Der Ton wird rauer
Gas-Russland und Öl-NATO
Im Kampf um die Neuaufteilung der Welt.
(Schriftliche Fassung eines Vortrages auf dem Kasseler Friedensforum: „Die Welt nach Bush“, vom 5. – 7-.12.2008)
Kooperation oder Konfrontation mit Russland? Um diese Fragen kreisen die aktuellen politische Debatten in der Europäischen Union und in der NATO. Der Krieg im Kaukasus und die Finanzkrise fließen in einer Bewegung zusammen, in der die Welt neu gestaltet wird. Von „globaler Perestroika“ spricht Michail Chodorkowski dieser Tage, in Sibirien einsitzender ehemaliger Öl-Zar Russlands.
Recht hat er – was den globalen Wandel betrifft, wenn auch seine Erwartungen einer neo-sozialistischen Wende ein wenig voreilig klingen. Perestroika, die Krise der Sowjetunion, genereller des Sozialismus, die manche für einen endgültigen Sieg des Kapitalismus hielten, ging der Krise der kapitalistischen Länder nur voran. Es sind zwei Stufen einer globalen Wachstumskrise des Industrialismus. Ihr Wesen liegt im Übergang von der beschleunigten globalen Expansion des Kapitals in eine Phase der Konzentration, der Rationalisierung und der Intensivierung. Diese Phase ist bestimmt durch einen sich verschärfenden Kampf um den privilegierten Zugriff auf die noch verbliebenen fossilen Ressourcen. Sie sind die Basis der gegenwärtigen industriellen Zivilisation und zugleich unersetzbarer Ausgangsstoff für die Entwicklung einer nicht mehr fossilen Energieversorgung von morgen. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund einer exponentiell wachsenden Bevölkerung unseres Globus. In der Frage, wie der aktuelle Zugriff auf Ressourcen organisiert und wie der wachsende Energiebedarf der Zukunft auf dieser Basis entwickelt werden kann, entscheidet sich die Zukunft der menschlichen Gesellschaft.
Zwei Strategien stehen sich in dieser Frage gegenüber:
Auf der einen Seite forcieren die USA die Entwicklung der NATO zur Energie-NATO. Angestoßen vom EU-Neumitglied Polen wurde diese Forderung von US-Senator Luger erstmalig auf dem NATO-Gipfel in Riga 2007 öffentlich vorgetragen. Seitdem läuft innerhalb der NATO eine intensive Debatte um diese Frage. Die Entwicklung einer Energie-NATO wäre gleichbedeutend damit, Russland auf einen Rohstoff-Lieferanten zu reduzieren und seinen politischen Einfluss zu isolieren. Die Strategie fügt sich in das unipolare Konzept der US-amerikanischen Hegemonialordnung ein, wie es von Sbigniew Brzezinski in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ entwickelt wird.
Dem steht Russlands Vorschlag gegenüber, über Gasprom eine weltweite kooperative Vernetzung von Energie-Lieferanten und Energieverbrauchen zu schaffen. Der deutsche Außenminister Steinmeier griff diesen Impuls auf der Münchner NATO-Tagung 2007 unter dem Stichwort einer Energie-KSZE auf. Die Grundidee darin ist, die Kooperation von Rohstofflieferanten und Rohstoffverbrauchern, konkret Russland und EU so weit zu steigern, dass eine untrennbare gegenseitige Abhängigkeit entsteht. Dieses Konzept zielt auf aktive Einbeziehung Russlands. Es fügt sich im Übrigen in die seit Gorbatschow in der russischen Außenpolitik entwickelten Vorstellungen einer multipolaren Weltordnung ein.
