Auswertung des 14. Treffens vom 24.07.2011, Einladung zum Treffen am 21.08.2011
Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Forums integrierte Gesellschaft,
den Bericht zu diesem Treffen möchte ich sehr kurz halten. Auf dem Programm dieses Treffens stand die Befassung mit dem Buch von Jochen Kirchhoff ‚Nietzsche, Hitler und die Deutschen. Die Perversion des Neuen Zeitalters. – Vom unerlösten Schatten des dritten Reiches.“ Das Buch wurde 1990 herausgegeben (Edition Dionysos, Berlin) – gerade passend zu der durch Perestroika eingeleiteten Zeitenwende, mit welcher der Begriff der Globalisierung – und nicht nur der Begriff, sondern auch ihre Realität aufkam.
Kurz will ich diesen Bericht halten, weil es keinen Sinn macht, dieses sehr verdichtete Buch durch Nacherzählung noch weiter verdichten zu wollen. Es sei hier nur angerissen, worum es geht, nämlich um den mythischen Hintergrund des Nationalsozialismus, um die fehlgeleitete Sinnsuche nach dem Schock des ersten Weltkriegs, die sich wiederholen könnte, wenn nicht verstanden wird, welchen Kräften die Menschen – über ökonomische Gründe hinaus – damals erlegen sind. Einer der Kerngedanken des Buches lautet: Wenn die Mythen nicht bewußt als Kräfte der Geschichte akzeptiert und als allgemeines Erbe der Menschheit verstanden werden, dann holen sie die Menschen unbewusst und hinterrücks ein und können mißbraucht werden.
Ich lasse es bei diesen beiden Sätzen – wer sich interessiert, möge das Buch lesen.
Passend dazu empfehle ich den Film „Schwarze Sonne“ von Rüdiger Sünners, durch den die historische und sehr intellektuelle Analyse Kirchoffs eine kongeniale Anschauung erhält.
Unsere Gespräche bewegten sich wesentlich um drei Aspekte:
Erstens um die erstaunliche Tatsache, daß die esoterische, bewußt mythische Kräfte benutzende Ausrichtung der nationalsozialistischen Bewegung seitens ihrer Gründer dem öffentlichen Bewußtsein heute nahezu entglitten ist. Das gilt auch für die Frage, was von den Bildern, die Nietzsche gestiftet hat, ins Denken und vor allem ins Handeln der Nazis übergeflossen ist. Hier gibt es einfach sehr viel in die Erinnerung und ins öffentliche Bewußtsein zu rufen, um einer Wiederholung einer solchen Entgleisung spirituellen Denkens entgegenwirken zu können.
Zweitens ging es um die Frage, ob der von Kirchhoff und Sünner beschriebene Prozeß als spezifisch deutscher verstanden werden muß oder ob er allgemeineren Charakter trug, so wie eine evtl. Widerholung heute ebenfalls allgemeineren Charakter trüge. Wir kamen zu der Sicht, daß es sich bei dem politischen Rückgriff auf Mythen, wenn sie für die nationale Identitätsbildung benutzt werden, keineswegs nur um einen deutschen, sondern um einen allgemeinen Vorgang handelt. Die Nazis fanden dafür jedoch, vorbereitet durch Denkstrukturen der deutschen Geschichte, einen besonders fruchtbaren Boden vor und haben dieses Instrument auf dieser Grundlage gezielt entwickelt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie weit sie sich selbst in die von ihnen „nationaliserte“ Mythenwelt verstrickt haben.
Den dritten Schwerpunkt des Gespräches bildete das Problem der Identitätsfindung. Muß ich mir die „Zuchtwahl“ eines Nietzsche, die arischen Fantasien eines Hitler, den Mißbrauch altehrwürdiger Begriffe wie „Heimat“ uam. als Deutscher persönlich zurechnen lassen? Was heißt es, sich heute als Deutsche, als Deutscher zu definieren? Muß ich mich überhaupt national definieren, bzw. von außen definieren lassen? Wir kamen zu der Übereinkunft, daß jeder Mensch – will er oder nicht – mit einem familiären, ethischen, nationalen oder kulturellen Erbe auf die Welt kommt, dann jedoch vor der Frage steht, wie weit sie oder er sich davon bestimmen läßt oder sich davon befreit und zu einer selbst gewählten Identität voranschreitet. Selbst dann aber ist niemand vor Zuweisungen von außen frei und ist herausgefordert, sich dazu zu verhalten. Z.B. wird man den Begriff der „Heimat“ nicht ohne Erklärungen, ohne Distanzierungen gegenüber seinem Mißbrauch benutzen können, wenn man nicht mit diesem Mißbrauch identifiziert werden möchte. Betrachte ich die ererbte Identität nur als Last oder liegt in ihr auch eine Stütze, ein Wert, gar ein Reichtum? Kann die gegenseitige Akzeptanz der wechselseitigen Identitäten kann auch als Wert, als kulturelle Bereicherung verstanden und gepflegt werden? Ja, sie kann, da kann es kaum zwei Meinungen geben. Dafür bedarf es allerdings einer aktiven Bildungsarbeit, durch welche der Mensch den eigenen Wert als Mensch durch die Wertschätzung des von ihm verschiedenen, des Anderen zu verwirklichen lernt.
Damit waren wir bei der Notwendigkeit angekommen, uns Gedanken zur Entwicklung konkreter Bildungsarbeit zu machen. Das soll hier nicht weiter ausgebreitet werden. Nur soviel: Das „Forum integrierte Gesellschaft“ ist natürlich ein solcher Ansatz. Andere Ansätze werden von einzelnen Mitgliedern des Forums verfolgt. Es wird aber wohl darauf ankommen, noch mehr Wege des synergetischen Zusammenwirkens zu finden. Dies dürfte ein Thema sein, das für das Forum wie auch generell ganz vorn auf der Tagesordnung stehen.