Die jüngste Eskalation im Kaukasus, die mit der Offensive Georgiens gegen Südossetien in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 in einen offenen Krieg überging, kam nicht überraschend. Seit dem Zerfall der Sowjetunion laufen die Konfliktlinien neuer Staatenbildung ebenso wie die der Neuordnung der geopolitischen Kräfteverhältnisse in dieser Region wie in einem Brennglas zusammen.
Die lokalen Ursachen der Konflikte liegen zweifellos in der ethnischen Vielfalt des Kaukasus. Historisch ist der Kaukasus Durchgangsraum zwischen dem Osten und dem Westen Eurasiens sowie zwischen der eurasichen und der afrikanischen Landmasse. Am „Berg der Sprachen“ werden im Kaukasus, je nach Zählweise nicht weniger als 40 – 60 Sprachen gesprochen, manchmal in einem Dorf mehrere nebeneinander. Zugleich ist der Kaukasus auch „wilde Land“, in das schon Griechen und Römer sich nur ungern begaben. Die russischen Zaren unterwarfen sich das Gebiet als Zugang zu den warmen südlichen Meeren, für die Sowjetunion wurde es Kornkammer und Energielieferant; für die russische Föderation ist es heute die Achillesferse ihrer Stabilität.
Von 76 Territorial- und Nationalitätenkonflikten, die der Auflösung der Sowjetunion 1990 folgten, betrafen mehr als zwei Drittel den Kaukasus. Sie alle sind ein spätes Produkt der Sowjetzeit. Hatte Lenin von 1917 bis 1921 noch versucht durch eine Politik der „Korennisazija“, Verwurzelung, der Vielfalt gerecht zu werden, damit jedes Volk in den sowjetischen Machtstrukturen mit eigenen Repräsentanten vertreten sein könne, so wurden viele der von ihm gewährten Autonomierechte durch Stalins Gebietsreformen, später Deportationen ganzer Völker wieder rückgängig gemacht. Einige der Kriege, die um die 90er aus dieser Geschichte hervorgingen, überlebten als „eingefrorene Konflikte“: so Berg Karabach zwischen Aserbeidschan und Armenien, die Djnesterrepublik als Abspaltung von Moldawien, Abchasien und Südossetien als Gebiete, auf die Georgien Anspruch erhebt.
Abchasien und Südossetien haben eine besonders unruhige Geschichte. Beide Gebiete wehrten sich schon in vorzaristischer Zeit gegen georgische Herrschaftsansprüche. Im 8. Jahrhundert bildete sich im heutigen Westgeorgien ein abchasisches Königreich, das 929 vom georgischen geschluckt wurde. Als dieses sich Ende des 15. Jahrhunderts spaltete, wurde Abchasien erneut ein selbstständiger Staat.
Im 16. Jahrhundert gerieten Abchasen wie auch Geogier in den Einzugsbereich des Osmanischen Reiches. 1810 kamen beide unter den Einfluss der russischen Zaren. Ein bolchewistischer Aufstand in Abchasien wurde von Georgischen Menschewiki im Juni 1918 niedergeschlagen; 1921, nachdem die Rote Armee die georgische Republik unterworfen hatte, erhielten Georgien und Abchasien den Status einer Sozialistischen Sowjetrepublik, waren einander also gleichgestellt. 1931 wurde Abchasien zu einer autonomen Republik innerhalb der georgischen SSR zurückgestuft. Dies alles war immer wieder von Kämpfen begleitet.
Osseten und Geogier liegen ebenfalls seit Jahrhunderten im Konflikt miteinander. Die Georgier besiedelten das Gebiet an der Südgrenze Russlands im 17. Jahrhundert; die Osseten wanderten im 18. Jahrhundert zu. Sie wurden wiederholt zwischen Russland und Georgien aufgeteilt. Als Georgien sich 1918 zur Republik erklärte, wurde Ossetien in Nord- und Südossetien geteilt. Aufstände zur Vereinigung Südossetiens mit dem Norden in den Jahren 1918 – 1920 wurden von Georgien niedergeschlagen. Die Kämpfe kosteten mindestens 5000 Tote, 20.000 Südosseten flohen nach Nordssetien (bei damals ca. 100.000 Einwohnern Südossetien, davon 65.000 Osseten).
Nach Eingliederung Georgiens in die UdSSR 1922 wurde Südossetien zum autonomen Gebiet innerhalb der georgischen SSR erklärt, Nordossetien verblieb in der UdSSR, bekam dort 1936 den Status einer autonomen Republik.