Entstehung der kaukasischen Eskalation
Die Geschichte der genannten Konzepte ist die Geschichte einer Eskalation. Sie hat mit dem 4-Tage-Krieg in Georgien inzwischen einen kritischen Punkt erreicht und wird zu weiteren Explosionen führen, wenn keine Lösung gesucht und gefunden wird: Seit 1991 bemüht sich das „atlantische Bündnis“ unter Führung der USA aggressiv um die Neuaufteilung des zentralasiatisch-kaukasischen Raumes, in demnach Auflösung der UdSSR kurzfristig ein, von westlichen Strategen so genanntes Machtvacuum entstanden war. Dabei ging es vorrangig um den Zugriff auf Erdöl und Erdgas, die in diesem Raum konzentriert sind. Der führende US-amerikanische Stratege Brzezinski spricht in seinem Buch vom „Filetstück“ des „eurasischen Balkans“, auf das die USA sich den Zugriff sichern müssten. Kernstück der daraus entwickelten Strategie wurde der Ausbau eines Transportkorridors, auf dem Öl und Gas unterhalb des Bauches von Russland von Ost nach West befördert werden könnten, ohne durch russische, aus der Sowjetzeit noch vorhandene Röhren gehen zu müssen. Das bedeutete, Russland von Zentralasien, vom Süd-Kaukasus und vom Iran zu trennen, den russischen Schwarzmeerhafen Novorossisk, die Pipelines durch Tschetschenien zu umgehen.
Die EU beteiligte sich an dieser Strategie mit den Programmen TACIS, INOGATE und TRACECA, über die Milliarden in den Ausbau der Ost-West-Transport-Infrastruktur von Usbekistan bis Europa flossen.
TACIS, das ist die Abkürzung für „Technical assistance to the commonwealth on independent states“, INOGATE für „Interstate Oil and Gas Transport to Europe“, TRACECA für „Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia“. Die drei Programme sind ausgelegt als Aktionsbündnisse mit den aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten Zentralasiens, des Kaukasus und des Balkan (selbst Griechenland partizipierte) – nur Russland wurde expressis verbis von Beratungen und Teilhabe an Bauvorhaben ausgegrenzt.
Wichtigstes Ergebnis dieser Programme waren drei neue Pipelines, die unter Umgehung der bis dahin genutzten sowjetischen Transportwege gebaut wurden:
# Öl von Baku in Azerbeidschan zum Schwarzmeerhafen Supsa – seit 96 in Betrieb,
# Öl von Baku über Tiblissi nach zum Mittelmehrhafen Ceyhan in der Türkei – „BTC“ genannt nach den drei Städtenamen, seit 2005 in Betrieb;
# Gas von Baku über Süd-Europa in die EU -„Nabucco“- geplant ab 2012.
Nicht von Erfolg gekrönt war der US-Plan, eine Pipeline durch Afghanistan in den Persischen Golf zu führen. Der in den 90er Jahren gemachte Ansatz blieb in den Kämpfen mit den Mudjaheddin stecken. Auch die neueren Pläne, die von Sbigniew Brzezinski kürzlich wieder ins Gespräch gebracht wurden, werden nur erfolgreich umgesetzt werden können, wenn Afghanistan schnell „befriedet“ wird.
Zeitgleich zur Entwicklung des Ost-West-Transportkorridors unternahmen westliche Öl-Konzerne den Versuch, den innerrussischen Öl- und Gas-Markt zu „liberalisieren“, „für den Weltmarkt zu öffnen“, kurz, unter Kontrolle westlicher Konzerne zu bringen. Das geschah zum einen über Einflussnahme auf den seit 1991 privatisierten russischen Öl-Markt. Der nach-sowjetische private Öl-Konzern YUKOS wurde bereits von New York aus geleitet. Yukos-Chef Chodorkowski stand vor seiner Verhaftung und vor der gerichtlichen Auflösung des Konzerns kurz vor dem Verkauf von Mehrheitsanteilen an US-Texaco.
