Das Problem der Stockmann- Felder, enthält drei sehr unterschiedliche Aspekte: Eine neue Runde in der Klima-Krise, eine neue Konstellation im „Great Game“ und schließlich eine weitere Stufe auf dem Weg in eine Neuauflage des kalten Krieges mit zeitgenössischen Mitteln. Zusammen bilden die drei Aspekte ein gefährliches Gemisch.
Die Rede ist von Gasfeldern vor Norwegen in der Barentssee, vor allem von den sog. Stockmann-Feldern. Sie allein sollen mindestens 3,4, nach neuesten Meldungen 4 und mehr Trillionen Kubikmeter Gas enthalten. Der Geologische Dienst der USA schätzt sie auf ein Viertel der noch unentdeckten Energiereserven der Welt. Die Vorkommen würden ausreichen, den Bedarf Deutschlands über dreißig Jahre zu decken, den der Welt ein Jahr lang. Die Felder werden seit etwa zehn Jahren erforscht, 2004 fasste Russland den Beschluss zu ihrer Erschließung; ab 2007 soll das erste Gas versuchsweise nach Europa strömen. Diese Entscheidung gab Gazprom im Oktober 2006 bekannt, nachdem bis dahin die USA als Hauptkunde des Projektes galt.
Der Reihe nach: Seit Jahren beunruhigen Klimaveränderungen die Welt. Augenfälligste Zeugin für den Klimawandel ist die Abschmelzung der Pole um jährlich zwei bis drei Prozent. Lediglich „peak oil“, die absehbare Grenze, an welcher der Bedarf an fossilen Brennstoffen die Vorkommen übersteigen wird, gab Umweltschützern bisher eine gewisse Hoffnung auf einen Umschwung in der Energiepolitik. Ausgerechnet von der Abschmelzung der Pole soll nun der Ausweg nahen! Das zurückweichende Eise, so hört man es aus Kreisen der Befürworter des Stockmann-Projektes, mache jetzt die Nutzung der bisher unter dem ewigen Eis verdeckten Gasvorkommen möglich, die vorher nur mit nicht bezahlbarem technischen Aufwand durchführbar gewesen sei. Mit den Stockmann-Feldern erhalte die Welt noch einmal einen Aufschub.
Dieser Argumentation muss man nichts hinzufügen, um sie als wahnhaft zu erkennen: die Krise der Energieversorgung wird nur verschoben, die Abschmelzung der Pole erhält einen weiteren Schub, das Nord-Meer wird in ein ökologischen Risikogebiet verwandelt. Dies alles spielt für die Betreiber des Mammutprojektes keine erkennbare Rolle.
Die Betreiber, das waren bis Ende Oktober 2006 der russische Gigant Gasprom, die norwegischen Unternehmen Statoil und Norsk, der französische Total-Konzern und die US-Konzerne Chevron und ConocoPhilips, seit Ende Oktober nur noch Gazprom. Damit sind wir beim zweiten Aspekt des Problems, der Aktualisierung des „Great Game“: Im April 2006 verkündete das damalige Projekt-Konsortium seine Absicht, im Laufe des Jahres die Gründung einer Betreibergesellschaft bekannt geben zu wollen. Noch bis zum Spätsommer des Jahres 2006 bestand die Option darin, eine internationale Betreibergesellschaft für die Ausbeutung des Feldes gründen zu wollen. Gazprom, das für sich 51% der Anteile der zukünftigen Gesellschaft beanspruchte suchte Teilhaber für die restlichen 49%. Die genannten Konzerne gehörten zum engsten Kreis der Bewerber; als Hauptabnehmer waren die USA im Gespräch. Geplant war, das Gas nicht über Pipelines, sondern über die Perfektionierung der neu entwickelten Technik der Gasverflüssigung per Schiff in die USA zu transportieren. Eine erste Versuchsanlage zur Gasverflüssigung, betrieben von der norwegischen Gesellschaft Statoil und der deutschen Firma Linde AG, sollte 2007 bei der nördlichsten Stadt Hammerfest ihren Probelauf aufnehmen.
