Der „Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte“ ging soeben an die russische Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte „Memorial“. In seiner Laudatio in Köln, dem ehemaligen Wohnsitz des verstorbenen Lew Kopelew, würdigte der deutsche Bundespräsident Johannes Rau „Memorial“ als „wichtigsten Pionier der demokratischen Entwicklung Russlands“. „Memorial“ erhalte den Preis für die Aufarbeitung des Stalinismus und die Wahrung der Menschenrechte, fügte das Lew-Kopelew-Forum hinzu.
Bravo, kann man da sagen! „Memorial“ hat die Anerkennung mehr als verdient und was die Aufarbeitung des Stalinismus betrifft, so sind auch die Motive der Förderung klar. Aber was ist mit dem Einsatz für die Menschenrechte gemeint? Muss man das so verstehen, dass der deutsche Bundespräsident „Memorial“ für deren Kritik am Krieg in Tschetschenien auszeichnet? Immerhin ist „Memorial“ nahezu die einzige organisierte Kraft, die dem Wüten der putinschen Soldateska in Tschetschenien öffentlich bis heute entgegentritt, nachdem auch das Ausland auf Wladimir Putins Linie eingeschwenkt ist – vor einem halben Jahr Bundeskanzler Schröder, der Wladimir Putin versprach, den tschetschenischen Krieg zukünftig „differenzierter“ betrachten zu wollen, soeben Washington, das sein Propagandaradio „Radio Liberty“ anwies, auf die geplante Eröffnung einer „Kaukasischen Welle“ zu verzichten. In tschetschenischer Sprache sollte darin über die kaukasische Front berichtet werden.
Nein, so muss man es nicht verstehen: Das machte Wladimir Putin bei einem Besuch klar, den er soeben parallel zur der Preisverleihung an „Memorial“ bei Bundeskanzler Schröder in Berlin absolvierte. Der russische Präsident machte deutlich, dass der Krieg in Tschetschenien bis zum Ende fortgesetzt werden müsse, dass „Banditen, mit der Waffe in der Hand, die sich nicht ergeben wollten, vernichtet“ würden. Er sprach ohne Unterscheidung von „Terroristen“ und „Separatisten“, die aus denselben Quellen finanziert würden wie al Quaida; es handle sich um eine „terroristische Banditen-Internationale.“ So wie in Afghanistan Opfer unter der Zivilbevölkerung Folge einer Notmaßnahme seien, an der nicht die Amerikaner die Schuld trügen, so auch In Tschetschenien: „Die Lage bei uns in Tschetschenien“, so Putin, „ist absolut die Gleiche.“
Absolut die gleiche ist sie ja, wie man glauben soll, auch in Palästina, wo Ariel Scharon seine Massaker gegen die Palästinensische Bevölkerung mit exakt den gleichen Worten rechtfertigt wie Wladimir Puten die Übergriffe in Tschetschenien und George W. Bush zuvor seinen weltweiten „Krieg gegen den Terror“. In Palästina jedoch machen sich Wladimir Putin und Gerhard Schröder zu Anwälten des Friedens. Putins Außenminister appelliert an Scharon, das „Blutvergießen sofort zu beenden“; der deutsche Bundeskanzler macht sich gar für eine militärische Lösung des Konfliktes durch Eingriffe von außen stark. Bei einer Ausweitung des Krieges gegen den Irak, so Wladimir Putin und Gerhard Schröder unisono, höre die Einigkeit mit den USA ganz auf. Wer will da noch Böses über die Herren denken, außer dass sie selbst nicht mehr wissen, wovon sie reden.
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