Kosovo, Tschetschenien, Tadschiskistan, Afghanistan – die Namen dieser Länder stehen für Kriege, die heute um ethnische Fragen geführt werden. Alle diese Konflikte liegen auf der Linie des großen euroasiatischen Steppengürtels, auf dem die Völker seit Jahrtausenden zwischen den Kulturen wandern. Auf dem selben Gürtel liegen auch Tatarstan, Tschuwaschien, Baschkortastan und andere nicht-slawische Republiken Rußlands an der Wolga, dazu kommen Burjätien, Chakasien, die Völker des Altai bis hinein in die Mongolei. Auch hier gibt es ethnische Konflikte, die bisher jedoch im Großen und Ganzen friedlich verliefen. Welche Linie wird sich durchsetzen?

(Wahlweise:
Wo einst die Hunnen zogen…
Skizzen aus dem Krisengürtel zwischen Asien, Rußland und Europa)

Aussprache: Alle russischen Namen und Begriffe sind in phonetischer Umschreibung wiedergeben, ein Unterstrich kennzeichnet die Betonung.
Besetzung: Sprecher, Übersetzer, Übersetzerin

Anmerkung zu den O-Tönen:
Die Länge der O-Töne ist exakt angegeben. Zähleinheit sind 5.sec. pro Zeile plus 5 Sec. für die Auf- und 5 Sec. für die Ausblendung. Die Töne so geschnitten, daß Anfang und Ende in der Regel für jeweils mindestens 5. Sec. den (fett) angegebenen Textanfängen oder Textenden entsprechen. Evtl. Schnittstellen ( in denen Text und Ton nicht wortidentisch sind) liegen in der Mitte der Töne. Abweichungen von diesem Schema habe ich besonders angegeben.

Achtung: Zwei Bobbies

B 1, O-Ton 1: Nachrichten, Kampfhubschrauber                                 2,01
Regie: O-Ton kommen lassen, kurz frei stehen lassen, abblenden, unterlegen, zwischendurch hochziehen, auslaufen lassen

Erzähler:
Kaukasus: Kampfhubschrauber im Anflug. Zerbombte Dörfer. Flüchtende Menschen. Eine immer perfektere Maschinerie der Zerstörung trägt den Krieg in die Bergdörfer. Wie sich die Bilder wiederholen! Tschetschenien, Kosovo, Afghanistan, Kaukasus, Balkan, Zentral- und Innerasien. Worum geht es?
Aus der Sicht der betroffenen Völker geht es um eine Befreiung vom Kolonialismus. Das Ende der Sowjetunion war für sie das Signal, ihre eigenen Geschicke bestimmen zu wollen. Der Us-amerikanische Ideologe Samuel P. Huntington spricht vom „Krieg der Kulturen“, der zwischen Asien und dem Westen ausgetragen werde. Moskau deklariert den tschetschenischen Krieg als Verteidigung gegen den Terrorismus islamischer Fundamentalisten.
Gegen diese Position machen selbst patriotische Kritiker der Regierung Front, denen an einer Widerherstellung des russischen Vielvölkerimperiums gelegen ist. So der Moskauer Publizist Alexander Dugin..Vor der Wahl der neuen russischen Duma war er Berater des Dumapräsidenten Selesnjow. Befragt, was er von der Deklaration des Gottesstaates durch die tschetschenischen Muslims halte, antwortet er:

B 1, O-Ton 2: Alexander Dugin, Geopolitiker                    1,12
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Wa perwich…
„Ich würde das zuallererst in die geopolitischen Koordinaten einordnen. Der Hauptgedanke der Geopolitik ist der Widerspruch zwischen maritimen und und territorialen Reichen,Thalassokratie und Tellurokratie. Dieser Gegensatz drückt sich nicht in Ideologien, religiösen oder ethnischen Faktoren aus, sondern in einer Grundkonstellation, in der sich atlantische und euroasiatische Interessen heute gegenüberstehen. Die Verbreitungszone des Islam liegt in der sogenannten Übergangszone, die sich vom Süden Spaniens bis zu den Phlippinen erstreckt. Das ist die typische Zwischenzone. Das heißt, es gibt überhaupt keine einheitliche Geopolitik des Islam und es gibt keine einheitliche Vorstellung von einem einheitlichen islamischen Staat, nicht einmal unter den Radikalen. Die Rede ist vielmehr von zwei Tendenzen des Islam, einer atlantischen und einer euroasiatischen.
„…drugaja jewrojasiskaja.“

Erzähler:
Atlantisch – das heißt für Dugin: Amerika, euro-asiatisch im Kern: Rußland. In diesem Dualismus, so Dugin, werde sich die nächste Zukunft entwickeln.
Auch wenn man dieser einfachen Polarisierung nicht zustimmen mag, ist doch eines offensichtlich: Der Zerfall der sowjetischen Pyramide, in welche die Völker Euroasiens im Laufe eingebaut wurden, hat eine Vielfalt von Staaten hervorgebracht, die sich heute in der Übergangszone zwischen westlichem, also US-dominiertem, und russischem Einfluß befinden. Das beginnt in der Mongolei, umfaßt alle südlichen Staaten der GUS und endet auf dem Balkan. Aber nicht nur das. Unter dem Stichwort der „nationalen Widergeburt“ setzte sich dieser Prozess schon 1991 mit ständig zunehmender Intensität auch im im russischen Kernland fort:

B 1, O-Ton 3: Tatarisches Kulturzentrum                        1,04
Regie: O-Ton langsam kommen lassen, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen, abblenden

Erzähler:
Zentrum dieser Bewegungen ist Kasan, die Hauptstadt des islamisch geprägten Tatarstan, einer der sechs ethnisch bestimmten Republiken an der mittleren Wolga, also im Herzen Rußlands. Im Büro des „Tatarischen Kulturzentrums“ (TOZ) liefen alle Fäden zusammen. Von sieben Millionen Tataren der russischen Föderation leben etwa zwei Millionen in diesem Gebiet. Mit 48% Anteil an der Gesamtbevölkerung sind sie in Tatarstan fast gleichstark mit den Russen, die ihrerseits 47 Prozent der Bevölkerung stellen. Die übrigen fünf Prozent werden von den Völkern der umliegenden Republiken gestellt: Tschuwaschen, Baschkiren, Urmurten, Mordawier und Marie. Bis auf die Marie, die finnisch-ugrischen Ursprungs sind, sind alle anderen turk-tatarische Völkerschaften.
…ruski imperii.“

Erzähler:
Vizepräsident Raschit Jageferow erläutert die Ziele des Zentrums. Er überreicht seinem Besucher Statut und Programm des „TOZ“. Er legt Wert auf die Feststellung, daß das Zentrum eine staatliche Einrichtung der Republik sei. Dann erzählt er:

B 1, O-Ton 4: Forts. TOZ                                    0,41
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Sam u nas…
„Alles begann bei uns als Volksbewegung vor zwei Jahren, 1989. Zu Anfang waren es vielleicht elf Leute, Wissenschaftler, Historiker, eben tatarische Intellektuelle. Es gab einfach das Verlagen, eine solche Volksbewegung zu schaffen, um für die Souveränität der Republik zu kämpfen. Erste Aufgabe war die Gründung einer Republik, ähnlich wie früher Usbekistan, Kasachstan. Das war das erste Ziel.“
… sadatscha nascha bila.“
Erzähler:
Am 13.8.91 erklärte Tatarstan seine staatliche Souveränität. Das Referendum zu dieser Frage im März `92 brachte eine Mehrheit von 61 Prozent dafür. Anfang Juni 92 trafen sich Tataren aus aller Welt zum All-tatarischen Kongreß in Kasan. Er bekräftigte Forderungen nach staatlicher Souveränität, nach Gleichstellung von russischer und tatarischer Sprache und nach Schaffung eines übergreifenden tatarischen Kultturraumes. Im August `92 wurde ein Gesetz über die Gleichberechtigung der Sprachen verabschiedet.

B 1, O-Ton 5: Tschuwaschischer Kongreß, Applaus, Musik         2,43
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, O-Ton 6 darauf einblenden, weiter unterlegen, danach mit O-Ton 6 gemeinsam ausblenden

Erzähler:
Aber keineswegs nur die islamischen, auch die nicht-islamischen Republiken an der Wolga kamen in Bewegung. Dem all-tatarischen Kongreß vom Mai 1992 folgte ein all-tschuwaschischer im Juli desselben Jahres in Tscheboksary, ebenfalls an der Wolga. Tscheboksary ist die Haupstadt der tschuwaschischen Republik. Die Tschuwaschen sind nach den Tataren mit 4 Millionen die zweitggrößte Minderheit in der heutigen russischen Föderation. In der Republik selbst bilden sie mit sechzig Prozent die Mehrheit. Das Wort auf dem Kongreß führte Atner Chusangai, Sohn eines Literaten, der die Auseinandersetzung um die politische Macht in den Vordergrund rückte:

B 2, O-Ton 6: Atner Chusangai                            1,01
Regie: O-Ton 6 in Ton 5 einblenden,  beides kurz stehen lassen, unterlegen, hochziehen, mit O-Ton 5 (Musik) zusammen ausblenden

Übersetzer:
„Systema dolschna…
„Das System muß anders werden, das Budgetsystem, das Steuersystem, nicht so wie jetzt, nicht so zentralisiert. – Nun, bestimmte Vollmachten sind wir ja bereit der russischen Föderation zu überlassen, bitte sehr – aber wir sollten selber bestimmen, was wir geben: Das, das, das, das! Jetzt läuft es genau umgekehrt, von oben. Oben sagen sie: Das, das, das ist eueres, das ist unseres usw. Aber sie kennen unsere Situation hier nicht. Es muß umgekehrt sein: Das ist eueres, das fassen wir nicht an. Das müssen sein: Straßen, Verkehr, Fabriken der Militärindustrie: Das ist Eueres – aber das ist unseres, unseres, unseres. Diese Politik gibt es zur Zeit bedauerlicherweise nicht. Das heißt, es muß eine härtere, unbeugsamere Position für die realisierung des Schutzes unserer Souveränität der Republik her. Diese Position gibt es zur Zeit leider nicht.“
…tam tagdali.“