Am 9.10.2006 verkündete Gazprom-Chef Alex Miller überraschend, der Konzern werde Ausbau und Ausbeutung ohne ausländische Hilfe in Angriff nehmen. Vorangegangen waren Auseinandersetzungen auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg, dem sog. Energiegipfel im Frühjahr des Jahres, auf dem Putins Angebot, Russland zum Garanten einer globalen Energiesicherheit machen zu wollen mit den Forderungen der West-Mächte nach weiterer Liberalisierung der Ölmärkte zusammenprallte. Man ging mit schönen Worten über gemeinsame Verantwortung, jedoch ohne Ergebnis in der Sache auseinander. Vorangegangen waren auch Erklärungen von Gazprom, dass man die technischen Schwierigkeiten der Gewinnung des Gases aus den arktischen Feldern überschätzt habe. Es sei nicht nötig, das Gas zu verflüssigen, es könne auch über die geplante Ost-See-Pipeline befördert werden. Im Übrigen, so weiter Gazproms Begründungen, habe keiner der potentiellen Teilnehmer ausreichend hohe Angebote für die mögliche Teilhabe gemacht. Unter diesen Umständen sei es für Gazprom günstiger die Finanzierung des Projektes selbst aufzubringen und mit anderen Gesellschaften gegebenenfalls in Teilfragen zu kooperieren.
Schon beim Dreiertreffen mit Jaque Chirac und Angelika Merkel in Paris hatte Wladimir Putin überraschend angekündigt, dass Russland nicht die USA, sondern Europa als zukünftigen Kunden der Stockmann-Gase sehe. Beim Treffen mit Kanzlerin Merkel während der Dresdener „Deutsch-russischen Dialoges“ einen Tag nach Millers Erklärung trat Putin an die deutsche Kanzlerin mit dem Angebot heran, Deutschland zum europäischen Verteiler für die Stockmann-Gase zu machen, indem das Gas aus der Arktis über die geplante Ostsee-Pipeline nach Greifswald geleitet werde.
Politische Beobachter aus Norwegen merkten in der Webzeitung russland.ru richtig an, Gazprom gehe es bei dieser Rochade keineswegs nur um Geld, damit sei Gazprom als drittgrößter Energiekonzern der Welt ausreichend versorgt, sondern in erster Linie darum, einen Handel „Ware gegen Marktzugang und technisches Know how“ zu realisieren. Deutschland verfüge durch seine geographische Lage und seine Position innerhalb der EU über optimale Möglichkeiten, als Verteiler der russischen Gase zu fungieren. Ein Pakt zwischen Deutschland und Russland zur Lieferung der Stockmann-Gase und evtl. weiterer Funde schaffe eine attraktive win-win-Situation, der beide Seiten in eine stabile langfristige Partnerschaft gegenseitiger Verpflichtungen einbinde. Auch Norwegen habe Chancen, in das Projekt einbezogen zu werden, denn es verfüge über langjährige technische Kenntnisse, die für die weitere Erschließung und Förderung der der Vorkommen wichtig seien. Mit einer solchen Entwicklung, so Putin , sei die „Zukunft der Wirtschaft Europas auf Dauer absolut gesichert.“ Das Gleiche erhofft sich Gazprom, versteht sich, das in diesem Zukunftsbild nicht nur Ressourcen lieferte, sondern über seine deutschen Partner Wintershall und EON auch am Verkauf des Gases mitverdienen könnte.
Mit dieser Wendung der Dinge war nicht nur die potentiell internationale Betreibergesellschaft geplatzt; es hatte sich auch ein folgenschwerer Wechsel in der Priorität der russischen Energiepolitik vollzogen: Europäische Union, vertreten durch Deutschland, anstelle der USA. Mehr noch, die USA aus dem Stockmann-Deal zu kicken, so die bereits genannten Norwegischen Beobachter, sei wohl als eigentlicher Zweck der Gazprom-Rochade anzusehen. Stimmt, denn inzwischen wurde die Entscheidung dahin gehend relativiert, dass der Konzern wegen des Umfanges des Projektes selbstverständlich an Kooperationspartnern interessiert sei. Die Option einer Teilhaberschaft ausländischer Konzerne, insbesondere der US-amerikanischen, ist jedoch vorerst vom Tisch.
