Am 30. Mai, passend zum Besuch des US-Präsidenten in Moskau, fand dort auch die Gründung einer Partei „Eurasien“ statt. Gründer und Leiter der Partei ist Alexander Dugin, seinem Selbstverständnis nach „Geopolitiker“, der sich als Kontrapart zu den US-Strategen Brzezinski, Kissinger oder Huntington versteht.
Ende der achtziger, noch Anfang der neunziger Jahre war Alexander Dugin als extremer Nationalist, der vor Rückgriffen auf die deutsche „konservative Revolution“ und vor Lobreden auf Hitler als Vorbild für eine nationale Politik nicht zurückschreckte, marginalisiert. Er galt als dubioser Extremist, der in Missbrauch des klassischen Euroasiatismus schwüle national-bolschewsitische Mythen verbreite.
Inzwischen, als leicht erkennbarer Reflex auf die von Krise und Kriminalisierung begleitete Amerikanisierung der russischen Gesellschaft, ist Alexander Dugins anti-westlicher Fundamentalismus nicht nur in der russischen politischen Klasse hofffähig geworden, sondern kann sich auch auf eine weit verbreitete Ablehnung der aus dem Westen kommenden Liberalisierung und neuerdings auch auf russische Kritiken an der Globalisierung stützen.
So erfolgte die Gründung der Partei „Eurasia“ jetzt bereits auf der Basis der „Bewegung Euroasien“, die seit Mitte 2001 mit großzügiger finanzieller und organisatorischer Unterstützung des Putinschen Präsidialamtes und des kommunistischen Duma-Vorsitzenden Gennadij Selesnjow mit beachtlicher Dynamik im ganzen Lande Fuß fassen konnte. Und wie seinerzeit die „Eurasische Bewegung“, so findet auch die Partei „Eurasia“ jetzt offenbar Zuspruch von vielen Seiten und Unterstützung aus dem Präsidialamt: 204 Delegierte aus 59 Regionen Russlands nahmen – eigenen Angaben der Veranstalter zufolge – an der Gründung der Partei teil. Im Präsidium der Gründungsversammlung waren u.a. vertreten: Alexander Waraski, Abgeordneter der gesetzgebenden Versammlung Jekaterinenburgs, Dordschi Lama, Koordinator der Vereinigung der Buddhisten, Pater Johan Mirojubow, Abt der Rigaer Gemeinde der Altgläubigen, die Rabbiner Arie Koran und Sakris Astran und weitere orthodoxe Geistliche. Der Mufti Scheich Talgat Tadschuddin, Vertreter der zentralen Leitung der europäischen Muslime Russlands, begründete seine Teilnahme an der die Versammlung mit der Erklärung, die Welt brauche heute die Ideen des Euroasiatismus.
Mit Glückwunschreiben war unter anderem der Präsident des Präsidial-Amtes Alexander Woloschin präsent, ebenso wie der Staatsekretär der Abteilung, die Verbindungen zum Föderationssowjet und zu politischen Gruppen des Landes hält, W.C. Kurjanow. Glückwünsche übermittelte auch die Abteilung für die Innenpolitik des Präsidenten mit Schreiben ihrer Sekretäre Alexandra Kospopkina und B.J. Chintschigaschwili. Es fehlten auch nicht die Glückwünsche aus den Reihen der orthodoxen Kirche, des Islam, aus den Botschaften der GUS sowie einige Grußworte aus dem Ausland, wobei die Öffentlichkeit in diesen Fällen nicht erführ, von wem diese Glückwünsche konkret kamen.
In seiner programmatischen Rede, die vom außenpolitischen Kurs Russlands ausging, erklärte Alexander Dugin, kraft seiner historischen Kontinuität und seiner geopolitischen Potenz werde es Russland als großes Imperium wesentlich einfacher haben als regionalisiert und zerstückelt. Euroasiatismus müsse deshalb heute vor allem als Projekt begriffen werden: „Russland als mächtiges weltweites Imperium.“
Des weiteren deklarierte Alexander Dugin fünf Prinzipien der neuen Partei, die hier in ihrer originalen Form vorgestellt werden sollen, um deutlich zu machen, wie sehr sie in die heranwachsende Mentalität einer reformmüden Mehrheit der russischen Gesellschaft eingepasst sind:

