„Uns fehlen nur Vitamine und Konfekt.“ Unterwegs auf deutschen Dörfern in Rußland ——————————————-
Achtung: O-Ton 1, 2 und 3 (des Vorspielbandes) gestrichen.
Die ursprüngliche Zählung, wie sie der Reihenfolge auf dem Vorspielband entspricht, behalte ich bei)
Vorspann: Als Boris Jelzin 1991 Präsident wurde, atmete die deutsche Minderheit in Rußland auf. Kaum an der Macht, unterzeichnete er ein Gesetz, das die unter Stalin unterdrückten Völker rehabilitieren sollte. Viele schöpften Hoffnung, an die Wolga zurückkehren zu können, von wo Stalin sie 1941 an den Ural und nach Sibirien deportieren ließ. Ein Komitee „Wiedergeburt der Deutschen an der Wolga“ machte sich für die Rückkehr der Deutschen in ihre früheren Siedlungsgebiete stark. Die Gründung einer deutschen Republik an der Wolga, argumentierten sie, könne die wirtschaftlich zusammenbrechende Region wieder aufmöbeln. Die Deutschen könnten dort zu einer Art Katalysator, einem Impulsgeber der Reform werden.
Eine heiße Debatte entstand, und dies nicht nur in Rußland: Wo sind die Rußlanddeutschen zuhause? In Sibirien? An der Wolga? Haben sie ein Recht auf eine autonome Republik? Oder ist Deutschland ihr eigentliches Zuhause?
O-Ton 4: Ankunft im deutschen Dorf (060) (…Türenschlagen, Hunde…)
Regie: Kreuzblende, allmählich kommen lassen, kurz stehen lassen, unterlegen
Erzähler: Sibirien. Sommer 1993. Ein deutsches Dorf, Teil der Sowchose „Sibir“ im Gebiet des Bezirkszentrums „Bolotnoje“ bei Nowosibirsk.
Deutsche Dörfer erkennt man sofort, hatten russische Freunde mir gesagt. Ich wollte es nicht glauben. Jetzt verstehe ich: Die Dorfstraße ist staubig wie überall im sibirischen Sommer. Die Hitze ist fast unerträglich, mindestens dreißig Grad. Aber die Gruppe Frauen, zu der mein Führer aus Bolotnoje mich bringt, sitzt im Schatten, den ein großer Baum auf eine Bank vor dem Haus wirft. In ihren bunten Kitteln, den weißen und roten, hinter dem Kopf gebundenen Tüchern wirken sie frisch und locker, auch die älteren. Im Garten leuchten nicht nur Blumen. Akkurat sind Beete angelegt. Akkurat, geradezu pedantisch ist auch das Holz für den Winter gestapelt.
Vor den anderen Häusern sieht es ähnlich aus. Es sind die üblichen Blockbauten. Aber die Rahmen der Fenster und Türen sind frisch gestrichen. Kleine Vorgärten werden von Zäunen eingefaßt, deren Latten in hellem Blau oder grün leuchten. Manche haben noch weiße Spitzen.
Die Höfe sind gefegt. Ställe, Schuppen und stehen in Reih und Glied, statt über das Gelände zwischen den Häusern zu wuchern.
Die Frauen begrüßen uns herzlich. Deutsch zu reden ist ungewohnt für sie. Das ruft Heiterkeit hervor. Aber die Verständigung klappt auf Anhieb.
Regie: Beim Stichwort „ich bin auch Deutsch“ hochziehen, stehen lassen bis Ende, nach dem Lachen abblenden, unterlegt halten
Text O-Ton: „Ich bin auch Deutsch. Wir verstehen alles. Wir verstehen wohl. Wir sprechen nur nicht richtig. Nicht ganz so wie in `Literaturni Jasik‘. Wir sein zwischen den Russen aufgewachsen. – Ein kleiner Akzent ist nicht zu überhören –
(…Lachen)
O-Ton 5: Deutsch Dorf, Frauen, Forts. (045)
(„Wir sind wenig…
Regie: Verblenden, mit Stichwort „Wir sind wenig“ hochziehen, stehen lassen
O-Ton-Text: „Wir sind wenig, was Russen hier sein. Hier seind auch schon viel Gemischte: Haben eine russische Frau, einen russischen Mann. Grade, die so sind wie wir, die seind nicht so viel Gemischte, aber die jungen sind alle durchgemischt. Wir sind beide Deutsch. Wir haben fünf Kinder, von fünf Kindern hat nur der jüngste Sohn eine deutsche. Viele haben eine russische Frau, Mann und so gehts“ (…geht’s)
Regie: Bei Stichwort geht`s“ abblenden, unterlegt
halten
Erzähler: Schnell hat sich ein kleiner Kreis gebildet. Fünf oder sechs Frauen mögen es sein. Ein älterer Mann hält sich im Hintergrund hinter seiner grauen Schiebermütze versteckt.
„In den dreißiger Jahren sind wir hierher gekommen“, erzählt eine der Frauen. Als Kolonisten aus der Ukraine. Woher ihre Elter davor gekommen sind, lönnen sie nicht beantworten. Nur ihr Dialekt verrät es: Schwaben. Ja, das könne schon sein, lachen sie verlegen. Aber freiwillig seien sie gekommen! Darauf legen die Frauen wert. Anfangs lebten sie als Einzelbauern. Später wurde die dann Kolchose eingerichtet:
O-Ton 6: Frauen im Dorf, Forts. (040) („Mi, kagda…
Regie: Verblenden, hochziehen, kurz stehen lassen, unterlegen
Erzähler: Auch das Dorf entstand erst mit der Kolchose.