Es geschah zum Zweiten über Versuche der EU, Russland über Verhandlungen zur Europäischen Energiecharta, über ein gesondertes Kooperations- und Partnerschaftsabkommen und die Entwicklung einer „strategischen Partnerschaft“ zu einer „Liberalisierung“ des Öl- und Gasmarktes zu kommen.
NATO-Erweiterung und EU-Erweiterungen flankierten diese Strategie der Einkreisung Russlands, gepuscht von den USA; die EU konnte, sehr zum Ärger der USA keine klare einheitliche Linie zur Energiepolitik gegenüber Russland finden, sondern schwankte immer wieder zwischen aktiver Beteiligung an der US-Einkreisungspolitik und langfristiger Kooperation im Rahmen einer strategischen Partnerschaft. – was u.a. dazu führte, dass die Nabucco-Pläne nur zögernd voran kamen und kommen.
Russlands Antwort
Nach Auflösung der Sowjetunion und Einleitung der Schock-Therapie der Totalprivatisierung war Russland dieser Strategie zunächst weitgehend ausgeliefert. Aus dem Gas-Ministerium der Sowjetzeit entstand Gasprom als eine undefinierbare Mischung aus alten sowjetischen und neuen privatwirtschaftlich genutzten Strukturen. In der Bevölkerung galt diese Organisation zu dieser Zeit als Selbstbedienungsladen der Gaspromfunktionäre. Die Ölindustrie wurde zum Privateigentum weniger Oligarchen, verquickt mit ausländischem Kapital.
Mit der Krise 98, als der IWF sich weigerte Russland mit Krediten aus der Patsche zu helfen, bzw. für Russland unannehmbare Bedingungen stellte, begann Russland sich wieder auf die eigenen Kräfte zu besinnen. Die wesentlichen Schritte sind schnell aufgezählt:
# 2002 Reform Gasproms zum internationalen Multi. Die korrupten Funktionäre der 90 Jahre werden durch Vertraute Putins ersetzt, Gasprom zu einem politischen Instrument des Staates und einer Stütze des Budgets entwickelt.
# 2003/4 mit der Verhaftung Michail Chodorkowskis und der Auflösung des YUKOS-Konzerns nimmt der russische Staat auch die größten Teile der Öl-Wirtschaft wieder unter Kontrolle.
# 2005/6 wird am Plan der Ostseepipeline erkennbar, dass Gasprom die Strategie einer aktiven Vernetzung des russischen Energiemarktes mit der EU verfolgt; mit Kasachstan und Turkmenistan werden alte Verbindungen aktiviert.
# am 23. Juni 2007 schließt sich Gazprom mit dem italienischen Konzern ENI für ein Projekt einer südlichen Pipeline („South-Stream“) zusammen : Sie soll vom russischen Schwarzmeerhafen Dschubga (bei Noworossisk) auf dem Grund des Meeres nach Varna an der Bulgarischen Küste führen. Der Betrieb soll ebenfalls 2013 beginnen .
# 2008 geht es Schlag auf Schlag: Vertrag zum Bau der „South-Pipeline“ mit Serbien im Januar 2008 , mit Ungarn im Februar , mit Griechenland im April. Die Ungarn erklären, sie wollten sich sowohl an der“Nabucco“Pipeline als auch an „North-Stream“ beteiligen. Ein Joint Venture von“Nabucco“und Gasprom unter der Bezeichnung „New Europa Transmission System“ (NETS) könne auch mit zentralasiatischen Staaten und mit Iran Verhandlungen aufnehmen. Putin versichert: Der Bau der „South Stream“ bedeute nicht, „dass wir gegen alternative Projekte kämpfen. Wenn jemand in der Lage ist, andere derartige Projekte zu wirtschaftlich annehmbaren Bedingungen zu verwirklichen, würden wir uns freuen.“
Im Juli 2008 offeriert Gasprom-Chef Miller Gaddafi den Aufkauf von Libyens Gas- und Öl-Industrie zu aktuellen Marktpreisen. Mit Nigeria steht Gazprom in Verhandlungen über eine Gasleitung Richtung Europa. Gasproms Partner Wintershall gewinnt Exportlizenzen in Chile und Argentinien. Zugleich wendet Gazprom such auch nach Osten : Der Konzern und Südkorea verabschieden eine Absichtserklärung auf Abschluss eines Liefervertrages von Gas mit einer Laufzeit von dreißig Jahren. Die dazu nötige Pipeline soll durch Nordkorea geführt werden. Ebenfalls im Juli 2008 verabreden Alexei Miller und Irans Präsident Ahmadinedschad zukünftige Kooperation. Im Oktober erklärt Gazprom seine Absicht, ein schwimmendes AKW für die Gas-Verflüssigung werde 2011 betriebsbereit sein. Zudem rechne Gasprom damit, so Miller, „unsere Positionen auf den Märkten für Gas-, Strom-, und Kohlenhandel zu festigen“ , d.h. ein umfassendes Netz von der Förderung bis zum Endkunden aufzubauen.
