Bemerkenswertes ist dieser Tage in deutschen Medien über den „Friedensplan“ des neuen Ukrainischen Präsidenten zu lesen und zu hören, so beispielsweise in dem überaus interessanten Kommentar von Reinhard Veser in der FAZ vom Samstag, d. 21. Juni 2014, der – anders als man es in letzter Zeit zu hören und zu lesen gewohnt war und anders als Frau Merkel es verlauten lässt, die den „Friedensplan“ Poroschenkos für eine gute Grundlage hält „jetzt eine politische Lösung zu finden“ – kritische Töne gegenüber der Kiewer Regierung anschlägt – um dann allerdings nach einigen halbwahren Wendungen und Unterstellungen mit umso martialischeren Forderungen aufzuwarten.

Gehen wir ins Detail: Kategorisch wird unter der Überschrift „Nur ein Friedensplan“ im einleitenden Satz des FAZ-Kommentars konstatiert: „Einen Weg zum Frieden im Osten der Ukraine zeigt der Friedensplan von Präsident Poroschenko nicht.“ In der Tat, das ist so. Eine Woche Feuerpause, in denen Poroschenko den Separatisten die Gelegenheit einräumen will, ihre Waffen niederzulegen und das Land über einen geschützten Korridor zu verlassen, um Platz für die von ihm versprochenen Reformen zu machen, ist kein Friedensangebot, sondern ein Diktat für Kapitulation und Landesverweis. Umso bemerkenswerter, dass gerade die FAZ dies als Tatsache konstatiert.

Dass dies so sei, also, dass der vorgelegte Plan kein Weg zum Frieden sei, so weiter der FAZ-Kommentar, liege aber nicht etwa an den einzelnen Punkten, die der Plan enthalte (siehe nebenstehenden Kasten), sondern daran, “dass Poroschenko kein Gegenüber“ habe „mit dem er über deren Verwirklichung verhandeln könnte.“ Das werde auch an den Differenzen in der ukrainischen Führung deutlich, die nicht einig darüber sei, „ob man mit den als ‚Terroristen‘ bezeichneten bewaffneten Separatisten“ reden solle, die „freilich bisher selbst keine Gesprächsbereitschaft gezeigt“ hätten. Auch dies ist wahr gesprochen, zudem noch ergänzt durch die in Anführungszeichen gesetzten „Terroristen“, wahr bis auf die unterschlagene Tatsache, dass diese „Terroristen“ die Verhandlungen nicht grundsätzlich abgelehnt haben, sondern weil und solange Poroschenkos Angebote nicht auf offene Verhandlungen der Konfliktparteien auf gleicher Augenhöhe, sondern auf Kapitulation der Gegenseite zielen.

Es gibt also ein „Gegenüber“, nur, Poroschenko und seine Ratgeber und Parteigänger sind nicht gewillt es als solches zu akzeptieren.

Aber folgen wir weiter dem Hauptfaden der Kritik, die sich mit dem angeblich fehlenden Gegenüber weiter befasst: „Die ‚Elite‘ des Donbass“, schreibt der FAZ-Kommentator, „mit deren Mitgliedern Poroschenkeo über den Friedensplan gesprochen hat, dürfte hingegen  derzeit nur wenig Einfluss  auf das Geschehen in Donezk und Luhansk haben – es handelt sich dabei  um die lokalen Machthaber und Profiteure des alten Regimes. Weder bei  ihnen noch  bei den Aufständischen  ist klar, mit welcher Legitimität  sie für die Regionen sprechen könnten.“

Wie wahr! Eine solche Feststellung aus berufenem Munde hätte man noch vor Monatsfrist nicht für möglich gehalten: Oligarch unter Oligarchen, der seinesgleichen zur Wiederherstellung der Ordnung aufruft, während er das Gespräch mit den Rebellen verweigert, ja, ihnen bei Nicht-Annahme seiner Bedingungen ausdrücklich mit der vollständigen Vernichtung droht.