O-Ton-Text:Und das war 1937. Und im 38. Jahr haben sie die Männer alle weggenommen. Männer und Frauen sind viele mit. Auch meinen Vater haben sie mitgenommen. Und dann haben wir rübergebaut in die „derewnje“ (…Derewnje.“)
Regie: Mit dem Stichwort „derewnje“ abblenden, unterlegen
Erzähler: Und? ich kann mich nicht halten. Ich muß sie fragen: Sind deutsche „derewnje“, also Dörfer, wirklich schöner, sauberer, reicher als russische wie viele sagen? Was halten die Frauen von solchen Ansichten?
O-Ton 7: Frauen , Forts. (050) („Nu, jaja…
Regie: Verblenden, hochziehen,
Text-O-Ton: „Nun, jaja, unser Dorf! Als sie die Männer alle weggeholt hatten und nur die Frauen geblieben waren. Und dann haben sie ja auch die Frauen noch alle weggenommen. Auch das junge Volk. Nur alte Leute und kleine Kinder waren geblieben. Unser Dorf war zu gar nichts mehr imstande. Aber nach dem Krieg hat sich unser Dorf flink `wostanawliwajet`. Und wenn sie jetzt so kommen, und hier kam oftmals so ein Milizionär, dann sagt er:
Regie: Den russischen Ton kurz anlaufen lassen, dann ablenden, unterlegen, dann wieder hochziehen
Erzähler: Von der Erneuerung des Dorfes redet sie. Daß daß
so schnell gehen würde und daß die Deutschen so leben würden, hätte der Polizist nicht gedacht.
O-Ton Text:“Und so wundern se sich.“ (…wundern se sich.“)
Regie: Nach dem Stichwort „wundern se sich“ abblenden, unterlegt halten (hier evtl. akkustisches Loch aus der beigelegten Schleife „Dorf 1“ füllen)
Erzähler:Man lebt nicht schlecht an diesem Ort. Besser jedenfalls als in der benachbarten Sowchose, wo man voll neidischer Achtung vom deutschen Dorf spricht: Platten und Holzbohlen gebe es dort, über die man im Frühjahr und Herbst ohne Gummistiefel von Haus zu Haus kommen könne. Bänke vor den Häusern, die Höfe, die Ställe gepflegt: Alles an seinem Ort; die Maschinen unter dem Dach, sogar Obstbäume in den Gärten. Pünktlich und arbeitsam, diese Deutschen!
Seit die Sowchose „Sibir“ eine AG wurde, müssen ihre Mitglieder selbst für Strom, Wasser, Planierung der Dorfstraße, Abfallbeseitigung usw. sorgen. Während die Sowchose im Müll erstickt, hat man deutschen Dorf noch alles im Griff. Zur größten Verblüffung der Sowchosniki. Ob es wahr sei, fragte mich eine junge, Frau im Kontor der Sowchose schließlich schüchtern und provokativ zugleich, als es um die deutsche Sauberkeit ging, daß man in Deutschland die Bürgersteige mit Schampoo sauberhalte?
Früher war die Kolchose nach Thälmann benannt. Heut heißt sie nur noch das deutsche Dorf. Es ist eins der wenigen geschlossenen deutschen Dörfer, die es in Sibirien heute gibt. Man ist also unter sich. Man steht gut mit den russischen Nachbarn. „Bleiben oder gehen“ ist trotzdem die Frage, die viele beunruhigt:
O-Ton 8: Frauen, Forts. (025) („Von uns ist erst..)
Regie: Verblenden, kommen lassen, stehen lassen
O-Ton-Text: „Von uns ist erst eine Familie weggefahren. Wir täten ja auch fahren. Aber bei wem soll man hinfahren? Wir haben doch nirgends keine nich. Oder haben wir wohl soviel Kapital, daß wir können fahren? So ein teueres Billet! Wir können, nein, wir müssen schon hier bleiben, bis wir schon sterben. “ (…sollen wir hin?“)
Regie: Beim Stichwort sterben abblenden, unterlegen
Erzähler:Von einem Umzug an die Wolga redet hier niemand. Deutschland lockt. Aber noch ist die Barriere hoch:
O-Ton 9: Frauen, Forts. (0,25) (… „Wir haben nichts…)
Regie: Verblenden, bei Wir haben nichts
hochziehen, stehen lassen
Text O-Ton:“Wir haben nichts. Wir sein doch Russen.
Hier sein Faschisten ein Leben lang gewesen und da sind wir russisches Schwein. (…Schwein.“)
Regie: Beim Stichwort Schwein abblenden, unterlegt halten (Hier ebenfalls evtl. Ton aus Schleife „Dorf 1″ einspielen)
Erzähler:“Faschisten“, „Russisches Schwein?“
Harte Worte, die eine harte Wirklichkeit beschreiben. Damit ist zunächst alles gesagt.
Inzwischen hat die Kunde, daß ein Deutscher im Dorf ist, sich weiter verbreitet. Aus einem der etwas weiter entfernten Häuser ist ein älteres Ehepaar gekommen, sie rüstig in Kittel und Kopftuch. Er zusammengesunken, mit dem Gesicht eines Magenkranken. Sie laden mich ein, sie in ihr Haus zu begleiten. „Damit Sie sehen, wie wir wohnen“, sagen sie, „und zu Hause erzählen können.“
O-Ton 10: Eintritt in ein Haus (0,48) (… Hunde, Hall, Stimmen)
Regie: Verblenden, kurz stehen lassen,
abblenden, unterlegen
Erzähler: Genau zweiundvierzig Häuser hat das Dorf, erfahre ich unterwegs. Sie sind wie Perlen an der Straße aufgereiht. Bei jedem Nachbarn ein kleiner Schwatz, dann geht es weiter. Das Haus, zu dem sie beiden Alten mich führen, gleicht den übrigen: Achtung! Tor mit Kopfbalken. Rechts vom Hof und nach hinten hinaus Schuppen und Stallungen. Links führen ein paar Holstufen zur Haustür hinauf. Drinnen ist es kühl. Das macht die Holzbauweise, erklärt der Alte. Seine Frau entschuldigt sich für die Unordnung. Dabei ist es sauber und fast leer wie im Museum: Der Fußboden ist gebohnert; ebenso der furnierte Schrank. Die beiden einzigen Sessel tragen Schonbezüge.
