Anmerkungen zu einem Text von Katja Kipping und Ronald Blaschke (in Sozialismus Heft 10/2005)
Vielen Dank an Katja Kipping und Ronald Blaschke für ihre Klarstellungen in dem Artikel: „Und es geht doch um… Das Gespenst des Grundeinkommens.“ Was sie gegen die Positionen von Jörg Schindler und Kolja Möller vorbringen, scheint mir weitgehend klar zu sein. Die Debatte um ein „Ende der Arbeit“ ist zwar nicht ganz „selbst erfunden“, wie sie sagen, man findet immer wieder verkürzte Positionen, die schlicht vom Ende der Arbeit sprechen. Es geht aber natürlich nicht um ein Ende der Arbeit, sondern um ein Ende der Lohnarbeit, wie wir sie heute kennen. Das machen sie dankenswerter Weise sehr klar. Angenehme Klarheit schafft auch ihr Rekurs auf die Definition der Arbeit durch Karl Marx, aus der die Differenzierung von Arbeit als stofflichem Austausch mit der Natur und als immateriellem Anteil der Arbeit, die „free activity“ und schließlich die einfache Tatsache hervorgeht, daß der Sinn der Arbeit letztlich darin besteht, den stofflichen Anteil der notwendigen, oft sinnentleerten Arbeit gegenüber der freiwilligen, sinnvollen, auf kulturelle Entwicklung gerichteten so weit wie möglich zu reduzieren, so wie es Götz Werner in seinem Interview in der Stuttgarter Zeitung vom 2.7.2005 aus der Sicht einer Unternehmers paradox, aber klar formulierte, als er sagte, „Aufgabe der Wirtschaft (sei) es, die Menschen von der Arbeit zu befreien.“ Klar ist, daß auch er hier den Teil des stofflichen Austausches, also, die heute übliche Lohnarbeit meint.
Aus all diesen Voraussetzungen folgt, auch darin ist Katja Kipping und Ronald Blasche zuzustimmen, daß eine emanzipatorische Reformpolitik unbedingt in die Richtung einer Reduktion der notwendigen Arbeit, in Richtung auf eine weitgehende Befreiung aller Individuen von der fremdbestimmten Lohn-/Erwerbsarbeit und auf ein Recht aller auf free activity zielt – natürlich, wie sie schreiben, auf der Grundlage des unbedingten Rechts auf die Teilhabe am materiellen gesellschaftlichen Reichtum. Alles klar – die Produktivität wächst, die Zahl der benötigten Arbeitskräfte sinkt, wie Jeremy Rifkin es formuliert; anders gesagt, eine abnehmende Zahl von Lohnarbeitsplätzen kann eine wachsende Zahl von Menschen versorgen.
Zu ergänzen ist dabei natürlich, um keine Nebenfronten aufzumachen, zugleich aber schon hier auf ein bisher im Rahmen der Debatte um das Grundeinkommen meiner Kenntnis nach nicht erörtertes Problem aufmerksam zu machen, daß die Zahl der Arbeitskräfte relativ zur steigenden Produktivität fällt, nicht etwa absolut. Angesichts der exponentialen Zuwachsrate der Weltbevölkerung nimmt die Zahl der Lohnarbeiter weiterhin absolut zu. Die Tatsache, dass ein Lohnarbeits-, man könnte auch sagen Maschinenplatz, eine wachsende Zahl von Menschen versorgen kann, ist eine ebenso absolute Tatsache. Ob. wann, unter welchen Bedingungen und mit welchem Ergebnis es soweit kommt, daß die Produktivität auch das absolute Wachstum der Zahl der Lohnarbeiter übersteigt, wo sich also Produktivität und Wachstum der Weltbevölkerung absolut überschneiden, ist aber bisher nicht absehbar. Aus dieser Unsicherheit resultieren eine Reihe von Fragen, die später noch erörtert werden sollen.