Regie: Erst Sprache, dann Musik ausblenden

Erzähler:
Besonnene Stimmen relativierten. Professor Alfred Hwalikow, selbst Tatare, Ethnologe und Archäologe in Kasan von internationalem Ruf, inzwischen verstorben, sah eine kompliziertere Zukunft voraus:

B 1, O-Ton 7: Prof. Hwalikow                                1,23 Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Eta snatschitelnaja…
„Das ist alles entschieden schwieriger! Es könnte sich alles so entwickeln, wenn sich die Sowjetunion auflösen würde. Aber die Union wird sich nicht auflösen, denn das, was wir die Sowjetunion nannten, ist ja nicht erst in den letzten siebzig Jahren entstanden. Es ist vor vierhundert und mehr Jahren entstanden als die Kasan erobert wurde, als die Eroberung Sibieriens begann. Dann der Kaukasus, danach Mittelasien. Das waren doch nicht die Bolschewiki.! Das ist imperiale Geschichte wie die Englands in Indien, wie die der Holländer. Die Oktoberrevolution brachte nur neue Schwierigkeiten, denn die Dinge entwickelten entgegen der Ideologie. Als Ergebnis erhielten wir dieses Mosnter vom Typ der Sowjetunion. Das mühte sich, alles mit schönen Worten zusammenzukleistern, Es blieben aber letztlich nur leere Phrasen. Der eigentliche Kitt war die alte russische Vorstellung vom Imperium. Diese imperialen Vorstellungen haben sich bis heute erhalten. Wie das rauszukommen ist – das weiß zur Zeit keiner und das kann niemand. .                                                    …i nje moschet.“
Erzähler
Noch tiefer in die Verwicklungen der Geschichte führen die Forschungen des tschuwaschischen Kulturzentrums. Da ist zunächst der greise Dichter Alexander Terentjew. Er ist von Haus aus Ingenieur, hat aber ein Buch über die Geschichte Tschuwaschiens und, was noch interessanter ist – eine Balldade über Etel, also Attila, den Hunnenkönig, als Zar der Tschuwaschen verfaßt. Den Zusammenhang, den er zwischen tschuwaschen und den Hunnen sieht, beschreibt er so:

B 1, O-Ton 8: Alexander Terentjew                            0,23 Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Mnje o pomminanije tolka…
„Nach meiner Erinnerung begann die Geschichte Tschuwaschiens mit der großen chinesischen Mauer: Stiller Ozean, China, Altai, danach die kaspische Steppe, das asowsche Meer; dann kommen schon die Bolgaren, noch nicht die Tschuwaschen, die kommen später. Alles das ist hunnische Geschichte: Attila! Die Bolgaren teilten sich dann, die einen wandten sich zur Donau, die anderen an die Wolga.“
…na Wolgu.“

Erzähler:
Die Tschwuaschen, zeigt sich, verstehen sich als Nachfolger Attilas, und zwar der Teile der Bolgaren, die sich beim Rückzug der Hunnen an der Wolga festsetzten. Zusammen mit den Donaubolgaren gründeten das Bolgarische Reich, das erst vom nächsten großen Völkersturm, dem der Mongolen unter Tschingis Chan im 13. Jahrhundert zertrümmert wurde. Im Chanat Kasan, einem Teilfürstentum des mongolischen Weltreiches, verbanden sich tschuwaschische und tatarische Geschichte sowie die Geschichte weiterer mit Hunnen, Türken und Mongolen nach Westen gezogener Völker unentwirrbar miteinander. Mit der Eroberung Kasans, die 1552 das russische Rolback des Mongolischen Weltreiches einleitete, wurden die einen wie die anderen Objekt russischer Ostkolonisation, von der sie sich immer wieder durch erfolglose Aufstände zu befreien suchten. Hinzu traten unterschiedliche Einflüsse von Islam und Christentum. Vor der Revolution von 1917 stand die Mehrheit der nicht-russischen Völker an der Wolga in islamischer, die Tschuwaschen dagegen,  abgesehen von starken Resten naturreligiöser Anschauungen, in christlicher Tradition. Für heute, das heißt, in einer Phase der weltanschalulichen und religiösen Neuorientierung, ergibt sich daraus eine Situation, die der tschuwaschische Schriftsteller und Mythenforscher Michail Juchma mit den Worten beschreibt:

B 1, O-Ton 9: Michail Juchma                                  1.08 Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Wsjo sawissit…
„Alles hängt jetzt von der Position des Islam ab, davon, wie sich der Islam entwickelt. Wenn der Islam sich als taktisch geschickt erweist, das heißt, mit Schmeichelei vorgeht, dann kommt er hier durch. Das wiederum hängt aber ganz von den Tschuwaschen ab. Was die Tschuwaschen machen, das machen auch die Marie, Utmurten und die Mordawier. Warum das so ist? Alle übrigen turkstämmigen Völker an der Wolga sind Mohammedaner. Nur die Tschuwaschen, ebenfalls turkstämmig, sind christlich; aber auch bei ihnen wächst das Interesse am Pantürkismus und sie wenden sich ihm mehr und mehr zu. Russen, Türken, Iraner, alle anderen sehen das: Das schwächste Glied der russisch-orthodoxen Kirche an der Wolga sind die Tschuwaschen. Deshalb wird die islamische Welt jetzt die Tschuwschen attakieren.“
…slabaja fronta.“