Aber nun kommt, ungeachtet der so festgestellten Tatsachen, was kommen musste: Weil auch sonst niemand in der Lage sei, die „Kräfte wieder einzufangen“, so der Kommentar  weiter, „die dort nach der Annexion der Krim  durch Russland begonnen haben mit freundlicher Unterstützung aus dem östlichen Nachbarland einen Krieg anzuzetteln“, weil Putin sich zwar zur Zeit „etwas diplomatischer“ gebe „als in den Wochen seines Triumpfes auf der Krim“, weil Russland desungeachtet „keine Anstalten“ mache „irgendetwas zur Deeskalation beizutragen“, obwohl es doch „mit Sicherheit der stärkste Machtfaktor in der Region“ sei, und weil schließlich Russlands Staatsmedien stattdessen „noch immer aus allen Rohren“ schössen „etwa mit der absurden Behauptung, es finde ein ‚Genozid‘ an Russen statt“ – weil also dies alles so sei,  wäre es, so die knallharte Forderung des anfangs scheinbar so sehr an einer Friedenslösung interessierten Kommentars „in der derzeitigen militärischen Lage (…) vermutlich das Beste,  wenn die ukrainischen Streitkräfte nun nicht anhalten,  sondern die  Separatisten so weit zurückdrängen würden, dass Kiew wieder so große Teile der Gebiete Luhansk und Donezk kontrolliert, das es mit den versprochenen politischen  Reformen, vor allem mit der Dezentralisierung beginnen kann.  Dann müsste auch Russland Farbe bekennen, ob es zu einem Frieden bereit ist.“

In klares Deutsch übersetzt: Nicht das Gespräch um die zukünftige Ordnung wird angemahnt, sondern die gewaltsame Widerherstellung der alten, eben noch mit klaren Worten kritisierten Ordnung unter neuen „westlichen“ Vorzeichen. Und nicht etwa die humanitären Folgen der Kiewer Offensive, die inzwischen Hunderttausende Menschen über die Grenze nach Russland getrieben hat, werden als Problem benannt, das zu lösen sei, sondern Russland soll mit der Erweiterung der Offensive gezwungen werden, „Farbe zu bekennen“. Wohin sollen solche Aufforderungen führen, außer in einen Vernichtungskrieg innerhalb der Ukraine und eine verantwortungslose Provokation Russlands? Dass hierzu die Märchen von einem Russland wieder aufgewärmt werden, das die Krim „annektiert“ habe, obwohl dies eindeutig kein gewaltsamer Vorgang war, von einem Russland, das nichts zur Deeskalation beitrage, obwohl Putin die Separatisten zu deren  Ärger und Enttäuschung zum widerholten Male zum Einlenken aufgefordert hat, sind nur die kleineren Übel, die mit dieser Vergiftung des geistigen Klimas einhergehen.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

KASTEN – KASTEN – KASTEN

Der „Friedensplan“ für die Ostukraine

Mit einem Friedensplan will der ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Ostukraine wieder zur Ruhe bringen. Dazu hat er am 20. Juni eine einseitige, einwöchige Feuerpause angeordnet und einen 15-Punkte-Plan folgenden Inhalts in Kraft gesetzt:

1. Sicherheitsgarantien für alle Teilnehmer an Verhandlungen

2. Befreiung von strafrechtlicher Verfolgung derjenigen, die die Waffen niederlegen und keine schweren Verbrechen begangen haben

3. Freilassung von Gefangenen

4. Schaffung einer Pufferzone von zehn Kilometern an der russisch-ukrainischen Grenze; Abzug illegal bewaffneter Formierungen

5. Garantierter Korridor für den Abzug russischer und ukrainischer Söldner

6. Entwaffnung

7. Schaffung von Einheiten innerhalb der Struktur des Innenministeriums für die Absicherung gemeinsamer Patrouillen

8. Freigabe illegal besetzter administrativer Gebäude in den Donezker und Lugansker Gebieten

9. Wiederherstellung der Tätigkeit der örtlichen Machtorgane

10. Wiederaufnahme der zentralen Fernseh- und Radioübertragung in den Donezker und Lugansker Gebieten

11. Dezentralisierung der Macht (durch die Wahl von Komitees, Schutz der russischen Sprache, Projekt einer Verfassungsänderung)

12. Absprache der Gouverneure mit den Vertretern der Krisenregion Donbass vor Wahlen (Einigung auf eine Kandidatur, bei Uneinigkeit trifft der Präsident die Entscheidung)

13. Vorgezogene Kommunal- und Parlamentswahlen

14. Programm für die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region

15. Wiederaufbau von Industrieobjekten und sozialer Infrastruktur.

Quelle: dpa (nach Tagesschau,  21.06.2014 11:58 Uhr)