Als Gast muß ich im tiefsten Sessel Platz nehmen, direkt dem Fernseher gegenüber. Aber im Unterschied zur landesüblichen Sitte wird er nicht angestellt. Der Alte sinkt in den zweiten Sessel neben mir. „Mein Lieblingsplatz“, schmunzelt er. Seine Frau holt sich einen Stuhl aus dem Vorraum und setzt sich uns gegenüber. Neben ihr steht ihre Tochter, eine junge Frau, modisch gekleidet und sorgfältig geschminkt wie alle jungen Russinnen. Ein Haufen Wäsche im Korb verrät, daß wir sie beim Bügeln überrascht haben:
O-Ton Text: „Sehr guten `Parjadok‘ haben wir nicht. `Pomolenko‘. Aber leben kann man. Früher haben wir noch nicht so gelebt.“
Regie: Russischen Text kurz stehen lassen,
abblenden, unterlegen
Erzähler: „Früher war alles viel kleiner“, sagt sie. „Selbst auf dem Boden haben wir gelebt. Egal. Man mußte leben, hat gelebt. Jetzt ist es ein bißchen besser.“ (..lutsche)
Regie: Nach dem Stichwort „lutsche“ abblenden, unterlegen
Erzähler: Die Tochter ist anderer Ansicht. Sie sagt es auf Russisch. Sie verstehe noch deutsch, radebrecht sie, könne es aber nicht mehr sprechen. Und außerdem, lacht sie, habe sie einen russischen Mann:
O-Ton11: Junge Frau im Haus, Tochter(030) („Djela w tom schto…“)
Regie: Verblenden, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, am Schluß wieder hochziehen
Übersetzerin: „Die Sache ist so: Früher hat man sich für seine Nationalität geschämt, dafür geschämt, daß man deutsch ist. Deutsch zu sein, das war peinlich, eine Schande. Jetzt ist es umgekehrt, jetzt spricht man mit Stolz davon, daß man Deutsche ist. Das hat sich erst in den letzten zehn Jahren entwickelt. Das ist schon einmal ein großer Fortschritt. (…progress.“)
O-Ton 12: deutsche Hausfrau (024) („Da, wot, odno tolka…)
Regie: Verblenden, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen
Erzähler: Nur eins sei schlecht, widerspricht die Mutter: daß die „deutsche Nation“ – so wird in Rußland die ethnische Gruppe genannt – sich vermutlich einfach verliere.
Regie: Bei Stichwort „die Kinder“ hochziehen, stehen lasssen
O-Ton-Text: „Die Kinder gehen in die Schule, lernen Russisch. Die verstehen nicht ein Wort. Wir verstehen ja noch ein bißchen. Aber die Kinder die jetzt wachsen, verstehen nicht zu lesen. Was sind das für Deutsche, die nicht können sprechen. (..sprechen)
Regie: Mit „sprechen“ abblenden, unterlegen
Erzähler: Das muß auch die Tochter bestätigen.
O-Ton 13: Tochter, Forts. (037) („Kultura, obitschi…)
Regie: Verblenden, Ton kurz kommen lassen, stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach Übersetzerin wieder hochziehen, verblenden
Übersetzerin: „Ja, Kultur, Sitten, alles ist verloren gegangen. In der Vergangenheit war ja alles verboten. Jetzt ist es frei. Doch jetzt ist es schon sehr schwer, sich zu erinnern. Überhaupt, was heißt erinnern? Alte Leute, die selbst noch Wurzeln in der Volkskunst haben, gibt es nicht mehr. Unsere Eltern wissen vielleicht noch Einiges. Wir, meine Generation, kaum noch. Unsere Kinder wissen schon gar nichts mehr.“ (…snajet)
Erzähler: Jetzt mischt sich auch der Alte ein. „Djadja“, Opa, nennt seine Tochter ihn respektvoll. Er spricht als sei er uralt,obwohl er nicht älter als ungefähr sechzig sein kann:
Ton 14: Alter im Haus (044) („Liebe Tochter, …)
Regie: Verblenden, stehen lassen, nach Stichwort „fremd“ abblenden, unterlegen
O-Ton-Text:“Liebe Tochter, es ist noch anders: Wir sein hier nicht zuhaus – und da sein wir auch nicht zu Haus. Hier sein wir noch geboren, großgewachsen. Hier haben wir noch Bekanntschaft um uns herum. Aber komm dahin, da ist alles fremd.“ (…fremd.“)
Regie: Nach Stichwort „fremd“ abblenden,
unterlegen
Erzähler: Früher wurde Deutschland schlecht gemacht, fährt der Großvater fort. Heute ist es genau umgekehrt. Jetzt ist alles gut, was von da kommt. Von Faschisten spricht keiner mehr. Jedenfalls nicht mehr offen, wurft seine Frau ein.
Sie trauen der neuen Zeit nicht, die beiden Alten. Und nicht den Versprechungen der Regierung. Rückkehr an die Wolga? Alles Worte! winkt der Großvater müde ab. Nichts sei wirklich beschlossen. Und Morgen sei wieder alles ganz anders. Die Großmutter nickt heftig. Die Entrüstung steht ihr im erhitzten Gesicht. Die Tochter wirft mir einen schnellen Blick zu. Sie müssen verstehen, heißt das: die Erinnerungen!
