Die Veröffentlichung eines Aufrufes zur Verteidigung der Menschenrechte in der Ukraine durch eine „Versammlung von Bürgern der Ukraine und Repräsentanten internationaler Solidaritätsnetzwerke“ vom 07. Juli 2014  hat die unterschiedlichsten Reaktionen hervorgerufen. Sie reichen von betroffener Zustimmung, die sich in Unterschriften und Aufklärungsaktivitäten vor Ort äußerte, bis hin zu schroffer Ablehnung mit Begründungen wie die, mit Spinnern, mit von Russland gesteuerten Nationalisten und mit Terroristen, die der Stabilisierung der Ukraine entgegenarbeiteten könne es keine Solidarität geben.

Nun ist es in der Tat für Menschen, die der russischen, gar der ukrainischen Sprache nicht mächtig sind, kaum nachvollziehbar, wofür die Menschen im Südosten und die mit ihnen in anderen Teilen des Landes sympathisierenden Menschen eigentlich eintreten – oder um es von der entgegengesetzten Seite her zu sagen, wofür sie in der Weise verfolgt und bombardiert werden, wie das gegenwärtig im Zuge der von der Kiewer Regierung durchgeführten „Offensive gegen den Terror“ geschieht.

Unverständlich muss auch bleiben, warum Russland, trotz unübersehbarer Sympathie russischer Nationalisten für die „prorussischen“  Züge der Bewegung, ja, sogar angesichts unmissverständlicher ideologischer Einflussnahme seitens erklärter russischer Nationalisten wie Alexander Dugin, wie Alexander Prochanow, wie des Kommandanten Igor Strelkow in Donezk und anderer vor einer offenen politischen Unterstützung – ganz zu schweigen von einer militärischen Invasion zugunsten der Bedrängten – zurückschreckt.

Für etwas mehr Einsicht kann die Erklärung sorgen, welche die Ukrainischen Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Jaltaer Konferenz nach heftigen, kontroversen Wortwechseln mit den Stimmen aller rund 40 anwesenden Vertreter und Vertreterinnen von Gruppen aus den umkämpften Gebieten, aber auch aus anderen Teilen des Landes als Botschaft an ihre eigenen Landsleute einstimmig beschlossen haben.

Die Erklärung repräsentiert das offensichtliche Bemühen, einer nationalistischen Wendung der Autonomiebewegung, die unter den Bedingungen einer durch den Bürgerkrieg angeheizten Polarisierung an Boden zu gewinnen droht, aktiv entgegenzuwirken.

Wer diese Erklärung aufmerksam liest, wird verstehen, warum  die vom Donbas ausgehende Revolte den herrschenden Kräften der Ukraine, ihren westlichen Unterstützern und auch der russischen herrschenden Elite  ein Dorn im Auge ist.

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de

Im Anhang das „Manifest der Volksbefreiungsfront der Ukraine, Neurusslands und der russischen Karpaten“  vom 10.Juli 2014

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Manifest der Volksbefreiungsfront der Ukraine, Neurusslands und der russischen Karpaten

10.Juli 2014, 19.54

 

Welches Ziel hat unser  Kampf?

Aufbau einer gerechten sozialen Volksrepublik ohne Oligarchen und ohne korrumpierte Bürokratie auf dem Territorium der Ukraine.

 

Wer sind unsere Feinde?

Die liberal-faschistischen herrschenden Eliten – das kriminelle Bündnis von Oligarchen, Bürokraten, Militärs und reiner Kriminalität, die die Interessen ausländischer Staaten bedienen. Während sie offiziell die liberalen europäischen Werte ausrufen, halten sie das Land unter Kontrolle. Sie stützen sich dabei auf Banden der Ultra-Rechten, entfachen chauvinistische Hysterie und hetzen die Völker aufeinander.

 

Was ist die soziale Volksrepublik, für die wir kämpfen?