Das nahende Ende der Sowjetunion ließ 1989 die alten Konflikte aufbrechen. Demonstrationen für eine abchasische Unabhägigkeit in Tiblissi wurden am 9. April 1989 von der Roten Armee niedergeschlagen; 19 Menschen kamen ums Leben. 1989/90 bildete sich auch in Südossetien eine nationale Bewegung, Georgien erklärte daraufhin Georgisch, Ossetien im Gegenzug Ossetisch zur Amtssprache.
Im März 1990 deklarierte Georgien seine Unabhängigkeit. Der neue Präsident Georgiens, Gamsachurdija erhob – ohne dass darüber völkerrechtlich entschieden worden wäre – Anspruch auf Eingliederung Abchasiens und Südossetiens in das georgische Staatsgebiet und liess einmarschieren. Im Krieg zwischen georgischen und abchasischen Milizen um die Autonomie Abchasiens kamen 1990/1 mindestens 8000 Menschen zu Tode; fast die Hälfte der Einwohner (meist Georgier, etwa 250 000) floh aus Abchasien.
1992 wurde Gamsachurdija gestürzt. Sein Nachfolger Schewardnaze, vormals sowjetischer Außenminister unter Gorbatschow, versprach eine gemäßigtere Politik in der „Nationalitätenfrage“. Trotzdem marschierten georgische Truppen in Abchasien ein. Im Verlauf des Jahres 1993 wurden sie von abchasischen Truppen zurückgeworfen. Russland erkannte zwar Georgiens Souveränität an, unterstützte dennoch die Abchasischen Truppen.
Nicht viel besser ging es in Ossetien zu: Am 20. September 1990 erklärte Ossetien sich für souverän, ein blutiger georgisch-südossetischer Krieg folgte. 1991 drangen georgische Milizen auf südossetisches Gebiet vor, zerstörten hundert Dörfer und belagerten Zchinvali. Moskau griff nur zögerlich ein. Unterstützung bekam Süd-Ossetien von Freiwilligen einer zuvor entstandenen „Konföderation der Bergvölker Kaukasiens“. Im Mai 1992 erklärte die Republik Südossetien endgültig ihre Unabhängigkeit. Erneut folgten schwere Kämpfe, in deren Folge Zchinwali erstmals zerstört wurde.
Nach dem Sturz Gamsachurdias kam ein erstes Friedensabkommen zustande, das zwischen Schewardnaze und Boris Jelzin ausgehandelt wurde. Es sah eine gemeinsame Friedenstruppe von 1500 Mann vor, die zu gleichen Teilen aus Russen, Georgiern, Süd- und Nord-Osseten bestand. Sie sollten in einem 15 km breiten neutralen Streifen rund um das südossetische Gebiet Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. Als Zeichen des Goodwills räumte Schewardnaze den Russen darüber hinaus den Bau von vier Stützpunkten ein, veranlasste den Eintritt Georgiens in die GUS und dessen Teilnahme am Taschkenter Bündnis, das 1992 zwischen den Staaten der GUS „zur Schaffung eines einheitlichen Verteidigungsraumes“ abgeschlossen worden war.
Eine Kommission der OSZE, KSZE überwachte, von Minsk ausgehend, die Vereinbarungen Georgiens mit Abchasien und Südossetien. Sie entwarf mehrfach Friedenspläne, die aber immer wieder auf Eis gelegt wurden; die Konflikte froren auf dem Stand einer de-facto-Existenz Abchasiens und Südossetiens ein. Eine internationale Anerkennung kam – wie auch zu Berg Karabach und der Djnesterrepublik – nicht zustande.
In der „Rosenrevolution“ 2003, die Schewardnaze stürzte, kam Michail Saakaschwili mit der erklärten Absicht an die Macht, Abchasien und Südossetien wieder unter „volle Kontrolle“ des georgischen Staatsgebietes bringen zu wollen. Die Beziehungen blieben zunächst noch entspannt. Saakaschwili stand sogar zur Mitgliedschaft in der GUS und hielt ausdrückliche Distanz zur NATO.
Im Mai 2004 jedoch, nach der Wiederwahl des ossetischen Präsidenten Eduard Kokoitys, der Saakaschwilis Eingliederungsabsichten mit nationalen Tönen beantwortet hatte, sperrten georgische Truppen die Grenze zu Südossetien und richteten Kontrollpunkte entlang der südkaukasischen Fernstraße ein. Sie schlossen den Ergneti-Markt, Südossetiens wichtigste Einnahmequelle. Truppen wurden an der Pufferzone stationiert. Als Russland daraufhin zusätzliche Kräfte in die Region transportierte, brachen erneut Kämpfe aus.
