Kasten
Oleg Panfilow lebte bis zur Auflösung der Sowjetunion in Tadschikistan, wo er sich als Lehrer, Journalist und Kulturmanager einen Namen machte. Seit 1991 hält er sich als tadschikischer Staatsbürger in Moskau auf, wo er als Korrespondent an verschiedenen Zeitungen arbeitete. Von 1994 an leitete die Dokumentations- und Monitoring-Abteilung  der 1992 von Alexej Simonow gegründeten Moskauer „Stiftung zum Schutze von Glasnost“. Nebenbei war er für „Radio freies Europa“, Prag und für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften in Moskau und in Tadschikistan tätig, von 1994 bis 1997 außerdem als Experte der OSZE für Menschenrechte in Tadschikistan. Anfang des Jahres 2000 schied Oleg Panfilow mit einigen Mitarbeitern aus der „Stiftung zum Schutz von Glasnost“ aus und gründete unter den Namen „Zentrum für Journalisten in extremen Situationen“ eine eigene Organisation.

Herr Panfilow, Sie haben ein „Zentrum für Journalisten in extremen Situationen“ gegründet. Was ist die Idee dabei?

OLEG PANFILOW: Der Gründungsgedanke besteht darin, Journalisten zu helfen, die unter extremen Bedingungen arbeiten, also im Krieg und in den Ländern der GUS, wo unstabile Verhältnisse herrschen, wo Journalisten unter Bedingungen arbeiten müssen, in denen es keine Freiheit der Presse gibt. Wir führen Monitoring über die Verletzung der Rechte von Journalisten auf dem Gebiet der GUS durch. Wir arbeiten zu fünft hier im Moskauer Büro, ein Jurist, der Koordinator des Programms, der Büromanager, ein Übersetzer und ich; außerdem arbeiten noch acht Korrespondenten in Ländern der GUS; das ist Moldawien, Georgien, Armenien, Azerbeidschan, Turkmenistan, Usbekistan und zwei Korrespondenten in Tadschikistan.

Warum haben Sie die „Stiftung Glasnost“ verlassen?

OLEG PANFILOW: Es gab private Gründe, die entscheidenden aber waren die beruflichen. Sie liegen vor allem darin, dass die Stiftung sehr wenig Aufmerksamkeit auf die Detailarbeit des Monitoring verwandte. In Russland, überhaupt in der GUS kommen jedes Jahr fünfzehn bis zwanzig Journalisten um. Die Stiftung gab Erklärung ab, wenn wieder einer umgebracht wurde, aber es gab keinerlei Untersuchungen.     Darüber hinaus ist die „Stiftung Glasnost“ einfach zu gigantisch geworden; eine Organisation von solchen Ausmaßen kann nicht mehr sinnvoll arbeiten, dafür braucht man eine kleine Organisation mit einer sehr engen Ausrichtung. Wir haben nun eine solche Ausrichtung  gewählt, das ist das Monitoring. Wir beabsichtigen Bücher und Ratgeber herauszugeben. Wahrscheinlich werde ich ein drittes Buch   schreiben, wie Journalisten während des zweiten Tschetschenischen Krieges arbeiten. Es wird auch ein Buch über Andrej Babizki geben, außerdem Bücher über Journalisten, die lange in Kriegsgebieten der Sowjetunion tätig waren. Alle diese Bücher sollen zeigen, wie man als Journalist im Krieg richtig arbeitet. Journalisten wissen schlecht darüber bescheid, wie man erste Hilfe leistet; sie kennen die Waffen nicht, die im Krieg benutzt werden, sie wissen wenig darüber, wie man vermeidet auf Minen zu treten, sie wissen nicht, wann man einem Offizier eine Flasche Wodka geben muss, oder den Soldaten Feuerzeuge, dafür, dass sie einen Journalisten durchlassen. Wir wollen wir Lehrseminare geben, in denen man den Journalisten beibringen muss, sicher zu arbeiten. Das Wichtigste, worüber man reden muss, ist der Hang russischer Journalisten, Gesetze nicht zu beachten. Ich denke, ein gut Teil, vielleicht ein viertel der Probleme von russsischen Journalisten, aber auch von Journalisten aus anderen Ländern der GUS, lassen sich vermeiden, wenn sie lernen, Gesetze zu beachten und richtig zu nutzen.

