Auswertung des 14. Treffens vom 29.01.2012 Einladung zum Treffen am 25.02.2011
Liebe Freundinnen, liebe Freunde des Forums integrierte Gesellschaft,
seid alle herzlich gegrüßt, auch die, die nicht anwesend sein konnten! Wie immer werden wir eine kursorische Skizze der Gesprächrunde wiedergeben. Das Thema unseres soeben hinter uns liegenden Treffens war ja denkbar einfach gewählt, wenn ich daran eingangs noch einmal erinnern darf: „Ein Jahr Empörung – und jetzt?“
Das gab Raum, sich in der Welt umzuschauen und neu anzusetzen.
Am Eingang stand natürlich die Frage, was unter „Empörung“ zu verstehen sei. Und schon waren wir mitten in der Frage, worum es bei den gegenwärtigen Empörungen geht – Arabische Rebellionen, Occupy Proteste, Russische Unruhen etc. pp. Gibt es da einen Nenner? Geht es nur gegen etwas? Geht es nur darum, mögliche Angriffe, mehr noch, den möglichen Absturz unserer heute gefährdeten Welt ins Chaos zu verhindern? Oder kann man sich auch für etwas empören? Ist Empörung möglicherweise überhaupt eine moralische Kategorie, die über bloßen Protest, bloßen Aktionismus, bloße „Wutaktionen“ hinausgeht? Ist Empörung ohne seelische Dimension denkbar, die hervortritt, wenn und wo der Mensch sich als Mensch in Frage gestellt sieht? Zum Beispiel die arabische Rebellion. Es war doch von Anfang an klar, daß es hier nicht nur um ökonomische Fragen der Beteiligung ging, sondern ganz entschieden auch um kulturelle, emotionale, seelisch-geistige Werte. Da klingt es doch merkwürdig dümmlich, wenn man jetzt in den Medien anläßlich der Wahlen in Ägypten Überschriften liest wie „Islamisten“ hätten gesiegt. Absurd! Ein muslimisches Land verschiedene Varianten muslimischer Politik gewählt! War etwa anders zu erwarten? Wer regt sich darüber auf, daß es hier eine CDU, eine CSU gibt. Sind das Christianisten?
Nun, die Beschränktheit solcher Positionen ist offensichtlich. Dahinter erhebt sich aber noch die weiter führende Frage: Wer sind die „Empörer“? Die Marginalisierten, die „Überflüssigen“, die Einlaß in die Gesellschaft einfordern? Zuviel Geborene, für die es nach Malthus-scher Rechnung keinen Platz mehr in ihren Gesellschaften und auf dem Globus gibt? Oder umgekehrt, die Mitglieder privilegierter Gesellschaften, die sich um die Zukunft des Planeten sorgen und Verantwortung einfordern? Was hat man von Erklärungsmustern eines Gunnar Heinsohn zu halten, daß wir es heute vor allem mit dem Problem der Jugendüberschüsse zu tun hätten? (bei ihm „Youth bulge“ genannt)
Diese Fragestellung führt in eine Auseinandersetzung mit Tendenzen neu-eugenischen Denkens, die heute angesichts des globalen Bevölkerungswachstums, insbesondere seiner Disproportionalitäten („Schrumpfender Norden“, „explodierender Süden“) zu beobachten sind. Details des von uns dazu geführten Gespräches, das auch Abstürze des letzten Jahrhunderts bis in die faschistischen Untiefen der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ mit ausleuchtete, sollen jetzt hier nicht aufgerollt werden. Nur so viel: Zivile Strategien der Bevölkerungskontrolle, wie sie von den UN gefördert werden, müssen dabei von Vorschlägen, wie sie von Heinsohn, gestützt auf die globalen Präventionsstrategien der US-Dienste vorgebracht werden, unterschieden werden. Die Unterscheidung fällt nicht leicht, da einerseits die Notwendigkeit von Geburtenkontrolle nicht zu bestreiten ist, andererseits die neu-eugenischen Strategien, die das Problem zugunsten wertvollerer und weniger wertvoller Menschen oder Völker lösen wollen, sich hinter wortradikalen Kritiken an der historischen Eugenik, insbesondere an den faschistischen Exzessen verbergen. Heute kommen solche Strategien im Interesse der Erhaltung globaler Stabilität und Weltgesundheit daher.
Wir lassen es an dieser Stelle bei dieser Skizze. Empfohlen sei nur allen, Gunnar Heinsohns Buch „Söhne und Weltmacht“ aufmerksam zu studieren, in welchem er die US-Präventionsstrategie gegen die dem Westen drohende Gefahr der „Youth-bulges“ (Jung-Männer-Überschüssen) propagiert. Wer dieses Buch gelesen hat – und dann die publizistischen und öffentlichen Auftritte von Heinsohn, Sarrazin und Sloterdijk in der Tagespolitik dazu verfolgt, in denen sie sich für Streichung von Sozialhilfen an „bildungsferne“ Mitglieder der „Unterschichten“ stark machen, zudem noch die Entwicklungslinien der bio-technischen (gentechnischen) Gesundheitspropaganda vor Augen hat, kann nicht mehr übersehen, womit wir uns heute auseinanderzusetzen haben – mit klassischen Überlegenheitsfantasien unter der besonderen Bedingung, wie man die Überlegenheit auch in Zeiten einer ganz offensichtlich heranwachsenden Ebenbürtigkeit früher kolonisierter Völker aufrechterhalten kann. – Die Fragen stehen auf der TO.
Was nun die konkrete Empörung betrifft, so waren die Beiträge dazu nach diesen generelleren Betrachtungen eher subjektiv, eröffneten aber gerade dadurch noch eine neue, wichtige Dimension – nämlich die der Diversität vielfältiger und sich auch widersprechender Bewegungen, in welche die allgemeine globale Entwicklung sich heute gliedert.
Die im Kreis genannten Gründe der Empörung erstreckten sich von der Unverfrorenheit, mit der solche Leute wie das genannte Trio Sarazzin, Heinsohn, Sloterdijk giftigen Wein in neuen Schläuchen servieren und dabei öffentlich hofiert werden, über die Empörung darüber, wie die staatliche Verantwortung (konkret des sog. Verfassungsschutzes) für die Mordserie durch Neo-Nazis („NSU-Morde“) heruntergespielt wird, bis hin zu persönlichen Erfahrungen mit dem Regime Mugabe, die bei der Unterstützung zweier Kinder in Zimbabwe auf die Betreffenden einstürmen.
Wichtig scheint uns, daß wir es heute nicht mit einem allgemeinen Abwärtsstrom von Zivilisation und Kultur zu tun haben, sondern daß dem gegenwärtigen monopolisierenden und krisentreibenden Entwicklungsprozess des Kapitals eine Unmenge lokaler, regionaler und auch globaler Kräfte entgegenstehen, in denen sich neue Formen des Zusammenlebens, genauer, konkret am Bedarf des einzelnen Menschen orientierte, Beziehungen von Individuum und Gemeinschaft herausbilden. Zur Bewegung, zur Alternative werden solche Keime allerdings erst, das dürfte Konsens sein, wenn für das, was da und dort immer wieder ausprobiert wird, Begriffe gefunden werden, die neue sinnstiftende Kraft haben.