Ein Jahr nach dem 22. Februar 2014

Ein Jahr nach dem  22. Februar 2014, an dem der Maidan zum Fanal wurde, wenige Tage nach der Niederlage der Kiewer Offensive gegen den Osten des Landes, am Wendepunkt der Frage, ob es weitere Eskalationen mit internationaler Ausweitung geben wird oder eine (zumindest vorläufige) Runde politischer Verhandlungen, ist es angebracht, angesichts der immer wieder durch neue Legenden erweiterten Mythen um den ukrainischen Krieg einige Tatsachen in Erinnerung zu rufen.

Zuvor soll jedoch eine Erkenntnis mitgeteilt werden, die seit ein paar Jahren auf einer Business-Plattform des Internet angeboten wird. Die Seite trägt den Namen „karrierebibel“. Unter der Überschrift: „Urbane Legenden – Die Macht der Wiederholung“ schreibt da ein Jochen Mai am 13. Oktober 2007: „Wiederholungen sind mächtiger als die Wahrheit. Das ist die Quintessenz  einer interessanten Studie von Norbert Schwarz, Psychologe an der Universität Michigan, die zugleich auf die Untersuchungen  der beiden Psychologen  Milton Lepkin  (sic!) aus dem Jahr 1945 zurückgeht.  Schon sie fanden heraus, dass Menschen etwa falscher Kriegspropaganda  mehr Glauben schenkten, je öfter sie diese hörten. Tatsächlich ist es so, dass unser Gehirn irgendwann aufhört die Quellen eines Gerüchtes oder einer Information zu unterscheiden.  Oder anders formuliert:  Es macht keinen Unterschied, ob wir ein und dieselbe Information von vielen verschiedenen  (und glaubwürdigen) Menschen hören oder nur immer wieder von derselben Quelle, so auch das Ergebnis  eines Experimentes  von Kimberlee Weaver vom Institute for Social Research  an der Universität Michigan. Es ist das Prinzip der urbanen Legende: Man muss den Leuten den Mist nur oft genug einbimsen, dann glauben sie irgendwann, dass es stimmt.

Erschreckend, nicht wahr?  Die Erkenntnisse machen aber auch deutlich, wie wenig es bringt falsche Nachrichten durch richtige zu ersetzen oder sich gegen üble Gerüchte zur Wehr zu setzen, solange man die negativen Informationen (sic!) dabei widerholt. Der Effekt ist nur der, das sich der Unsinn noch mehr in den Köpfen festsetzt und nach einer gewissen Zeit von unserem Gedächtnis als wahr erinnert wird.  An der Stelle (sic!) funktionieren unsere grauen Zellen ein bisschen wie das Google-Cache: Einmal drin, kriegt man die Daten kaum noch aus dem Netz. Und das macht uns erstaunlich anfällig für Manipulationen.“[1]

Erinnern wir uns also in aller gebotenen Kürze, welche Entwicklung  zu den Vorgängen in der Ukraine geführt hat, ohne die Legenden und Mythen, die zurzeit immer wieder und immer öfter verbreitet werden, hier noch einmal zu wiederholen. In einem nächsten Text können wir uns dann die Vorgänge selbst noch einmal vornehmen.

Das strategische Konzept der USA

Seit spätestens 1991 verfolgen die USA aktiv die Strategie der Absicherung der Ihnen mit der Auflösung der UdSSR zugefallenen Weltherrschaft. Die Kontrolle des Eurasischen Raumes ist dabei für die USA von zentraler Bedeutung. Sie treten mit dieser Strategie in die Fußstapfen  des Britischen Empires, das mit diesen Theorien schon in den ersten Weltkrieg mit dem Ziel eintrat, Deutschland und Russland in Gegensatz zueinander zu bringen. Halford Mackinder entwickelte die Theorie von der Weltinsel (Europa, Asien und (Nord)Afrika) und dem darin zentralen Herzland (praktisch das damalige Russische Reich). Von Mackinder ist der Kernsatz seiner Theorie überliefert: „Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland. Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.“[2]