Sie haben mit der Arbeit bereits begonnen?

OLEG PANFILOW: Ja, aber man muss sagen, im Unterschied zur „Stiftung Glasnost“, die sich in letzter auf Prozesse gegen Journalisten konzentriert hat, befassen uns nur mit ernsthaften Vorfällen, also Mord, Überfälle auf Journalisten, Drohungen, Zensur. Wir verbreiten unsere Informationen wöchentlich ONLINE. Praktisch geben wir die Informationen schon in dem Moment weiter, wenn wir sie erhalten. Über 500 Menschen bekommen unsere Informationen. Das sind Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Radio in vielen Ländern der Welt, nicht nur in Russland und nicht nur in der GUS. Pressekonferenzen habe ich auch schon durchgeführt, mit Andrej Babizki und zu verschiedenen anderen Anlässen. Seit Mitte April haben sich in unserem Archiv ungefähr anderthalbtausend Vermerke zu Übergriffen auf Journalisten in der GUS angesammelt. Man kennt uns schon ziemlich gut und man bezieht sich viel auf unser Material oder schreibt Artikel über uns und zwar sowohl in der russischen als auch in der westlichen Presse. Seit Anfang Oktober läuft auch ein  neues Programm bei „Radio liberty“ unter dem Titel: „Macht contra Presse.“ Diese Sendung basiert auf unserem Material.

Wie kommen Ihre Untersuchungen zustande?

OLEG PANFILOW: Unsere Korrespondenten sind Leute, die niemand außer uns kennt. Sie arbeiten nicht legal. Sie befinden sich in dauernder Gefahr, weil…

…. sie fast wie Spione arbeiten? (beide lachen)

OLEG PANFILOW: Jaja, wenn man uns nach unserer Arbeit fragt, dann antworten wir: „Wir sind eine normale Spionageorganisation!“ Wir sammeln ja wirklich wie geheime Informationen, wir arbeiten sie auf, ja, wir arbeiten wie Spione…

Und veröffentlichen sie unter Pseudonymen?

OLEG PANFILOW: Nein, unsere Korrespondenten arbeiten weder unter Pseudonym, noch unter ihrem Namen. Wenn wir die Informationen verbreiten, die wir von ihnen erhalten, schreiben wir darunter, dass uns der Name der Korrespondenten bekannt ist, wir ihn aber aus Sicherheitgründen nicht nennen können.

Wie sieht das Bild aus, das Sie auf diese Weise gewinnen?

OLEG PANFILOW: Der erste Indikator ist Russland.
Ich glaube, dass die Lage in Russland sich zur Zeit grundlegend verändert. Ich meine in bezug auf das Verhältnis von Macht und Presse. Die Verhältnisse, die unter Gorbatschow geschaffen wurden, als das erste Pressegesetz verabschiedet wurde, wurden unter Jelzin erhalten, aber nicht verbessert. Jelzin war im Vergleich zu Putin ein stärkerer Demokrat, wenn man so sagen kann, jedenfalls hat Jelzin öffentlich nie die Presse gerügt. Putin ist ein ganz und gar anderer Mensch: er ist ein Mensch der Spezialdienste, ein Mensch, der im Geist der Gewalt aufgezogen wurde und nicht dem der Klugheit. So waren das Erste, was er neben einer gewissen der Reform wirtschaftlichen Machtverhältnisse tat, Schritte zur Einschränkung der Presse. Dabei ist es ohnehin in Russland  schon beängstigend  geworden, als Journalist zu arbeiten, vor allem auf zwei Gebieten, dem der politischen Kommentare und dem der journalistischen Untersuchungen. Das Genre der Untersuchungen verschwindet in Russland schon fast, denn erstens ist es sehr gefährlich und zweitens haben Beamte an höchsten Stellen, zum Beispiel die Assistentin des Vorsitzenden der Staatsduma, Sliska  Ljubow, öffentlich erklärt, dass man Journalisten untersagen müsse, Untersuchungen zu machen. Der Minister für das Pressewesen, Michail Lessin, erklärte, dass man das Pressegesetz ändern müsse. Untersuchungen sollen nur noch nach Gerichtsbeschluß möglich sein und Quellen nur Forschern eröffnet werden dürfen. Das würde auf der Stelle zehntausende von Anklagen gegen Journalisten nach sich ziehen. Man könnte jeden Journalisten zwingen zu erklären, woher er die Informationen hat.
Die Lage ist sehr ernst, besonders nachdem der Sicherheitsrat eine neue Sicherheitsdoktrin vorgelegt hat. Das ist eine absolut sowjetisches Dokument. Dort gibt es diese schwammigen Floskeln wie „Informationskrieg“, „Waffen der Information“, man müsse „dem Einfluss ausländischer Medien Widerstand leisten“. Mit Letzterem sind offensichtlich Radiostationen gemeint wie „Deutsche Welle“, „BBC“, „Stimme Amerikas“, „Radio liberty“. Es ist klar, dass die Macht davon träumt, die Sender mundtot zu machen, denn wenn sie wieder Staatspropaganda betreibt, werden die Leute wieder in der Küche sitzen und westliche Sender hören.

