In den letzten Wochen war viel von der Opposition in Russland die Rede. Gemeint war in der Regel der „Marsch der Unzufriedenen“ mit Gary Kasparow an der Spitze und Boris Beresowski zur Seite, der von seinem Londoner Exil aus zum gewaltsamen Sturz des „Regimes“ aufrief. Aber ist dies „die“ russische Opposition? Sicher nicht. Wer von der Opposition in Russland sprechen will, muss mehr in den Blick nehmen.
Da wäre zunächst zwischen Opposition innerhalb der „Eliten“ und jener aus der Bevölkerung zu unterscheiden: Über Differenzen im Kreml dringt wenig nach außen: schlechte Zeiten für Kremlastrologen. Aber anlässlich der Aufrufe Beresowskis zum Umsturz ließ Außenminister Sergej Lawrow immerhin die Sorge erkennen, gestörte Wahlen könnten dazu führen, dass die noch nicht gefestigten russischen Eliten wieder auf Sonderinteressen wie zu Jelzins Zeiten zurückfallen könnten. Das gelte es zu vermeiden.
Seine Sorge ist berechtigt, ist doch die Disziplinierung der Gebietsfürsten wie auch die der Oligarchen durch die putinsche Administration noch sehr jungen Datums. Der „Fall Chodorkowski“ ist weder juristisch noch politisch abgeschlossen. Gerade eben laufen noch Auktionen des Yukos-Rest-Vermögens. Zwar findet sich die Mehrheit der Oligarchen angesichts der Verurteilung ihres Kollegen Chodorkowski inzwischen bereit, Steuern auf ihre Gewinne zu zahlen. Die von Wladimir Putin angeregte und soeben von der Duma für das Jahr 2008 beschlossene „Steueramnestie“, die es möglich machen soll, im Verlaufe des Jahres 2008 illegale Gewinne nachträglich zu einem minimalen Steuersatz zu legalisieren, zeigt jedoch, wie akut diese Fragen noch stehen.
Ähnliches gilt für Gouverneure, Bürgermeister und örtliche Organe der Selbstorganisation, mit denen die Kreml-Administration trotz der inzwischen bestehenden Regelung, dass Gouverneure vom Präsidenten ernannt werden, nach wie vor im beständigen Tauziehen liegt. Wie aktuell auch diese Problematik ist, zeigen Putins ausführliche Ausführungen zu bevorstehenden Erweiterungen regionaler und örtlicher Kompetenzen in seiner soeben gehaltenen Rede an die Nation, denen die Tatsache gegenübersteht, dass die Justiz, unterstützt durch den Inlandgeheimdienst FSB, mit dem Vorwurf des „Amtsmissbrauches“ und der Korruption in zunehmendem Maße gegen unbotmäßige Bürgermeister vorgeht.
Bei all dem ist schwer zu erkennen, in welche Richtung diese Auseinandersetzungen gehen, ob zu mehr regionaler und privatwirtschaftlicher Kompetenz, wie Putin es in seiner Botschaft ankündigte oder zu wachsender Kontrolle durch den FSB. Sicher ist jedoch, dass hier ein Oppositionspotential liegt, welches von Putin und seinen Leuten höchstes taktisches Geschick erfordert, wenn es sich während der Wahlen und vor allem danach nicht zu einer erneuten Desintegration der russischen Staatlichkeit auswachsen soll.
Die oppositionellen Bewegungen in der Bevölkerung sind ebenfalls zu differenzieren: Da ist zunächst die systemimmanente Opposition der Parteien, die zur Wahl antreten: Ihre Zahl wird sich nach den Reformen des Wahlrechtes stark reduzieren; 2003 waren es 23 Parteien, russische Medien erwarten jetzt eine Verringerung um mehr als die Hälfte. Von ihnen werden es, so die Prognosen, vier in die neue Duma schaffen.