Am 13. August 2004 wurde der Waffenstillstand erneuert. Seine Einhaltung wurde ab 2005 von der KSZE mit acht Militärbeobachtern kontrolliert. Seit 2006 jedoch häuften sich die Konflikte. Saakaschwili erklärte wiederholt, dass er auch militärisch die Einheit Georgiens wiederherstellen werde, wenn Südossetien sein Angebot eines Autonomiestatus nicht annehmen werde. Zchinwali lehnte dieses Angebot mit Hinweis auf seine faktische Selbstständigkeit ab.
Auch die Friedenstruppe wurde Gegenstand der Auseinandersetzung: Saakaschwili warf Russland vor, in der Friedenstruppe durch Unterstützung der Südosseten zweifach, zusammen mit dem nordossetischen Kontingent sogar dreifach vertreten zu sein. Er wertete das als Besetzung Georgiens durch russische Truppen. Zudem forderte er den Rückzug Russlands aus den von Schewardnaze 2004 zugestandenen Stützpunkten. Im Juli 2006 verlangte das georgische Parlament, die Friedenstruppen, vor ihren russischen Teil durch eine internationale Polizeitruppe zu ersetzen. Seit 2007 baute Georgien, gefördert von den USA und der NATO, ca. 20 km. von Zchinwali entfernt bei der Stadt Gori eine Militärbasis auf. Die Ausgaben für den Militärapparat hatten sich zu diesem Zeitpunkt von 0,5% des georgischen Bruttosozialproduktes im Jahr 2003 um das Sechsfache auf 3% im Jahr 2007 erhöht.
Politische Provokationen gegen Russland begleiteten diesen Kurs: so die offene Unterstützung der „orangenen Revolution“ in der Ukraine, so die wiederholten Ankündigungen Saakaschwilis, dass Georgien die GUS verlassen, dafür in die NATO eintreten wolle, nicht zuletzt die offene Finanzierung dieses Kurses durch die USA: Nach Angaben des Statedepartments erhielt Georgien seit 2002 820 Millionen US-Dollar an Hilfe. Damit war Georgien der drittgrößte Empfänger von US-Hilfe per pro Kopf nach Irak und Armenien und noch vor Afghanistan. („Russland Analysen“, S. 4)
Am 23. Mai 2005 konstituierte sich schließlich, ebenfalls gefördert von den USA, die GUAM (bei ihrer Gründung so genannt nach den Mitgliedstaaten Georgien, Usbekistan, Ukraine, Aserbeidschan und Moldawien) unter Hinzutreten von Litauen und Rumänien neu als prowestlich orientiertes Konkurrenzbündnis zur GUS, nachdem Usbekistan und Aserbeidschan vorher ausgetreten waren.
Eine Zuspitzung der Konflikte trat ein, als am 27. September 2007 vier russische Offiziere in Georgien wegen Spionage verhaftet und öffentlich vorgeführt wurden Russland antwortete mit nahezu totaler Wirtschaftsblockade Georgiens. Trotz westlicher Hilfe kam Saakaschwili auf diese Weise in einen immer stärkeren Zugzwang: Sein Wahlversprechen auf Herstellung territorialer Einheit konnte er nicht einlösen; die Wirtschaft zeigte zwar Zuwachs, der aber an der Mehrheit der Bevölkerung auf Grund von Korruption und Clanwirtschaft vorbeiging. Anfang November kam es zu Massenprotesten, die Opposition forderte den Rücktritt Saakaschwilis. Er ließ die Demonstrationen zusammenknüppeln und einen oppositionellen Fernsehsender schließen. In den vorgezogenen Wahlen am 5. Januar 2008 stürzte er auf 53% der Stimmen ab.
Wer dies alles vor Augen hat, wird verstehen, warum Saakschwili in der Nacht vom 7. auf den 8. 8. 2008 sein Heil schließlich in einer militärischen Flucht nach vorne suchte, die selbst sonst russlandkritische Beobachter wie die in Bremen herausgegebenen „Russland Analysen“ zu der Frage führte: „Wer hat welchen Anteil an der Eskalation? Die Frage ist nicht einfach. Der Krieg ging aus einer sich im März 2008 verdichtenden Ereigniskette gegenseitiger Provokationen zwischen georgischen, ossetischen und russischen Akteuren hervor. Wie es dann zu der unseligen georgischen Offensive gegen Zchinwali vom 7.-8. August kam, bleibt gleichwohl eine offene Frage, die der georgische Präsident vor allem seinem eigenen Land zu beantworten hat.“
Bleibt festzustellen, dass Russland in seiner Rolle als Friedensmacht selbstverständlich nicht ohne Widerspruch dasteht. Russlands primäres Interesse nach dem Zerfall der Union 1990 bestand zunächst darin, die eigene Staatlichkeit vor weiterem Zerfall zu bewahren. Folge war der Krieg in Tschetschenien und der Versuch, die Konflikte im Süden nicht eskalieren zu lassen. Solange Russland s durch den Krieg in Tschetschenien geschwächt war, war das „Einfrieren“ der Konflikte aus russischer Sicht strategisch nützlich. Es half Russland Gewaltausbrüche zu verhindern und zugleich differenzierten innenpolitischen Einfluss auf die beteiligten Konfliktparteien im Kaukasus ausüben. Eine „Gemeinschaft der nicht anerkannten Staaten“ bildete sich; auch das stärkte Russlands Einfluss. Konfliktträchtig war die Tatsache, daß die russischen Friedenstruppen zugleich Konfliktpartei waren. Sie partizipierten zudem mit illegalen Waffenverkäufen an der Halblegalität. Als Folge offener Grenzen zu Russland und georgischer Sanktionen wurden die Gebiete in den russischen Wirtschaftsraum eingesogen. Hinzu kam die Ausgabe russischer Pässe an Bewohner Abchasiens und auch Südossetiens seit 2002, außerdem die Auszahlung Renten durch den russischen Staat, die über dem georgischen Niveau liegen.
Es entstand, so Stephan Bernhardt im Eurasischen Magazin in einer Analyse weit vor der offenen Eskalation, eine „schleichende Annexion“ der Schutzgebiete durch Russland. Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die USA, Großbritannien und einige EU-Staaten im März 2008 gab Wladimir Putin den russischen Behörden die Anweisung quasi-staatliche Beziehungen Abchasien und Südossetien aufzunehmen. Im Mai verstärkte Russland seine Truppen in Abchasien; im Juni 500 schickte es Fallschirmjäger nach Ossetien. Außerdem wurden im Sommer 2008 noch einmal 400 Mann zur Reparatur einer Bahnstrecke in Abchasien geordert. Am 15. 7. 2008 führte Russland ein Manöver „Kaukasus 2008“ an der grenze zu Georgien durch. Kurz, es ist offensichtlich, daß Russland mit einem möglichen Vorstoß Saakaschwilis rechnete. Noch in den letzten Wochen gab es allerdings Versuche von russischer Seite, die Konflikte auf dem Verhandlungswege zu entschärfen. Selbst der Abschuss einer Drohne über Abchasischem Gebiet war von Russland öffentlich gemacht worden, um Saakaschwilis Mobilisierung zu stoppen. Saakaschwilis Erklärung, er habe einem russische Angriff zuvorkommen müssen wird selbst von seinen eigenen Militärs der Unwahrheit bezichtigt (siehe NATO-Bericht in der FAZ vom 6.9.2008). Nachträgliche Untersuchungen belgischer Abgeordneter kamen darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass die Stadt Zchinvali nicht durch „Kämpfe“ zerstört worden sei, sondern dass sie bereits durch georgischen Beschuß dem Erdboden gleichgemacht war, bevor das russische Militär die georgischen Angreifer zurückschlug. Ob dabei die „Verhältnismäßigkeit“ überschritten und ob mit der anschließenden Anerkennung Abchasiens und Ossetiens das Völkerrecht verletzt wurde, ist unter westlichen Völkerrechtlern umstritten.
Vom Völkerrecht, argumentieren selbst russlandkritische Autoren – wenn man denn in Bezug auf Krieg überhaupt völkerrechtlich argumentieren will – sei auch ein de-facto-Staat, als die Abchasien und Ossetien seit dem Zerfall der Sowjetunion nun einmal gelten müssten – zweifellos geschützt, und zwar im doppelten Sinne: Einerseits gegen Aggressionen von außen, andererseits könne er sich von außen Hilfe zum Selbstschutz herbeirufen.
Völkerrechtlich sei Russland auch zum Angriff berechtigt gewesen, weil die Friedenstruppen unter Bruch der geltenden Verträge von Georgien angegriffen und russische Soldaten dabei getötet worden seien. Auch Russlands Angriff auf Nachschubstellungen des georgischen Militärs sei gedeckt, soweit von ihnen Angriffe ausgegangen und weiter zu erwarten gewesen seien. Wie weit dabei die Verhältnismäßigkeit überschritten worden sei, sei eine Ermessensfrage, deren Beantwortung notwendig nach Einschätzung der Lage schwanke.
