Am Wochenende wurde der russische Öl-Konzern Yukos zwangsversteigert, genauer sein ertragreichster Teil Yuganskneftgas. Er wurde für ca. sieben Milliarden Euro von einer bisher unbekannten Baikal Finance Group übernommen.
Große Bewegungen sind diesem Ereignis vorhergegangen: Die russische Regierung erklärte, so die Steuerschulden des Konzerns eintreiben zu müssen. US-Gerichte dagegen hatten die Versteigerung auf Antrag von US-amerikanischen Jukos-Eignern mit einem Verbot belegt, das sie mit „Gläubigerschutz“ und „Rechtssicherheit“ begründeten. Westlichen Großbanken, welche die Transaktion durch Kredite ermöglichen wollten, hatten sie im Falle ihrer Teilnahme an der Aktion mit Sanktionen gedroht. Unter diesen Banken befand sich die Deutsche und die Dresdener Bank, dazu die französiche BNP und Credite agricole, die niederländische ABN Amro und JP Morgan aus den USA.
Die Banken wichen vor dem US-Druck zurück; die russische Regierung musste ihrer Staatsbank Sondergenehmigungen zuweisen, um einem potentiellen Bieter die notwendigen Kredite für den Kauf zur Verfügung stellen zu können. Der hat sich nun offenbar in Gestalt der Baikal-Gruppe gefunden.
Derweil sitzt der ehemalige Chef von Yukos, Chodorkowski, weiter in Haft. Von dort aus ließ er erklären, er könne die Konzernleitung von Yukos nicht dafür verurteilen, dass sie sich an ein amerikanisches Gericht gewandt hätte, um die Zwangsversteigerung verbieten zulassen. Das sei sie ihrer persönlichen Reputation vor den Aktionären schuldig, nachdem sie alles andere versucht hätte, den Konzern vor dem Ruin zu retten. Er könne auch die Exekutive verstehen, erklärt Chodorkowski sibyllinisch, nicht allerdings die Machthaber des Landes, die den Konzern und damit den Aktienmarkt zu einem Zeitpunkt beachtlicher wirtschaftlicher Bedingungen zerstörten hätten.
Wie vor Monaten das Drama in Beslan, wie vor wenigen Wochen die Vorgänge in der Ukraine waren auch die Ereignisse um Yukos wieder von Wellen der Empörung über den russischen Präsidenten Putin begleitet, der in einer „konzertierte Aktion“ von Staatsorganen und Steuerbehören nicht nur die demokratische Entwicklung Russlands zurückdrehe, sondern nun auch dazu übergehe, privates Unternehmertum zu zerschlagen und erneut sowjetische Verhältnisse herstellen wolle.
Die russischen Liberalen richteten über den „Allrussischen Bürger-Kongress“ einen Appell an „Amnesty international“, Michail Chodorkowski als politischen Gefangenen einzustufen. Die deutschen GRÜNEN, unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung, forderten die russische Regierung in einem offenen Brief auf, im Prozess gegen Michail Chodorkowski rechtstaatliche Prinzipien einzuhalten und „wie überall auf der Welt üblich“ von der Unschuldvermutung des Angeklagten auszugehen. Sechsundvierzig Unterschriften europäischer Politiker/innen brachten sie dafür zusammen – neben drei US-Amerikanischen Neo-Konservativen unter ihnen ausgerechnet Robert Kagan, einer der bekanntesten US-Scharfmacher. Am Wochenende traf man sich auf Einladung der Böll-Stiftung in geschlossener Gesellschaft zu einer Solidaritätsveranstaltung für Michail Chodorkowski in Berlin.
Auf der anderen Seite stehen scharfe Erklärungen des russischen Außenministers Lawrow, der den US-Richterspruch als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands“ zurückwies. Er gab der Vermutung Ausdruck, jemand wolle die Stimmung anheizen und versicherte, die Lösung des Falles Yukos werde „ausschließlich nach russischen Gesetzen“ geregelt. Ein Sprecher von Gasprom bezeichnete die Auslassungen der US-Gerichte als Schmutzkampagne gegen den russischen staatlichen Multi und andere mögliche Bieter.
Was spielt sich ab? Was sind die Nachrichten hinter den Nachrichten, die man wissen sollte? Erinnern wir uns:
Yukos entstand wie viele andere der oligarchischen Unternehmen Russlands Mitte der Neunziger Jahre aus den Zwängen der schnellen Privatisierung, aus der Ungeduld und Not der russischen Reformer, die a) den Systemwandel unumgänglich machen wollten, b) die leere Staatskasse auffüllen mussten, c) ihre Betriebe aber trotz allem lieber an russische Käufer als an Ausländer abgeben wollten. Auf diese Weise kamen die späteren Oligarchen zu Dumpingpreisen und unter undurchsichtigen bis kriminellen Umständen an die Verfügung über das frühere Volksvermögen und an Nutzungsrechte für Öl-, Gas- und sonstigen Ressourcen und das alles, ohne dafür steuerlich einstehen zu müssen.