Da bricht es auch schon aus dem Alten hervor:
O-Ton 15: Alter, Forts. (060) („Mir haben se…)
Regie: Verblenden, Ton stehen lassen
Text O-Ton:“Mir haben se sechs Brüder verschossen. Ich bin der siebente. Ich war der jüngste. Den Vater haben sie auch nicht verschossen. Den haben sie sein gelassen….“
Regie: Russischen Text nach Stichwort gelassen“ kurz stehen lassen, dann abblenden, unterlegen,
nicht wieder hochziehen, verblenden
Erzähler:Vom NKWD, erzählt der Alte, Stalins Geheimpolizei: Nachts kamen sie ins Dorf. Die Leute mußten packen, wurden aufgeladen, ab. Zwei Monate später waren sie tot.
Die Großmutter ergänzt: Ihr Vater wurde ebenfalls erschossen. Erst vor drei Jahren wurde er rehabilitiert. Sie steht auf, geht zu dem Schrank, kramt ein schon leicht vergilbtes Schreiben hervor und zeigt es mir. Weil sie sich die Augen wischen muß, bittet sie die Tochter, es mir vorzulesen:
1O-Ton 16: Tochter liest Rehabilitationsurkunde (037) (Sobschaem: Ttscho was otez…
Regie: Verblenden, Ton, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach Übersetzung zum Lachen hochziehen
Übersetzerin: „Wir erklären: Daß ihr Vater Rosin, Alexander Iwanowitsch, geboren 26.Mai 1886 im früheren Kuban, vor seiner Verhaftung als stellvertretender Vorsitzender der Kolchoose „Thälmann“ arbeitete. Er wurde angeklagt der Beteiligung an einer konterrevolutionär-faschistischen, aufrührerisch-terorriristischen nationalistischen Organisation für Spionage und Diversion. “ (…Lachen)
Regie: nach dem lachen abblenden, unterlegen, verblenden
Erzähler: Solche Briefe haben sie jetzt zu Millionen verschickt, sagt die Mutter. Ihr Lachen verbindet die alte Angst mit der neuen:
O-Ton 17: Mutter und Vater (050) („Das ist nicht vorbei…)
Regie: Verblenden, stehen lassen
O-Ton-Text: „Das ist nicht vorbei. Vorbei ist es nur für die, die es nicht erlebt haben. ‚Konjeschna‘, die Leute haben Angst. Die glauben nicht.
Das ist ein und jetzt das Zweite: dubro…“
Regie:: Mit dem erneuten Einsetzen des Alten abblenden, unterlegen, unterlegen
Erzähler:Die Menschen haben Angst, daß die heutigen Reformen nicht von langer Dauer sein werden. Zu tief sitzen die Erinnerungen daran, wie frühere Reformen zurückgenommen wurden. So die Parole „bereichert Euch“ während der „sogenannten „Neuen ökonomischen Politik“, mit der Lenin die Folgen des Kriegskommunismus überwinden wollte. Sie endete in neuerlicher Enteignung und der stalinschen Kollektivierung. Und nicht vergessen ist, daß es vielfach gerade die deutschstämmigen Russen, waren, die Stalin „entkulakisieren“ ließ, wie es im Russischen heißt. Das heißt, sie wurden umngebracht. Denn weil sie härter arbeiteten und bessere Vorratswirtschaft betrieben, waren sie vielfach reicher als die anderen.
Aber die neue Zeit gefällt dem Alten ebensowenig. Die Zunahme von Mordfällen, vor allem auf dem Lande, hält er für ein schlimmes Zeichen. Heute gebe es ja mehr Morde als vor Perestroika, meint er. Dagegen erscheint ihm die alte Zeit schon wieder in rosigem Licht: Damals habe die Polizei schon wenig gearbeitet. Jetzt tue sie überhaupt nichts mehr. „Aber was sollen wir tun. Wir sind doch wehrlos“, schließt er. „Außer einer Axt haben wir nichts.“ (…njetto.“)
Regie: Nach dem Stichwort „njeto“ abblenden, unterlegen, verblenden
O-Ton 18: Abschied aus dem deutschen Dorf (…Tür, „da,da,da“, Hunde, Auto…)
Regie: Verblenden, kurz stehen lasssen, abblenden, unterlegen, Kreuzblende mit O-Ton 19
Erzähler: Es geht nicht vor und nicht zurück – mit diesem Eindruck verließ ich das Dorf. Diese Menschen haben bei einem Neuanfang an der Wolga, aber auch bei einem Umzug nach Deutschland nichts zu gewinnen. Sie verlieren nur die vetraute und relativ sichere Umgebung. Noch kann die in die AG umgewandelte Sowchose ihnen Arbeit geben. Und selbst als Beschäftigunfgslose sind sie mit ihren eigenen Höfen, Gärten ind privaten Feldern hier immer noch Könige. Dort wären sie abhängig von staatlicher Hilfe. Aber was wird geschehen, wenn die Krise sich noch weiter vertieft? Die Antwort darauf suchte ich ein Jahr später in einem anderen Dorf:
O-Ton 19: Wiederholung von Ton 3 (Musik) (042) (Ich nehme an O-Ton 19 wird dann entsprechend der Streichung von O-Ton 1,2 und 3 ebenfalls gestrichen werden müssen?
Regie: Kreuzblende mit O-Ton 18, sehr kurz stehen lassen, sodaß eben der Wiedererkennungseffekt eintritt, dann Kreuzblende mit O-Ton 20
O-Ton 20: Deutsches Dorf 1994 (044) (…Fahrgeräusch, Türenklappen, Stimmen Lachen…)
Regie: Kreuzblende mit O-Ton 19, Ton langsam kommen lassen, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen
Erzähler: „Mor-Sowchos“ im Bezirk Kurageno nahe der mongolischen Grenze. Hier wohnen Russen und Deutsche gemeinsam. Diese Deutschen sind nicht freiwillig hergekommen. Sie wurden 1941 aus dem Wolgaraum deportiert. In „Mor-Sowchos“ haben eine kleine deutsche Siedlung gebildet. Die Bauweise ihrer Höfe entspricht dem der Umgebung: Hier sind es keine Blockhütten, hier bilden holzverschalte Wohnhäuser, daneben ebensolche Schuppen und Ställe je einen Hof. Aber auch hier fallen die Häuser der Deutschstämmigen sofort ins Auge: planierte Straße, Vorgärtchen, Zaun, Bank, der schattenspenderende Baum: die Spitzen der Zäune, die Tür- und Fensterahmen sind geweißt oder in anderen Farben abegsetzt. Kein Schuppen steht schief. Die Lattendächer, die Holzverschalung sind sorgfältig ausgerichtet und ebenfalls sauber gestrichen. Im Hof liegen Steinplatten. Auf eigens dafür gebauten Böcken stehen Milch- und sonstige Eimer nach Größen sortiert. Wieder ist es, als betrete man eine andere Welt.
