Die Verhaftung des Ölmagnaten Michail Chodorowski, Chef des ÖL-Riesen Yukos, lässt die Wellen hochschlagen. Noch letzte Woche war Yukos der Liebling der russischen Börse; Yukos-Aktien hatten ihren Jahreshöchststand bei 650 Punkten erreicht. Erst vor einem Monat hatte die internationale Rating-Agentur Moody´s Russland unter die Kategorie der soliden Schuldner eingereiht. „Russland im BOOM“ titelte das deutsche Wirtschaftsblatt Ost-West-Contacte noch in der letzten Ausgabe.
Nach der überraschenden Festnahme der Yukos-Chefs ist alles ganz anders: Yukos-Aktien fielen von einem Tag auf den anderen um 14 Punkte, der Rubel verlor an Wert gegenüber dem Dollar, Vertreter der Unternehmensverbände traten zu einer Krisensitzung zusammen und erklärten öffentlich, nach der Festnahme Michail Chodorkowskis sei das „Vertrauen zwischen Geschäftswelt und der Macht zerstört.“. Internationale Investoren werteten die Vorgänge um Russlands reichsten Mann als Anzeichen dafür, dass offenbar doch kein sicheres Umfeld für Investitionen sei.
Wladimir Putin, während des Coups nicht in Moskau, erklärte umgehend, es gebe keinen Grund zur Hysterie, die Vorgänge beträfen nur die Person Chodorowskis, keienswegs die Privatisierungsergebnisse insgesamt. Im Übrigen bezog er die ihn bekannte Position, die er schon während des NTW-Skandals vor zwei Jahren erfolgreich vorgeführt hatte, er könne dem Staatsanwalt nicht in die Arme fallen.
So weit, so typisch für den Stil der autoritären Modernisierung Wladimir Putins, könnte man meinen, insbesondere, wenn man bedenkt, dass diese Vorgänge sich wenige Wochen vor den Duma- und den bald darauf folgenden Präsidentenwahlen abspielen. Immerhin hat Michail Chodorowski es gewagt, dem Einheitsbündnis der Putin-Kräfte eine Alternative entgegenzusetzen, indem er sowohl die Kommunistische Partei, als auch die gemäßigt Liberalen der Jawlinski-Partei Jabloko wie schließlich auch die Radikal-Liberalen der „Union rechter Kräfte“ finanziell unterstützte. Zudem kaufte er die Zeitung „Moskowski Nowosti“ und setzte einen ausgesprochenen Putin-Gegner als Chefredakteur ein. Man hört sogar Gerüchte, die ihm Ambitionen auf das Präsidentenamt nachsagen.
Der Zuschnitt der ganzen Aktion, erinnert an das Vorgehen gegen Boris Beresowski und Wladimir Gussinski, die ebenfalls wegen illegaler finanzieller Machinationen belastet wurden – eine Vorgehensweise, die angesichts der Tatsache, dass die russische Wirtschaft immer noch wesentlich eine Beziehungswirtschaft ist, beliebig gegen jeden russischen Unternehmer in Gang zu setzen ist, wenn die gegen alle gesammelten „Kompromate“, das heißt, Verstöße gegen Verordnungen, Steuergesetze etc, nicht nur gelagert, sondern bei Gelegenheit wie jetzt auch politisch genutzt werden.
Das sofortige Einschreiten Wladimir Putins, der die ausländischen Investoren zu beruhigen versucht, lässt allerdings vermuten, dass es dieses mal nicht ganz nach des Präsidenten Wunsch verläuft. So werden von russischen Beobachtern als Grund für die Vorfälle neben der schon genannten Variante der faktischen Wahlbehinderung noch zwei andere mögliche Hintergründe für die Festnahme Michail Chodorowskis genannt: Die eine sieht die Ursache in internen Auseinandersetzungen innerhalb der Öl-Giganten Yukos, Rosneft, Sibneft und anderer, die sich die Anteile gegenseitig streitig machen, wobei Yukos als Privatunternehnmenauf an einem Rosneft und Sibneft als staatlich dominierte auf der anderen Seite des Taus ziehen. Die zweite Variante weiß von Differenzen im Machtzentrum selbst zu berichten, in dem sich die alte Jelzin-„Familie“, die Wladimir Putin selbst an die Macht brachte, und der Staatssicherheitsflügel, den Wladimir Putin im Zuge seiner autoritären Modernisierung an die Schaltstellen der Macht holte, einen harten Kampf liefern, bei dem der Yukos-Chef auf der Seite der Jelzin-Familie steht. Das bedeutet nichts anderes, als dass Wladimir Putins Versuch, diese beiden Flügel unter einer ausgleichenden Präsiddialmacht im Gleichgewicht zu halten, gefährdet ist.