Kooperation contra Konfrontation
Zum Gipfel der G8 in St. Petersburg im Mai 2006 legte Russland den Vorschlag vor, eine globale Energiepolitik zu entwickeln. Im Vorfeld des Treffens hatte Russland angekündigt, sich als Garant einer globalen Energieordnung ins Spiel bringen zu wollen. Die teilnehmenden westlichen Staaten, allen voran die USA, aber auch Deutschland brachten schwere Bedenken gegen Russlands „Anmaßung“ vor und kündigten an, ihrerseits Beschlüsse zur Liberalisierung des Energie-Weltmarktes durchsetzen zu wollen. So galt das G8-Treffen allgemein als „Energie-summit“, von dem globale Entscheidungen, zumindest aber schwere Unstimmigkeiten und Konfrontationen erwartet wurden. Im Ergebnis verabschiedete der Gipfel überraschend einen „Aktionsplan“ zur „globalen Energiesicherheit“, in dem alle Widersprüche in einem einstimmigen Programm aufgehoben schienen: Die G-8-Staten vereinbarten „offene und transparente Märkte“, „faire Investitionsbedingungen“, einschließlich „effektiven Rechtsschutzes“, sie verpflichteten sich zu den Zielen der „Energie-Einsparung, der Energie-Effizienz, der erneuerbaren Energien, des umweltschonenden Einsatzes von Energien.“ Zur Krönung hieß es auch noch: „Dem Zugang von umweltfreundlichen, erschwinglichen und verlässlichen Energiedienstleistungen als zentralem Aspekt der Armutsbekämpfung wird eine wichtige Bedeutung beigemessen.“ Statt der Konfrontation schien Kooperation angesagt.
Nur ein halbes Jahr später, 26.11.2006 forderte US-Senator Luger beim NATO-Gipfel in Riga die Entwicklung einer Energie-NATO, die die westlichen Energie-Abhängigkeiten gegenüber möglichen Erpressungen durch Russland entgegenwirken müsse. Luger verglich die mögliche Erpressung, die aus einer Einstellung der Gas- oder Öllieferungen hervorgehen könnte, mit einer militärischen Blockade oder einer militärischen Demonstration und forderte für diesen Fall die Anwendung des § 5 des Bündnisvertrages – also die Ausrufung des Bündnisfalles innerhalb der NATO.
Seit der NATO-Sicherheitstagung 2007 in München stehen sich beide Konzeptionen als Forderung nach einer „Energie-NATO“ einerseits und „Energie-KSZE“ andererseits gegenüber. Die „Energie-NATO“ wird allen voran von den Polen und von den USA gefordert und die Debatte darum in der NATO forciert. US-Think-Tanks und Sonder-Konferenzen der NATO befassen sich seitdem in zunehmendem Maße in intensiven Debatten und Schulungen mit der Fragestellung.