Dass die USA von dieser Wendung der Dinge nicht begeistert sind, liegt auf der Hand. Damit sind wir beim dritten Aspekt des Stockmann-Deals, den Ursachen für die seit Mitte Oktober 2006 durch die westlichen Medien geisternden Anti-Putin-Kampagne.
Um besser zu verstehen zu können, worum es geht, muss man sich vielleicht noch einmal an den Grundton erinnern, den der US-Stratege Zbigniew Brzezinski nach Beendigung des Kalten Krieges gegenüber Russland vorgab: Ausgehend vom Ende der Sowjetunion entwarf er in seinem 1997 erschienenen Buch „Die einzige Weltmacht“ die Herstellung der Kontrolle über den Euroasiatischen Kontinent und seine Ressourcen als Hauptaufgabe der USA. Wer Eurasien beherrsche, beherrsche die Welt, so seine Grundthese. Daher müsse die US-Politik alles unternehmen, was ein erneutes Erstarken Russlands als Rivale in Eurasien verhindere.
Auf dieser Linie betrieben die USA, sekundiert durch eine halbherzige Politik der Europäischen Union ihre Minimierung und Einkreisung Russlands. Sie kauften sich in den russischen Energiemarkt ein, sie bauten neue Pipelines, sie trieben die NATO- und EU-Erweiterung voran und versuchten so, Russland von seinem früheren Monopol auf die eurasischen Öl- und Gas-Ressourcen zu trennen.
Mit der Verhaftung Chodorkowskis, der Zerschlagung des Yukos-Konzerns und der damit verbundenen Rückführung russischer Energiepolitik unter staatliche Kontrolle war diese Politik gescheitert. In dieser Situation legte Brzezinski nach. In der „Wallstreet“ vom 20. September 2004 veröffentlichte er einen Artikel über Wladimir Putin unter dem Titel „Moskaus Mussolini“, in dem er erklärte, Putin sei in Russland dabei, einen faschistischen Staat zu schaffen. Als Kritik am angeblich drohenden „Energiefaschismus“ Russlands fand dieser Tenor ein schrilles Echo in der Berichterstattung der deutschen Medien zu Chodorkowski, zum neuen NGO-Gesetz in Russland und anlässlich des russisch-ukrainischen Gasstreits.
Der Strategiewechsel Russlands in Sachen Stockmann-Feld von USA auf Europa hat eine neuerliche Auflage dieser Kampagne provoziert. „Angst vor Russland“ heißt es jetzt. Aus US-Sicht ist dieser Tenor konsequent. Die Stockmann-Felder geben Russland – im Verein mit den Europäern – einen weiteren Trumpf in die Hand, der die USA ins Abseits einer Abhängigkeit von, statt zu der erwünschten Vorherrschaft über Eurasien bringen könnte. Angesichts des Scheiterns ihrer IRAK-Politik verbietet sich für die USA jedoch jede offene Konfrontation mit Russland; da bleibt nur der Versuch, Putin politisch zu diskreditieren, zu isolieren und nach Möglichkeit innenpolitisch zu demontieren, um Russland auf diese Weise zu schwächen. Die bevorstehenden Wahlen zur Duma und zur Präsidentschaft in Russland geben dazu Gelegenheit.
Verblüffend dagegen ist der Auftritt der deutschen Politiker und Medien, die ebenso zum Medienangriff auf Putin blasen, obwohl er ihnen mit dem Stockmann-Projekt soeben das Geschenk des Jahrhunderts gemacht hat. Das kann nur noch als Übersprungshandlung verstanden werden, mit der man sich von dem Verdacht der Kumpanei reinwaschen möchte, denn sachlich hört und liest man keine Kritik an Putins Geschenk, weder am Ausbooten der USA noch an den ökologischen Konsequenzen des Projektes. Vielleicht möchte man auch Eigenständigkeit beweisen und sich gegen zu enge Umarmung durch Russland verwahren. Wie auch immer, die gegenwärtige Puten-Schelte ist wohl die verlogenste Kampagne, welcher sich europäischen, insbesondere die deutschen Medien sich seit Langem hingegeben haben.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

Siehe auch:
„Kai Ehlers, „Aufbruch oder Umbruch. Zwischen alter Macht und neuer Ordnung“, Pforte/Entwürfe

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