Erzähler:
Michail Juchma weiß, wovon er spricht. Er ist nicht nur Vorsitzender des „Tschuwaschischen Kulturzentrums“ , sondern auch zweiter Vorsitzende der „Demokratischen Partei der türkisch-sprachigen Völker“, die auch mit türkischen Kräften außerhalb der russischen Föderation eng zusammenarbeitet. Auch von islamischen Fundamentalisten werden Juchma und seine Freunde gedrängt, sich für den Islam zu entscheiden. Ganz undenkbar wäre das nicht, da es in der tschuwaschisch-tatarischen Geschichte Perioden gab, in denen die Tschuwaschen mehrheitlich dem Islam anhingen. Kehrten sie heute dorthin zurück, würde ein zusammenhängendes islamische Gebiet wie ein Keil von Süden ins christliche Herz Rußlands hineinragen.
Aus Moskau reiste deshalb im Sommer 1992 Boris Jelzin persönlich mitsamt seinem „Kommando“ an, wie seine Regierung in Rußland genannt wurde. Man bot den Tschuwaschen an, sie könnten bei der Umwandlung der zentralen Staatsbetriebe 35 Prozent der Aktienanteile übernehmen. Dabei blieben die Betriebe zwar immer noch in Moskauer Hand. In der Hierarchie der Angebote, das die „Moskauer“ den übrigen Gebieten machten, war dies einmalig. Außerdem versprach Boris Jelzin hohe Subventionen für die vor dem Bankrott stehenden Großbetriebe der Republik. Das macht deutlich: Moskau wollte die Tschuwaschen als Gegengewicht gegen Tatarstan und seine islamischen Freunde stabilisieren.

B 1, O-Ton 10: Musik                                                1,45    (bricht ab)
Regie: O-Ton allmählich kommen lassen, kurz frei stehen lassen, abblenden, unterlegen, verblenden mit O-Ton 11, danach gemeinsam ausblenden

Erzähler:
Zwei Jahre später, im Sommer 1994, und zweitausend Kilometer weiter im Osten. Abakan in Chakasien, eine der südsibirischen ethnischen Provinzen am Fuße des Altai. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen die Provinzen Altai und Tuwa, in denen, wie in Chakasien noch, ja mehr als das, jetzt wieder vermehrt nomadische Wirtschaftsweise praktiziert wird. Auch hier haben, mit etwas Verspätung, die Impulse der „nationalen Widergeburt“ inzwischen Früchte getragen. Im Kulturbüro der Provinzverwaltung ist man allerdings eher zurückhaltend. Eine der dort arbeitenden Frauen erklärt:

B 2, O-Ton 11: Kulturverwaltung in Abakan                        1,50
Regie: O-Ton verblenden, mit Musik im Hintergrund kurz stehen lassen , beides abblenden, unterlegen, bei 0,44 (Stichwort: weschej )  vorübergehend hochziehen, unterlegen , hochziehen, abblenden

Übersetzer:
„Da konjeschna …
„Ja, selbstverständlich, Widergeburt der chakasischen Nation sollte sein.  Allerdings machen wir uns mehr Sorgen um die Kultur. Früher hatten wir Folklore, früher hatten wir eigene, sehr schöne Kopfbedeckungen, Lieder usw. Das ist alles verloren. Für diese Wiederburt  sind wir. Für kulturelle Wiedergeburt, nicht so sehr nicht für politische. Natürlich ist es gut, daß wir eine Republik wurden. Aber daß da irgendwas mit den Russen so quer läuft – nein, ich bin ganz und gar gegen solche Sachen.“
… etich weschej.“

Erzähler:
Kulturelle Wiedergeburt, fahren die Frauen fort, sei  dagegen sei eine große Sache, die man mit zwei Worten gar nicht beschreiben könne: Verehrung der Alten, Achtung der alten Sitten, der Überlieferung, Bewahrung der Sprache. Vor allem die Welt der alten Epen müsse gepflegt werden, das Brauchtum der Volkserzähler. Viele junge Leute gebe es inzwischen, die mit professionellen Mitteln die alten Geschichten neu erzählten. Nach wenigen Augenblicken sprechen alle Versammelten begeistert von der Eigenart und der Vielfalt des nomadischen Lebens und seiner uralten Kultur. „Kommen Sie zu unserem nächsten Fest“,  schließen sie, “ da können Sie alles sehen.“
…  lachen, Genmurmel

Regie: Ton 11 Sprache zusammen mit Ton 10 abblenden

Erzähler:
Im regionalen Heimatmuseum gibt es politischere Töne zu hören. Dort arbeitet der Archäologe Uwan Dostangonow, sechsundzwanzig Jahre alt. Er ist Mitglied in der „Chakasischen Gesellschaft für Wiedergeburt“. Nachdem er die Geschichte der Chakasen als Teil einer großen Völkerbewegung der Hunnen, Turk-Tataren und Mongolen zwischen Asien und Europa skizziert hat, erklärt er:

B 1, O-Ton 12: Uwan Dostangonow                                 1.05
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„My jawlajem Tschast…
„Wir sind Teil der Wiedergeburt der turkstämmigen Völker. Das hat sich so entwickelt: Zuerst haben sich die kleineren Völker Sibiriens, neunundzwanzig sind es, zu einer Assoziation  zusammengeschlossen; das war 1988, 1989 und 1990. Die turkstämmigen Völker des Altairaumes haben einen eigenen südsibirischen Zusammenschluß gebildet. Da der nicht sehr aktiv war, haben wir eigene, aktivere Formen der Zusammenarbeit mit vergleichbaren Organisationen im nördlichen Kaukasus gesucht, so mit der „Konföderation der Bergvölker Kaukasiens“. Das führte zur Gründung einer Jugendorganisation unter den türkischen Völkern. Schließlich wurde 1991 in Kasan der erste Kurultai der TurkJugend durchgeführt.
… kurultai turkskich maladjosch.“

Erzähler:
Kurultai hieß die Versammlung, auf der im Jahre 1206 Tschingis Chan zum Herrscher ausgerufen wurde, und von der aus die turk-mongolischen Stämme sich unter seiner Führung zur Eroberung der Welt aufmachten. Fünfzig Jahre später war nahezu die gesamte damals bekannte Welt von China bis nach Europa unterworfen. Es begann die Zeit, die Marco Polo als „Pax Mongolica“ beschreibt, während der eine Karawane, wenn sie unter dem Schutz des Mongolenchans stand, die monatelange Reise von Europa bis nach China zurücklegen konnte, ohne ausgeraubt zu werden.
Kurultai heißen heut die Versammlungen turk-tatarischer Völker. Mehrere Kurultais, an denen russische wie nicht-russische Turkvölker Inner- und Zentralasiens, des Kaukasus, des vorderen Orients und des Balkan teilnahmen, haben seit 1991 stattgefunden: 1992 in UFA, 1993 in Baku, danach in Ankara. Bei diesen Versammlungen gerieten pantürkische, auch islamisch fundamentalistisch motivierte  Expansionsvorstellungen und gemäßigte Forderungen nach der Entwicklung eines einheitlichen turkstämmigen Kulturrraums immer öfter aneinander. Härtere Konflikte mit der russischen zentralmacht, wie sie dann im ersten tschetschenischen Krieg zum Ausbruch kamen, deuteten sich an.
Im Sommer 1994 lag dies alles noch in Zukunft. Gefragt, welche Linie sich durchsetzen werde, antwortete der junge chahasische Aktivist:

B 1, O-Ton 13: Forts. Uwan Dostangonow                    0,35
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„No, mnje kaschetsja…
„Ich glaube, daß der Pantürkismus keine Gefahr ist, weil jedes Gebiet, in dem Turkvölker leben, ihre Spizifika besitzt: Chakasien, Tatarstan, nördlicher Kaukasus, andere. Eine große Rolle spielt auch die Tatsache, daß nicht alle turkstämmigen Völker Anhänger des Islam sind.“
… Islama“.

Erzähler:
Er hoffe jedenfalls, daß Pantürkismus ebensowie Panslawismus oder andere Fundamentalismen der Vergangenheit angehörten. Andernfalls, schließt er,  werde es große, langandauernde Konflikte geben.

B 1, O-Ton 14:  Beifall, Musik                                  2,01
Regie: O-Ton verblenden, kurz frei stehen lassen, abblenden, unterlegen, mit O-Ton 15 verblenden, zusammen mit O-Ton 15 hochziehen und ausblenden

Erzähler:
Von der gleichen Hoffnung war der siebte Kongreß der Mongolisten getragen, der 1997 rund 400 Wissenschaftler aus aller Welt für eine Woche in Ulaanbaator, der Hauptstadt der Mongolei, zusammenführte, die sich ein Bild über die Entwicklung der Mongolei, Inner- und Zentralasiens nach dem Ende der Sowjetunion machen wollten.

B 2, O-Ton 15: Foyer, Prof. Lhagwa                            0,46
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen und zusammen mit O-Ton 14 ausblenden

Erzähler:
„Ah, inowa mongol.. (Mongolisch)…
„Die Mongolisten“, erklärt ein Teilnehmer des Kongresses, Prof. Lhagwa, Physiker vor Beginn der Eröffnung voller Erwartung, erst mongolisch, dann russisch, „betreten heute neues Gelände.“ Die Mongolei habe sich für die Welt geöffnet. Jeder Mongole, jeder mongolische Wissenschaftler könne jetzt seine Meinung über die Geschichte äußern und über die weitere Entwicklung. Das habe eine sehr große Bedeutung.“
…snatschennije