Putin hat kürzlich Journalisten zu einem Gespräch eingeladen. Was wurde dort beschlossen?

OLEG PANFILOW: Es wurde nichts beschlossen. Die Informationen über dieses Treffen waren äußerst dürftig. Offenbar hat Putin die Versammlung gebeten, öffentlich nicht verlauten zu lassen, worüber man dort gesprochen hat. Aber dieses Treffen war natürlich ein sehr bezeichnender Vorgang.

Welchen Einfluß hat Putin in Sachen Medien auf die GUS?

OLEG PANFILOW:  Er ist ein Mensch mit imperialen Sichtweisen und selbstverständlich will er den Einfluß Russlands auf die GUS erneuern. Das gelingt ihm jedoch ebenso schlecht wie vielen anderen russischen Politikern vorher. Mir scheint, dass die GUS ohnehin stirbt. Aber leider ist es nicht Putin, der sich mit der Politik gegenüber der GUS beschäftigt, es sind nicht einmal die Ministerien des Landes, sondern die Militärs. Darin liegt das Problem. Die Länder, in denen es keine russischen Militärbasen gibt, sind ziemlich schnell von Russland weggekommen, aber da, wo es Militärbasen gibt, werden die Länder noch einige Zeit unter dem Einfluss Russlands stehen.

Und welches Bild bieten die Länder der GUS?

In Russland wird es schlechter, aber dort wird es noch schlechter. Die Lage in Zentralasien wird schwieriger und schwieriger. In Kirgisien, das man die Insel der Demokratie in Zentralasien nannte, haben die Journalisten heut sehr viele Probleme. Es gibt nur zwei Länder in der GUS, wo es weniger Probleme gibt, Armenien und Maldowien. Nur in diesen beiden Ländern, wo die Präsentenwahl einen demokratischen Wechsel des Präsidenten gebracht hat, kann man ansatzweise von Freiheit des Wortes reden. Alle anderen Länder durchleben zur Zeit eine sehr starke Krise im Verhältnis von Macht und Presse.

Wenn man nicht nur abstrakt reden will, womit können Sie helfen?

OLEG PANFILOW: Nun, praktisch, also dorthin Computer zu schaffen oder Möbel, das ist Unsinn. Man muss den Leuten einfache Dinge erzählen: Wenn ich Seminare in Kirgisien oder Kasachstan durchführe, dann sehe ich, was Journalisten brauchen. Das ist Erstens: Kenntnis von Gesetzen. Zweitens, in Ländern wie Kirgisien oder Kasachstan, wo man Meetings oder picketing-lines durchführen kann, wird die Situation nicht genutzt, weil die Journalisten nicht wissen, wie man das anstellt. Ich habe im letzten Jahr den Journalisten von Kasachstan beigebracht, wie man eine Demonstration, wie man eine richtige picketing-line  durchführt. Dazu kommt rein professioneller Unterricht:. Viele Journalisten wissen ja nicht, was Management ist, was modernes Design usw.