Die Praxis des Commonwealth und die Theorie Mackinders bilden die Blaupause für die heutige „Strategie der Vorherrschaft“ der USA, nachzulesen in drei Büchern von Zbigniew Brzezinski 1996, 2006, und 2012. Im Vorwort von 1996 heißt es: „Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale  Vorherrschaft abspielen wird.“ (S. 16) Das hätten auch Hitler und Stalin schon gewusst. „Beide waren sich einig in der Auffassung, dass Eurasien der Mittelpunkt der Welt sei, und mithin derjenige, der Eurasien beherrsche, die Welt beherrsche.“ Ein halbes Jahrhundert später stelle sich die Frage neu:  „Wird Amerikas Dominanz in Eurasien  von Dauer sein, und zu welchen Zwecken könnte sie genutzt werden?“ (S. 16)

Und dann ganz, sagen wir, demokratisch, Brzezinski ist ja, was seine Parteipräferenzen betrifft, bekennender Demokrat: „Amerikanische Politik sollte letzten Endes von der Vision einer besseren Welt getragen sein: der Vision, im Einklang mit den langfristigen Trends sowie den fundamentalen Interessen der Menschheit  eine auf wirksamer Zusammenarbeit  beruhende Weltgemeinschaft zu gestalten. Aber bis es soweit ist, lautet das Gebot, keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und  damit auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte.“ (S. 16)

Und noch einmal konkreter: „Die USA sind zwar weit weg, haben aber starkes Interesse an der Erhaltung eines geopolitischen Pluralismus im postsowjetischen Eurasien. Als ein zunehmend  wichtiger, wenn auch nicht direkt eingreifender Mitspieler, der nicht allein an der Förderung  der Bodenschätze der Region interessiert ist, sondern auch verhindern will,  dass Russland diesen geopolitischen  Raum allein  beherrscht,  halten sie sich drohend  im Hintergrund bereit.  Neben seinen weitreichenden geostrategischen Zielen in Eurasien vertritt Amerika auch ein eigenes wachsendes ökonomisches Interesse, wie auch das Europas und des Fernen Ostens, an einem unbehinderten  Zugang  zu dieser dem Westen bisher verschlossenen Region. In diesem Hexenkessel geopolitischer Macht stehen somit der Zugang  zu möglicherweise  großem Reichtum, die Erfüllung nationaler und /oder religiöser Missionen und Sicherheit auf dem Spiel. In erster Linie jedoch geht es um Zugang zur Region, über den bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion Moskau allein verfügen konnte.“ (S. 203)

Schon klar? Aber unter der Zwischenüberschrift  “USA im Wartestand“ heißt es noch einmal deutlicher: “Amerikas primäres Interesse muss folglich sein, mit dafür zu sorgen, dass keine einzelne Macht die Kontrolle über dieses Gebiet erlangt und dass die Weltgemeinschaft ungehinderten finanziellen und wirtschaftlichen Zugang zu ihr hat.“ (S. 215)

In dieser Strategie bilden die Europäische Union und Japan die beiden Brückenköpfe, von denen aus  diese Herrschaft über Eurasien aufgespannt werden soll – deren Zusammengehen mit Russland, bzw. auch China unter allen Umständen verhindert werden soll. Auch da nimmt Brzezinski kein Blatt vor den Mund: „Bedient man sich einer Terminologie, die an das brutalere Zeitalter der alten Weltreiche gemahnt,  so lauten die drei großen Imperative  imperialer Geostrategie: Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, dass die ‚Barbarenvölker‘ sich nicht zusammenschließen.“ (S. 66) Aktueller Ausdruck sind auch die Pläne für das Transatlantische und das Transpazifische Freihandelsabkommen (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership und TPP, Trans-Pacific Partnership). Mit ihnen versuchen die USA unter Einbindung von Japan und EU/Deutschland die beiden eurasischen Mächte, Russlands im Westen und China im Osten, von denen sie ihre Vorherrschaft in Frage gestellt sehen, auch auf ökonomischer Ebene auszugrenzen und einzudämmen.