Regie: Erst Sprache, dann Musik ausblenden

Erzähler:
Auf internationalem wisssenschaftlichen Niveau wurde auf diesem Kongreß von internationalen Wissenschaftleren und Wissenschaftlerinnen bestätigt und vertieft, was tatarische, tschuwaschische, chakasische, mongolische und turk-tatarische Heimatforscher, Ethnologen und Kulturpolitiker seit Öffnung des eisernen Vorhangs zur Frage des einheitlichen turk-tatarischen Kulturrraumes ausgegraben haben. Dr. Eva Tschaki von der Universität Budapescht zum Beispiel ist Altaistin. Als Sprachforscherin hielt sie sich jahrelang in Kasan auf, um die Verwandtschaft zwischen den in ihrer Heimat Ungarn, den turk-tatarischen Völkern Rußlands, denen des Kaukasus sowie Mittel- und Zentralsiens zu studieren. Ihre gemeinsame Wurzel, so Frau Tschaki, haben diese Völker alle im Gebiet des Altai. Von dort verbreiteten sie sich in alle Richtungen:

B 1, O-Ton 16: Eva Tschaki, Budapescht                        0,57
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzerin:
„Really, the Mandschu Tungus….
„Die Mandschu-Tungisen gingen sehr weit nach Norden. Schon bei ihnen gibt es viele Völker und Sprachen wie das Mandschurische, das Tungisische; das Turkische ist dem sehr ähnlich. Wenn Sie an die Karaims in Polen denken, an die Tschuwaschen oder an die Tatar-Baschkiren. Auch das Jakutische in Westsibirien ist solch eine Sprache. Selbst in der Mongolei gibt es solche turksprachigen Gruppe. Die Mongolen und auch die Ungarn haben dieselbe Sprachstruktur: das Agglomerative, die Bildung der Sprache durch Anhängen von Suffixen und sie denken sehr ähnlich, wenn man die Unterschiede von Religion und Politik mal beiseite läßt, wenn man an den Grund kommt.“
…to the buttom.“

Erzähler:
Der Grund, erläutert Frau Tschaki dann , ist die nomadische Lebensweise:

B 1, O-Ton 17: Forts. Dr. Tschaki                            0,19
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzerin:
„I´m speaking about…
„Ich spreche über die Steppenzone von Euro-Asien. Es ist äußerst wahrscheinlich, daß Völker dort in dieser Weise in Netz gelebt haben und sich ständig gegenseitig beeinflußten.“
… each other.“

Erzähler:
In dieser ethnischen Skizze sind sich die Forscher und Forscherinnen, die sich mit der Geschichte der Altaivölker, der Hunnen, Türken, Mongolen und anderer befassen, weitgehend einig – gleich ob sie aus China, Japan, Rußland, Europa Amerika oder auch mit den Augen der erforschten Völker seber auf die Geschichte schauen. Der Sprach- und Kulturraum, der so entstand, reicht vom Landinneren Chinas bis auf den Balkan. In ihm überlagern sich die Folgen der Westzüge asiatischer Reitervölker, insbesondere die Nachwirkungen der hunnischen und der mongolischen Reiche, später das osmanische Reich mit der Ostkolonisation der Russen und der Kolonialpolitik des imperialen Westens. Nomadische und seßhafte Lebensweise, Schamanismus und Hochreligionen – Bhuddismus, Islam, Christentum – östliche und westliche Kulturen trafen immer wieder aufeinander, bekämpften, überlagerten, durchdrangen einander, bildeten eine eigene Zone von ständig sich im Übergang befindenden Kulturen heraus. Seit dem Ende der Sowjetunion ist sie wieder erneut in Bewegung geraten.
Professor Bira, als Leiter der „Assoziation der Mongolisten“ von Ulaanbaator Gastgeber des Kongresses, brachte es auf den Punkt:

B 1, O-Ton 18: Prof. Bira                                     1,25
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„There is a…
„Es gibt eine mehr oder weniger allgemein akzeptierte Konzeption der Geschichte unter Wissenschaftlern, es ist die     Konzeption des großen britischen Geschichtswissenschaftslers Raynold Toynbee. Er hat ein vielbändiges Buch über die     Weltzivilisation geschrieben. In seinem Buch schließt er das Nomadentum als eine Art der Zivilisation mit ein, und er war sehr besorgt über das verschwinden des Nomadentums in der Welt. Er benutzte sogar so eine Wendung wie: „Die letzte Stunde des Nomadentums hat geschlagen.“ Er meinte das deshalb, weil das Nomadentum als Ergebnis der westlichen Industrieentwicklung in den arabischen und anderen Ländern fast verschwunden ist. Was das mongolische Nomadentum betrifft, sagte er, daß es als Ergebnis von russischem und chinesischem Kommunismus verschwinden werde. So ungefähr drückte er sich aus. Er war ja ein sehr großer Wissenschaftler, aber es scheint, daß diese Schlußfolgerung zu früh kam, wenn man die Mongolei und andere Länder betrachtet.“
…mongolia and some other contries.“