Für Eine „Energie-KSZE“ wirbt der deutsche Außenminister Steinmeier – und selbstverständlich GASPROM, das die Entwicklung einer globalen Vernetzung der Produzenten von Energiestoffen und Verbrauchern zum strategischen Programm erhoben hat. Die EU ist in der Frage gespalten.
„Energie als politische Waffe“
Die Erfolge Gasproms bei der Aufweichung des „atlantischen“ Transportkorridors dürften als Hintergrund für die Eskalationen im Kaukasus zu sehen sein. Auch die mögliche Gas-Oper geriet ins Schussfeld: „Am 22. Mai 2007 verabschiedete das US-Repräsentantenhaus ein Gesetz (H.R. 2264), mit dem Ländern, die per Kartell die Ölpreisbildung beeinflussen, mit Sanktionen und Klagen in den USA gedroht wird“ – das sog. „NOPEC“-Gesetz.
„Die wachsende Abhängigkeit Europas von Energie und Infrastruktur Russlands“ sei „ein negativer geopolitischer Trend“ war im November 2007 aus der Neo-konservativen Heritage-Foundation zu hören. Er berühre die Interessen der USA in wichtigen geopolitischen Punkten „wie die NATO Ausweitung in die Ukraine und Georgien, die Raketenabwehr, den Kosovo, und den US sowie europäischen Einfluss im nachsowjetischen Raum.“
Aussagen wie, Putin nutze Gas, Öl und Pipelines „nach Ansicht von Kritikern als Machtmittel und Waffe wie einst die Sowjets die Atombombe“ , und ähnlicher Wahnwitz begleiteten diese Propaganda in den deutschen Mainstream-Medien.
Im Juli 2008 erneuerte Richard G. Lugar seine Offensive . Bei einer Anhörung im „Komitee für Auslandsbeziehungen der USA“ beschwor er aufs Neue die europäische Abhängigkeit von Russlands Energieliefungen: Die „dauerhafte Abstellung von Gas mitten im Winter könnte für ein europäisches Land Tod und wirtschaftlichen Niedergang vom Gewicht einer militärischen Attacke verursachen“, brachte er vor. Gasproms monopolorientierte Aktivitäten könnten nicht allein mit ökonomischen Motiven erklärt werden. Es sei schwierig zu sagen, wo die russische Regierung aufhöre und wo Gazprom beginne. Die „atlantische Gemeinschaft“ müsse sich deswegen auf die Fertigstellung des Ost-West-Korridores konzentrieren. Das fordere „Führung“ durch die USA in drei Punkten: erstens „diplomatisches Engagement in Asien. Ein US-Präsident müsse sich dort zeigen!“ Zweitens könne das atlantische Bündnis „die Fortschritte, die in Aserbeidschan und in Georgien gemacht wurden, nicht für garantiert halten. Um ein Maximum an Nutzen aus der Baku-Tiblissi-Ceyhan und der Süd Kaukasus Pipeline zu holen, muss die transatlantische Gemeinschaft fortfahren die demokratische Transformation im Kaukasus zu unterstützen.“ Und drittens müssten „widerspenstige europäische Regierungen (…) davon überzeugt werden, dass ihrer langfristigen Sicherheit mit der“Nabucco“Pipeline gedient“ werde.
Brzezinski, gleichfalls Teilnehmer des Hearings, assistierte mit der Behauptung, den Behörden der USA lägen Beweise über „Drohungen Russlands gegen Georgien“ (vor), „die nicht durch territoriale Dispute motiviert seien, obwohl es die durchaus gebe, sondern ihre Ursache liege darin, die Kontrolle über die Baku-Ceyhan-Pipeline zu übernehmen.“
Nur ein paar Wochen später hatte Saakaschwili den georgischen Krieg ausgelöst, den er u.a. damit rechtfertigte, Russland habe die BTC-Pipeline bombardieren wollen.