Regie: Mit dem Stichwort „Wir sind auch Deutsche“ hochziehen, mit „Lachen abblenden, unterlegen, verblenden
Erzähler: Heut ist ein besonderer Tag: Eine junge Familie mit zwei Kindern, dazu die Großmutter rüstet sich soeben zum Aufbruch nach Deutschland. Es ist die fünfte Familie von insgesamt elfen, die das Dorf innerhalb eines Jahres verlassen haben.
Auf der Bank des Nebenhauses haben sich die Nachbarsfrauen versammelt, so wie sie von der Arbeit in den Ställen und Gärten kommen: in Kittel und Kopftuch, mit leichten pantoffelartigen Überschuhen oder abgeschnittenen Gummistiefeln. Die Zurückbleibenden fühlen sich verlassen:
O-Ton 21: Frauen im deutschen Dorf II (O37) („Mir wolle auch nüber…)
Regie: Verblenden, stehen lassen
O-Ton-Text: „Wir wollen auch nüber. Aber ich weiß ja nicht, wann wir was kriegen. Die fahren alle nüber. Wollen noch mehr nach Deutschland.“
Regie: Nach dem Stichwort „Deutschland“ abblenden, unterlegen
Erzähler:Die Lage hat sich verschärft. Das spürt man sofort. Aber warum?
O-Ton-Text: „Weil da alles schwerer ist. Da ist schwerer. Die daneben, die wollen jetzt fort schon. Wollen dahin, wo ist `parjadok‘.“ Noch: Lachen, Frage nach Schirinowski)
Regie: Nach der Frage: „Schirinowski?“ abblenden, unterlegen, verblenden
Erzähler: Dahin, wo Ordnung herrscht, wollen die Frauen. Mit Schirinowski haben sie nichts im Sinn. Sie wissen nicht einmal, wer er ist. Deutsche Ordnung soll es sein, nicht Schlamperei, wie sie die hiesigen Verhältnisse nennen. Arbeit wollen sie und in Ruhe das Erarbeitete genießen. In diesem Punkt sind fast alle sich einig.
Aber eine ältere, kräftige Frau widerspricht. Ihr fehlen fast sämlttliche Vorderen Zähne. Es stört niemanden. Es gibt ihr eher, betont durch die derbe dunkle Joppe, die sie über ihrem geblümten roten Kittel trägt, eine gewisse natürliche Strenge:
O-Ton 22: Zweite Frau im deutschen Dorf II (029) („Ich will net…“
Regie: Verblenden, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen
O-TonText:“Ich will net nach Deutschland, ich will da bleibe in Rußland, ich bin russisch, was soll ich dort. Was soll ich in Deutschland?!“
Regie: Den folgenden russischen Satz bis Stichwort „Ruski“ kommen lassen, dann abblenden, unterlegen, nach Erzähler kurz hochziehen, verblenden
Erzähler: „Hier sind wir Deutsche, dort Russen“, sagt die Frau mit der Joppe: Im Grunde spricht sie nur aus, was alle wissen: Nach zweihundert Jahren in Rußland liegen die Wurzeln der ehemaligen Einwanderer inzwischen in ihrer neuen Heimat. Daran ändert auch Umsiedlung und Deportation nichts. In Sibirien leben sie nun auch schon wieder zwei Generationen. „Historisch gewachsen“, nennt die Alte es. Das reiße man nicht von heut auf morgen heraus. Verzweifelt beschwört sie die alte Zeit:
O-Ton23: Forts. zweite Alte, Dorf II (013) („Ransche mi schili…
Regie: Verblenden, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, am Ende des Erzählertextes langsam hochziehen
Erzähler:“Früher lebten wir hier gut“, sagt sie. Erst seit drei Jahren sei es so wie jetzt. Und warum solle es nicht vielleicht in fünf Jahren wieder gut sein? Aber dann verläßt sie der Mut: Was dann kommen werde, das könne natürlich auch niemand sagen. Gott allein wisse, was morgen werde.“ (..budit.“)
Regie: Nach dem Stichwort „budit“ abblenden, unterlegt halten.
Erzähler:Schließlich kann sie die Tränen nicht mehr halten:
Ton24: zweite Alte, Forts. (020) („Die da wolle morge…)
Regie: Verblenden, stehen lassen (auch das Russische) bis nach dem Weinen
O-Ton-Text: „Die da wolle morge fortfahre…
Regie: Nach dem nochmaligen Schluchzen abblenden, unterlegen, nach Erzähler mit „a mir sind lauter swoi“ wieder hochziehen
Erzähler: „Alle bedauern es“, sagt die Frau, „Deutsche genauso wie Russen.“ Fremde kaufen jetzt das Haus, klagt sie. Aber man gehöre hier doch zusammen! Trotz aller Unterschiede, Russen, Deutsche, Katholische und Orthodoxe.
