Positive Zeichen werden in der Politik zurzeit kaum gesetzt. Die alte Weltordnung zerfällt. Eine neue ist nicht erkennbar. Da kann mensch froh sein, wenn die Präsidenten der beiden wichtigsten Krisenmächte sich zu einer Reformgemeinschaft zusammenschließen, die das Überleben der Menschheit garantieren soll. In einem Punkt ist Bill Clinton hundertprozentig zuzustimmen: Wenn Russlands Reformprozess steckenbleibt, dann wird das katastrophale Folgen nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt haben.
2,5 Milliarden Dollar will der US-Präsident seinem russischen Kollegen zukommen lassen. Die übrigen westlichen Industrieländer schließen sich an: Die Kanadier ebenso wie die Engländer kündigten eine Erhöhung ihrer Subventionen an. Auf der nächsten G-7-Tagung will man weiter für die Unterstützung Boris Jelzins werben.
Kaum jemand stört es, dass die Milliarden genau ein Jahr zuvor schon einmal als Teil des internationalen 24-Milliarden-Programms eingesetzt – aber nicht gezahlt wurden. Russland habe die damit verbundenen Konditionen nicht erfüllt, heißt es. Was sind das für Konditionen?
Darüber erfährt die westliche Öffentlichkeit kaum etwas. Im Land sind ihre Konsequenzen umso härter spürbar. Es geht um die Vorschläge des IWF für Maßnahmen der Strukturanpassung, besser bekannt als „Schocktherapie“. Michail Gorbatschow war dazu nicht bereit. Er musste gehen. Boris Jelzin machte sich die IWF-Richtlinien als seine politische Leitlinie zu Eigen: Preisfreigabe, Total-Privatisierung, Abbau von industriellen Überkapazitäten, Reduzierung des Wissenschafts- und Ausbildungssektors, Inkaufnahme von Massenarbeitslosigkeit usw. usw. Eingliederung in den Weltmarkt, heißt diese Politik in der Sprache des IWF. Ihr erklärtes Ziel ist die Verwandlung der ehemaligen Sowjetunion in einen Rohstofflieferanten mit reduzierter eigener Industrie.
Kein Wunder, dass Boris Jelzin dieses Konzept nicht durchsetzen konnte. Von der Mehrheit der Bevölkerung wird es als Zerschlagung bisheriger sozial-ökonomischer Strukturen und als Ausverkauf an den Westen erlebt, an dem sich eine Minderheit bereichert. Dies wurde und wird mit jedem weiteren Tag krasser deutlich: Die Preisfreigabe führte nicht zur Brechung, wie von den IWF-Strategen prophezeit, sondern zur Stärkung der Monopole. Die Privatisierung stärkte nicht den produktiven Sektor, sondern den unproduktiven des Kaufs und Weiterverkaufs, während sie die alten Produktionsstrukturen in der Industrie und auch auf dem Lande zerstörte.
Vor diesem Hintergrund ist zu bezweifeln, dass die in Vancouver angekündigte Hilfe zur Stärkung Boris Jelzins führen wird, auch wenn die beiden Präsidenten sich bemühen, sie dieses Mal als „Hilfe zur Selbsthilfe“ erscheinen zu lassen. Zu offensichtlich ist, dass es um die weitere Abstützung des bisherigen IWF-Programms geht. Die „Lockerung“ der Konditionen soll erst für die Juli-Konferenz der „G-7“-Staaten Thema sein. Mit solchen Ankündigungen ist aber der Angst, dass der bisherige Katastrophenkurs nun noch verschärft werden soll, nicht zu begegnen. Das wäre nur mit einer prinzipiellen Änderung der IWF-Politik möglich, die bereit wäre, auf den gegebenen Strukturen aufzubauen, statt deren Zerschlagung zur Voraussetzung von Reformen zu machen.

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Hallo,
wie wär’s mit einer Hintergrundanalyse zur IWF-Politik in einer der nächsten Ausgaben? Könnte ich (mit kleinen Aktualisierungen) direkt aus meinem unveröffentlichten dritten Buch zur Privatisierung nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

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