Richtig ist, dass das Märchen von der Vollbeschäftigung nur eine Illusion ist, sie war eine vorübergehende Ausnahmerscheinung des geteilten Deutschland. Dabei müssen West- und Ost-Deutschland noch einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden, denn im Westen bricht eine andere Illusion zusammen als im Osten. Nach Beendigung der Sondersituation aber treten die Grundgesetze kapitalistischer Entwicklung auch in Deutschland wieder in Erscheinung und dies auf Grund der vorherigen Sondersituation mit besonderter Schärfe: Jetzt müssen Lohnarbeit und soziale Versorgung neu organisiert werden, so dass weniger Lohnarbeit auf mehr Menschen verteilt wird, anders gesagt, so dass der einzelne Mensch mit weniger Lohnarbeit trotzdem versorgt ist und Zeit gewinnt für andere, freiere Formen der Arbeit als die des unmittelbaren Stoffwechsels mit der Natur.
Das Stichwort: staatlich garantiertes Grundeinkommen ist eine logische Konsequenz aus dieser Entwicklung. Entsprechend hoch ist die Zustimmung, die dieser Gedanke zur Zeit findet. Aber reicht der Ruf nach staatlicher Versorgung? Ökonomisch gesehen, bedeutet die beschriebene Entwicklung ja erst einmal nicht mehr als ein Fortschreiten vom individuellen zum kollektiven Lohnarbeiter, wenn man den stofflichen Arbeitsprozess betrachtet, der an einem Werkzeug, bei weiterer Entwicklung einer Maschine nicht von einem, sondern von zwei, drei oder noch mehr Menschen durchgeführt wird. Das bedeutet, mehrere Menschen, deren Arbeitskraft in die Produktivität einer Maschine eingeht, können sich das Produkt, bzw. den Gewinn aus dem Produkt teilen, um daraus ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Sicht schließt Management, Verwaltung und Verkauf mit ein, deren Anteil am Zustandekommen des Endgewinns anteilig gerechnet werden muss. Es wird also ein Verteiler gebraucht, der diese gemeinschaftliche, aber in sich trotzdem nach Arbeitseinsatz, Qualifikation usw, dennoch differenzierte kollektive Lohnarbeit gerecht unter die Leute bringt. Ist „der Staat“, der Steuern einzieht und dann gleichermaßen an alle auszahlt, das einzige denkbare Modell? Wer ist der Staat? Wird der Staat mit diesem Modell nicht in eine Position derAllmacht gehoben?
Mir scheint, die Frage des Grundeigentums kann nicht erörtert werden. ohne auch die Frage des Staates neu aufzuwerfen. Gebraucht wird eine Organisation des zukünftigen Wirtschaftslebens, die die Menschen nicht nur tendenziell unabhängiger von der Lohnsklaverei macht, sondern zugleich auch von seiner Abhängigkeit durch den Staat. In den bisherigen Vorschlägen zum staatlich garantierten Grundeinkommen wird argumentiert, dass diese Grundregelung zu einem Abbau der bisher bestehenden aufgeblähten sozialfürsorgerischen Bürokratie, des fiskalischen Apparates etc. pp. führe. Das ist nicht von der Hand zu weisen und mit Sicherheit ein begrüßenswerter Effekt einer solchen möglichen Regelung, es bleibt aber die Gefahr, daß „der Staat“ über das Machtmonopol hinaus auch noch das Monopol als wirtschaftlicher Volksversorger erhält. Wer kann einen solchen Moloch noch kontrollieren?
Was geschieht, wenn das Grundeinkommen des Staates (sei es aus Einkommenssteuern, Konsum- oder sonstigen Steuern) nicht ausreicht? Wer bestimmt die Höhe des Grundeinkommens? Was geschieht, wenn der Staat das Grundeinkommen für alle nicht auszahlen kann?
Wer das Leztere für eine nur hypothetische theoretische Frage hält, erinnere sich bitte an die weiter vorne getroffene Feststellung, dass die Produktivität heute zwar relativ zur Zahl der Lohnarbeiter wächst, aber nicht absolut. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass eine Grundannahme im Modell der staatlich garantierten Grundeinkommens, wie es bisher vorliegt, nicht ausreichend durchdacht und überprüft worden ist, nämlich die Tatsache, dass die Versorgung der wachsenden Zahl der Weltbevölkerung aller steigenden Produktivität zum Trotz nicht gewährleistet sein könnte, ja, grundsätzlicher, dass die Werte, an denen das Wachstum der Produktivität bei uns heute gemessen wird, nicht zukunftsfähig sein könnten.
Die Hochrechnung der gegenwärtigen Produktivität – wie Jeremy Rifkin sie z.B. vornimmt – geht von der stillschweigenden Prämisse aus, dass die heute übliche Art der Produktion sich in die Zukunft hinein fortsetzt. Angesichts sich ankündigender globaler Überproduktionskrisen, Verheizung der natürlichen Ressourcen und Zerstörung der Selbstversorgungsfähigkeiten der Menschen und Völker, der damit verbundenen ökologischen Einbrüche und eines explodierenden Wachstums der Weltbevölkerung ist dies aber, schlicht gesagt, sehr unwahrscheinlich. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass wir zu neuen, reduzierten Formen der Produktion, zu sozialen, statt bloß ökonomischen Formen des Wachstums, zu neuen Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft kommen müssen und werden. Industrieproduktion und Selbstversorgung müssen ein neues Bündnis miteinander eingehen, global, regional, lokal, damit die Menschen überleben und neue Formen des Zusammenlebens entwickeln können.
Dies alles, was ich hier nur andeuten will, geht in die Frage ein, wie die industrielle Arbeit in Zukunft organisiert wird und wie ihre Produkte verteilt werden können. Zu einem grundsätzlich neuen Schritt in der Organisation der Arbeit gehört ein ebenso grundsätzlich neuer Schritt in der Organisation des Zusammenlebens, anders gesagt, es geht nicht nur um eine Emanzipation vom stofflichen Zwang der Ökonomie, sondern auch vom Staat als dessen Repräsentant. So wie die Lohnarbeit sich zur Arbeit hin emanzipiert, so muss der Staat von einem patriarchalen Fürsorgestaat zu einem Förderer der Symbiose von Lohnarbeit und Selbstversorgung entwickelt werden. Der Impuls, der aus der Krise der Lohnarbeitsgesellschaft hervorgeht, das Leben gemeinschaftlich zu organisieren, darf nicht auf eine Aufblähung des Staates, sondern muss in die Förderung von neuen Gemeinschaftsformen gelenkt werden, welche die notwendige Symbiose von Lohnarbeit und Selbstversorgung von der Basis der Gesellschaft her bestimmen. Meinetwegen kann man auch sagen; die wirtschaftlichen Voraussetzungen erlauben einen Entwicklungsschub in Richtung direkter Demokratie; erstrebenswert ist die Entstehung von Versorgungsgemeinschaften unterschiedlichster Art, die Lohnarbeit, Selbstversorgung und Fremdversorgung zusammenführen und in sich ausgleichen.
Nur in solchen Strukturen, das sei schließlich noch angefügt, lässt sich das Problem der unterschiedlichen Interessen an der Arbeit, banaler, das Problem des Faulen und des Fleißigen lösen, das immer wieder als Argument gegen die Einführung des Grundeinkommens vorgebracht wird: In der Versorgungsgemeinschaft, wo Lohnarbeit, Selbstversorgung und Fremdversorgung im Konsens miteinander organisiert und ausgeglichen werden können, kommt zum bloß finanziellen Anreiz, die eine oder andere Arbeit zu übernehmen, der soziale hinzu. Er ergibt sich aus der inneren Dynamik der jeweiligen Gemeinschaft. Damit wird sie zu dem sozialen Körper, in dem sich die Minimierung der Lohnarbeit mit der Maximierung freier, selbst bestimmter Arbeit und sozialer Verantwortung verbinden kann. Ansätze zu einer solchen Entwicklung sind in den nach-sowjetischen Ländern zu erkennen, insbesondere in Russland, wo ein Weg jenseits der alten sowjetischen, aber auch über die westlichen Formen des Kapitalismus hinaus gesucht wird. Deutschland spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, weil in ihm ehemals sowjetische und heutige westliche Strukturen direkt aufeinander prallen, woraus sich eine besondere Schärfe der System- Problematik ergibt, eine besondere Notwendigkeit., aber auch eine besondere Chance zu einer Lösung zu finden.
Unterm Strich formuliert: Die Propagierung eines staatlich garantierten Grundeinkommens halte ich dann für sinnvoll, wenn sie verbunden wird mit einer Abkehr von der Vorstellung eines allmächtigen Fürsorgestaates und stattdessen aktiver Förderung von Gemeinschaftsstrukturen, die die dringend notwendige Symbiose von Lohnarbeit und Selbstversorgung als Grundlage eines neuen Verständnisses von Gesellschaft organisieren.
Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de