Es wären dies ihrer Größe nach: Die Partei „Einiges Russland“, also die sog. Putin-Partei; sie wurde 2003 mit 37,1% der Wählerstimmen die stärkste Kraft. Weiter die regierungskritische „Kommunistische Partei Russlands“ (2003: 12,7%), sodann die „Liberal-demokratische Partei“ des National-Populisten Wladimir Schirinowski (2003: 11,6%). Neu hinzu tritt die Partei „Gerechtes Russland“, die 2006 mit Geburtshilfe der Kreml-Administration aus der Partei „Rodina“ (2003: 9,1%) hervorging. Die genannten Parteien sind jene, die aus den Regionalwahlen der Jahre 2005 und 2006 gestärkt hervorgingen. Als chancenlos dagegen gelten die beiden bekannten liberalen Parteien „Jabloko“ und „Union rechter Kräfte“.
Alle vier genannten Parteien, in dieser Frage nicht anders als „Jabloko“ und die „Union rechter Kräfte“ sind staatsloyal. „Einiges Russland“, ebenso wie die Partei Schirinowskis können zudem als Stützen Putinscher Politik betrachtet werden. Die neue Partei „Gerechtes Russland“ versteht sich als putinfreundliche linke Alternative zur „Partei der Macht“. Ihre wesentliche Funktion sahen ihre kreml-nahen Initiatoren im Vorfeld der kommenden Wahlen 2006 darin, die KP als einzige parlamentarische Opposition einzuschränken und zugleich weitere tendenziell linke Kräfte wie die relativ starke „Partei der Pensionäre“ sowie der „Partei des Lebens“ ins parlamentarische Geschen einzubinden. Tatsächlich schränkt die neue Partei auch den Spielraum von „Einiges Russland“ ein, wie die Regionalwahlen zeigten.
Im Ergebnis werden in der Duma aller Voraussicht nach drei regierungsfreundliche Parteien, die sich programmatisch wenig, sondern eher in der von ihnen vertretenen Lobby unterscheiden, einer regierungs- und sozialkritischen KP gegenüberstehen.
Das liberale Lager ist durch den Niedergang von „Jabloko“ und der „Union rechter Kräfte“ praktisch auf den Status einer Bewegung reduziert worden. Eine Einigung zwischen den Resten der eher links-reformerisch orientierten „Jabloko“ und der neo-liberalen „Union rechter Kräfte“ kam nicht zustande. Die Gründung des „Komitee 2008: Freie Wahlen“ beim G8-Gipfel 2006 durch Gary Kasparow, dem sich auch extrem rechte Kräfte anschlossen, trug mit ihren radikalistischen Positionen zur weiteren Zersplitterung der liberalen Szene bei. Mit dem „Marsch der Unzufriedenen“ 2007, von dem aus praktisch zum Wahlboykott und Sturz Putins aufgerufen wird, eskaliert die Mischung aus Resten liberaler Bewegung und aktionistischer Kritik des „Putinismus“ zu einer außerparlamentarischen Bewegung der direkten Aktion, die durch keine andere Perspektive als den Sturz Putins miteinander verbunden ist.
Der 1. Mai 2007 hat gezeigt, dass es über die Parteien und auch über den „Marsch der Unzufriedenen“ hinaus einen breiten Boden für spontane soziale Proteste gibt, der sich zurzeit im Rahmen gewerkschaftlicher Forderungen nach Lohnerhöhungen und Kampf um soziale Leistungen hält. Mit den zu erwartenden sozialen Folgen des WTO-Beitritts kann dieser Protest schnell wieder zu Höhen aufflammen, wie sie von den Protesten gegen die „Monetarisierung“ im Jahre 2005 erreicht wurden.
Solange die Einnahmen aus dem Öl- und Gas-Geschäft das russische Staatsbudget weiterhin füllen, ist eine Radikalisierung dieser Proteste und deren Verschmelzung mit den radikalen außerparlamentarischen Aktionen allerdings nicht zu erwarten. Eher wird sich die Tendenz zur Wahlenthaltung fortsetzen, welche die Wahlen zur Duma, wie zuvor schon die Regionalwahlen, mehr zu einem Thermometer der politischen Stimmung im Lande macht, das den politischen Akteuren eine Korrektur ihrer politischen Ausrichtung, vielleicht auch nur deren geschicktere Vermittlung ermöglicht, als zu einer Entscheidung für eine aktive Politik. Über aktive Politik wird erst in der danach folgenden Wahl eines neuen Präsidenten entschieden.

Kai Ehlers
www.Kai-ehlers.de

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