Der Hintergrund für solche von jeglichen demokratischen Prozesses weit abgehobenen Machtkämpfe ist die Tatsache, dass die putinsche Modernisierung bei Weitem nicht so gegriffen hat, wie es die Fülle der unter Putins Präsidentschaft verabschiedeten Gesetze suggerieren will. Ausschlaggeben ist in Russland nach wie vor nicht die „Diktatur des Gesetzes“, sondern das richtige Verhältnis von Bürokratie und Geld und das wird offensichtlich zur Zeit neu gemischt. Dafür sind Wahltermine ein guter Anlass, jedoch ganz sicherlich nicht der Grund.
Darüber hinaus machen Justiz-, Steuer- und Lizenzbehörden wirtschaftlichen Druck auf Sender, Verlage und Redaktionen. Einzelne Journalisten wie seinerzeit der Kriegsberichterstatter Andrej Babizki, der Militärjournalist Grigori Pasko werden exemplarisch unter Druck gesetzt, Redakteure mit berufsschädigenden Anklagen überzogen, Redaktionen von maskierten Kommandos durchwühlt, Journalisten von anonymen Auftragsmördern umgebracht.
Inzwischen ist auch TW-6 geschlossen, im Juni 2003 stellte dessen Nachfolger TWS seinen Sendebetrieb ein, im Februar warf die liberale Zeitung „Nowaja Istwestija“ resigniert das Handtuch. Im Vorfeld der für den Jahreswechsel 2003/2004 bevorstehenden Wahlen wurde ein Wahlgesetz beschlossen, das den Medien eine aktive Parteinahme untersagt und sie zur Selbstbeschränkung verpflichtet. Im August 2003 wurde das halbstaatliche „Allrussische Zentrum zur Meinungsforschung“ (WZIOM), ein für Wladimir Putin zunehmend unbequemer Mahner freier Meinungsbildung, durch Privatisierungstricks abgewickelt, sein langjähriger Leiter Juri Lewada durch einen Vertrauten Wladimir Putins ersetzt.
Dies alles, wie beunruhigend auch immer, wird mit Klagen über ein Ende der Pressefreiheit in Russland jedoch nicht erfasst. Der Grund dafür liegt darin, so Alexej Simonow von der Moskauer „Stiftung Glasnost“, dass es in Russland bisher keine Pressefreiheit im westlichen Verständnis gab. Es fehlen die einfachsten Voraussetzungen: Es gibt keine Gewaltenteilung auf der Basis eines freien Marktes, in der die Presse die Rolle einer unabhängigen, selbst finanzierten vierten Macht übernehmen könnte. Es gibt so gut wie keine Fernseh- oder Rundfunksender, keine Zeitungen, die sich selbst finanzieren könnten. Sender, Zeitungen, Zeitschriften werden von Finanzclans oder von staatlichen Organen unterhalten. Journalismus in Russland ist Auftragsjournalismus. „Käuflicher Journalismus“, so Alexej Simonow weniger freundlich, „ist unser größtes Problem.“ Nicht Zensur ist der Kern Putinscher Pressepolitik, sondern die wirtschaftliche Disziplinierung. Ziel ist, die Clans und über sie die Medien zur Selbstzensur im Interesse eines starken Russland zu veranlassen. Nicht im Abbau der Rechte, sondern im Durchbrechen dieser Selbstzensur liegt das Problem. Erfolgreiche Versuche dazu werden daher von Organisationen wie der „Stiftung Glasnost“ jährlich prämiiert. ©
Kai Ehlers
Transformationsforscher und Publizist