Dann zitiert sie, was sie ein deutsches Sprichwort nennt:
O-Ton 25: zweite Alte, Deutsches Dorf II (013) („Ein Gott hat…“)
Regie: Verblenden, bei „Ein Gott“ hochziehen stehen lassen
O-Ton Text: „Ein Gott hat man nur. Gelt? Glauben kann man wie man will und Gott ist nur ein.“ (…ein.“)
O-Ton26: Geäusche auf dem Bauernhof (045) (…Türenklappen, Hofgeräusch, Morrrad, Gänse…
Regie: Verblenden, hochziehen, kurz stehen lassen, unterlegt halten, verblenden
Erzähler: Ein paar Schritte haben mich in den Hof nebenan gebracht. Hier wird gepackt. Die Gänse schnattern wie immer. Aber die Stimmung ist gedrückt. Immerhin läßt die Familie Haus, Hof und Freunde zurück. Nur Handgepäck kann sie auf ihrem Weg ins hannoveraner Auffanglager mitnehmen. Ich treffe nur den jungen Familienvater an. Die Frau ist zur Zeit außer Haus. Die Kinder spielen draußen vor dem Hof. Er mag fünfunddreißig sein. Wir müssen Russisch sprechen. Deutsch verstehe er nicht, lacht er verlegen.
Das Herz bleibe wohl noch hier, antwortet er gefaßt, als ich ihn frage, wie er sich fühle. Warum er dann gehe?
O-Ton 27: Ausreisender (065) (…Lachen, „Potschemu…?“
Regie. Verblenden, mit Lachen hochziehen, kurz stehen lasen, abblenden, dem Übersetzer und Erzähler unterlegen. Nach der zweiten Übersetzung hochziehen
Übersetzer: „Warum? Hier hat so ein verrücktes Leben angefangen, ohne irgendwelche Konturen. Du weißt nicht, was morgen sein wird, übermorgen. Davor wäre es normal gewesen, nicht zu gehen, nirgendwohin zu gehen. Aber die, die schon gegangen sind, schreiben, daß Du dort besser lebst als hier.“
Erzähler: Er ist der letzte mit seiner Familie. Zwei brüder sind schon vor ihm gegangen. Die Ausssicht, eine Zeitlang als in einem Übergangslager verbringen zu müssen, schreckt ihn nicht.
Übersetzer: „Das ist uns schon klar. Aber es heißt, daß das nach fünf Jahren überstanden ist. Einmal angefangen, muß man es auch zuendebringen.“
(… na eto.“)
Regie: Mit Stichwort „na eto“ abblenden, unterlegt halten
Erzähler:Seine Mutter, eine schüttere Greisin, steht derweil ganz verloren mitten auf dem Hof. Wie zum Schutz hat sie sich das Kopftuch fast ganz ins Gesicht gezogen. Sie versteht nicht, was mit ihr, der Alten, der `Starije‘, geschieht:
O-Ton 28: Mutter des Ausssiedlers (065) (Warum?…)
Regie: Verblenden, stehen lassen
O-Ton-Text: „Warum? Ach, wer weiß denn, warum. Das sind drei Bube und die wollen fort. Die `Starije‘, ich bin denen nicht nuschna. Ich bin do nicht `nuschna‘, und bin auch dort `nawerna‘ nicht `nuschna‘.“
Regie: Nach Stichwort „nuschna“ abblenden, unterlegt halten, nach Erzähler wieder aufblenden
Erzähler: Alt, niemand nütze sei sie, klagt das Mütterchen. Krank sei sie. Wenn sie doch bloß sterben könne:
Regie: Mit „fahren alle fort“ wieder aufblenden, stehenlassen
O-Ton-Taxt: „Aber sie fahren ja alle fort. was kann man machen. Allein will man doch auch net bleibe, gell? Wann’s kan’s einem mitnehmt, da muß man dableibe. Wies kommt, so müssen wer’s mitnehme. Ist doch wahr. (andere Frau) Ja, so isses.“
(…ja, so isses.“)
Regie: Mit Stichwort „ja so isses“ abblenden, unterlegt halten
O-Ton29: Kinder (066)
(…Schmatzen, Kinderstimmen…)
Regie: Verblenden, kommen lassen, nach Erzähler
hochziehen
Erzähler: Vor dem Haus finde ich die Kinder, die hier ein letztes Mal mit ihren Freunden spielen. Für sie ist völlig klar, worum es geht:
Regie: mit Stichwort „potamu schto“ hochziehen, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegt halten
Erzähler: „Hier verdient man zu wenig“, sagt auch der Kleinste. Er mag gerade fünf sein, aber in seinem kurzärmeligen weißen Hemd und seiner blauen Leinenhose sieht er beinah erwachsen aus.
„Hier kann man nicht leben. Dort ist es besser. Da gibt es alles, zu essen und überhaupt.“
Was sie von Deutschland erwarten?
Regie: Mit dem Stichwort „Nu kak?“ hochziehen, kurz stehen lassen, abblenden, mit Stichwort „ja rad“ wieder hochziehen
Erzähler:: „Daß es besser wird“, hofft der Kleine.
Besuch aus Deutschland sei im Dorf gewesen. Äpfel, Wurst und Konfekt hätten die mitgebracht. „Und alles und alles.“ Er sei froh, daß es jetzt dorthin gehe, versichert er treuherzig.
(..ja rad!)
O-Ton-30: In der Küche (060) (…Stühlerücken, Gabeln, Geschirr, Stimmen…)
Regie Verblenden, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach dem Erzähler wieder hochziehen
Erzähler: Die Einladung der Frauen zu einem Häppchen können wir schließlich nicht ablehnen. Die Küche ist kühl trotz der Hitze, die der sibirische Sommer wieder hervorbringt. Auch hier blitzt es vor Sauberkeit. Aus dem Häppchen wird schnell ein Mahl. Die ganze Siedlung scheint beteiligt. Der Tisch kann den Reichtum kaum tragen: selbstgemachte Butter, Milch, Käse, mehrere Sorten von Sahne. Stolz zeigt eine der Frauen die Buttermaschine. Eigener Honig, selbstgebackenes Brot, Wurst aus eigener Schlachterei. Tomaten, Zwiebeln, Früchte aus eigenen Gärten. „Wir haben alles“, erklären die Frauen stolz. „Alles selbstgemacht“.