 

Verschiebung von Einflusszonen

Die schrittweise Ost-Erweiterung von NATO und EU, die systematische Förderung „bunter Revolutionen“ in den Grenzzonen der ehemaligen Sowjetrepublik, Georgien 2003, Ukraine 2004, Kirgisien 2006, ein misslungener Versuch 2006 in Weißrussland, die Umstellung Russlands mit Raketenabfangstationen und Militärstützpunkten  waren unübersehbaren Schritte bei der Umsetzung der von Brzezinski skizzierten „Strategie der Vorherrschaft“, das seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1989, beschleunigt dann seit der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes 1991 verfolgt wurde.

Vier Phasen lassen sich unterscheiden:

– Von der deutschen Wiedervereinigung bis zur Auflösung der UdSSR

– Vom Beginn der Ost-Erweiterungen der EU und der NATO, über die „bunten Revolutionen“ bis zum Georgischen Krieg 2008.

– ab 2008 Neuausrichtung des atlantischen Bündnisses nach dem Georgischen Krieg unter Barak Obama: die EU geht von der Politik der direkten Erweiterung zur „Neuen Nachbarschaftspolitik“ über. Die Form dafür sind Assoziierungsabkommen mit den Staaten im Integrationsraum zwischen Russland und der Europäischen Union.

– Seit 2013 gehen die atlantischen Kräfte mit TTIP und TPP in die globale Offensive. Eine um Russland sich gruppierende Eurasische Union ist in diesen Plänen ein Störfaktor großen Ausmaßes.

 

Stoßkeil Ukraine

Die Ukraine spielt in dem großen Plan zur Kontrolle Eurasiens durch die USA von Anfang an die Rolle eines Stoßkeils, der auf das „Herzland“ Eurasiens, Russland zielt, um seine mögliche Wiederauferstehung als eurasisches Großreich im Keim zu ersticken: „Die Ukraine“, schreibt Brzezinski, „ein neuer und wichtiger Raum  auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz  als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein Eurasisches Reich mehr“  (S. 74)

Und folgerichtig: „Die Entschlossenheit  der Ukraine, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren, erhielt Unterstützung von außen. Obwohl der Westen, vor allem die Vereinigten Staaten,  die geopolitische Bedeutung  eines souveränen ukrainischen Staates erst reichlich spät erkannt hatte, waren um die Mitte der neunziger Jahre  sowohl Amerika als auch Deutschland zu eifrigen Förderern der eigenständigen Identität Kiews geworden. Im Juli 1996 erklärte der amerikanische Verteidigungsminister: Die Bedeutung  der unabhängigen Ukraine  ist für die Sicherheit und die Stabilität  von ganz Europa  nicht zu überschätzen, und im September  ging der deutsche Kanzler  – ungeachtet  seiner starken Unterstützung für Boris Jelzin –  sogar noch weiter mit der Versicherung,  dass der feste Platz der Ukraine in Europa  von niemanden mehr in Frage gestellt  werden kann, und dass niemand  mehr der Ukraine ihre Unabhängigkeit  und territoriale Integrität streitig machen darf.“ (S. 166) .

Was Brzezinski bereits Mitte der neunziger so klar  skizzierte, wurde von ihm in seiner Bestandsaufnahme, die er 2006 unter dem Titel „The Sekond Chance“ vorlegte, wie auch in dem 2012 erstmals erschienenen „Strategic Vision“ wiederholt und auf der Sicherheitskonferenz in München unter dem von Kerry geprägten Stichwort der „Renaissance des atlantischen Bündnisses“ noch einmal ausdrücklich zum Programm erhoben. Selbstverständlich war Brzezinski auch persönlich auf dieser Konferenz mit von der Partie. Dies nur als Information für diejenigen die glauben, Brzezinski gehöre inzwischen zur Riege der Männer, die nur Alterswert haben.

Alles Weitere sind Konkretionen dieser Strategie. In den Verhandlungen um das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, in der Erklärung des EU-Kommissionspräsidenten Barroso beim EU-Ukraine-Gipfel im Februar 2013 in Brüssel, es sei „unmöglich, sich in die Zollunion einzubinden und gleichzeitig eine umfassende Zollunion mit der EU zu haben“ und die Ukraine müsse „ihre europäische Wahl treffen“ wurde diese Politik exekutiert. Die deutsche Kanzlerin bestätigte sie mit Verlautbarungen wie: „Es gibt heute eine Situation, in der die Mitgliedschaft in zwei Zollunionen nicht möglich ist“ [3]