Erzähler:
Faktisch strebe die Mongolei zu ihren nomadischen Wurzeln zurück, so wie viele andere Länder des Steppengürtels, natürlich in einer modernisierten Form. Viele Konflikte in den heutigen eurrasischen Krisenzonen seien aus dieser grundlegenen Problematik zu erklären. Wie der neue Weg ausssehen könne, sei aber offen. Viel wissenschaftliche und politische Anstrengung der internationalen Gemeinschaft sei nötig, um diesen Weg friedlich gehen zu können. Die UNESCO habe sich des Themas deshalb bereits angenommen; auch der Kongreß stehe unter diesem Zeichen.
So sehr sich Professor Bira, ebenso wie seine wissenschaftlichen Gäste aber auch mühten, politische Streitfragen aus dem Kongress fernzuhalten, dauerte es doch keinen halben Tag, da hatten die aktuellen Konflikte die wissenschaftliche Ruhe bereits durchbrochen. Ein Mitglied einer soeben gegründeten “ „Volkspartei für die innere Mongolei“, Mitarbeiter bei „Radio Liberty“ agitierte in den Gängen der Krongreßhalle für die Freiheit der Inneren Mongolei:

B, 1, O-Ton 19: Awton Bator, Innere Mongolei                        1,24
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Ja Awton Bator
„Ich bin Awton Bator“, stellt er sich vor, gebürtig in den inneren Mongolei, die heute zu China gehöre. Er komme soeben aus New York,  wo eine „Volkspartei Innere Mongolei“ gegründet worden sei – in New York deshalb, weil das in der Inneren Mongolei nicht möglich sei. Sie werde aber vor Ort tätig werden. Schon seit fünfzig Jahren, so Awton Bator, leben die Uiguren der Inneren Mongolei, eine den Mongolen verwandte Bevölkerungsgruppe, unter der Repression Chinas. Schon lange strebten sie nach Unabhängigkeit.  Neuerdings hätten sich die Aktivitäten unter den Intellektuellen, aber auch unter einfachen Nomaden verstärkt. Sie kämpften für eine echte Autonomie, dafür daß sich die Kultur der „mongolischen Nation“ erhalte. Erst kurz vor dem Kongreß sei es wieder zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen, in deren Verlauf sogar nach offizieller chinesischer Darstellung hunderte Menschen getötet wurden. Das Zentralkomitee der Partei habe auch Kontakt zum Dalai Lama aufgenommen. Tibetaner, Uiguren und andere arbeiteten zusammen; schon bald werde es eine einheitliche Front geben..
…jedini front.“

Erzähler:
Von einer Front wollte auf dem Kongreß ebenso wie zuvor in Tatarstan, bei den Tschuwaschen, Chakasen oder anderen Völkern, die seit dem Ende der Sowjetunuion von der großen historischen Unruhe erfaßt wurden, niemand etwas hören. Teilnehmer der chinesischen Delegation äußerten sich zwar bereitwillig über Tschingis Chans Bedeutung für China, klärten ihre Zuhörer sogar darüber auf, daß große Teile der Bevölkerung  des chinesischen Westens Nomaden seien:

B 1, O-Ton 20: Prof. Sin Chian                                0,30
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Erzähler:
„Tja lisi sang…
Die Frage nach den Verhältnissen in der inneren Mongolei jedoch lassen sie unbeantwortet. Ihre eurpäischen Kollegen, die für sie übersetzen, erklären „solche Fragen“ für unerwünscht. Leute, die solche Fragen stellten, gehörten nicht auf den Kongreß. Man habe das bereits kritisiert:
… critizized them.“

Erzähler:
Die politische Wirklichkeit aber läßt sich nicht ausgrenzen. Schon der erste tschetschenische Krieg von 1994 bis 1996 zeigte die Grenze, von der ab das Streben nach Autonomie und Selbsbestimmung außerhalb der bisher geltenden imperialen Grenzen zu Zusammenstößen mit der in Frage gestellten russischen  Zentralmacht führte. Er hinterließ ein verwüstetes Tschetschenien und wurde mit einem faulen Frieden beendet. Den Krieg um das Kosovo führte nicht Rußland, sondern die NATO, das heißt, die Europäische Union unter Führung der USA. Das Ergenis ist jedoch nicht weniger faul. Seit September 1999 tobt der zweite tschetschenische Krieg. Er hat sich von einem lokalen Konflikt zu einem Vernichtungsfeldzug Moskaus gegen jeden „Separatismus“ gesteigert.
Die Ratlosigkeit ist groß. Pessimistische Stimmen, sei es, daß sie den Thesen Samuel Huntingtons oder solchen wie Alexander Dugins von Dualismus amerikanischer und russischer Interessen folgen, malen schwarze Szenarios.
So etwa Gaidar Aschemal, Vorsitzender des „Islamischen Komitees“ Rußlands. Er sieht sich, obwohl seinem Selbstverständnis nach russsicher Patriot wie sein Gesinnungsfreund Alexander Dugin, als Opponent des gegenwärtigen Kriegskurses der russischen Regierung. Eine friedliche Lösung wäre besser, betont er:

O-Ton 21: Gaidar Aschemal                                0,55
Regie: O-Ton ein bißchen höher ziehen, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen, abblenden