Der „Schnaps“, mit dem wir schließlich anstoßen, ist kein Wodka, sondern ein würziger Selbstgebrannter. Zum Abschied packen sie meinen russischen Begleitern und mir drei dicke Pakete mit selbstgeräuchertem Speck.
O-Ton 31: Abfahrt (025) (…Doswidannije, Aufwiedersehn, Schlüssel, Anfahrt, Seufzer…
Regie: Verblenden, stehen lassen, bis Satz mit Stichwort „Vitamine“ gesprochen ist, dann abblenden, unterlegen, nach Erzähler verblenden
Erzähler: Meine russischen Begleiter, mit denen ich ins Dorf gekommen bin, können es nicht fassen:
„Die Vitamine fehlen! Sie haben alles! Aber für Vitamine wollen sie gehen!“
Sergei, Chefarzt des benachbartenn Bezirkszentrums kann sich gar nicht wieder beruhigen. Ebenso Pawel mein Begleiter aus Nowosibirsk. Ihnen erscheint die deutsche Siedlung in „Mor-Sowchos“ im Vergleich zu dem, wie die anderen hier leben, wie eine Idylle. Man muß verrückt sein, soetwas für ein ungewisses Ziel in der Fremde aufzugeben, finden sie.
O-Ton-32: Musik im Foyer (090, reichlich) (…Musik)
Regie: Kreuzblende, Ton langsam kommen lassen, stehen lassen, nach Beginn der Antwort der Frau abblenden, unterlegen
Erzähler: Foyer eines der großen Kulturpaläste in Nowosibirsk. Hier findet eine Versammlung der örtlichen Sektion „deutschen Gesellschaft für Wiedergeburt“ statt. Mit ca. 60.000 Deutschen beherbergt das Gebiet Nowosibirsk nur gut ein Zehntel der in Sibirien verstreuten Deutschen. Aber als größte Stadt Sibiriens ist es dennoch das Zentrum der Gesellschaft „Wiedergeburt“.
Heute abend werden Abgeordnete aus der Bundesrepublik erwartet. Es ist das erste Treffen dieser Art. Der Saal ist bereits voll. Aus der Stadt, aber auch aus weiter entfernten Dörfern sind die Menschen angereist. Man wartet auf die Gäste aus Deutschland. Im Foyer wird derweil noch getanzt. Die Erwartungen sind unterschiedlich. Eine der Frauen, noch ganz außer Atem, ist fröhlich und voller Schwung:
Regie: Antwort der Frau kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach Übersetzerin wieder hochziehen
Achtung! Hier habe ich möglicherweise zwischen Ende der Musik und Antwort der Frau einen Schnitt vergessen: Bitte ausblenden bis zur Abtwort, verblenden
Übersetzerin:^ „Nun, wir wollen von ihnen hören, was Sie zu sagen haben. Und sie sollten uns zuhören. Wir wollen, daß wir mit Ihnen zusammensein können, daß sie auch später öfter unsere Gäste sind.“
Regie: Nach dem Zitat abblenden
Erzähler:Andere sind nicht so zuversichtlich. Vor allem die in den letzten beiden Jahren voranschreitende Spaltung der Deutschen Gemeinde in unterschiedliche Lager macht ihnen zu schaffen:
O-Ton 34:Im Foyer, Forts. (020) („Schwer zu sagen…
Regie: Verblenden, Ton stehen lassen
O-Ton-Text: „Schwer zu sagen, aber ich glaube, da gibt’s so ein bißchen Politik, also wieder Auseinandersetzungen zwischen Deutschen hier im Land und im Gebiet Nowosibirskt. Aber wir sind alle Kinder einer Mutter. Das ist die Muttersprache des deutschen. Und die Mutter hat alle gleich lieb. Das tun, was gut ist für die Deutschen. Und nicht schimpfen.“ (…schimpfen“)
Regie: Nach Stichwort schimpfen abblenden,
unterlegen
Erzähler:Erst auf Nachfrage erläutert die Frau die Differenzen, um die es geht:
Ton 34: Forts. Halle (020)
(„Die Unterschiede?…)
Regie: Verblenden, stehen lassen
Übersetzerin: „Die Unterschiede? Na jetzt – weiß ich nicht einfach. Früher war es so: Entweder die Wolga oder in den Westen. Und die anderen waren: Wir bleiben hier uns versuchen etwas für die Deutschen zu machen. Aber wenigstens um fünzehn Jashre hätte es früher passieren sollen. Zu viele sind schon drüben oder sind unterwegs.“
(…unterwegs.“)
Regie: Mit Stichwort „unterwegs“ abblenden, unterlegt halten
O-Ton 35: Veranstaltungseröffnung (089) (…Beifall, Stimme, Beifall…)
Regie: Verblenden, stehen lassen, mit dem Beifall nach der Ansage abblenden, unterlegt halten
Erzähler: Mit großem Beifall werden die deutschen Abgeordneten begrüßt. Der Leiter der deutschen Delegation, alle Mitglieder der CDU, wie er betont, hat als erster das Wort:
Regie: Mit Beifall“ hochziehen, Ton stehen lassen
Erzähler: „Liebe Freunde von der Wiedergeburt, liebe Mitglieder des zwischenstaatlichen Rates. – Wird mich jemand übersetzen? Muß man übersetzen? Zurufe: Nein! – Gut. Umso besser, dann verstehen wir uns auch so. In unserer deutschen Muttersprache.“ (..Muttersprache“)
Regie: Mit Stichwort „Muttersprache“ abblenden, unterlegt halten
Erzähler;Deutschland sei bereit, den Rußlanddeutschen zu helfen, versichert er:
O-Ton 36: Abgeordneter. Forts. (089)
(„Zweierlei…)
Regie: Verblenden, mit Stichwort
