen verbergen könnten, was dran ist an den Befürchtungen, dass sich eine EU-weite populistische Blockbildung herausbilde, in der linke, sozialistische und rechte nationalistische Kritiken an der gegenwärtigen Entwicklung der EU, aktuell an ihrer sinnlosen Sanktionspolitik zu einer europakritischen konservativen Bewegung zusammenfließen, die in Putin angeblich ihren Heilsbringer sieht.

Genannt werden müssen hier die aktuellen Phänomene der sog. „Querfront“ –einer Bewegung, die links und rechts verbinden will, wie auch durchaus, die schon im obigen Zitat des „Spiegel“ genannten populistischen Parteien mit nationalistischen Programmen wie die deutsche AfD, die englische UKIP, die ungarische Jobbik-Partei,  die „Wahren Finnen“, die niederländische „Partei für die Freiheit“ und andere. Die Zuneigung dieser Parteien gegenüber Russland, selbst in den östlichen Teilen der EU, und die Offenheit Russlands ihnen gegenüber ist selbstverständlich keine Frage, die man übergehen könnte, sondern vor dem Hintergrund der historischen Abläufe wie auch denen der konkreten Entwicklung der heutigen Europäischen Union ein ernst zu nehmendes Phänomen – auch wenn der Hinweis darauf von Putin-Feinden als Totschlagargument in der politischen Auseinandersetzung benutzt wird und selbst politisch unbelastete Menschen mit Unverständnis darauf reagieren.

Die einfachste Antwort auf das Phänomen liegt in der generellen Wahrheit des Satzes: Dein Feind ist auch mein Feind.  Unter den Bedingungen der gegenwärtigen Frontbildung zwischen Russland und dem Westen  gewinnt dieser Satz eine beängstigende Realität. Da ist dem „Spiegel“ leider wieder zuzustimmen, allerdings nur halb, denn diese Realität ist sehr fadenscheinig: Was die EU schwächt, scheint Russland zu nutzen und umgekehrt. In Wirklichkeit schadet es beiden. Auch dem lachenden Dritten, den USA, könnte das Lachen auf Dauer vergehen. Diese Konstellation wird sich weiter verschärfen, solange die EU-Spitze – auf Kosten ihrer Mitgliedsländer, die nicht einverstanden sind, sondern unter den Folgen der Sanktionen stöhnen, wie auch auf Kosten ihrer Bevölkerung, welche die mit der Sanktions-Politik verbundenen „Opfer“ als Steuerzahler ausbaden soll, diese Politik fortsetzt.

Das Ergebnis kann nur der Protest gegen den so praktizierten Brüsseler Einheitsanspruch sein, der sich vor dem Hintergrund einer ohnehin prekären Entwicklung der sozialen Lage einer wachsenden Zahl von Menschen in den Mitgliedsländern der EU mit der Kritik an den konkreten wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Sanktionspolitik verbindet.

Das Phänomen der „Querfront“-Proteste, die rechts und links, nationale Frage und soziale Proteste miteinander verbinden wollen, ebenso wie die populistischen Parteien, die denselben Anspruch stellen, sind Ausdruck dieser Unzufriedenheit. Ihr durchgehendes Thema ist, bei allen nationalen Unterschieden, die Verteidigung der eigenen, politisch der nationalen, Interessen gegen eine „Überfremdung“ durch das internationale Kapital – und dessen Hauptvertreter die USA, vertretungsweise die Europäische Union als deren Juniorpartner. Darin treffen sie sich unter dem Druck des Sanktionskrieges, der von eben diesen Kräften gegenwärtig gegen Russland geführt wird, voll und ganz mit der einfachen russischen Propaganda.

Ich sage  ‚einfache russische Propaganda‘, weil auf etwas weniger einfacher Ebene zwischen westlichen und russischen Vertretern des Big Business, traditionell gesprochen, des großen Kapitals zu gleicher Zeit, aber hinter verschlossenen Türen Verhandlungen über die Ausweitung von  Geschäftsbeziehungen geführt werden. So zu lesen in der neuesten Ausgabe von „German Foreign Policy“ vom 28.11.2014. Der Sanktionskrieg wird, wie es in dem Bericht wohl zutreffend eingeschätzt wird, zwar fortgesetzt, aber nur um die Fixierung der Rangverhältnisse geführt. Dies mildert die politische Situation allerdings nicht, sondern verstärkt noch die Reflexe einer großen Mehrheit von Menschen, sich vor den Machenschaften dieses internationalen Kapitals in ihre jeweiligen nationalen und sozialen  Nischen zu flüchten.

Wo ist bei dieser Entwicklung noch Platz für Menschen, die sich von diesen Strömungen nicht in ein national-sozialistisches Revival auf neuem historischem Niveau mitreißen lassen wollen? Diese Frage erhebt sich nicht nur in Deutschland, nicht nur in der EU; sie erhebt sich ebenso im ehemaligen sowjetischen Raum, dort, wie  zurzeit in der Ukraine zu sehen, noch um einige Grade unvermittelter, weil im Transformationsprozess zusammengedrängter.

Insgesamt gilt: Nicht einverstanden mit dem Siegeszug  der globalen Kapitalisierung nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Sozialismus, nicht willens zurückzukehren in überlebte Formen des Sowjetsozialismus, auch nicht bereit zu einem Einschwenken auf nationale Verkürzungen der globalen Krise, schon gar nicht in der extremen Form wie zur Zeit in der Ukraine oder im „islamischen Staat“, wird der Korridor, der aus der jetzigen Krise in eine Gesellschaft hinüber führt, in der wir wirklich leben wollen, spürbar enger.

Um es ganz anders zu sagen: Zweifellos ist es notwendig dem sinnlosen Putin-Bashing entgegenzutreten und sich für ein Ende des Sanktionskrieges stark zu machen. Eine kooperative Ordnung verschiedener Weltmächte auf Augenhöhe, statt einer konfrontativen unter dem Diktat einer Hegemonialmacht USA, ist das Mindeste, was die Menschheit heute braucht. Dafür ist Russlands Rote Karte gegen die weitere US/EU-Expansion ein Segen. Ebenso sinnlos ist es aber auch, von Putin, ebenso wie von anderen Gestalten auf der gegenwärtigen globalpolitischen Bühne, etwas anderes als Realpolitik zu erwarten. Putin ist, um auf die Überschrift zurückzugreifen, kein Sozialist. Putin ist ein neo-liberaler Traditionalist, der gewachsene soziale Strukturen modernisieren, das heißt, für kapitalistische Produktionsweise  öffnen will. Darin trifft er sich durchaus mit den EU-Bürokraten. Sofern dies auf friedlichem Plateau geschähe, wäre schon etwas gewonnen. Die Debatte um die andere, die zu entwickelnde Zukunft jedoch muss aus der Mitte der Gesellschaft, nicht zuletzt auch in der Auseinandersetzung mit  neuen nationalistischen Strömungen geführt werden, und sie muss radikal geführt werden, in Russland nicht anders als in Europa und anderswo auf dem Globus; selbst die USA sollten man nicht vergessen.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de                                   Freitag, 28. November 2014

Lesen Sie hierzu:

Kai Ehlers, Die Kraft der ‚Überflüssigen‘, Pahl-Rugenstein, 2013

Kai Ehlers, Grundeinkommen als Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft, Pforte, 2. Auflage, 2007