Yukos wurde zum größten innerrussischen Monopolisten, der Staat und Regierung seine Bedingungen diktieren konnte, aber dabei blieb es nicht: Michail Chodorkowski setzte auch dazu an, große Teile des Konzerns an den größten westlichen Öl-Multi Exxon zu verkaufen; von bis zu 40% war die Rede. Auch ein zweiter Öl-Riese, die Chevron Texaco Corporation war im Gespräch. Vordem Hintergrund weiterer US-Beteiligungen an anderen Gruppen hätte bedeutet, dass russisches Öl und Gas nicht nur in privaten Händen gelegen hätte,
was sich für die russische Regierung bereits als Problem erwiesen hatte, sondern auf dem Umweg über Yukos tendenziell unter den Zugriff von US-Firmen zu kommen drohte.
Schließlich, in Fortsetzung dieser Linie, führte die Verhaftung Chodorkowskis im Jahre 2003 und seine lang andauernde Inhaftierung dazu, dass nahezu sämtliche Führungsposten des Konzerns von Managern mit US-amerikanischen Pässen besetzt wurden nd der Konzern praktisch von den USA aus geführt wurde, obwohl nur 15% der Aktien in amerikanischem Besitz sind. Diese Leute waren es jetzt auch, die amerikanische Gerichte angerufen haben.
Die US-Richterinnen, sowohl die Konkurs- wie auch die prüfende Bezirks-Richterin, die sich anmaßten, eine von der russischen Regierung verfügte Zwangsvollstreckung zu verbieten, sind also nicht etwa nur durchgeknallte oder geltungssüchtige US-Provinzfiguren. Ihr Spruch ist vielmehr Ausdruck einer systematischen US-Politik, die versucht, ihre Hand auf russisches Öl und Gas zu legen und dabei zugleich den Europäern den privilegierten Zugriff zu verwehren.
Man muss dabei nicht einmal in die Untiefen der neokonservativen Lobby einsteigen, wie es der britische Journalist John Laughland versucht, der die personellen Verbindungen zwischen der „Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden“, die von Yukos zur Finanzierung von NGOs in Russland gegründet wurde, und bekannten Neokonservativen der USA und Englands nachzuzeichnen versucht. Es reicht darauf hinzuweisen, dass Exxon und andere US-dominierte Konzerne nach wie vor kaufbereit sind und es reicht, daran zu erinnern, dass und nicht zuletzt wie die USA versuchen, sich weltweit den Zugriff auf die Ölressourcen zu sichern, um die Preise für sich niedrig zu halten.
Seitdem der Versuch, dies durch eine schnelle Kolonisierung des IRAK zu erreichen, nicht gelang, der Ölpreis stattdessen ins Unermessliche stieg, tritt nunmehr die zweite Option der USA in den Vordergrund, nämlich, die Kontrolle der russischen Ölquellen. Das sind über die kaukasischen hinaus insbesondere auch die noch nicht erschlossenen sibirischen Felder. Entsprechende Studien wurden vom CIA in seinem Report „Global Trends 2015“ im April 2004 veröffentlicht.
Interessant dürfte in diesem Zusammenhang die Mitteilung John Laughlands sein, dass ausgerechnet Michail Chodorkowski ihn in einem Gespräch im September 2002 darauf aufmerksam gemacht habe, es bestehe die Gefahr, dass die USA, wenn sie die Kontrolle über die Irakischen Ölfelder bekämen, den Preis auf zwölf Dollar für den Barrel drücken könnten und das dies die russische Öl-Industrie und schließlich Russland selbst zerstören würde.
Die unerwartete Verlauf des Irak-Krieges hat dazu geführt, dass diese Befürchtungen Chodorkowskis nicht eintrafen, in dem Verlauf des Krieges liegt aber auch der Grund für die neue Anti-Putinsche Politik, die seitdem von Washington aus gefahren wird. Auf dieser strategischen Linie ist auch Chodorkowski nur noch ein Ball, der hin und her gespielt wird.
Vor diesem Hintergrund fragt man sich, welcher Teufel die Europäerinnen und Europäer reitet, bzw. welche Erwartung diejenigen haben, die sich vor den Karren dieser US-Politik spannen lassen, indem sie einen „offenen Brief“ nach dem anderen unterzeichnen, indem sie für einen russischen Oligarchen noch dann eine „Unschuldvermutung“ einklagen, nachdem dieser selbst schon längst öffentlich erklärt hat, sich schuldig gemacht zu haben und selbst auf Wiedergutmachung durch Rückzahlungen an Staat und Aktionäre drängt. Geht es überhaupt noch um Chodorkowski? Oder ist er auch in dieser Solidaritätskampagne nur Spielball? Unternehmen anderer Branchen fühlen sich jedenfalls durch die Verhaftung Chodorkowskis in keiner Weise behindert. Eher das Gegenteil: Zeitungen wie „Ost-West-Contact“ und anderen Plattformen des Marktes ist entnehmen, dass man in Unternehmenskreisen den Fall Chodorkowski eher als Verbesserung des „Rechtsstandards, auch für Oligarchen“ betrachtet. So war es von Andrea von Knoop Ende November dieses Jahres zu hören, der Chefin des „Verbandes der deutschen Wirtschaft in Russland“, wofür sie prompt den „Orden der Freundschaft“ von Putin verliehen bekam. Eine Kampagne für Menschenrechte, Demokratie und Zivilgesellschaft, so scheint es, muss offenbar mehr leisten als nur Unschuldvermutungen für einen Oligarchen zu fordern.
Kai Ehlers