Mit der ideologischen Aufpäppelung und Finanzierung Tjagnibog und Klitschko für den Umsturz, durch die 5 Milliarden-Spritzen für die Entwicklung der demokratischen Opposition seitens der USA, durch Interventionen führender EU- und US-Politiker auf dem Maidan wurde der Umsturz gegen Viktor Janukowytsch programmiert, auf der „Sicherheitskonferenz“ in München wurde Klitschko als potentieller Nachfolger von Janukowytsch aufgebaut, wurden die Weichen für eine Intervention zugunsten eines Regimechanges in Kiew gestellt.

Die wachsende und wachsame globale Konkurrenz

Der westlichen Vorherrschaft steht eine Welt gegenüber, die sich der seit 1991 entstandenen Dominanz der „einzigen Weltmacht“ in wachsendem Maße entzieht. Man könnte von einer postkolonialen Welle globaler Emanzipation reden. Brzezinski spricht vom „political awakening of people“, dem sich eine schwächer werdende Weltmacht ausgesetzt sehe.[4]

Die Entwicklungen sind für die USA in der Tat bedrohlich. 1996 schlossen sich Russland, die Volksrepublik China, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan  zu den „Schanghai Five“ zusammen. 2002 gab die Schanghai Gruppe, um Usbekistan erweitert, sich eine Charta. 2006 kam Afghanistan als Beobachter dazu. Im September 2014 haben Indien und Pakistan Aufnahmeanträge gestellt, die im Juli 2015 zur Abstimmung gebracht werden sollen.

Bedrohlich für die USA ist selbstverständlich auch das koordinierte Handeln der globalen Newcomer im BRICS Bündnis (immerhin Brasilien, China, Indien, Russland, Südafrika) – das mit der Gründung einer eigenen Entwicklungsbank die USA inzwischen auch im Kernbereich von deren Herrschaft herausfordert: in der Funktion des Dollar als Weltleitwährung. Der Planet, kann man sagen, wird eng.

Russland ist mit dem Amtsantritt Putins im Jahr 2000 aktiv aus dem Stadium eine Quasi-Kolonie der USA herausgetreten. Putin erklärte, er wolle Russland wieder zum Integrationsknoten Eurasiens machen. Damit stellte er das zentrale Glied der US- Dominanz in Frage. Er restaurierte Staat und Wirtschaft und begann eine aktive Bündnispolitik im Raum der ehemaligen Sowjetunion aufzunehmen. In den ersten Jahren der Präsidentschaft Putins legte Russland seine Hand wieder auf die eigenen Ressourcen. Die Verhaftung Michail Chodorkowski markiert diese Phase der Rückkehr Russlands zu sich selbst.

Auf  der Münchner „Sicherheitskonferenz“ von 2007 wandte Putin sich gegen die weltweiten Kriegsabenteuer der USA, 2008 folgte Medwedew mit dem Vorschlag einer neuen Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok, wurde von der EU aber zurückgewiesen. Stattdessen versuchten EU und NATO auch Georgien und die Ukraine in ihre Erweiterungspläne einzubeziehen. Diese Versuche endeten damit, dass Russland mit seinem Einmarsch nach Georgien erstmals seit dem Zerfall der Sowjetunion ein klares Njet gegen ein weiteres Vordringen von EU und NATO in seinen Einflussbereich setzte.

Der Georgische Krieg 2008 markiert einen strategischen Szenenwechsel zwischen Russland und der EU, NATO und USA, also der atlantischen Union:  Die EU ging von ihrer Ost-Erweiterungspolitik über zur „Neuen Nachbarschaftspolitik“ durch Abschluss von Assoziierungsverträgen mit engeren und weiteren Nachbarn der EU im Grenzraum zwischen Russland und der Europäischen Union – hielt aber im Übrigen ihre Bewegungsrichtung der Ausdehnung ihrer Einflusszone nach Osten  bei.