Bei diesen Feststellungen könnte man es bewenden. Es gibt da aber einige Elemente in der Eskalationsgeschichte dieses Konfliktes, die noch einer weiteren Ausleuchtung bedürfen:
Da ist zuallererst die Tatsache, Georgien parallel zum russischen Manöver „Kaukasus 2008“ auf georgischem Territorium ein Manöver zusammen mit der NATO durchführte. Man könnte also meinen, dass auch die NATO vorbereitet war. Bemerkenswert ist weiterhin, dass zwei der über Abchasien und Ossetien abgeschossenen Drohnen Fabrikate israelischer Bauart (Elbit Hermes 450) waren, offenbar also nicht nur die USA, sondern auch Israel am Aufbau der georgischen „Sicherheitskräfte“ beteiligt war. Festzuhalten ist auch, dass die USA nicht nur bereit, sondern auch in der Lage waren, die 2000 Mann zählende georgische Hilfstruppe aus dem IRAK umgehend zur Unterstützung des georgischen Militärs nach Georgien einzufliegen.
Zu erinnern ist weiterhin an die NATO-Tagung in Bukarest, auf der Georgien und der Ukraine angesichts erkennbarer gespannter Entwicklung der Lage im Kaukasus eine Beitrittsperspektive zur NATO zugebilligt wurde. Nur gestreift werden sollen hier schließlich die Kampfansagen aus den Tiefen des US-Wahlkampfes, in denen Russland wieder einmal unter die Schurkenstaaten eingereiht wurde.
Hinter der örtlichen Zuspitzung der Widersprüche taucht die große „stategische Ellipse“ auf, die NATO, EU und US-Planer immer wieder beschwören, wenn es um die globale „Energiesicherheit“ geht. Die „strategische Ellipse“ umfasst vom Süden her die arabischen Staaten und den Iran, von dort erstreckt sie sich über das schwarze Meer, den Kaukasus und das kaspische Meer bis in den mittleren Norden Russlands. Sie enthält 80% aller heute bekannten fossilen Ressourcen. Ihr südlicher Teil – Arabien und der Iran – ist vergeben, ihr nördlicher Teil ist Gegenstand der heutigen strategischen Auseinandersetzungen. Seit 1990 wirken USA und EU gemeinsam an der Herstellung eines sog. Transportkorridores, der von West nach Ost am Bauch Russlands entlangführt. Durch ihn soll Öl und Gas unter Umgehung russischer Beteiligung fließen. Die Pipelines, die dafür gebraucht werden, müssen und können nur – sollen sie russisches Gebiet oder mit Russland befreundete Länder wie den Iran und Armenien umgehen – durch Georgien führen. Das ist die von den USA finanzierte Pipeline Baku – Tiblisi – nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste, demnächst auch noch das EU-Projekt der Nabuko-Linie von Baku über Tiblisi, Ankara direkt nach Südeuropa. Das hat Georgien zum unverzichtbaren Transitland auf dem Schachbrett des „großen Spiels“ gemacht, von dem Sbigniew Brzezinksi, seinerzeit Sicherheitsberater Clintons, heut Hintermann Obamas, bereits 1997 sprach: Er nannte den Kaukasus das „Filetstück“ des „eurasischen Balkans“, auf den die USA sich den Zugriff als Weltmacht sichern müssten, indem sie verhindern das eine der dort beteiligten Kräfte sich auf Kosten anderer wieder zur Vormacht entwickeln könnte. Für die USA sind Geogier, Abchasen und Osseten Bauern in diesem Spiel; für Russland sind sie Nachbarn; mit denen es leben muss. Nach den neuesten Ereignissen stellt sich die Frage, wer auf dem kaukasischen Brett jetzt den nächsten Zug tut.
Kai Ehlers,
www.kai-ehlers.de
Quellen und weiterführende Literatur:
1. Russland Analysen 169
2. Mari-Carin von Gumppenberg; Udo Steinbach, Der Kaukasus, Geschichte, Kultur, Politik, becksche Reihe, München 2008
3. laufende Berichterstattung von russland.ru
4. Stephan Bernhardt, Eurasisches Magazin 3/08 und 4/08
5. Mündliche Berichte
6. Sbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Fischer bt 14358, 1997/99
veröffentlicht in: Gazette