Nach dem Krieg wurde Brzezinski noch deutlicher: „Unglücklicherweise“, erklärte er in der „Welt“ , habe Putin „Russland einen Kurs einschlagen lassen, der in erschreckender Weise dem von Stalin und Hitler in den 1930er Jahren sehr ähnlich“ sei. Wenn Russland diesen Kurs fahre, müsse es isoliert und aufgehalten werden, „indem man eine kollektive, globale Reaktion initialisiert.“ Sanktionen seien nötig. Rücksicht auf Putin sei „kontraproduktiv“.
Gebremste westliche Alternativen
Was so entsteht, ist ein globales Pipeline-Wettrüsten, bei dem selbst die US-Urheber der neuen Transportwege nicht mehr ganz durchblicken. So ist es in den Anhörungen des Komitees für Auslandsbeziehungen der USA zu lesen, wo der Regierung Bush vorgehalten wird, sie habe den Fokus in der Energiepolitik verloren und kritisch konstatiert wird, dass Putin gelinge, was vom „atlantischen Bündnis“ nur diskutiert werde.
Ein weiterer Teilnehmer des Hearings, Zeyno Baran, versucht das Problem auf den Punkt zu bringen, indem er feststellt, der wichtige Unterschied zwischen „Nabucco“ und „South-Stream“ liege in der Frage der Eigentümer: „Nabucco“ werde privat finanziert und müsse deshalb kommerziell lebensfähig sein, „während Süd-Strom durch die staatseigene Gazprom gestützt wird, der ganz und gar willens ist Projekte zu finanzieren, die keinen kommerziellen Sinn machen, solange sie den strategischen Zielen Moskaus dienen.“
Richtig an diesen Feststellungen ist, dass sich die Schwachstellen der vom „atlantischen Bündnis“ angelegten neuen Transportwege inzwischen zeigen: Der kürzeste Weg für den Transport kaspischen, zentralasiatischen und sogar Teilen des sibirischen Gases und Öls wäre zweifellos der über den Iran gewesen, stattdessen hat man den Korridor Georgien gewählt. Zur BTC-Pipeline kommt seit 2006 auch noch die Gaspipeline bis zum türkischen Erzurum, mit Abzweigungen zu den georgischen Häfen und Supsa. Die Kapazitäten beider Pipelines, Öl wie Gas, können nur dann ausgelastet sein, wenn Turkmenisches und Kasachisches Öl und Gas nicht mehr über Russland abfließt. Das geschieht aber wieder verstärkt, weil Russland es trotz aller Störmanöver seitens der Betreiber des atlantischen Ost-West-Transportkorridors seit Ende der 90er geschafft hat, eine Gas-Pipeline, die sog. „Blue Stream“ von Noworossisk durchs Schwarze Meer nach Samsung zu verlegen. Kapazitätsverluste für „Nabucco“ wird es geben, weil „South Stream“ auf kürzerem Weg, ebenfalls unter Wasser, von Novorossisk nach Bulgarien führen wird. Und schließlich wird sogar noch eine Minipipeline Gas von Nordossetien nach Südossetien führen. Am 29. Mai, dem Unabhängigkeitstag Südossetiens, wurde in Südossetien die „goldene Schweißnaht“ gesetzt. Russisches Gas soll Ende 2008 zum Inlandpreis von Norden nach Süden fließen.
Die Alternativen für den Westen sind dürftig: Schürfrechte auf dem Boden des Kaspischen Meeres zum Bau der geplanten Unterwasserpipeline, die turkmenisches Gas in die türkisch-georgische Gaspipeline führen soll, sind ungeklärt. Der Anfang der 90er Jahre geplante Weg über Afghanistan ist im Krieg mit den Taliban untergegangen, neue Ansätze für eine afghanische Lösung stocken in den wieder aufgeflammten Kämpfen. Daher gehen die Prioritäten Turkmenistans und tendenziell auch anderer asiatischer Förderer heute eindeutig wieder in Richtung Russland. Russlands Teilhabe am Bündnis der „SOC“-Staaten, ebenso wie der 2008 in Teheran beschlossene gegenseitige Beistandspakt der Anrainer des kaspischen Meeres begleiten diese Entwicklung. Die gesonderten Verträge einzelner EU-Staaten mit Gazprom zu „North Stream“ und „South Stream“ sind eine Folge dieser Realität.