– „Wissenschaftlicher Patriotismus“:
Unter dieser Rubrik heißt es:
„Russland kann kein regionales Imperium sein. Es gibt keine Wahl: entweder eine Rolle in der Weltpolitik oder Untergang. Aber Russland kann seine geopolitische Souveränität und seine strategische Unabhängigkeit nicht allein erhalten. Die historischen materiellen und ideologischen Quellen des Isolationismus sind erschöpft. Russland braucht ein System der Allianzen – als Achse – innen wie außen. Es geht um die Bildung eines einheitlichen strategischen Raumes, der Europa und Asien miteinander verbindet. Euroasiatismus – das ist immer Multipolarität in der inneren wie in der äußeren Politik.

– Soziale Orientierung:
Das ist euroasiatische Wirtschaft, das ist Kapitalismus mit nationaler Seele und sozialistischem Gesicht. Das ist die Wirtschaft des dritten Weges: Marktwirtschaft muss im Kontext einer nicht markorientierten Gesellschaft angelegt sein, einer Gesellschaft der Gerechtigkeit, der Solidarität, der Moral. Aber Moral und Spiritualität können die soziale Tragödie nicht mit ansehen, wie unserer Zeitgenossen zu „vernachlässigenswerten Opfern des Kapitalismus“ werden. Markt muss nach sozialen Bedürfnissen der Gerechtigkeit und unter dem Imperativ der nationalen Wiedergeburt organisiert werden.

– Euroasiatischer Regionalismus.
Euroasiatismus ist keine abstrakte Angelegenheit, sondern hat mit den lebendigen Räumen unseres Landes zu tun. Jeder Verwaltungsbezirk, jeder Kreis Russlands hat seine besonderen Merkmale. Unser riesiges Land bildet selbst einen ganzen Kontinent, eine ganze Welt. Euroasiatismus bemüht sich, diese nicht nur formal zu vereinen – Rede, Bevölkerungszahlen, Territorium, Umfang der Produktion usw. Jede Region ist besonders und das Herangehen an sie muss besonders sein. In einem zukünftigen großen Imperium muss jede Region ihre Vertretung, ihre Stimme im Zentrum haben.

– Traditionalismus
Heute ist für alle offensichtlich: Technischer Fortschritt und Effektivität der Wirtschaft – das ist das eine, aber moralischer Fortschritt ist das andere. Und dabei weigert sich unser Bewusstsein, das abscheuliche Bild der Unsitten und Sünden anzuerkennen, das sich an der Grenze der Jahrhunderte öffnet. Und keine neue Spiritualität, keine Moral, keine neue Religion entsteht unter diesen Bedingungen. Um dieser Ausweglosigkeit zu widerstehen müssen wir zurückkehren zu unseren spirituellen Wurzeln. Wir unterstreichen die Notwendigkeit der Hinwendung zu einem integralen Traditionalismus, zu den Grundlagen der Konfessionen – der Orthodoxie, des Islam, des Buddhismus, des Judentums. Unerschütterliche Echtheit, Grundlagen der Moral und der Spiritualität – die Basis der Erneuerung und der Wiedergeburt muss genau dort und nirgends anders gesucht werden.

