Die Wahl in der Ukraine brachte nicht den Mann ins Präsidentenamt, den der Westen und die west-orientierte Opposition erwartet hatte: Statt des
Liberalen Juschtschenko rief die zentrale Wahlkommission den konservativen Janukowitsch zum Wahlsieger aus, den Wladimir Putin zuvor mit zwei persönlichen Besuchen in Kiew als seinen Wunschkandidaten unterstützt hatte und dem er noch vor der amtlichen Bestätigung zu seinem Wahlsieg gratulierte. Statistische Hochrechnungen hatten vor der Wahl eine klare Mehrheit für Juschtschenko erwarten lassen, um so weniger konnten die Parteigänger Juschtschjenkos dessen unerwartete Niederlage akzeptieren. Sie klagen Wahlfälschung an und erklären, die Straße erst verlassen zu wollen, wenn ihr Kandidat als Präsident vereidigt worden ist.

In diesen Vorwürfen werden sie durch die Bush-Regierung, die euro-päischen Union wie durch Wahlbeobachter der OSZE bestärkt, die Russland, insbesondere Wladimir Putin, massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates vorwerfen, mit der er eine demokratische Entwicklung in der Ukraine und einen davon ausgehenden demokratisierenden Dominoeffekt in Weißrussland und in kaukasischen Staaten verhindern wolle. Wieder einmal steht der „Neo-Imperialist“ Putin am Pranger – und mit ihm pikanterweise zugleich auch sein Freund Gerhard Schröder, der ihn wenige Tagen zuvor in einer Talkshow zum „lupenreinen Demokraten“ erklärt hatte.

Man muss kein Mitglied der putin-nahen Partei „Einheitliches Russland“ und
kein rechter SPD-ler sein, um in diesen Bewertungen dasselbe Muster zu
erkennen, mit dem eine Gruppe von „internationalen Persönlichkeiten“ nach
den Ereignissen von Beslan auf Initiative US-amerikanischer Konservativer in einem “Offenen Brief“ an die NATO und EU eine Korrektur der bisherigen
kooperativen Russlandpolitik forderte und es muss darauf im Wesentlichen
dieselbe Antwort gegeben werden: Ja, es wurde manipuliert, allerdings von
beiden Seiten, so wie üblicherweise in den nachsowjetischen Staaten
manipuliert wird, wo bisher keine formaldemokratischen Wahlabläufe eingeübt sind, sondern nach patriarchalen Vorgaben gewählt wird. Aber müssen sich gerade die USA zur Kritikern aufwerfen, nachdem die Welt soeben ihre chaotischen Wahlverfahren mit ansehen musste? Und weiter: Ja, Putin hat sich eingemischt, Russland hat Interesse an einer autoritären Stabilisierung der Ukraine und mit dem Eingreifen wird die Entwicklung gestoppt, zumindest behindert, die gemeinhin als Demokratisierung bezeichnet wird.

Aber was ist das für eine Demokratisierung, die die Ukraine seit dem Ende
der Sowjetunion Schritt für Schritt an die NATO, an Europa bindet, sie aber
zugleich von einer Mitgliedschaft einer europäischen Wirtschafts-gemeinschaft ausschließt? Faktisch wurde die Ukraine zum Armenhaus, zum Frontstaat, zum Aufmarschgebiet zwischen Russland und der „einzig verbliebenen Weltmacht“ USA, die seit dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan systematisch daran arbeiten, Russland auf einen Kernbestand zu reduzieren, um die öl-haltigen „Filetstücke“, die Gas- und sonstigen Ressourcen Euroasiens neu verteilen zu können. Wer es nicht glaubt, lese Zbigniew Brzezinksis „Einzige Weltmacht“ und vergleichbare Äußerungen von konservativen US-Strategen, die gerade die Abspaltung der Ukraine aus dem ehemaligen russischen Verband als besonders dringlich bezeichnen.

Die EU-Strategen, weniger offen, aber nicht weniger begehrlich, sprechen verschämt von der „strategischen Ellipse“, die Objekt einer gezielten europäischen Sicherheitspolitik sein müsse. Diese „Ellipse“ ziehen sie von Saudi-Arabien, dem Iran, Afghanistan über die kaspische Region, den Kaukasus bis nach Nord-Russland. Die Ukraine ist Teil davon. Wer
auch dieses nicht glaubt, nehme sich die neuesten Veröffentlichungen der
regierungsnahen Zeitschrift „Osteuropa“ zur Hand, die soeben unter dem Titel „Europa unter Spannung –Energiepolitik zwischen Ost- und West“ erschienen sind.

Ins Niemandsland zwischen NATO, EU und Russland gedrückt, ist die Ukraine zum politischen Spielball zwischen den Blöcken geworden. Der Ausgang der jetzigen Wahlen, wie sehr im Detail auch manipuliert worden sein mag, ist daher nicht in erster Linie Ergebnis von äußeren Eingriffen, weder russischer, noch westlicher, auch nicht von Manipulationen, sondern mit seinem faktisch unentschiedenen Ergebnis authentischer Ausdruck dieser Situation: Die Ukraine ist ein geteiltes, ein gespaltenes Land, das zur Zeit nicht weiß, ob seine Zukunft in einer Wirtschaftsunion mit Russland liegt, die 2004 mit Aussicht auf eine Zollunion unter Einschluss von Kasachstan, Weißrussland und Moldawien gebildet wurde, oder ob sie einen Mitgliedschaft in der EU anstreben soll, die jedoch in unerreichbarer Ferne liegt.

Wladimir Putins Eintritt für seinen Wunschkandidaten Janukowitsch ist unter diesen Umständen nicht mehr und nicht weniger zu kritisieren als die politischen Aufmunterungen aus Washington, die finanziellen Zuwendungen für die liberale Opposition oder die Ausbildungsprogramme der NATO. Beides ist Ausdruck schlichter Machtpolitik, die auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

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