Wie sehr der Aufruf Brzezinskis Russland zu isolieren von Wunschdenken diktiert ist, springt aus einer Meldung der Internetseite polskaweb.eu in die Augen, die nach dem Ende der Kämpfe in Georgien – höchst widerwillig – bekannt gab, zwischen der „russischen Politzange ‚Gazprom'“ und Turkmenistan sei nun ein langfristiger Gasliefervertrag abgeschlossen worden und kommentiert: „Die ersten verhängnisvollen Folgen des Krieges im Kaukasus nehmen (damit) ihren Lauf; denn Turkmenistan hat beschlossen, dass das Gas, was eigentlich über Georgien an Westeuropa geliefert werden sollte, zukünftig an Russland und China verteilt werden soll.“
Verhängnisvoll? – ja, wenn „BTC“- und „Nabucco“-Pipeline weiterhin ökonomischer Vernunft zum Trotz in Konkurrenz zu Gazprom betrieben werden sollen. Nein, wenn „marktwirtschaftliche“ Motive und „strategische Ziele“ nicht gegeneinander gestellt, sondern zum allgemeinen Nutzen eines globalen Energieversorgungsnetzes zusammengeführt würden, wie es das von Ungarn vorgeschlagene Joint Venture von „Nabucco“, „South Stream“ zum Beispiel als Möglichkeit andeutet, das auch die zentralasiatischen Staaten und den Iran einbeziehen soll. Ökonomische und politische Vernunft spricht für solche und ähnliche Lösungen vernetzter Nutzung der noch vorhandenen fossilen Ressourcen – solange keine Alternativen zur Abhängigkeit der heutigen Gesellschaften von Öl und Gas entwickelt worden sind; nur bei kooperativer, friedlicher, nachhaltig orientierter Nutzung der heute noch benötigten und heute noch vorhandenen fossilen Ressourcen ist eine Zukunft jenseits dieser Ressourcen überhaupt denkbar.
Mit Blick auf die angeblichen Gefahren, denen eine friedliche Perspektive durch eine russische Dominanz ausgesetzt sein könnte, gab Vizevorstandschef von Gazprom Alexander Medwedew, Mitglied des Aufsichtsrates von Gazprom der Presse im Sommer 2007 eine bedenkenswerte Antwort: „Unsere industriellen Partner“, erklärte er, „haben solche Sorgen nicht. Im Gegenteil. Sie wissen, dass wir unsere Verpflichtungen einhalten werden. Gewisse politische Kreise jedoch kultivieren absichtlich ein Image vom ‚bösen Gazprom‘ im Bewusstsein der Bevölkerung. Zudem zielt dieses negative Image über Gazprom hinaus, um das ganze Russland mit einzuschließen. Aus meiner Sicht ist folgendes Dilemma entstanden: Welches Russland ist besser für die globale Gemeinschaft, ein starkes oder ein schwaches? Mir scheint, dass ein schwaches Russland wesentlich mehr Risikos enthält, während ein starkes Russland ein ebenbürtiger wirtschaftlicher und politischer Partner sein wird.“ Die Frage ist nur noch, wie die gegenwärtige „globale Gemeinschaft“ zu einer Gemeinschaft ebenbürtiger Partner wird. Es ist die Frage danach, wie aus einer „Koalition der Willigen“ unter US-Dominanz die kooperativ handelnde Gemeinschaft einer multipolaren Welt wird.
Kai Ehlers