– Euroasiatische Ethik
Wir glauben, dass die höchste Kategorie der Geschichte, der höchste Wert das Volk ist. Der Mensch ist Teil des Volkes, er ist ganz und gar durch es geschaffen, erzogen, organisiert. Sprache, Kultur, Lebensart ist hervorgebracht von dessen ethnischer Zugehörigkeit. Völker müssen sich erhalten, müssen sich frei entwickeln.“

Ungläubigen Westlern mögen diese Inhalte angesichts des Westkurses Wladimir Putins abseitig vorkommen. Man täusche sich nicht! Nicht nur das Präsidialamt unterstützt den Aufstieg Alexander Dugins. Widerspruchslos ließ Wladimir Putin selbst sich, ungeachtet seiner Westorientierung, ja, möglicherweise gerade deshalb, in den Schriften und bei Veranstaltungen der „Eurasischen Bewegung“ als Kronzeuge zitieren. „Die Dynamik, welche die euroasiatische Idee in sich trägt“, so wird er anlässlich eines Kongresses, den die Bewegung zur Frage „Islamische Drohung oder Bedrohung des Islam“ mit hochrangigen Vertretern des islamischen und orthodoxen Klerus wie auch des Präsidenten-Apparates durchführte“, aus dem Internet zitiert, „ist heute, da wir authentische gleichberechtigte Beziehungen mit Ländern befreundeter Staaten aufbauen, besonders wichtig. Auf diesem Wege müssen wir all das Beste bewahren, das in einer langjährigen Geschichte der Zivilisation sowohl des Ostens als auch des Westens zusammengetragen wurde. Russland hat sich immer als euroasiatisches Land gefühlt. Wir haben nie vergessen das ein grundlegender Teil unseres Territoriums sich in Asien befindet. Die Wahrheit ist, das muss man ehrlich sagen, dass wir dieses Vermögen nicht immer genutzt haben. Ich denke, jetzt ist die Zeit gekommen, dass wir zusammen mit den Ländern der asiatisch-pazifischen Region von den Worten zur Tat schreiten – wir Wirtschaft entwickeln, politische und andere Verbindungen. Alle Voraussetzungen sind dafür in Russland gegeben.“ Eine seiner Reden in Kasachstan gipfelte in dem Satz: „Ist doch Russland ein ganz eigener Knoten der Integration, der Asien, Europa und Amerika miteinander verbindet.“ Wladimir Putin ist nicht Alexander Dugin, kann man dazu sagen, aber er lässt einen Think-Tank unter Dugins Führung gedeihen.
Auch gemäßigte Konservative, die keineswegs mit Wladimir Putin oder gar Alexander Dugin symthatisieren, müssen die Wirkung Alexander Dugins konstatieren. So Igor Tschubajs (Bruder des berüchtigten Anatoly Tschubajs, dem ehemaligen Chef-Privatisierer Russlands). Igor Tschubajs ist Professor für „Philosophie Russlands“ an der Universität für Völkerfreundschaft in Moskau, Initiator einer „Schule der Kontinuität“, die wie Dugin eine Besinnung Russlands auf seine eigene Geschichte fordert, dabei aber entschieden Abstand nimmt von krudem Anti-Westlertum.
Tschubajs, sieht die Begriffe der Anerkennung der historischen Kontinuität, des Anknüpfens an die Traditionen, der Erneuerung russischer Ethik, unter denen sich die von ihm initiierte „Schule der Kontinuität“ sammelt, von Alexander Dugins „Euroasiatischer Bewegung“ usurpiert. Er tröstet sich damit, dass „solche Gedanken eben offenbar in der Luft lägen, also könnten sie nicht falsch sein“. Dugins extremer Variante aber hat er im Grunde nichts entgegenzusetzen.
Mit beunruhigender Genugtuung konnten die Initiatoren der Partei „Euroasia“ darum konstatieren, die Gründung der Partei „Eurasia“ lege Zeugnis dafür ab, dass der „Euroasiatismus“, gemeint ist die nationalistische Radikalisierung des klassischen Euro-Asiatismus, den Rahmen der philosophischen Debatten verlassen habe und sich zur aktiven politischen Kraft herausbilde. Die Euroasiatische Idee, erklärten sie, könne zur „Grundlage der nationalen Idee eines Russlands des 21. Jahrhunderts“ werden. Sie könnten Recht haben, denn Russland ist nun einmal das Herzland zwischen Asien und Europa. Wenn es sich aber in der Duginschen Variante wiedererkennt, dann wird das einundzwanzigste ein sehr ungemütliches Jahrhundert.

 

www.kai-ehlers.de

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