Halten wir uns knapp: Gut ist es und für die Menschen in der Ukraine eine Hoffnung, dass verhandelt wurde, und zwar nicht über Waffenlieferungen an Kiew, sondern über Wege zur friedlichen Lösung der Konflikte des Landes. Gut ist, dass an diesen Gesprächen nicht nur die Präsidenten Kiews, Russlands, Frankreichs und ihre Stäbe teilnahmen, sondern auch die Vertreter der Volksrepubliken, wenn auch immer noch am Katzentisch.

Gut ist die Einigung auf Einführung einer Waffenruhe ab Sonntag, den 15. Februar 2015, wenngleich eine sofortige Einstellung der Gefechte besser gewesen wäre. Gut ist selbstverständlich auch, dass man sich einigen konnte am zweiten Tag des Waffenstillstands damit zu beginnen, auf beiden Seiten die schweren Waffen zurückzuziehen, um so einen Puffer zwischen den Kriegsparteien entstehen zu lassen. Gut ist schließlich, dass man übereinkommen konnte, dies alles von der OSZE überwachen zu lassen.

Erfreulich sind Beschlüsse zur Einführung einer „umfassenden Amnestie“ sowie zu einer „humanitären Versorgung  bedürftiger Menschen in der Ostukraine“, Erfreulich auch, dass „alle ausländischen Truppen und Söldner unter OSZE-Überwachung ukrainisches Staatsgebiet verlassen, beziehungsweise alle illegalen Gruppen ihre Waffen abgeben“ sollen.

Nicht nur gut, sondern bereits verblüffend sind Vereinbarungen, dass vom ersten Tag an nach Abzug schwerer Waffen „Modalitäten für Wahlen in den Regionen Donezk und Luhansk  vereinbart werden“ sollen. Die Wahlen sollen zudem noch „mit dem im September 2014 verabschiedeten Gesetz  über Selbstverwaltung der genannten Gebiete übereinstimmen“. Dazu passen Beschlüsse, die eine  „Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze“ vorsehen; aber erst, „nachdem in den Regionalwahlen in Donezk und Luhansk der von der Bevölkerung gewünschte Status der Gebiete  geklärt und später umgesetzt ist.“

Schließlich soll noch eine „Verfassungsreform zur Stärkung des Föderalismus“ durchgeführt werden. Bis Ende 2015 soll eine neue Verfassung in Kraft treten, welche „die Dezentralisierung des Landes als ein Schlüsselelement vorsieht, insbesondere in Bezug auf die Regionen Donezk und Luhansk.“

Dies alles, heißt es in der Vereinbarung, sei „kein abschließender Friedensvertrag“ könne aber den Boden dafür bereiten, „allerdings nur, wenn die Verhandlungspartner sich auch von neuer Gewalt nicht beirren lassen.“

 

Zusatzbotschaften nach den Verhandlungen

Es gebe „zu einer ausschließlich friedlichen Lösung keine Alternative“ kommentierten die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident das Treffen, allerdings nicht ohne zunächst noch einmal „ihre uneingeschränkte Achtung  der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine“ bekräftigt zu haben. Deutschland und Frankreich, versprechen sie dann aber, wollen den Bankensektor durch die „Schaffung eines internationalen Mechanismus zur Erleichterung von Sozialtransfers“ wiederherstellen. Sie wollen „trilaterale Gespräche zwischen EU, der Ukraine und Russland über Energiefragen“ führen, wollen solche trilateralen Gespräche zudem unterstützen, „um praktische Lösungen für Bedenken zu erreichen, die Russland mit Blick auf die Umsetzung des tiefgreifenden und umfassenden Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU geäußert hat.“

Im Namen aller Beteiligten steigern Merkel und Hollande sich zu der Aussage, sich „unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären  und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE“  bekennen zu wollen.

Zur Umsetzung des Minsker Abkommens kündigen sie die „Schaffung eines Aufsichtsmechanismus im Normandie-Format“ an, der in regelmäßigen Abständen auf der Ebene hoher Beamter des Außenministeriums zusammentreten werde. Normandie-Format, merke, das heißt, ohne die USA.

Der russische Präsident fliegt in seiner Abschlusserklärung etwas weniger weit hinauf. Auf die Frage, warum die Abstimmungen so lange gedauert hätten, erklärt er: „Ich denke es liegt daran, dass die Kiewer Behörden sich leider weiterhin weigern, direkte Kontakte zu den Vertretern  der Volksrepubliken von Donezk und Lugansk  aufzunehmen.“ Im Übrigen bleibt Putin aber ganz lösungsorientiert. Er weist auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus der ungeklärten Frontlage bei der Ortschaft Debalzewe ergeben könnten, wo die Volksrepubliken zwischen 6000 und 8000 Mann der Ukrainischen Armee eingekesselt hätten. „Sie gehen natürlich davon aus“, so Putin, „ dass diese Gruppe die Waffen niederlegt und den Widerstand aufgibt.“ Putin sieht mögliche Komplikationen. Er habe sich deshalb mit Poroschenko geeinigt, erklärt er daher „unsere Militärexperten zu beauftragen festzustellen, was dort in Wirklichkeit vor sich geht, und einen Maßnahmenkomplex auszuarbeiten, es zumindest zu versuchen, um die gefassten Beschlüsse  zu verifizieren und ihre Einhaltung auf beiden Seiten zu überprüfen.“ Er jedenfalls sei dazu bereit.  Es gehe darum, neuerliches, weiteres Blutvergießen zu vermeiden.

Alexander Sachartschenko, Führer der Donezker Volksrepublik erklärt schlicht, der Friedensfahrplan gebe  eine „Hoffnung für eine friedliche Lösung“.