Die soziale Volksrepublik ist eine politische Organisationform der Gesellschaft, bei der:

  • die Interessen des Volkes und seine allseitige Entwicklung — geistig, intellektuell, sozial, physisch — die höchsten Ziele und die Aufgaben des Staates sind;
  • alle Macht beim Volk liegt; die Macht verwirklicht sich durch Wahlorgane in direkter Vertretung;
  • jeder arbeitende Bürger das Recht auf ärztliche Behandlung, auf Bildung, Renten- und Sozialfürsorge durch den Staat hat;
  • würdige Renten ausgezahlt werden und alle Bürger im Falle des Verlustes der Arbeit, der vorübergehenden oder ständigen Arbeitsunfähigkeit die Garantie eines vollwertigen sozialen Schutzes haben;
  • jede private oder kollektive Initiative erlaubt ist, die auf den Nutzen des Volkes und seine Entwicklung zielt;
  • ein wuchernder Bankkapitalismus untersagt ist, der von Kreditzinsen lebt; Geld soll nicht auf Kosten von jemandes Schuldknechtschaft, sondern durch die Realisierung erfolgreicher Projekte verdient werden;
  • ein Staat, der im Namen des Volkes von dessen Vertretern kontrolliert wird, der größte Halter von Kapital ist und die strategischen Zweige der Wirtschaft kontrolliert;
  • Privateigentum erlaubt ist, aber die großen Vermögen und deren Investition in der Politik und der Wirtschaft sich unter Kontrolle der Gesellschaft befinden. Niemandem ist es erlaubt, das Volk parasitär auszubeuten, oligarchische Imperien zu schaffen und durch Bildung künstlich geschaffener Monopole über Menschen zu herrschen.

 

Welche Form hat unser Kampf?

Zur Erreichung des gestellten Zieles (Schaffung einer sozialen Volksrepublik auf dem Territorium der Ukraine) sind wir bereit gewaltsame und nicht-gewaltsame Methoden des Kampfes anzuwenden. Wir denken, dass die Bürger ein Recht zum Aufstand haben und dass nur ein wehrhaftes Volk fähig ist seine Freiheit zu verteidigen; aber Gewalt ist nur ein aufgezwungenes Mittel zur Erreichung des politischen Ziels.

 

Was geschieht auf dem Territorium der Ukraine?

Auf dem Territorium der Ukraine findet ein Volksbefreiungsaufstand gegen eine liberal-faschistische Herrschaft statt, die mit Terror und Propaganda versucht, in unserem Land einen kriminellen oligarchischen und kompradorischen Kapitalismus zu festigen.

 

Was ist die Ukraine

Die Ukraine ist ein Territorium zwischen der Europäischen Union und Russland mit einer starken christlichen Tradition (vor allem orthodox), besiedelt von verschiedenen Völkern (Ukrainern, Russen, Weißrussen, Moldawiern, Bulgaren, Ungarn, Rumänen, Polen, Juden, Armeniern, Griechen, Tataren, Rusinen, Huzulen und anderen),  das eine Jahrhunderte alte Tradition der Selbstverwaltung des Volkes und des politischen Kampfes für seine Freiheit hat.

 

Was geschieht im Südosten der Ukraine (in Neurussland)?

Im Südosten (in Neurussland) findet ein politischer Aufstand des Volkes gegen die liberal-faschistische Regierung statt, die in Kiew mit dem Geld und mit der Unterstützung der westlichen Wirtschaftsbosse  errichtet wurde. An diesem Aufstand nehmen alle Völker teil – Ukrainer, Russen, Griechen, Armenier, Juden, Ungaren, Rumänen und so weiter.

 

Findet im Südosten (in Neurussland) ein Krieg zwischen Russen und Ukrainern statt?

Das ist kein Krieg zwischen Russen und Ukrainern (wie die Kiewer Propaganda sagt), das ist ein Aufstand des unterdrückten Volkes gegen einen gemeinsamen Feind — den kriminellen oligarchischen Kapitalismus.

Auf beiden Seiten der Front kämpfen Russen und Ukrainer (wie auch andere Völker).

Auf Seiten der „Kiewer Macht“ kämpfen Söldner und von der Propaganda getäuschte Schergen für die Interessen des großen oligarchischen Kapitals und die kriminelle Bürokratie, auf der Seite des Südostens (Neurusslands) stehen Landwehren für die Interessen des Volkes und seine freie gerechte demokratische Zukunft.

 

Unterscheiden sich die Interessen von Russen und Ukrainern bei den in der Ukraine vor sich gehenden Ereignissen?

Russen und Ukrainer vereint das allgemeine sozial-politische Interesse an der Befreiung der Ukraine von der Herrschaft des oligarchischen Kapitals, der korrumpierten Bürokratie, der kriminellen Militärs und reiner Kriminalität.

 

Warum findet der Aufstand im Südosten (in Neurussland) unter russischen Losungen statt?

Weil die russische und die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine ein doppeltes Joch erlebt haben — das sozial-ökonomische (wie die ukrainisch-sprachige Bevölkerung auch) und dazu das kulturell-politische.

Das sozial-ökonomische Joch — Korruption, Willkür, die Macht der Kriminalität, die Unmöglichkeit eines normalen Business und eines normalen Lebens, die armseligen Gehälter, die Abhängigkeit von den „Wirtschaftsbossen des Landes“  – das ist die Norm für die Existenz jedes arbeitenden Einwohners der Ukraine.

Der Entzug des offiziellen Status für das Russische in den Regionen, wo mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Russisch spricht und denkt (etwa die Hälfte des Territoriums der Ukraine), das Verbot des russischen Unterrichtens in den Schulen, das Verbot von Russisch in der Werbung und im Kino, das Verbot Russisch in der juristischen und administrativen Praxis zu gebrauchen und andere absurde  ausgrenzende Forderungen und Verbote sind eine zusätzliche Erniedrigung der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine.

Deshalb haben Russen und Russischsprachige sich als Erste erhoben.

Danach kommen alle unterdrückten Völker der Ukraine!

 

Warum hilft Russland dem Südosten der Ukraine (Neurussland)?

Ein großer Teil der russischen Elite fürchtet sich vor dem sozial-politischen Protest des Volkes.  Sie würden mit Vergnügen mit der Kiewer Macht übereinkommen und den Krieg im Südosten (in Neurussland) einstellen. Aber der Zorn des Volksaufstands gegen den oligarchisch-bürokratischen, liberal-faschistischen Kapitalismus lässt das nicht zu.  Die Völker Russlands unterstützen den rechtmäßigen Kampf des Süd-Ostens der Ukraine (Neurussland) und das  zwingt die ganze russische Elite (Elite der Herkunft nach, aber nicht nach ihren Ansichten), oft entgegen ihren strategischen Interessen, den Aufstand im Südosten der Ukraine zu unterstützen oder sich jedenfalls den Anschein dazu zu geben.

 

Warum helfen die USA  und die EU dem Kiewer Regime?

Hauptziel der USA ist der Kampf mit Russland als geopolitischem Konkurrenten. Für die USA ist es nötig entweder auf dem Territorium der Ukraine einen antirussischen Staat  mit Basislagern der NATO an den Grenzen Russlands aufzubauen oder das Land in ein Chaos einzutauchen, das die Region destabilisiert.

Die EU braucht einen zusätzlichen Absatzmarkt und Quellen für billigen Rohstoff.

 

Was unterstützt den Kampf des Südostens der Ukraine (Neurussland)?

Der Widerstand, dessen Basis der Südosten der Ukraine (Neurusslands) war. Er unterstützt und festigt das unentwegte Streben der Völker der Ukraine, sich von der liberal-faschistischen Herrschaft und den regierenden Eliten zu befreien; er unterstützt ihr allmähliches Verstehen der allgemeinen sozial-politischen Interessen und der Ziele des Kampfes.

 

Ist der Kampf im Südosten (in Neurussland) Separatismus?

Nein, das Territorium des Kampfes ist die ganze Ukraine. Die Aufständischen des Südostens (Neurussland) strecken die Hand den Brüdern und den Schwestern in allen Regionen der Ukraine mit dem Aufruf entgegen: «Steht auf gegen den gemeinsamen Feind!».

Wir werden die neue, freie, sozial verantwortliche Volksmacht auf dem ganzen Territorium der Ukraine und Neurussland´s schaffen.

 

Was wird nach dem Sieg der Volksbefreiungsrevolution und dem Zusammenbruch des liberal-faschistischen Regimes sein?

Der neue Staat wird gebildet, in welchem die Macht nicht in Worten, sondern in Taten in den Händen des Volkes liegen wird.

