Devisen aus dem Gas- und Ölgeschäft waren bereits für die Sowjetunion ein festes Grundeinkommen. Öl und Gas überquerten die Gräben des Kalten Krieges ohne Unterbrechung. Die Auflösung der UdSSR ließ diese Brücke einbrechen. Die Einnahmen sanken auf 20% ihres Umfanges. Die Privatisierung der Öl- und Gasförderung leitete auch die wenigen Einnahmen noch an den Kassen des Staates vorbei in private Taschen und wurde von dort ins Ausland transferiert. Russland wurde zum Objekt westlicher Interessen.
Diese Phase der nachsowjetischen Transformation endete in der Krise von 1998. Die Krise bildet zugleich den ersten Wendepunkt in der Geschichte des neuen Russland, insofern es sich entschloss zukünftig auf Kredite des IWF und der Weltbank zu verzichten und auf eigene Kräfte zu setzen.
Die Verhaftung des Öl-Oligarchen Michail Chodorkowski 2003 markiert die entscheidende Fortsetzung dieser Politik: Unter Putin übernahm der Staat wieder die Kontrolle über die fossilen Ressourcen des Landes. Heute fließen die Steuern aus dem Gas- und Öl-Export wieder in die Staatskasse. Das Staatsbudget hat sich seit 2000 versechsfacht. Ein Stabilitätsfons, der 2004 für die Ölmilliarden eingerichtet wurde, ist inzwischen auf 108 Milliarden angewachsen. Daneben hat Russland 356 Milliarden $ in Gold- und Devisenreserven angesammelt. Russisches Kapital sucht Anlagemöglichkeiten im Ausland. Aus dem Kreditnehmer ist ein Kreditgeber geworden.
Der „Fall Chodorkowski“ markiert zugleich einen Wandel in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Für die USA war die Verhaftung Chodorkowskis eine Niederlage ihres Versuches, sich die russischen Ressourcen unter Umgehung des russischen Staates verfügbar zu machen. US-Hauptstratege Sbigniew Brzezinski, nach dessen Vorstellungen diese US-Politik entwickelt worden war, warnte daraufhin prompt vor einem russischen „Energiefaschismus“, der die Welt erpressen wolle. Der „Gasstreit“ zwischen Russland und der Ukraine gab dem weitere Nahrung. Als Russland sich erbot, das G8-Treffen als „Energiegipfel“ zu organisieren, auf dem weitreichende Vereinbarungen für eine zukünftige Energieordnung getroffen werden könnten, stellte der Westen dem die Forderungen nach Liberalisierung der Energiemärkte entgegen. Konfrontationen schienen vorprogrammiert. Im Ergebnis verabschiedete man eine Erklärung zur „Globalen Energiesicherheit“, die sich in Floskeln zur „Wichtigkeit offener und transparenter Märkte“ erschöpfte. Die vorher heiß diskutierte internationale „Energiecharta“, die u.a. eine Liberalisierung der Energiemärkte fordert, wurde weder von Russland noch von den USA unterzeichnet.
Umso klarer treten seitdem die weiteren Konfliktlinien hervor: EU und Russland suchen eigene Wege der „Annäherung durch Verflechtung“: Am 8. September 2005 wird der Bau der Ostsee-Pipeline im Beisein von Gerhard Schröder und Wladimir Putin sanktioniert, wenig später bietet Putin Deutschland an, zum zentralen Verteiler der Gaslieferungen aus den noch zu erschließenden Stockmannfeldern in der Barentssee zu werden, eine Option, die man bis dahin den Amerikanern vorbehalten hatte. Auf der Insel Sachalin werden von Russland Öl- und Gasförderprojekte der Konzerne Shell, Mitsui und Mitsubishi in Frage gestellt, deren Hauptabnehmer ab 2008 Japan, Korea und die USA sein sollten. Anfang 2006 äußert Putin seine Sympathie für eine „GAS-Opec“ aus Russland, Iran und Turkmenistan, zusammen 60% der Weltgasvorkommen, 30% davon russisch, noch ohne die vermuteten Vorkommen in der Barentsee und in Sibirien. Auf dem fünften Gipfel der „Shanghai Cooperation Organisation“ (SCO) im Juni 2006 schlägt Putin die Gründung eines „SCO Energieclubs“ vor. Er würde 20% der Gas- und 50% der Ölvorkommen der Welt kontrollieren. Die Rote Karte, die Putin den Raketenplänen der USA bei der NATO-Tagung in München Anfang des Jahres wie auch in seiner jüngsten Rede an die Nation entgegenhielt, spricht von einem Russland, das wieder Subjekt der Geschichte sein will. An diesem Russland führt kein Weg mehr vorbei.
Kai Ehlers
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