Parallel zur Einleitung der „Neuen Ostpolitik“ konkretisierte sich auf Initiative Kasachstans Putins Vision eines Eurasischen Integrationsknotens zur politischen Gestalt einer sich formierenden Eurasischen Union. Nach dem Vorbild der europäischen Union zunächst als Wirtschaftsunion konzipiert, war ihre politische Gründung für das Jahr 2015 vorgesehen. Tragende Mitglieder  waren Kasachstan, Weißrussland und Russland mit dem Ziel der Einbeziehung der Ukraine, sowie weiterer kaukasischer und zentralasiatischer Staaten.

Mit dem Zusammentreffen von Assoziierungspolitik der Europäischen Union und Gründung der Eurasischen Union , die beide auf die Länder in der Zone zwischen Russland und der Europäischen Union zielten, entwickelte sich der Konflikt zwischen den Ost-Interessen der EU und den West-Interessen Russlands zu einer absehbaren Konfrontation . Diesen Widerspruch zwischen EU&EU  zum Entweder-Oder für die Ukraine verschärft zu haben, ist eindeutig  ein Produkt der westlichen, US-geleiteten Politik, die konsequent dem strategischen Postulat der US-Politik zur „Verhinderung einer eurasischen Macht“  entspringt und damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Es verhindert ein Bündnis zwischen Russland und der EU, speziell auch Russlands und Deutschland, das den USA gefährlich werden könnte und es schwächt sowohl Russland auch die EU, insbesondere Deutschland soweit, dass sie sich nicht zum Konkurrenten aufschwingen können.

Sachliche Wahrnehmung

Der Umsturz in Kiew und alle weiteren Vorgänge sind nur in der Folge dieser Konstellation zu verstehen. Sachlich betrachtet, resultieren sie aus dem herangewachsenen Gegensatz zwischen der schwächelnden unipolaren Hegemonie der USA und den heranwachsenden Kräften rund um den Globus. Putin hat dies mit seiner Rede auf dem Waldai-Forum in Sotchi im Oktober  2014, in der er die USA als globalen Brandstifter anklagt und stattdessen eine kooperative neue globale Sicherheitsarchitektur vorschlägt und einfordert, unmissverständlich klar gemacht.

So gesehen erkennen, die Verteidiger der gegenwärtig noch herrschenden Ordnung in Russland, genauer in Putin als dem zurzeit bestimmenden politischen Geist Russlands,  durchaus richtig  ihren Gegner, weil er diese Ordnung in Frage stellt und dies nicht nur für Russland, sondern stellvertretend für all jene Kräfte tut, die sich heute aus der spät-kolonialen Fessel der US-Dominanz befreien wollen. In den Augen der Vertreter der gegenwärtig herrschenden Ordnung, die sie in Verkennung, Verdrängung oder gar Leugnung der blutigen globalen Realitäten euphemistisch, eine Friedensordnung nennen, ist allein der Anspruch auf Neuordnung bereits eine Aggression, zumindest eine Ungehörigkeit, die – natürlich – bestraft werden muss.

Tatsächlich markiert der Bürgerkrieg in der Ukraine  einen globalen Interessenkonflikt innerhalb des heute herrschenden Wirtschaftssystems, der innerhalb des Systems nicht mehr gelöst werden kann. Nur der Übergang zu kooperativen  Formen  des Wirtschaftens  und des Regierens könnte eine Perspektive  weisen  – alles andere steuert geradlinig auf militärische Lösungen zu, gleich ob in der Form sich vervielfältigender Stellvertreterkriege, einschließlich solcher auf europäischem Boden,  oder als großer Flächenbrand. Gegenseitige Schuldzuweisungen lenken nur davon ab, andere als militärische Wege der  zu suchen.

 

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

                                                                                                                                                                    19.02.2015

 

Bücher von zum Thema:

Peter Strutynski (Hg.), Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen, Papyrossa.

Ronald Thoden, Sabine Schiffer (Hg.), Ukraine m Visier, Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen, Selbrund Vlg.

Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte

 

 



[2] Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht.  Amerikas Strategie der Vorherrschaft”, Fischer tb 14358, S. 63 und alle weiteren Brzezinski-Zitate aus diesem Buch

[3] Pressekonferenz  der Bundeskanzlerin  zum Europäischen Rat am  19. Und 20. 12.2013.

[4] Zbigniew Brzezinski, Strategic Vision, Basic Books, New York, 2012, S. 26 ff