Die Bevölkerung jedes Gebietes („oblast“) wird über die Durchführung eines Referendums (als der höchsten Form der Volksherrschaft) selbst über Zukunft der Region entscheiden, ob sie im Bestand eines einheitlichen föderativen (konföderativen) Staates bleibt oder die volle Unabhängigkeit bekommt.

 

Wie wird die politische Macht nach dem Sieg der Volksbefreiungsrevolution aufgebaut werden?

Die politische Macht wird nach dem Prinzip der direkten Volksvertretung (der Volksherrschaft) von unten nach oben aufgebaut.

Die Organe der Volksherrschaft werden sich entwickeln, beginnend bei den Gemeinderäten bis zum Obersten Rat, nach dem Prinzip der Vertretung von Delegierten der Territorien, von  Arbeitskollektiven, von beruflichen Korporationen und Vereinigungen, von Delegierten politischer, religiöser und gesellschaftlicher Organisationen.

Stütze der Volksdemokratie sind die Gemeinderäte.

Sie delegieren die Vertreter in die regionalen Räte.

Das oberste Organ der Volksvertretung (der Oberste Rat) soll aus den Delegierten von den regionalen Räten bestehen.

Der Oberste Rat wählt die Regierung, die vor dem Volk in Person seiner Vertreter verantwortlich ist.

Wir treten für die Wählbarkeit von Richtern und Leitern der Organe der Rechtsordnung vor Ort ein.

 

Welche Rechte werden die Regionen nach dem Sieg der Volksbefreiungsrevolution haben?

Jede Region wird berechtigt sein ihre eigene Verfassung zu haben oder ein anderes grundlegendes Dokument, das allen auf seinem Territorium wohnenden Völkern die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Rechte garantiert.

Jede Region wird berechtig sein außer den gesamtstaatlichen Sprachen, die regionalen Sprachen für die kulturelle, politische, juristische oder administrative Verständigung zu wählen.

Jede Region wird berechtigt sein, das Budget auf der Grundlage der Besteuerung von physischen oder von juristischen Personen zusammenzustellen, die auf ihren Territorien Tätigkeiten vornehmen.

 

Welche Pflichten werden die Regionen nach dem Sieg der Volksbefreiungsrevolution haben?

Jede Region wird verpflichtet, einen Teil der Steuern an einen allgemeinen Krisenfonds zu überweisen (für den Fall von Natur- oder anderen Katastrophen).

Jede Region wird verpflichtet, einen Teil der Steuern für die gesamtstaatlichen Bedürfnisse anzuweisen — Verteidigung, Inhalt des zentralen staatlichen Staatsapparates, Bau von Objekten mit nationaler Bedeutung, wissenschaftliche Forschungen, Unterstützung des Gesundheitswesens und der Bildung, die Entwicklung der Infrastruktur.

Jede Region wird verpflichtet, sich den gesamtstaatlichen Prinzipien der Beziehung von Arbeit und Kapital, von bürgerlichen und politischen Freiheiten zu unterzuwerfen.

Jede Region wird verpflichtet, die Rechtsordnung zu unterstützen und  Rechte und Freiheiten der Bürger im Rahmen der geltenden gesamtstaatlichen Prinzipien zu schützen.

 

Dies sind die Hauptprinzipien und die Ziele unseres Kampfes.

Wir glauben, dass jeder ehrliche Bürger und Patriot sie billigen und unterstützen wird.

Wir rechnen auf die internationale Solidarität und die Unterstützung aller, denen die Ideale der Gleichheit, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit nicht nur in Worten, sondern in Wirklichkeit teuer sind.

Gemeinsam werden wir siegen!

Gebilligt von der Konferenz des Widerstands in Jalta am 7.7.2014

 

Anwesend waren:

Zentrum für Koordination und Unterstützung einer Ukrainischen Föderation; Vereinigung Ukrainischer Bürger; Politische Partei Borot’ba; Slawische Wache (Zaporozh’e); Volkseinheit (Charkow); Lugansker Wache; Initiativ-Gruppen des antifaschistischen Widerstands von Sumy, Kiew, Dnepropetrowsk, Zaporosche, Odessa. Und Einzelpersonen.

 

Übersetzt von Kai Ehlers, russische Variante:  http://echo.msk.ru/doc/1357330-echo.html