O-Ton Text:“Und das wird zweierlei bedeuten: Erstens möchte ich Ihnen sagen: Das Tor nach Deutschland bleibt weiter offen, für alle, die es benutzen möchten, die nach Deutschland wollen. Das Zweite ist: Diejenigen, die nicht nach Deutschland wollen, die sollen Hilfe erhalten hier in Sibirien, wenn sie das wünschen. Und ich kann ihnen versprechen, daß beides bleibt, und daß die Entscheidung bei ihnen liegt.“
Erzähler: Der Redner beschwört die „positive Rolle“, die die Deutschen für die Entwicklung von Kultur und Zivilisation Rußlands gespielt hätten, als sie von zweihundert Jahren von Peter I. und Katharina II. als Kolonisten, als Handwerker und Bauern, ins Land gerufen wurden. Er beklagt die schweren Zeiten, die danach gekommen seien, besonders unter Stalin und Hitler. Kein anderer Teil, der Deutschen, versichert er den Menschen im Saal, habe so sehr unter den Folgen von Krieg und Vertreibung gelitten wie die Rußlanddeutschen. Damit aber sei es nun vorbei:
Regie: Mit Stichwort allmählich „denn wir alle hoffen doch“ langsam aufblenden, stehenlassen bis Ende, verblenden
O-Ton-Textt:“Denn wir alle hoffen doch, daß nach schweren Jahren, die noch bevorstehen, doch Schritt für Schritt Demokratie und Freiheit siegen werden. Und dann sind natürlich die Rußlanddeutschen, liebe Freunde, eine großartige, eine ideale Brücke zwischen den Deutschen und den Russen.“ (Beifall…)
O-Ton37: Musik: „Heimat“
Regie: Kreuzblende, kurz stehen lassen, abblenden, unterlegen, nach dem Erzähler abblenden
Erzähler: Die deutschen Abgeordneten versprechen, sich zu Hause für die Belange der Rußlanddeutschen einzusetzen. Ein Trachtenchor beendet anschließend den Abend. Mit deutschen Volksweisen des vorigen Jahrhunderts beschwört er die Heimat. Bereitwillig schunkeln die Versammelten nach Melodien von „Heimat“, „Lustig ist das Zigeunerleben“, „Ein Heller und Batzen“, „Sag danke schön mit roten Rosen“ noch gut eine Stunde. Für sie ist es ein Fest, das sie nicht alle Tage erleben. Für Dr. Weinhardt, den Vorsitzenden der „deutschen Widergeburt“, der die Veranstaltung leitet, sind all diese Versprechungen und Hoffnungen nicht mehr realistisch. „Zu viele Worte“, gibt er den Abgeordneten mit auf den Weg, „aber es fehlen die Taten.“
Am nächsten Tag suche ich ihn noch einmal in seinem Bürro auf. Dort erklärt er:
O-Ton 38: Dr. Weinhard, Forts.
(„Die ersten Jahre…)
Regie: Ton kommen lassen, stehen lassen
O-Ton-Text: Die ersten Jahre der Perestroika machten uns Hoffnungen auf die Widerherstellung der Republik und der Mnschenrechte, obwohl die Deutschen in den vorherigen Jahren vielleicht ein halbes Jahrhundert unter dem Druck waren und das Vertrauen zu unsren Behörden völlig verloren hatten. Jetzt haben sie es noch mehr verloren. Wir stehen sogar im Minus. Wir sehen, daß die Regierung nur um ein Einziges bestrebt ist: Rußland in den heutigen Grenzen zu erhalten. Und sie wollen aber nicht verstehen, daß alle Völker ihre Rechte und Möglichkeiten haben sollten, ihre Kultur und ihre Muttersprache zu erhalten.“
(…erhalten.“)
Regie: Mit dem Stichwort „erhalten“ abblenden,
unterlegt halten
Erzähler: Die Hoffnung der Rußlanddeutschen auf eine Wiederherstellung einer autonomen Republik an der Wolga sind erloschen. Aber auch der deutschen Regierung vertraut Herr Dr. Weingardt nicht mehr. Vom „offenen Tor“ werde bereits seit Jahren gesprochen. Tasächlich würden denjenigen, die nach Deutschland wollten, immer neue bürokratische Schwierigkeiten gemacht. Beispielsweise müßten sie Geburtsnachweise ihrer Eltern und Voreltern beibringen. Viele aber hätten diese Dokumente bei der Deportation doch verloren!
Die Vorstellung der deutschen Abgeordneten von den Rußlanddeutschen als „Brücke“ veranlaßt Dr. Weingardt schließlich nur noch zu einem milden Scherz:
O-Ton 39: Dr. Weinhardt, Ende
Regie: Kommen lassen, stehen lassen
O-Ton-Text:“Das kann man als Spaß einschätzen, als Witz vielleicht. Man darf keine Brücke, auf den Knochen eines repressierten Volkes aufbauen. da muß masn zuerst die Rußlanddeutschen fragen, ob sie noch viel Kräfte haben, das auszuhalten. Und diese Frage stellt keiner. Es gibt schon ehrliche Menschen, die das verstehen, aber noch ziemlich wenig.“
Erzähler: Das Problem steht auf der Tagesordnung. Der Krieg gegen die Tschtschenen, ein deportiertes Volk wie die deutsche Minderheit, hat es noch einmal verschärft. Wo ist die Lösung?
*
Soeben erschien von mir:
„Jenseits von Moskau – 186 und eine Geschichte von der inneren Entkolonisierung. – Eine dokumentarische Erzählung, Porträts und Analysen in drei Teilen“, bebildert, Karten, Register; Schmetterling Verlag, ca. 350 Seiten.
Verlagsadresse: Schmetterling Verlag, Rotebühlstr. 90, 70178 Stuttgart, Tel: 0711/62 67 79, Fax: 0711/62 69 92