Das klingt nach einem Aktivisten für Menschenrechte. Ich könnte mir denken, dass staatliche Stellen das nicht besonders schätzen.

OLEG PANFILOW: Das ist wahr. Ich habe mich in dieser Sache praktisch nicht ein einziges Mal mit staatlichen Vertretern getroffen. Ich bin mit einigen Präsidenten von Ländern  der GUS bekannt, aber ich traf sie nur, als ich Experte der OSZE für Menschenrechte war. Damals habe ich mich mit Präsidenten Turkmeniens, Kirgisiens, Kasachstans, Tadschikistans getroffen. Aber jetzt, wo ich mich mit Fragen der Medienfreiheit befasse, gehen mir alle diese offiziellen Leute aus dem Wege. Sie schicken ihre Assistenten vor, Pressesekretäre usw., die Dinners organisieren, und sich dann bemühen, mich während des Dinners davon zu überzeugen, dass es da nichts zu schützen gebe, dass die Journalisten Idioten seien usw. usf. – Wenn es ein gutes Essen war, sage ich Danke. (lacht) Das war´s dann aber auch.

Ihre Organisation befindet sich hier in Moskau, bearbeitet aber den GUS-Raum. Wie verbindet sich das?

OLEG PANFILOW: Im Grunde ist die Lage der Journalisten in Russland, in Kasachstan,  der Ukraine oder in Armenien die gleiche. Wir kommen ja alle aus der früheren Sowjetunion. Die Probleme sind rundherum absolut identisch. Was wir für die Journalisten Kasachstans tun, ist also genauso nützlich für die Journalisten Moldawiens. Natürlich gibt es Details. In Moldawien entwickelt sich sehr schnell eine Presse in rumänischer Sprache, also in der Sprache des Landes. Auch in Usbekistan schreibt man jetzt mehr in Usbekischer Sprache als in russischer. In Kasachstan und in Kirgisien ist es genau umgekehrt. Dort kehrt die Presse zur russischen Sprache zurück. Dort fühlt sich die Presse in kirgisischer oder kasachischer Sprache sehr schlecht. Dann gibt es noch finanzielle Varianten: Wenn es in Kirgisien zwei Zeitungen gibt, die sich durch Verkauf selbst tragen, so gibt es solche Zeitungen in Kasachstan nicht. In Moldawien ist das Geschäft mit der Presse sehr gut entwickelt, in Azerbeidschan dagegen wieder nicht. Da sind die unabhängigen Zeitungen äußerst arm. In Azerbeidschan gibt es überhaupt nur die Aufteilung in staatliche und oppositionelle Presse, unabhängige gibt es kaum.

Befassen Sie sich nur mit Zeitungen?

OLEG PANFILOW: Nein, mit allen Medien. Ich denke, dass wir uns demnächst auch noch mit dem Internet beschäftigen werden, denn es ist zu erwarten, dass der russische Geheimdienst demnächst die Provider kontrollieren will und die elektronische Post.

Welche Pläne haben Sie für die nächste Zeit?

OLEG PANFILOW: Sagen wir: Geld zu bekommen, um gut arbeiten zu können. Unser aktuelles Monitoring-Programm wird von der Stiftung SOROS finanziert, dem „Institut für eine offene Gesellschaft“ aus Budapest. Für die Zukunft hoffen wir auf deutsche Stiftungen. In Moskau ist eine sehr anormale Situation entstanden, in der viele Organisationen vor allem aus amerikanischen Fonds finanziert werden., einige immer aus denselben Quellen. Für Neue ist der Zugang da sehr schwer. Das ist schon fast eine Mafia. Deshalb bemühen wir uns um Finanzierung aus anderen Ländern.

Die „Stiftung zum Schutze von Glasnost“ hat zwei Bücher zum ersten Krieg in Tschetschenien herausgegeben, die große Beachtung in den russischen, auch in internationalen Medien fanden.

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