Übersetzer:
„No, is moja…
„Jedoch! Aus meiner Sicht ist heute ein dritter Weltkrieg unausweichlich. Er ist aus einer ganzen Reihe von Gründen ausausweichlich. Er kann unterschiedliche; aber für Euroasien und dabei auch Europa sehr schwere Formen annehmen: Schema der Vierziger Jahre, aber ausgeweitet bis nach China! Das heißt, die Front geht durch den Balkan, den Kaukasus, weiter durch Mittelasien nach China hinein. Danach wird sich Euroasien so entwickeln wie Europa nach dem zweiten Weltkrieg:Eeine Ruine, Stagnation der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung! Sagen wir, ganz Eurasien wird sein wie ein großes Afghanistan, Afghanistan hundertmal vergrößert.“
…sto ras.“

Erzähler:
Die Perspektive ist düster. Aber wenn es auch so scheinen mag, so ist sie doch nicht die Einzige. Aus Transnistrien, zwar gute tausend Kilometer von den Kämpfen in Tschetschenien entfern, aber ebenfalls mitten in der Konfliktzone des euroasiatischen Steppengürtels gelegen, ebenfalls ein Vielvölkerteppich, ebenfalls Krisengebiet, kommen zur Zeit ganz andere Meldungen. Transnistrien löste sich nach vorangegangenen militärischen Auseinandersetzungen 1993 als autonomes Gebiet von der Republik Moldawien. Seitdem besteht ein ungeklärter Schwebezustand, der jederzeit wieder zu neuen Konflikten führen kann. Dort versammelten sich im Oktober, parallel zur Eskalation der Kämpfe in um Tschetschenien Russen, Ukrainer, Rumänen, Moldawier, Transnistrier – und Vertreter der „Organisation für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit“ (OSZE), um einen Vorschlag zur  Lösung des Problems zu erörtern, den Transnistriens Vertreter vorgelegt hatten. In  Orientierung an den Prinzipien der europäischen Integration sieht er vor, eine Gemeinschaft aus zwei selbstständigen Staaten zu bilden. Jefim Berschin, Moskauer Journalist, selbst in Transnistrien gebürtig, ist von der Idee begeistert:

B 1, O-Ton 22: Jefim Berschin                                   0,39 Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, hochziehen

Übersetzer:
„Tscho eta sa problem…
„Also worum geht es? Wichtig ist: Was soll, bei weiterer Existenz zwei voneinender getrennter Staaten, das Verbindende sein? Sie fanden fünf Punkte: Erstens die gemeinsame Grenze, zweitens einen gemeinsamen Wirtschaftsraum drittens einen gemeinsamen Rechtsraum, viertens einen gemeinsamen sozialen Raum. Fünftens gemeinsame Verteigungsausgaben.“
… oborodinne prastranstwa.“

Erzähler:
Die ersten vier Punkte, gemeinsame Grenze, gemeinsamer Wirtschafts-, Rechts-, und Sozialraum, so Jefim Berschin, seien ohnehin faktisch gegeben. Der fünfte Punkt, gemeinsame Verteidigungsausgaben machte schon allein deswegen einen Sinn, weil es in der geografischen Lage der beiden Länder, eingefaßt von Rußland, Rumanänien und der Ukraine, keinerlei Sinn ergebe, gegen irgendjemanden Krieg zu führen. Neutralität, so Jefim, sei der einzig sinnvolle Status für diese Übergangsgebiete zwischen Europa und Rußland, zu denen auch Moldau und Prednestrowien zählten:

B1, O-Ton 23: Jefim Berschin, Forts.                      0,43
Regie: O-Ton kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, beim Stichwort „Tschtschnju“ hochziehen, dann langsam ausblenden

Übersetzer:
„Poetamu jest idea…
„Deswegen besteht die Vorstellung, soweit ich es verstanden habe, dieses Modell zwischen Moldau und Transnistrien auszuprobieren, um es dann für Kosovo zu übernehmen – und dann nicht nur für das Kosovo, sondern auch für andere Konfliktherde wie das Südlliche Ossetien, Abchasien, Berg Karabach usw. und – mag sein – am Ende sogar für Tschetschenien – wenn dort kein Krieg mehr geführt wird und sich die Situation normalisiert hat.“
…Tschschnju….bis …normalisuetsja.“

Erzähler:
Rußland, Rumanänien, Ukraine, ebenso wie die OSZE haben den Vorschlag Prednestrowiens für gut befunden. Nur Moldawien muß noch zustimmen. Wenn politische Vernunft  die Entwicklung bestimmt, dann wird diese Zustimmung Moldawiens nicht mehr lange auf sich warten lassen. Das könnte ein Signal für eine Entwicklung werden, die für eine Neuordnung des Übergangsraums zwischen Asien und Europa nicht auf Unterdrückung von Autonomiewünschen, nicht auf ethnische Säuberungen und nicht auf Zwangsintegrationen sondern auf  Förderung der neuen Entwicklungsimpulse in  kooperativer Vielfalt setzt.
Wenn nicht politische Vernunft bestimmt, wird die Vielfalt sich trotzdem durchsetzen. Aber dann wird sie blutige Umwege nehmen. Hoffen wir also! „Die Hoffnung stirbt immer zuletzt“, lautet ein russisches Sprichwort.

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