Seit Anfang Dezember ist die Welt mit einem Vorgang konfrontiert, der die vertrauten politischen Koordinaten nachhaltig verändern könnte: Der Bau einer Gas-Pipeline vom russischen Wyborg zum deutschen Greifswald quer durch die Ostsee wurde offiziell in Angriff genommen. Anwesend waren der neue deutsche Wirtschaftsminister Klos, der Chef des russischen Gas-Konzerns Miller Gasprom sowie weitere Vertreter der von Schröder und Putin eingeleiteten deutsch-russischen Energiepartnerschaft. Das Projekt wird zu 51% von Gasprom, zu je 24,5% von BASF und Ruhrgas/Wintershall getragen, die Dresdner Bank trägt 33% der Kosten per Kredit. Vorsitzender des Aufsichtsrat der „North european Gas Pipeline Company“ soll Gerhard Schröder werden, Generaldirektor wird Matthias Warnig von der Dresdner Bank.
Die Begleitumstände des Projektes sind außerordentlich, dies aber nicht wegen des Wechsels der deutschen Kanzlerschaft; der ändert nichts an der grundsätzlichen Haltung der deutschen Bundesregierung in Bezug auf das „Jahrhundertgeschäft“, wie die stolzen Verlautbarungen des neuen Wirtschaftsministers Klos zeigen. Auch in den Chor derer, die Schröder „Vetternwirtschaft“ und „Heuchelei“ vorhalten, muss man nicht einstimmen. Die Unterwerfung der Politik unter die Ökonomie ist heute Standard; der ist veränderungsbedürftig, aber da macht ein Ex-Kanzler Schröder keine Ausnahme. Im Unterschied zu anderen politischen Funktionsträgern tritt Schröder aber nicht in eine deutsche, westliche oder US-amerikanische, sondern in eine russisch dominierte Firma ein. Das macht den Vorwurf möglich, hier entwickle sich eine neue deutsch-russische Achse.
Damit sind wir bei der ersten Besonderheit dieses Vorgangs, die erhebliche Auswirkungen haben kann: Die Gas-Lieferungen des Ostsee Konsortiums sollen, wie man hört, in Euro abgerechnet werden. Das klingt harmlos, handelt es sich doch um ein deutsch-russisches Abkommen. Angesichts der Tatsache jedoch, dass der Dollar bisher die Währung war, in der Öl- und Gasgeschäfte abgewickelt wurden, diese Funktion des Dollars in den letzten Jahren aber in zunehmendem Maße in Frage gestellt wird, ist der angekündigte Wechsel von strategischem Gewicht: Seit die USA im großen Deal um Yukos/Chodorkowski zurückstecken mussten, beginnt sich die Auseinandersetzung vom direkten Zugriff auf die Ressourcen auf ein andere Ebene zu verlagern: Gleich nach dem Prozess verkündete die russische Regierung, sie gedenke ab sofort ihre Währungsreserven vom Dollar tendenziell auf eine Parität von Dollar und Euro umzustellen. Schon Ende des Jahres soll ein Verhältnis von 60 Dollar zu 40 Euro erreicht sein, sehr bald 50 zu 50.
Der erste, der solch einen Schritt wagte, war Saddam Hussein. Dafür wurde er abgestraft. Nach der Invasion der USA in den IRAK wurde diese Entscheidung des IRAK rückgängig gemacht. Inzwischen haben aber weitere Länder entsprechende Absichten geäußert, unter anderem Venezuela, der Iran, sogar die Saudis lassen solche Absichten erkennen. Wenn jetzt ein deutsch-russisches Konsortium ebenfalls diesen Weg einschlägt, sind harsche Antworten seitens der USA absehbar. Man darf gespannt sein, wie Frau Merkel mit diesem Erbe ihres Vorgängers im Kanzleramt umgehen wird.
Die zweite Besonderheit des Ostsee-Vorganges liegt in der Kaltschnäuzigkeit, mit der das Geschäft zwischen Russland und Deutschland unter Umgehung der EU-Newcomer durchgezogen wurde. Polen, Letten, Litauer wie auch Estländer hatten gegen die Verlegung der Pipeline quer durch die Off-Shore-Bereiche der Ostsee protestiert. Sie sehen sich wirtschaftlich übergangen, benachteiligt, sogar durch mögliche Gas-Boykotte von Seiten Russland gefährdet. Politisch sehen sie sich an unselige Zeiten erinnert, in denen Polen wie auch die baltischen Staaten für die europäischen Mächte die Funktion eines „cordon sanitaire“ hatten, mit dem Frankreich, Deutschland und andere sich nach dem Ersten Weltkrieg vor dem Einfluss der bolschewistischen Revolution schützen wollten. Auch die Gespenster des Hitler-Stalin-Paktes kamen wieder hervor, in dessen Verlauf Deutschland und Russland den polnischen und baltischen Raum als ihre Interessensphären untereinander aufgeteilt hatten.
Schröder, seinerzeit noch Bundeskanzler, hatte auf all diese Kritiken nur die Antwort: „Das Projekt richtet sich gegen niemanden.“ Tatsächlich richtet sich das Projekt nicht nur gegen Konkurrenten wie die USA, China oder auch Indien, sondern, wie man der kommentierenden Presse entnehmen kann, auch gegen „mögliche Erpressungsversuche“ durch Polen oder die baltischen Staaten. Das gilt selbstverständlich auch für die Ukraine oder Weißrussland, die bisher die hauptsächlichen Transferländer für russisches Gas nach Deutschland und Europa waren. Erfolgreicher ließ sich der Brandt-Bonus der Verständigung mit Polen und den baltischen Ländern
wohl nicht verspielen. Dem Anspruch einer demokratischen Entwicklung der EU dürfte das nicht gerade förderlich sein.
Nachhaltig wird die deutsch-russische Pipeline-Gemeinschaft schließlich weder im Sinne einer dauerhaften Lösung des fossilen Energieproblems, noch für die Entwicklung von weiterführenden Zukunftsperspektiven wirken: Die Pipeline durch die Ostsee erschließt keine neue Gasquelle; sie verteilt nur das vorhandene Gas anders. Sie entwickelt auch keine alternativen Energien, sondern verpulvert unvorstellbare Gelder, die besser für die Erforschung und Entwicklung alternativere Energiequellen eingesetzt würden.

 

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

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