 

Soweit, so gut – und jetzt?

Aber wer glaubt, mit diesen Friedensbotschaften habe sich die die politische Wetterlage geklärt, sieht sich getäuscht. „Am Ende lacht Putin“ titelte „Spiegel online“. Symtomatisch auch, wie ausgerechnet mit dem meistverwendeten Presse-Foto, das die Friedensbotschaft der Minsker Einigung zu illustrieren vorgibt, auf subtile Weise der Propaganda-Mythos weiter genährt wird, dass es Russland sei, das Krieg gegen die Ukraine führe, wenn auf dem Foto Putin und Poroschenko gezeigt werden, die einander die Hand reichen, während Angela Merkel und François Hollande dieses Geschehen wohlwollend neutral von beiden Seiten aus dem Hintergrund beobachten. Als Akteure des Krieges gelten Putin und Kiew, nicht etwa Kiew und die Separatisten. Obama forderte, jetzt müssten russische Truppen aus der Ukraine abgezogen werden. Der britische Premier warnte vor einem „Appeasement“ gegenüber Putin. Die EU hält weiter an Sanktionen fest. Es wird keinen Frieden geben, solange diese ideologische Mobilisierung gegen Russland anhält.

Es ist aber nicht Putin, der Krieg gegen die Ukraine führt und der demzufolge der ist, mit dem Poroschenko Frieden zu schließen hätte. Es ist die  Kiewer Regierung, die Krieg  gegen die Teile der Bevölkerung führt,  welche sich dem Anspruch der „Ukrainisierung“ nicht beugen wollen. Solange  dies so bleibt, ist auf einen Frieden in der Ukraine nicht zu hoffen, solange bleibt sie Aufmarschgebiet des Westens gegen Russland, allen voran der USA.

Eine effektive Wende wäre nur zu erwarten, wenn Poroschenko sich bereit erklärte, direkt, auch nicht nur über den Katzentisch, mit den Separatisten zu reden. Hier wird die offene Flanke von Minsk II deutlich: Die einzige Forderung, die aus dem Vorschlag, den die Donezger und Lugansker in die Vorbereitung des Minsker Treffens eingereicht hatten, nicht in die gemeinsame Erklärung übernommen wurde, lautete: „Bis zum 23. Februar Rücknahme aller Entscheidungen der politischen und militärischen Führung der Ukraine zur Durchführung  von Anti-terror-Operationen  mithilfe der Streitkräfte und der Nationalgarde im Donbass.“ Dazu kann man nur feststellen: Solange die Donezger und die Lugansker Volksrepubliken von Kiew noch als Terroristen angesehen werden, muss jeder Friedensfahrplan Makulatur bleiben, bevor er wirken kann.

Es ist klar, dass Poroschenko innenpolitisch unter dem Druck von Kräften steht, die an einer Verständigung kein Interesse haben. Man darf gespannt sein, wie diese Kräfte  Poroschenko empfangen werden, der bis auf die oben genannte Forderung der Vertreter der Volksrepubliken einem Katalog zugestimmt hat, der ihn in den Augen der Nationalistischen Radikalen zum Verräter an der „nationalen Revolution“ macht.  Zu vermuten ist, dass Poroschenko sich in nächster Zeit sehr warm anziehen muss. Mit Provokationen, mit politischen, selbst mit physischen Angriffen gegen seine Person ist zu rechnen. Die brauchen  potentielle Under-Cover-Strategen, die aus dem Hintergrund ihre Interessen gegen Russland verfolgen, nicht einmal selbst zu inszenieren, sie brauchen sie nur zu nutzen.

Angesichts dieser Lage sind die Botschaften von Angelika Merkel, man bekenne sich zu einer „Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raumes von Atlantik bis zum Pazifik“, noch dazu in „unveränderter“ Weise, nicht einmal mehr eine Lüge. Seit Jahren hat die EU eben diese Vision von Russland angeboten bekommen, diese aber immer wieder hochmütig beiseitegeschoben. Nachdem sie zuletzt die Ukraine,  statt sie in einen gemeinsamen Eurasischen Raum einzubeziehen, vor die Alternative: entweder Europäische oder Eurasische Union gestellt hat, ist die neue Merkelsche Botschaft nicht einmal mehr verlogen, sondern das unbeabsichtigte Eingeständnis einer bodenlosen politischen Dummheit – denn diese Vision hätte man bereits seit 1991 verwirklichen können.

Aber vielleicht war ja die Tatsache, dass man die Ukraine, von der man wusste, dass sie zwischen Ost und West, zwischen Eurasien und Europäischer Union, zwischen Russland und NATO in widersprüchlicher Weise eingespannt ist, in das Entweder Oder getrieben hat, nicht einmal politischer Dummheit geschuldet, sondern der ideologischen Hörigkeit gegenüber den USA.

So oder so – dies alles lässt für die Umsetzung eines Friedensfahrplans, leider nichts Gutes erwarten, gerade weil in ihn Reizworte wie Selbstverwaltung, Autonomie, Föderalismus, Verfassungsreform als Zielvorstellungen eingegangen sind, die für die gegenwärtige politische Riege in Kiew unvereinbar sind. Ganz zu schweigen noch von dem Nutzen, den eine unruhige Ukraine für USA  hat.

 

Kai Ehlers,

13. Februar 2015

 

 

Bücher von zum Thema:

 

Peter Strutynski (Hg.), Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen, Papyrossa.

 

Ronald Thoden, Sabine Schiffer (Hg.), Ukraine m Visier, Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen, Selbrund Vlg.

 

Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte